Suchen
Frau und Kind sitzen vor dem Computer.  | © Pexels | Lily Tiger
© Pexels | Lily Tiger
11.11.2025 • 08:00
Autorin Anne-Kathrin Heier | © Heike Bogenberger Anne-Kathrin Heier
8 Minuten
Medienkooperation | Vereinbarkeit.jetzt

„It’s not you – it’s the system!“: Initiative Vereinbarkeit.jetzt kämpft für eine gerechtere Arbeitswelt 

Wie gelingt echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Nadine Quosdorf hat mit Vereinbarkeit.jetzt eine Initiative geschaffen, die Unternehmen, Family-Benefit-Anbieter*innen und Eltern vernetzt, um neue Wege zu gehen. Im Interview spricht sie darüber, wie aus ihrer eigenen Erfahrung als Mutter in Führungsverantwortung die Idee zu Vereinbarkeit.jetzt entstanden ist, warum das Thema für sie persönlich so wichtig ist – und weshalb Veränderung nur gelingt, wenn Unternehmen mutig vorangehen.

Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist längst mehr als ein privates Anliegen – sie ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor und ein Gradmesser moderner Unternehmenskultur. Doch zwischen gut gemeinten Absichtserklärungen und gelebter Realität klafft oft noch eine große Lücke. Genau hier setzt Vereinbarkeit.jetzt an: Eine Initiative, die Unternehmen, Entscheider*innen und Eltern in Führungspositionen zusammenbringt, um neue Wege für eine chancengerechte Arbeitswelt zu gestalten.

Hinter dem Projekt steht Nadine Quosdorf, die selbst erlebt hat, wie schwierig es sein kann, nach der Geburt eines Kindes beruflich an frühere Erfolge anzuknüpfen. Mit ihrer Erfahrung als Gründerin und Mutter will sie Brücken bauen – zwischen Wirtschaft und Familie, Vision und Umsetzung. Im Gespräch erzählt sie, wie aus einer Mama-Community eine Bewegung wurde, warum das Thema Vereinbarkeit für sie persönlich so bedeutend ist und welche Ziele sie mit ihrem Engagement verfolgt.

Gab es für dich einen Schlüsselmoment, der dein besonderes Engagement für Vereinbarkeit ausgelöst hat?

„Ja, den gab es – auch wenn ich ihn damals gar nicht als solchen erkannt habe. Nach der Geburt meines Kindes bekam ich weiterhin regelmäßig Anrufe von Headhuntern, genauso wie in den Jahren zuvor. Meine letzten drei Vollzeitstellen habe ich über Headhunter angeboten bekommen. Ich hörte mir die Angebote noch eine Zeit lang an, während für mich klar war: Keine Vollzeit mehr, kein Umzug. Sobald ich erwähnte, dass ich mittlerweile Mutter bin, wurde es am anderen Ende der Leitung auffallend still. Mit der Zeit waren diese Gespräche für mich nur noch Zeitverschwendung. Ich kürzte sie ab, stellte gleich zu Beginn klar, was für mich geht – und was nicht. Nach einiger Zeit hörten die Anfragen auf. Ich war raus aus dem Spiel. Genau daraus ist dann MAMA BUSINESS© entstanden.“

Was möchtest du mit deinem Projekt und deinen Events erreichen?

„Ich habe drei große Ziele:
1. Ein Umdenken in den Unternehmen zu bewirken. Denn die meisten begreifen das Thema Familie noch nicht als Teil ihrer Unternehmenskultur. Viele haben ein BGM (betriebliches Gesundheitsmanagement), nutzen die Benefits aber nicht strategisch. Hier eine Tankkarte, dort eine vergünstigte Fitnessstudio-Mitgliedschaft. Wie wäre es aber, wenn wir weniger Kinder-Fehltage oder zeitgleiche Urlaube während der Ferienzeiten hätten? Es gibt ganz wunderbare family benefits – vom Thema Kinder-/Ferienbetreuung bis hin zur Nachhilfe. Diesen Anbieter*innen gebe ich eine Bühne und die Möglichkeit, sich mit den Entscheider*innen bekannter Unternehmen zu vernetzen.
2. Ich möchte, dass Unternehmen selbst zu Rolemodels werden und das Thema als Teil ihres Employer Brandings verstehen und nutzen. Wer den ,Mut' hat, Eltern Lösungen wie Jobsharing, Führung in Teilzeit oder einfach mehr Flexibilität zu bieten, darf darüber auch laut sprechen und damit werben.
3. Zusammen mit den Menschen vor Ort möchte ich Erfolgsgeschichten schreiben. Mein Ziel ist es nicht, selbst auf der Bühne zu stehen – aber ich möchte die richtigen Menschen vernetzen, die im Anschluss neue Projekte starten (Douglas hat z.B. nach meinem ersten Event ein Eltern-Netzwerk gegründet). 

Ich vernetze also Unternehmen, Family Benefit-Anbieter*innen und die Presse miteinander, damit das Thema an Fahrt gewinnt. Fazit: Ich wünsche mir Chancengerechtigkeit – unabhängig von Arbeitsstunden.“

Das Vereinbarkeit.jetzt-Event steht kurz bevor. Was erwartet die Teilnehmenden am 14. November? 

„Auf dem Event, das in den Räumen von RTL in Köln stattfinden wird, erwartet die Gäst*innen ein exklusives B2B Networking für Eltern in Führungspositionen. Viele Eingeladene sind auf VP-/C- oder sogar Vorstands-Level aktiv und setzen sich schon heute in ihren Unternehmen für eine bessere Vereinbarkeit ein. 

Wir zeigen Lösungen auf, sprechen über Best Practices, die bereits umgesetzt wurden und möchten damit allen Teilnehmenden einen Blumenstrauß an Ideen mitgeben. Daneben wird in diesem Jahr der 1.Vereinbarkeit.jetzt-Award in vier Kategorien verliehen (Top Rolemodel, Top Company, Top Family Benefit, Top Verein/NGO), um herausragendes Engagement für Vereinbarkeit auszuzeichnen und noch sichtbarer zu machen. Am Abend findet ein VIP-und Presse-Dinner in kleinerer Runde statt.“

Welche Rolle spielt für dich die Vernetzung auf dieser Veranstaltung?

„Zielgruppe sind Eltern in Führungspositionen, die selbst im Unternehmen einen Einfluss auf die Kultur bewirken können und wollen. Nur darum geht es mir: Die richtigen Menschen zusammenzubringen, damit im Anschluss gehandelt wird (statt nur darüber gesprochen). Ich möchte keine ,Mecker-Kultur' fördern, sondern echte Veränderung bewirken.“

Vereinbarkeit.jetzt Event 2024 | © Vereinbarkeit.jetzt mit Nadine Quosdorf | Westwing Fotos by Flamisch
© Vereinbarkeit.jetzt mit Nadine Quosdorf | Westwing Fotos by Flamisch

Was sind aus deiner Sicht aktuell die größten Herausforderungen beim Thema Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben?

„Hier muss man klar unterscheiden. Vereinbarkeit.jetzt ist eine B2B Initiative, die die Zielgruppe ,Eltern in Führung' anspricht. Also Eltern, die vor den Kids meist sehr viel Verantwortung und gut bezahlte Jobs hatten. Hier setzen wir uns für neue, flexible Arbeitsmodelle ein. Die Herausforderung liegt bei den meisten also weniger im typischen Thema ,zu wenig Zeit', als in der nicht mehr vorhandenen Möglichkeit, nach den Kids überhaupt noch die gleiche Verantwortung im Job zu übernehmen oder annähernd das frühere Gehalt zu erreichen. Die größten Herausforderungen liegen aber von Seiten der Eltern (egal ob Führungsposition oder nicht) meist beim Thema ,Erwartungsmanagement'.“

Inwiefern?

„Innerhalb der Beziehung wird oft nicht klar kommuniziert, wie man sich ein Leben mit Kind und Karriere vorstellen könnte. Genauso wenig wie das Thema bei der Arbeit offen besprochen wird. Das ist absolut nicht zeitgemäß und zielführend. Das Thema muss auf den Tisch und alle Seiten müssen frühzeitig darüber sprechen. Auch wenn es am Ende sicher oft anders kommt als geplant. Eltern sollten wissen, wie viel Geld sie nach der Elternzeit in etwa verdienen werden, wie die Rentenlücke überbrückt werden kann und welche (Notfall-)Betreuung möglich wäre.“

Welche Lösungsansätze oder inspirierenden Beispiele hast du durch dein Netzwerk kennengelernt?

„Ganz klar das Thema Family-Benefits. Viele Unternehmen haben solche Leistungen bereits seit Jahren im Angebot. Es gibt Betriebskitas, Sonderurlaube u.v.m. Nur leider hat das Thema bis heute kaum jemand richtig vermarktet. Es steht irgendwo versteckt auf der Website oder man hört kurz im Vorstellungsgespräch davon. Wenn ich aber als Elternteil eine*n entsprechende*n Arbeitgeber*in suche, wird mir das Thema eher selten ins Auge stechen.“

Gibt es eine Erfolgsgeschichte aus deinem Umfeld, die dich besonders bewegt hat?

„Die eine große Story gibt es ehrlicherweise nicht, aber gerade Frauen aus meinem Netzwerk erzählen mir natürlich immer gerne, wenn sie nach der Elternzeit in ein Arbeitsverhältnis gehen konnten, das ihren Wünschen entspricht. Meist sind das dann Stellen, die Führung in Teilzeit oder eine sehr große Flexibilität ermöglichen. Leider passiert das aktuell fast ausschließlich innerhalb des Unternehmens, in dem sie bereits vor dem Nachwuchs gearbeitet haben. Erfolgsgeschichten, die aufgrund einer Bewerbung auf dem freien Markt entstanden sind, höre ich leider keine.“

Wie können Medien deiner Meinung nach dazu beitragen, das Thema Vereinbarkeit sichtbarer zu machen?

„Medien haben hier eine riesengroße Verantwortung, die in meinen Augen bisher nicht sehr smart genutzt wird. Es sollte mehr über diejenigen berichtet werden, die es bereits sehr gut machen. Denn das nehmen wiederum andere Unternehmen (und Eltern) wahr und können einzelne Maßnahmen auch bei sich implementieren. Natürlich ist es wichtig, auf Probleme aufmerksam zu machen – aber auch öfter über Best Practices zu sprechen, wäre ein großer Fortschritt.“

Was wünschst du dir von der Öffentlichkeit und der Politik in Bezug auf Vereinbarkeit?

„So ungern ich das sage, habe ich meine Hoffnungen nie auf die Politik gesetzt. Seit Jahrzehnten sieht man leider sehr klar, dass das Thema Familie dort nahezu keine Relevanz hat. Genau deshalb lag mein Fokus von Beginn an auf Unternehmen. Egal ob Konzern oder KMU. Sie sind täglicher Dreh-und Angelpunkt unserer Wirtschaft und des persönlichen Wohlstandes. Hier haben wir Hebel, die sich schneller umlegen lassen. Unternehmen können auch zu Vorbildern für politische Entscheidungen werden. 

Von der Öffentlichkeit wünsche ich mir, dass die wirtschaftliche Relevanz wahrgenommen wird. Selbst sehr gebildete Menschen begegnen mir regelmäßig mit Skepsis und nehmen die Initiative als Hobby wahr. Erst wenn ich ihnen die Unternehmen und Menschen zeige, die bereits hinter uns stehen, ernte ich Respekt. Diesen Umweg könnten wir uns sparen.“

Wo siehst du „Vereinbarkeit.jetzt“ und das Thema Vereinbarkeit in fünf Jahren?

Award und Eventreihe sind etabliert, wir haben langfristige Kooperationen und implementieren Family Benefits und Flexjobs in vielen Unternehmen.“

Was motiviert dich, trotz möglicher Widerstände weiterzumachen?

„Die Unterstützung wirklich toller Menschen, die an das Thema glauben und mit denen zusammen wir schon einige Male bewiesen haben, dass auch solch eine kleine Initiative einen echten Unterschied machen kann.“

Wie können Interessierte Teil deines Netzwerks werden oder sich engagieren?

„Die größte Hilfe, damit Vereinbarkeit.jetzt dauerhaft ,überleben' kann, sind Sponsorings. Wenn Interessierte also in Unternehmen arbeiten, die hier unterstützen wollen, kann man uns jederzeit über LinkedIn oder per Mail kontaktieren (team@vereinbarkeit.jetzt). Um auf den Events dabei zu sein, ist der monatliche Newsletter sicher das beste Info-Tool. Wir arbeiten mit einer Warteliste, da wir die Networking Event bei unter 150 Gästen halten wollen, damit es nicht zu unpersönlich wird.“

Gibt es noch etwas, das du unseren Leser*innen mitgeben möchtest?

„Lasst euch nicht entmutigen, wenn ihr selbst in der Situation seid, dass eure Arbeitskraft plötzlich weniger gefragt ist. Ich zitiere hier immer gerne meine Verbündete, Sabine Rath: it’s not you – it’s the system. Es wird vielleicht etwas dauern, bis ihr euren Platz wiederfindet. Aber er wird kommen!“

Initiative Vereinbarkeit.jetzt

Vereinbarkeit.jetzt ist eine Initiative, die Unternehmen und berufstätige Eltern – vor allem in Führungspositionen – zur aktiven Vernetzung und zum Austausch rund um das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammenbringt. Ziel ist es, innovative Arbeitsmodelle wie Flexjobs, Jobsharing und Eltern-Benefits zu fördern und gemeinsam an gesellschaftlichen Veränderungen für mehr Gleichberechtigung und moderne Arbeitskultur zu arbeiten. Mehr über die Initiative Vereinbarkeit.jetzt gibt es hier

Schlagwörter
Künstliche Intelligenz
5 Dinge, die ihr aus feministischer Perspektive über KI wissen müsst
KI spiegelt unsere Werte. Fünf Learnings von Lara Sophie Bothur zeigen gelebte Verantwortung. 
Julia Becker: „Feminismus ist kein Projekt, sondern eine Lebensaufgabe“
FUNKE-Verlegerin Julia Becker spricht über Feminismus, Diversität in Unternehmen und journalistische Verantwortung.
Marjane Satrapi: „Genialität ist ein Attribut, das Frauen selten zugeschrieben wird“
Die iranisch-französische Autorin und Regisseurin Marjane Satrapi wurde mit der Verfilmung ihrer Comics weltbekannt.
10 Erfinderinnen, die du kennen solltest
Schon vor 200 Jahren bewiesen Frauen: Wissenschaft ist keine Männerdomäne. Wir stellen Pionierinnen vor.
Nadine Schenk: „Ich ermutige Mitarbeiterinnen, ihre erzielten Erfolge wirklich anzuerkennen“
Nadine Küster ist Generalsekretärin bei Danone und setzt sich im Unternehmen für die Förderung ihrer Mitarbeiterinnen ei...
Chancengleichheit
Cawa Younosi: „Arbeit gegen Lohn reicht nicht mehr!“
Der Geschäftsführer der Charta der Vielfalt e.V. glaubt, dass Deutschland nur durch Chancengleichheit international wett...