Die Pandemie macht Frauen unsichtbarer, das digitale Programm WOL will dem entgegenwirken und Frauen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Unsere Autorin hat es ausprobiert. Ein Erfahrungsbericht.
Davor: Frühjahr 2020
Im Frühjahr 2020 dämmerte es Katharina Krentz, dass das länger dauern würde mit Corona. Es machte sie wütend, dass Frauen vielerorts in alte Rollenklischees zurückgedrängt wurden, und sie fragte sich: Wer stützt eigentlich die Frauen? „Ich wollte einen Beitrag leisten. Ärztin bin ich nicht, aber ich hatte eine andere Idee.“
Diese Idee heißt „Working Out Loud“, kurz WOL. Das Ziel des Programms ist es, der eigenen Arbeit mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und selbst gesteckte Ziele zu erreichen. Dazu bilden sich „Cirlce“, in denen vier bis fünf Menschen ihr Wissen und ihre Expertise teilen und gemeinsam ein Netzwerk aufbauen. John Stepper entwickelte dazu ein zwölfwöchiges Selbstlern-Programm – mit festen wöchentlichen Treffen und Aufgaben.
Katharina Krentz ist WOL-Profi, mit zehn absolvierten Circles. Sie holte einige andere Frauen ins Orga-Team und überzeugte weitere, sich als Role Models zu engagieren, unter ihnen Tijen Onaran, Magdalena Rogl und Kenza Ait Si Abbou.
Das „WOL #frauenstärken“-Team rechnete mit 200 bis 300 Teilnehmer*innen. Es meldeten sich über 3000 an. Ich war eine davon. Ich landete im Circle 497. Zusammen mit Cindy, Doktorandin, Mareike, Webdesignerin und Katharina von der Bundesagentur für Arbeit.
Woche 1: Euphorie und Gelassenheit
Auftaktveranstaltung. Die Initiatorinnen wirken euphorisch, so wie man euphorisch ist, wenn man zu wenig geschlafen hat. Sie machen das alles ehrenamtlich. Wer Geld geben will, soll es an den Deutschen Kinderverein spenden. In der Chatbox auf Youtube schaffe ich es kaum mitzulesen. Klar ist: Hier sind viele Frauen mit vielen Zielen. Und klar wird auch: Um das Erreichen der Ziele geht es vielleicht gar nicht so sehr.
Das befreit viele von Perfektionismus und selbst auferlegtem Druck – mich zum Beispiel, oder auch Asumpta Lattus von der Deutschen Welle, eine der Frauen, mit denen ich im Nachgang über ihre WOL-Erfahrung gesprochen habe: „Wenn ich normalerweise ein Ziel habe, muss ich es durchziehen. Der Kick-Off hat mir wahnsinnig geholfen, alles gelassener anzugehen. Wir haben es im Circle so gemacht, wie John Stepper es gesagt hat: Relax. Ob du das Ziel erreichst, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass du auf dem Weg reflektierst.“
Außerdem in Woche eins: Mareike, die Webdesignerin in meinem Circle, gibt mir bessere Tipps für meinen Business-Plan als alle Gründungsberater*innen vorher zusammen.
Woche 3: Magdalena Rogl und die Dankbarkeit
In Woche drei passiert für mich – und ich glaube auch für viele andere – etwas Erstaunliches. Beim ersten Circle-übergreifenden Pit Stop-Event ist eine Microsoft-Managerin zu Gast, Magdalena Rogl. Ich falte nebenher Wäsche und bin, ehrlich gesagt, nur mit einem Ohr dabei. Es geht um Engagement während Corona, so wie das der WOL-Organisatorinnen. Sehr viele sagen dafür an diesem Abend „Danke“ im Chat und auf der Spendenseite des Deutschen Kindervereins.
Während des Pit Stops ist die Spendensumme plötzlich fünfstellig. Und da fängt Magdalena Rogl an zu weinen, nicht ein paar hübsche gerührte Tränen, sondern so richtig. Ich höre auf, Wäsche zu falten. Es ist plötzlich sehr persönlich. Und ich denke zum ersten Mal, dass vielleicht tatsächlich eine andere Arbeitswelt möglich ist. Eine, in der Tränen nicht unprofessionell sind und statt Ellenbogen-Mentalität eine des Händereichens herrscht.
Außerdem in Woche drei: Selina Peters [Name geändert] geht zum Arzt.
Woche 6: Selina Peters hat einen „Mutausbruch“
„WOL hat mein Leben verändert, aber auf eine völlig andere Weise, als ich das erwartet hatte“, sagt Selina Peters rückblickend. Zu Beginn arbeitete sie in einem Agentur-Umfeld, 80-Stunden-Wochen waren üblich. In Woche drei ging sie zum Hausarzt und ließ sich mit Burn-out krankschreiben. In Woche sechs kündigt sie ihren Job, ohne einen neuen zu haben.
„Wenn ich im Circle von der Arbeit erzählte, habe ich währenddessen gedacht: Was mach ich da? Und dann haben die anderen gefragt: Was machst du da?“, sagt sie. Und: „Was mich sehr inspiriert hat, war eine Person aus meinem Circle, die ein Arbeitsumfeld hat, das sie wachsen lässt und ihr die Erlaubnis gibt, sich zu verändern. Das will ich auch.“ Ihr bisheriges Umfeld war aber das Gegenteil – also musste sie da raus.
Woche 8: Zweite Luft
In Woche acht bekommt mein Circle ein neues Mitglied, eine zweite Katharina – und es ist das Beste, was uns passieren konnte. Zwischenzeitlich waren wir alle etwas überwältigt. Da mussten wir auch erkennen: So ein WOL-Circle ist Luxus. Und wenn es an die Substanz geht, ohne Kinderbetreuung, wie bei Mareike, in unsicherem Arbeitsverhältnis, wie bei Cindy, zum Start einer Selbstständigkeit wie bei mir – dann muss man kämpfen, um diesen Luxus aufrecht zu erhalten. Die fünfte Mitstreiterin hat unseren Circle erst richtig rund gemacht und frischen Wind mitgebracht, der uns ins Ziel gepustet hat.
Woche 10: Der Circle als Bubble
Die Überschrift in Woche zehn ist: „Werde systematischer.“ In diesem Zuge denke ich auch darüber nach, welche Systeme eigentlich der Initiative WOL #frauenstärken zugrunde liegen. Mein eigener Circle ist wirklich fantastisch, aber besonders divers ist er nicht. Und das finde ich schade.
„WOL ist eine Möglichkeit, aus der gewohnten Bubble rauszukommen,“, sagt auch Viviane Manke, Ingenieurin und Projektmanagerin, „aber man gerät auch in eine andere Bubble rein, die WOL-Bubble.“ Viviane Manke war die Erste in ihrer Familie, die studierte. Für viele Themen, sagt sie, muss man erst das richtige Gespür entwickeln, wenn man aus einem Nicht-Akademiker*innen-Haushalt kommt: „Man hat ein anderes Selbstbewusstsein, zum Beispiel eher Bedenken, was man denn eigentlich bieten kann. Man geht mit sich härter ins Gericht.“ Ein Problem von WOL #frauenstärken sieht sie darin, dass das Programm eher Frauen erreicht, die sowieso schon ein großes Netzwerk haben. „Da muss man schon aufpassen, dass man dadurch nicht wieder einen elitären Rahmen schafft.“
Ich muss eine Weile suchen, bis ich einen Circle finde, der heterogener ist als mein eigener. Auf den von Asumpta Lattus trifft es zu. Sie nennt ihren Circle „perfekt“: „Er war divers in vielerlei Hinsicht. Ich komme ursprünglich vom afrikanischen Kontinent, eine andere vom südamerikanischen. Auch die drei aus Deutschland waren unterschiedlich. Eine hatte gerade erst Abitur gemacht. Wir waren zwischen 18 und 47. Alle in einem Raum. Das war total bereichernd und ich habe wahnsinnig viel von der Truppe gelernt.“
Woche 12: Sekt und Wunderkerzen
Für unser letztes Treffen hat Mareike kleine Pakete quer durch die Republik geschickt, mit Sekt, Nüsschen und Wunderkerzen. Wir stoßen an auf unsere gemeinsame Reise. Ein WOL-Circle, davon bin ich überzeugt, kann im Kleinen Großes bewirken. Er kann ein Raum sein, in dem Menschen Mut finden, ein toxisches Arbeitsumfeld zu verlassen, so wie Selina Peters. Er kann ein Raum sein, in dem Geschäftsideen gedeihen und Freund*innenschaft entsteht. Er kann ein Raum sein, in dem sich ganz unterschiedliche Menschen begegnen, so wie im Circle von Asumpta Lattus. Ob eine Idee wie WOL #frauenstärken auch eine Bewegung im Großen werden kann, das steht auf einem anderen Blatt.
Danach: Frühjahr 2021
Zwölf Wochen dauerte WOL #frauenstärken. Und irgendwie auch ein ganzes Jahr. Anfang Mai 2020 hatte Katharina Krentz die Idee, weil „Corona länger dauert und es mal wieder die Frauen sind, die versuchen das zu wuppen.“ Jetzt ist es wieder Anfang Mai und der Satz könnte genauso gut aus diesem Jahr sein. Fast. Denn übers Land verteilt sitzen über 3000 Frauen, die ein bisschen besser gewappnet sind, für was auch immer sie in Zukunft noch wuppen müssen.
Die Mischung aus Euphorie und Erschöpfung aus der Auftaktveranstaltung hat sich im Gesicht von Katharina Krentz verfestigt. Aber die Mühen haben sich gelohnt. Seit Januar bekommt sie „Zuschriften von Frauen, die sich mutiger fühlen, gesehen.“ Besonders gefeiert, sagt sie, hat sie „jeden Post, der nicht perfekt war.“