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Cawa Younosi im Porträt | © Anne Hufnagl
© Anne Hufnagl
21.08.2025 • 18:48
Foto von Yvonne Weiß | © Roland Magunia Yvonne Weiß
Chancengleichheit

„Arbeit gegen Lohn reicht nicht mehr!“

Cawa Younosi gilt als einer der kreativsten Köpfe in der HR-Welt, die er mit seinen Ideen ein Stück weit revolutionieren will. Der Geschäftsführer vom Charta der Vielfalt e.V. glaubt, dass Deutschland viel Potenzial verschwendet und nur durch Vielfalt und mehr Chancengleichheit überhaupt international wettbewerbsfähig bleiben kann.

Du musstest aus Kabul fliehen, denn in den 80ern hätte es dir dort passieren können, dass du von der damaligen kommunistischen Regierung auf dem Schulweg abgegriffen und als Soldat eingezogen worden wärest – da warst du gerade mal 13. 1990 bist ganz allein in Deutschland angekommen, eine Familie sollte sich um dich kümmern, die war aber wochenlang weg. Du hast dich von Graubrot und Nutella ernährt und in einem Philosophiebuch Deutsch gelernt. Dass du letztendlich Jura studieren und zum HR-Chef von SAP werden konntest, klingt so, als hätte in Deutschland jede Person eine Chance – war und ist es so?

„Wenn man das so hört und liest, könnte ich in der Tat geneigt sein zu glauben: wenn ich das ,geschafft' habe, dann kann es jede*r schaffen. Man müsse sich nur genug anstrengen. Dieser Schluss ist intuitiv und angesichts der grundsätzlichen Rahmenbedingungen an sich auf den ersten Blick nachvollziehbar: Schulen sind kostenlos, Unis ebenso, öffentliche Bildungseinrichtungen sind auch in der Regel gut ausgestattet.

Nur: Wenn ich aus mir und dem Gesagten den Schluss zöge, soziale Mobilität in Deutschland sei bei entsprechendem persönlichen Einsatz super, dann wäre ich einem sogenannten Survivorship Bias erlegen: die Ausnahme aus der Statistik zur Regel erklären. Denn Fakt ist leider: Die Lotterie des Lebens entscheidet vielmehr über die soziale Mobilität als persönlicher Einsatz. Nur 23 von 100 Nichtakademikerkindern schaffen das Abitur, bei Akademikerkindern sind es 75. Laut einer anderen Studie benötigt man in Deutschland bis zu sechs Generationen, um in die Mittelschicht zu gelangen. Eine aktuelle Studie des Soziologen Michael Hartmann zeigt, dass seit 100 Jahren, trotz drei großer Umbrüche, in Summe immer die gleiche Elite in Deutschland die Macht unter sich teilt.

Also zurück zur Frage: Nein, leider kann nicht jede*r in Deutschland nur durch persönlichen Einsatz es schaffen. Da gibt’s noch viel zu tun.

Wie blickt ein Mensch mit Migrationsgeschichte auf deutsche Unternehmen?

„Ich kann nur für mich sprechen: Ich sehe, dass wir 25 Prozent in der Gesellschaft sind und stelle zugleich fest, dass wir in DAX-Vorständen nicht mal ansatzweise vertreten sind. Ähnliches im Bundestag: deutlich unterrepräsentiert. Ich sehe das und zugleich viel Potenzial, das die Unternehmen verschwenden. Denn wir wissen, dass Potenzial gleichmäßig verteilt ist, die Chancen aber nicht.“

Cawa Younosi, geboren 1974 in Kabul (Afghanistan), kam als Jugendlicher nach Deutschland. Sein Karriereweg führte ihn über die Deutsche Telekom und weitere Stationen 2009 zu SAP, wo er als Personalchef für Deutschland und Global Head of People Experience tätig war. Cawa Younosi steht für innovative Personalarbeit, flexibles Arbeiten und Vielfalt. Seit September 2024 ist er Geschäftsführer der Charta der Vielfalt e.V. und setzt sich hier weiterhin mit großem Engagement für Vielfalt und Chancengleichheit ein. 

Was sind die Best-Cases, die du für SAP entwickeln konntest? Ihr habt ein Mentoring-Programm ausgeschrieben, die interne Fluktuation gefördert, alle Führungskräftestellen mit 75 Prozent ausgeschrieben …

„Einiges hast du ja erwähnt. Das Wichtigste war aber eine Kultur, in der es einfach geil war, sich mit zutiefst menschlichen Themen auseinanderzusetzen und damit auch öffentlich ,anzugeben“: sei es mit dem größten Achtsamkeitsprogramm der deutschen Industrie seinerzeit, oder aber auch der Einführung von ,Focus Friday' oder der ,Wau-Wau'-App zur Unterstützung von u.a. Vereinbarkeit.“

Wenn jetzt viele behaupten, alle Unternehmen rudern zurück, was Diversity, Equity und Inclusion (DEI) angeht, kannst du das als Geschäftsführer der Charta der Vielfalt e.V. bestätigen?

„Nein. Hier spielt ein anderes Bias eine Rolle, der Verfügbarkeitsbias nämlich. Die Headlines einiger großer deutscher und amerikanischer Unternehmen suggerieren, als wäre alles im Rückzug. Fakt ist aber, dass wir als Charta gerade wachsen. Nach dem Motto: ,Jetzt erst recht'. Nur das liest man weniger als Schlagzeile.“

Unternehmerisch handeln bedeutet ja eigentlich auch Risiken einzugehen, wir wären keine so erfolgreiche Export-Nation geworden, wenn Bosch, Porsche, Daimler etc. nichts gewagt hätten. Ist uns der Mut abhandengekommen?

„Die Industriewirtschaft hat genau diese Skills gebraucht: Sicherheit, Präzision und 100 Prozent Zuverlässigkeit von erster Minute an. Niemand wollte eine Maschine kaufen, die vielleicht mal explodieren könnte. Das ist bei Software anders: Hier wird erstmal ausgerollt und dann kontinuierlich verbessert. Vor dem Hintergrund, dass nur gut 20 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland aus der Industrie stammt, ist es nun wichtig, dass wir neben Beibehaltung unserer Sicherheitsliebe auch Raum für Arbeitsmodelle und Mindsets geben, die andere Anforderungen brauchen. Aktuell wird aber die öffentliche Diskussion von Industrieverbänden, Diskussionen um Arbeitszeit etc. bestimmt, statt auch zu fragen: Was brauchen ,Wissensarbeitende'?“

Du schreibst in deinem Buch „Die große Potenzialverschwendung“, dass wir zu homogene Belegschaften in den Firmen haben, weil lange Zeit Chefs Personen rekrutiert haben, die ihnen ähnlich sind. Die Wissenschaft nennt das den „Mini-Me-“ oder „Similarity-Attraction-Effect“. Gleichzeitig bringt die Homogenität keine Zufriedenheit im Job, laut Gallup-Report sind 19 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland emotional nicht an ihre Arbeitgeber*innen gebunden und haben innerlich bereits gekündigt, nur jede*r Fünfte ist mit der Führungskraft wirklich zufrieden. Was muss passieren, um die schlechten Werte zu verbessern?

„Die Zahlen von Gallup werden regelmäßig hinterfragt, daher allgemein: Exitinterviews in ansonsten im wesentlich gesunden Unternehmen zeigen, dass Menschen bleiben, wenn sie persönliche Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Sie bleiben auch, wenn die emotionale Bindung stark ist. Im Umkehrschluss heißt es: Schafft interne Mobilitätsmöglichkeiten, jenseits von Silos und mit Förderung von ,Spurwechseln': Wer zehn Jahre Sales gemacht hat, sich umorientieren will und neu Lust auf People-Themen hat, soll die Möglichkeit bekommen, diesen Weg als Quereinstieg nehmen zu können. Und umgekehrt von HR zu Sales. Emotionale Bindung stärke ich, wenn ich Menschen als facettenreiche Wesen wahrnehme und diese Bedürfnisse anspreche und erfülle. Arbeit gegen Lohn reicht nicht mehr.“

Was würdest einem Donald Trump gerne sagen?

„Das würde voraussetzen, dass er so jemandem ,woken' wie mir auch zuhören wollen würde. Das glaube ich eher weniger. Insofern spare ich die Atemluft und die Worte und setze sie woanders ein, wo zumindest die Bereitschaft zum Zuhören im Sinne von ,Zuhören, um zu verstehen' da ist, anstatt: ,Zuhören, um zu antworten'.“

Buchtipp: Cawa Younosi: „Die große Potenzialverschwendung“, Haufe Verlag, 22 Euro. Mehr erfahren

Cawa Younosi ist Speaker beim FFF DAY!

Am 11. Oktober 2025 findet im bcc Berlin der FFF DAY statt. Gemeinsam mit weiteren Speaker*innen spricht Cawa Younosi auf der Konferenz über Vielfalt in Unternehmen, auf dem Panel:
„Mutig in die Zukunft: Wie deutsche Unternehmen Vielfalt fördern"
In den USA verabschieden sich derzeit einige große Unternehmen von ihren DEI-Programmen und folgen so dem politischen Trend. In Deutschland gibt es aber Firmen, die sagen: Jetzt erst recht. Diversität ist kein Nice to have, sondern ein echter Business-Case, der Innovationskraft und Resilienz stärkt. Außerdem ist DEI ein wichtiges Tool für Unternehmen, Verantwortung zu übernehmen und Chancengleichheit voranzutreiben und auch im Wettstreit um Talente und neue Mitarbeitende unerlässlich. In diesem Panel kommen die Stimmen aus der Wirtschaft zu Wort, die die Frage beantworten: Was bringt uns Diversity, Equity und Inclusion eigentlich wirklich, und wie gehen wir mit Widerständen um?

Du möchtest bei dem Panel dabei sein? Unter fffday.com findest du Infos zur Konferenz, zum Programm, zu den diesjährigen Speaker*innen und deinem Ticket, das du hier sichern kannst.

Werbebanner für den FFF DAY am 11. Oktober 2025. Motto: Be Bold!  | © EDITION F
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„BE BOLD“ ist das Motto des FFF DAY am 11. Oktober 2025!

Beim FFF Day 2025 im bcc Berlin feiern wir den Mut, für Menschenrechte und Demokratie einzustehen. Wir wollen den verschiedenen Facetten von Mut Raum geben – weltweit und individuell. Gemeinsam erkunden wir, wie Mut sich in unterschiedlichen Kontexten zeigt, wie Privilegien unsere Perspektive darauf prägen und was Mut bewirken kann. Unter dem Motto „Be bold“ feiern wir mutige Menschen, die Grenzen überwinden und Veränderung schaffen. Freu dich auf inspirierende Keynotes, internationale Stimmen und vielfältige Begegnungen, die Mut sichtbar und spürbar machen. 

Lasst uns zusammen mutig die Zukunft gestalten! Sichere dir dein Ticket JETZT!

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