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Eine Frau und ein Kind, die gemeinsam an einem Tisch malen.  | © Getty Images | mediaphotos
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24.10.2025 • 14:00
Camille Haldner im Porträt  | © Leah Kunz Camille Haldner
5 Minuten
Tag der pflegenden Eltern 

„Die Lebensrealität pflegender Eltern kommt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor“

Die Arbeit, Herausforderungen und Bedürfnisse pflegender Eltern in Deutschland sichtbar machen – das ist das Ziel eines neuen Aktionstages. Im Interview erzählt Lisa Thelen vom Bundesverband wir pflegen e.V., warum es den Tag der pflegenden Eltern dringend braucht. 

Am 24. Oktober 2025 findet erstmals der Tag der pflegenden Eltern statt – initiiert vom Arbeitskreis pflegender Eltern im Bundesverband wir pflegen e.V. gemeinsam mit weiteren Unterstützer*innen. Inspiriert vom 50. Jahrestag des legendären isländischen Frauenstreiks macht der Aktionstag sichtbar, was oft übersehen wird: die unbezahlte Care-Arbeit von Eltern, die sich um Kinder mit Behinderung und chronischen Erkrankungen kümmern. Pflegende Eltern leisten täglich enorm viel, und das meist rund um die Uhr. Diese Arbeit ist nicht nur zeitintensiv, sondern auch emotional und körperlich fordernd. Doch gesellschaftliche Anerkennung, mediale Aufmerksamkeit, Unterstützung und soziale Absicherung erhalten pflegende Eltern nur wenig.
 
„Viele pflegende Eltern berichten von Isolation, Überlastung und dem ständigen Spagat zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen des Pflegealltags. Sie tragen Verantwortung, die normalerweise ein ganzes Team von Fachkräften übernehmen würde – und tun dies Tag für Tag, oft jahrelang, ohne die notwendige Entlastung“, schreibt der Bundesverband auf seiner Website. Zudem erleben pflegende Eltern massive und dauerhafte finanzielle Einschnitte. Ein Elternteil – mehrheitlich die Mutter – kann aufgrund fehlender Entlastungsleistungen oft nicht mehr einer geregelten Lohnarbeit nachgehen. Noch härter trifft es allein- und getrennterziehende Elternteile, die häufig auf staatliche Hilfe in Form von Bürgergeld (ab 2026 dann Grundsicherung) angewiesen und von Armut betroffen sind. 
 
Der Aktionstag soll deshalb nicht nur die von pflegenden Eltern geleistete (Fürsorge-)Arbeit sichtbar machen, sondern auch der Forderung nach finanzieller Absicherung und besseren Entlastungs- und Unterstützungsstrukturen für pflegende Eltern Nachdruck verleihen. Im Interview erklärt Lisa Thelen, Referentin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit bei wir pflegen e.V., was pflegende Eltern dringend brauchen und was die Politik angehen müsste.

Über den Verband: wir pflegen e.V. ist eine bundesweite Interessenvertretung und Selbsthilfeorganisation pflegender An- und Zugehöriger in Deutschland. Der Bundesverband vernetzt pflegende Angehörige über Selbsthilfeinitiativen und fördert den Austausch untereinander. Gleichzeitig bündelt wir pflegen e.V. deren Anliegen und bringt sie in die politische Debatte ein. Ziel des Verbandes ist es, Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte pflegender An- und Zugehöriger als gleichberechtigte Partner in der Pflege durchzusetzen. Eine der Selbsthilfeinitiativen unter dem Dach von wir pflegen e.V. ist der Arbeitskreis pflegender Eltern, der den Aktionstag der pflegenden Eltern initiiert hat.

Weshalb habt ihr bei wir pflegen e.V. entschieden, in diesem Jahr den Tag der pflegenden Eltern ins Leben zu rufen? 

 
„Weil die Lebensrealität dieser Eltern in der öffentlichen Wahrnehmung bisher kaum vorkommt. Pflegende Eltern leisten tagtäglich Enormes – sie übernehmen rund um die Uhr Verantwortung, koordinieren Pflege, Therapie und Betreuung und halten gleichzeitig ihre Familien am Laufen. Diese Arbeit ist unbezahlbar, aber leider auch unbezahlte Arbeit.

Mit dem Tag der pflegenden Eltern wollen wir genau das sichtbar machen: die gesellschaftliche Bedeutung dieser Care-Arbeit, die häufig im Verborgenen bleibt. Wir möchten Anerkennung schaffen, Solidarität fördern und vor allem politische Veränderung anstoßen.“
 

Was brauchen pflegende Eltern und pflegende Angehörige besonders dringend?

 
„Pflegende Eltern brauchen verlässliche Unterstützungs- und Entlastungsangebote, um überhaupt einmal durchatmen zu können. Kurzzeitpflegeplätze für Kinder sind zum Beispiel kaum vorhanden, ambulante Dienste fehlen vielerorts. Viele Eltern müssen deshalb ihre Erwerbstätigkeit einschränken oder ganz aufgeben. Die Folgen: Einkommensverlust, Altersarmut und soziale Isolation. Besonders Allein- und Getrennterziehende trifft es hart: Sie leisten enorm viel und landen als Dank dafür im Bürgergeld. Für sie braucht es dringend ein Pflegegehalt, das soziale und finanzielle Sicherheit schafft.“
 

Was fehlt euch in der öffentlichen Debatte rund um pflegende Elternschaft besonders und wofür wünscht ihr euch mehr Bewusstsein?

 
„In der öffentlichen Debatte fehlt oft das Verständnis für die verschiedenen Lebensrealitäten. Pflegende Eltern sind häufig von gesellschaftlicher Exklusion betroffen. Sie bewältigen täglich eine Vielzahl von Aufgaben, für die es ein ganzes Pflegeteam bräuchte. Ihre Leistungen werden noch viel zu oft als private Familienaufgabe betrachtet, statt als gesellschaftlich relevante Care-Arbeit. Sie machen das unbezahlt und haben dabei in der Regel keine Wahlfreiheit. Viele Mütter wollen arbeiten, können aber nicht. Eine alleinerziehende Mutter, die sich um ihr autistisches Kind kümmert, kann ihr Kind nicht einfach fremdbetreuen lassen. Vielleicht muss sie es zur Schule begleiten und mittags wieder abholen, weil längere Betreuungszeiten nicht möglich sind. Wer stellt jemanden ein, der nur drei Stunden am Tag arbeiten kann?“
 

Was müsste die Politik dringend angehen, um das Leben von pflegenden Angehörigen zu verbessern? 

 
„Pflegende Eltern brauchen verlässliche Entlastungsangebote und die Möglichkeit, Pflege und Arbeit zu vereinbaren. Wenn das nicht möglich ist, braucht es ein Pflegegehalt zur finanziellen Absicherung. Außerdem müssen bürokratische Hürden abgebaut und Care-Arbeit als gesellschaftlich wertvoll anerkannt werden. Nur so lassen sich Überlastung, Isolation und finanzielle Not verhindern. Wichtig ist zudem, dass die UN-Behindertenrechtskonvention endlich konsequent umgesetzt wird.“
 

Welche Frage sollte pflegenden Eltern häufiger gestellt werden – und was wäre eure Antwort darauf?

 
„Zum Beispiel, wie man uns unterstützen kann. Und meine Antwort wäre: Wir stehen gerade am Anfang, der Tag der pflegenden Eltern soll künftig jedes Jahr stattfinden. Ein Großteil der Arbeit wird ehrenamtlich von den engagierten Mitgliedern unseres Arbeitskreises vom Bundesverband wir pflegen e.V. getragen. Jede helfende Hand zählt, und wir freuen uns über Menschen, die sich einbringen möchten. Dabei gilt für uns: Jede*r so wie sie*er kann. Wer uns finanziell unterstützen möchte, kann Mitglied bei wir pflegen e.V. werden oder mit einer Spende helfen, unsere Arbeit sichtbarer zu machen und pflegende Eltern zu stärken.“
 
 
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