Leni Bolt wird den FFF DAY mit einer besonderen Masterclass bereichern – einer geführten Tanz- und Meditationssession. Im Interview spricht sie über die Idee dahinter, ihre neue App SOMAYA und darüber, warum Mental Health und Queerness untrennbar miteinander verbunden sind.
Das Motto unseres diesjährigen FFF DAY „Be Bold“ hat Leni Bolt schon fast im Namen. Seit Jahren engagiert sie sich für Mental Health Awareness und queere Rechte und steht dabei als nicht-binäre Person authentisch und mutig zu sich selbst. Bekannt ist sie vor allem durch ihren Auftritt als Work/Life-Coach unter den „Fab5“ in der Serie Queer Eye Germany.
Bereits auf dem FFF DAY 2024 war Leni Bolt bereits mit ihrer SOMAYA Session vertreten – und auch in diesem Jahr könnt ihr die geführte Tanzreise mit ihr erleben. Zudem launcht sie schon im Oktober ihre neue App SOMAYA, die „wie ein SOS-Knopf“ für Menschen mit Angststörungen und Panikattacken gedacht ist. Wie die App funktioniert, wie sie entstand und wie ihre eigene Geschichte mit mentaler Gesundheit und Queerness zusammenhängt, erzählt sie im Interview – und warum es ihr so wichtig ist, sich öffentlich für diese Themen einzusetzen.
„So. Viel. Seit der Ausstrahlung von Queer Eye Germany war mein Leben eine krasse Achterbahnfahrt mit unglaublich vielen Möglichkeiten. Ich habe mit vielen Marken zusammengearbeitet. Ich durfte nach Südafrika, dort eine Kampagne mit Nivea umsetzen – das war eines meiner Highlights. Ich habe ein Buch über Work-Life-Balance geschrieben: ‚Work Life Liebe‘.
Letztes Jahr habe ich mein eigenes Projekt SOMAYA gelauncht. Das ist ein Tanz- und Meditationsprogramm mit Silent Disco-Kopfhörern. Damit durfte ich bereits bei einigen Festivals mit am Start sein und eben auch auf dem FFF DAY. Ich war letztes Jahr dabei und werde es dieses Jahr auch wieder sein.
Grob zusammengefasst, ist unglaublich viel passiert und jetzt ist eine Zeit gekommen, in der ich mich selbst mehr gefestigt habe und ich weiß, wo ich weiter hin möchte. Mir haben damals schon immer Speaker*innen-Jobs viel Spaß gemacht. Auf Panel-Talks über Themen wie mentale Gesundheit und Queerness zu sprechen und da auch die Verbindung zu schaffen. Das ist der Weg, der mir durch Queer Eye geebnet wurde, und den ich gerne verfolgen möchte.“
„Weil es mir lange Zeit mental nicht so gut ging. Ich hatte vor vielen Jahren ein Burnout, bevor ich nach Spanien ausgewandert bin und musste mich selbst erstmal wiederfinden und überlegen, was mir eigentlich guttut. Ich musste mich fragen, wie ich mein Leben gestalten möchte und wo ich meine Grenzen setze, damit es nicht nochmal dazu kommt. Und ich weiß einfach, dass es unglaublich vielen anderen Menschen auch so geht.
Damals in dieser Burnout-Phase hatte ich mit ganz krassen Panikattacken und Angstzuständen zu. Die sind leider nie vollständig verschwunden. Deswegen würde ich auch nicht sagen, dass ich ein Burnout hatte und dann für immer geheilt bin. Ich glaube, dass Symptome wiederkommen können. Damit umzugehen zu lernen, finde ich sehr wichtig.
Und ich möchte meine Erfahrungen weitergeben und andere Menschen supporten, sodass sie sich nicht allein fühlen.“
„Burnout beschreibt eine depressive Phase, oder auch eine Depression, im Kontext der Arbeit. Das ist der große Unterscheidungsfaktor. Bei mir war die Arbeit auf jeden Fall der Auslöser. Ich habe nur für die Arbeit gelebt und habe nicht mehr realisiert, dass es einfach zu viel war.
Ich hatte keine Energie mehr, aufzustehen, meinen Alltag zu bestreiten oder mich mit Freundinnen zu treffen. Mein ganzes Sozialleben war für mich sehr anstrengend. Es war eine Mischung aus krasser Müdigkeit und keiner Kraft für ein Sozialleben oder dafür, mit Menschen im Austausch zu sein. So würde ich meine eigene Erfahrung beschreiben. Ich kann mir vorstellen, dass andere Menschen andere Erfahrungen machen, aber das ist in etwa das, was ich durchlebt habe.“
„Ich habe das Gefühl, dass eine grundsätzliche Awareness da ist. Das würde ich aber auch abwägen, von Unternehmen zu Unternehmen. Modernere Unternehmen sind definitiv ein bisschen fitter, was das angeht. Ich kriege immer noch mit, dass es alteingesessene Konzernstrukturen gibt, die einfach sagen, Burnout sei Bullshit – sowas zu hören, finde ich schlimm.
Ich finde es schade, denn es gibt ganz einfache Präventionsmaßnahmen, die man machen könnte. Allein schon einmal die Woche einen Talking Circle einzurichten. Sowas muss nicht mal viel kosten. Wenn ein Unternehmen smart und langfristig denken und sich Gedanken darüber machen würde, dass es ihren Leuten gut geht und dass sie bei ihnen blieben, würden sie mehr Wert auf solche Maßnahmen legen.
Heutzutage wechseln viele Menschen sehr schnell ihren Job – jüngere Menschen durchschnittlich nach ein bis zwei Jahren – und das hängt oft damit zusammen, dass sie mit den Benefits und der Arbeitskultur vor Ort unzufrieden sind. Wenn man für mentale Gesundheit mehr tun würde, dann würden die Leute wahrscheinlich auch länger bleiben und wären zufriedener.“
„Ich nenne da immer gerne das Stichwort ‚Minoritätenstress‘. Erst später habe ich gemerkt, dass mein Burnout vielleicht auch was mit meiner Vergangenheit zu tun hat. Mit Diskriminierungserfahrung im Kind- und Jugendalter. Ich bin gerade in meiner Heimat und hier habe ich früher leider super viel Mobbing erfahren. Meine Schulzeit war absolut nicht schön.
Daraus ergebend habe ich in meinen jungen Erwachsenenjahren, als ich in meinen Job eingestiegen bin, komplett überperformt. Ich habe in der Arbeitswelt nach Akzeptanz gesucht. Denn das war der erste Ort, an dem ich nicht auf meine Identität reduziert wurde, sondern für das gesehen wurde, was ich abgeliefert habe. Ich wollte einfach unglaublich gut sein – einfach um zu gefallen. Da bin ich wohl ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen (lacht) und ich kann mir vorstellen, dass es vielen queeren Menschen so geht, weil sie im Privatleben solche Erfahrung gemacht haben. Dass sie die Arbeit für sich entdecken, weil sie da vielleicht ein Umfeld für sich geschaffen haben, wo sie akzeptiert werden. Aber vielleicht nur dann, wenn sie auch gut performen.
Ich habe das Gefühl, dass queere Menschen manchmal … ich möchte eigentlich nicht ‚benutzt werden‘ sagen, aber so habe ich mich rückblickend schon gefühlt.“
„Das kommt noch dazu. Die Angst davor, einen Job wieder schnell verlieren zu können oder nicht gut genug zu sein, um bleiben zu dürfen. Ich war so unglaublich dankbar, dass ich meinen Job damals bekommen habe, weil ich in der Bewerbungsphase so viele Absagen erhalten habe. Das hat auch etwas mit Diskriminierung von trans Personen zu tun hat. Dieser Job war dann meine Chance.
Ich glaube, dass Aufklärungsarbeit in Unternehmen wichtig ist, auch was Diversity und Inklusionsthemen angeht. Aktuell ist das leider rückschrittig, gerade durch die US-Politik daher schwappt dieser gefährliche Trend auch zu uns nach Europa. Ich merke das selbst tatsächlich auch bei meinen Bookings.
Ich werde ja – oder wurde in der Vergangenheit oft – in Unternehmen eingeladen, um über genau diese Themen zu sprechen und das ist weniger geworden, weil die Budgets für sowas gekürzt werden. Das finde ich gefährlich, weil es Diskriminierung am Arbeitsplatz wieder verschärft. Aber ich bleibe trotzdem dran und nutze meine Social Media-Reichweite, solange ich nicht gebucht werde.
Aufklärungsarbeit bei nicht queeren Menschen und innerhalb der queeren Bubble ist sehr wichtig. Dass man sich unterstützt und Räume in Unternehmen schafft – aber auch privat. Wenn das offline nicht geht, weil man in kleineren Orten wohnt, dann online.
„Die App ist aktuell noch nicht gelauncht, wird aber im Oktober, passend zum FFF Day, online gehen. Gestaltet habe ich sie für Menschen mit Angstzuständen und Panikattacken. Über meine Live Tanz- und Bewegungssessions habe ich gemerkt, dass somatische Körperarbeit in ‚SOS-Situationen‘ für mich extrem hilfreich ist.
Ich habe bereits unglaublich viel ausprobiert, zum Beispiel Meditation, und ich glaube, viele Menschen, die auch betroffen sind, können bestätigen, dass das in krassen Stresssituation einfach nicht hilft. Sich da hinzusetzen und zu versuchen zu meditieren, geht einfach nicht, weil der Körper Alarm schlägt.
Deswegen habe ich mir überlegt, wie ich das, was ich schon in Live-Sessions anbiete, weitertragen kann, um mein Wissen noch mehr Menschen zugänglich zu machen. Und so ist dann die Idee mit der App entstanden. Die App basiert auf der Idee von ‚Somatic Shorts‘: Kurze Übungen zwischen ein und fünf Minuten, sodass man sich nicht auf eine 15-Minuten-Meditation einlassen muss.
Jede Übung ist für den Moment zugeschnitten. Ich habe Content Pieces für das Flugzeug, für eine überfüllte Bahn, für Sozialangst auf einer Party, für ein Familientreffen und viele mehr. Es ist absichtlich so gestaltet, dass man sich nicht eine Übung aussuchen muss. Du befindest dich in einer Situation und passend dazu sagt die App dir, was du machen sollst.
Ich hatte erst überlegt, einfach nur stumpf die Übungen zu erklären, aber wenn ich mich selbst in einer SOS-Situation befinde, habe ich gar nicht den Kopf dafür, mir auch nur eine Übung auszusuchen, sondern bin ich auf klare Anweisungen angewiesen. Wie ein SOS-Knopf: Ich bin im Supermarkt und ich brauche das jetzt und sofort. Welche Szenarien alle in der App enthalten sind, habe ich über eine Umfrage mit meiner Community bestimmt. Zusätzlich möchte ich aber auch präventive Sachen anbieten, zum Beispiel zum besseren einschlafen oder eine kleine Morgenroutine.“
„Eine SOMAYA Session ist in etwa so aufgebaut wie ein Ecstatic Dance. Das habe ich hier auf Mallorca für mich entdeckt – man kennt das eher aus Hippiekreisen.
Ein Ecstatic Dance ist wie eine geführte Tanzreise. Sie beginnt langsam, meistens in einem meditativen Status. Man legt sich hin oder man sitzt, dann wird die Musik immer schneller und sie baut sich auf bis zu einem absoluten Höhepunkt, wo alle ekstatisch tanzen.
Das Großartige daran ist, dass es komplett außerhalb der klassischen Clubkultur liegt. Ohne Drogen, Alkohol oder irgendwelche Substanzen. Ich habe über zehn Jahre in Berlin gelebt, deswegen fand ich es sehr inspirierend und erfrischend zu sehen, dass es auch anders geht.
So ähnlich sind meine Sessions auch aufgebaut. Ecstatic Dances dauern meistens sechs bis sieben Stunden und ich war so begeistert und überzeugt von diesen Erfahrungen, die ich sammeln durfte, dass ich so etwas in komprimierter Form anbieten wollte. Gerne auch auf Konferenzen, wo Menschen vielleicht noch keine Berührungspunkte mit Somatic und Ecstatic Dance hatten.
Während meiner Sessions tragen die Leute alle Kopfhörer und hören dadurch die Musik und meine Stimme. Ich habe gemerkt, dass die Kopfhörer den Teilnehmenden dabei helfen, besser abzuschalten und loszulassen. Denn man fühlt sich sehr für sich, ist aber trotzdem in einer Gemeinschaft. Die Leute hören auch mich über den Kopfhörer. Es fühlt sich an, wie so ein kleiner Safer Space.“
„Das dachte ich mir bei der Konzipierung auch. Ich war schon auf so vielen Veranstaltungen als Speakerin und ich finde es selbst immer großartig, auf einem Event wie dem FFF Day dabei zu sein – auf der anderen Seite ist es für mich auch super anstrengend, mit den ganzen Einflüssen.
Es ist oft laut und voll. Ich dachte mir, eigentlich sind solche Events genau richtig dafür, mal kurz abzuschalten und sich ein bisschen zu entspannen – sich mit den Kopfhörern herauszunehmen, um dann wieder voller Energie weiterzumachen.“
„‚Bold‘ ist ja fast mein Nachname. (lacht) Also würde ich sagen ‚Sei du selbst.‘ Ich möchte gegenüber dem Druck der Gesellschaft standhaft bleiben, der immer rechter und konservativer wird – nicht nur sonst wo in der Welt, sondern auch in Deutschland – und trotzdem als queere Person für die queere Community sichtbar sein. Wir sind hier, uns gab es schon immer und wir sind keine Trenderscheinung.
Da möchte ich mutig und stark bleiben, trotz des wachsenden Hasses, auch im Internet. Ich erhalte teilweise echt viel schlimmere Nachrichten als noch vor ein, zwei Jahren. Die Leute trauen sich mittlerweile echt krasse Sachen zu schreiben. Aber ich möchte mir selbst treu bleiben, ich lasse mich davon nicht einschüchtern.
Für uns als queere Menschen gehört Mut in den Alltag, weil wir damit groß werden, dass wir mutig sein müssen, um in dieser Welt zu überleben. Ein cis hetero Typ zum Beispiel macht sich darüber wahrscheinlich gar keine Gedanken. Er muss nicht mutig sein, weil er einfach so durchs Leben kommt. Bei uns gehört ‚mutig sein‘ ins Tagesprogramm.“
„Manchmal habe ich Missionen in meinem Kopf und denke mir ‚I wanna fight for the Queers!‘ (lacht) Das ist wie ein innerer Kampfgeist gegen Ungerechtigkeit. Ich war ein sehr schüchternes Kind und Teenager und ich würde mir wünschen, dass andere nicht so aufwachsen müssen – gerade queere Kinder auf dem Dorf oder in der Kleinstadt.
Ich könnte auch ein sehr entspanntes Leben führen, wenn ich mich dafür entscheiden würde. Aber mir würde dann etwas fehlen und – das klingt jetzt ziemlich hart – ich würde mich selbst verraten. Ich merke das vor allem immer wieder in Dating-Szenarios. Ich date eher cis Männer und die kommen damit nicht gut klar, weil sie mich gerne in dieser klassischen femininen Rolle sehen wollen. Ich bin aber mehr als das und damit müssen sie klarkommen.“
„Ich möchte SOMAYA als Konzept weiter in die Welt hinaustragen. Ich habe jetzt mit den Sessions und der App angefangen, aber ich kann mir auch vorstellen, zum Beispiel einen Retreat zu veranstalten. Ich habe gestern meine Ex-Kollegin Avi von Queer Eye Germany besucht. Die hat jetzt eine Farm bezogen, die sie umbaut und woraus langfristig ein Retreat werden soll. Wir haben überlegt, da vielleicht mal was zusammen zu machen. Ich habe auf jeden Fall Bock, mehr zu machen – auch eigene Veranstaltungen – und somatische Körperarbeit weiterzugeben.
Ich finde, in der westlichen Welt ist Körperarbeit noch nicht so ganz angekommen. Klar, viele Menschen machen Yoga, aber meist aus sportlichen Gründen. Diese Körper-Geist-Verbindung ist uns hier abhandengekommen. Das möchte ich wieder sichtbarer machen.“
Was bedeutet es, mutig zu sein? In jedem Land, in jeder Kultur wird Mut anders gelebt, anders definiert. Im Iran ist Mut das laut ausgesprochene Verlangen nach Freiheit, in Afghanistan der unermüdliche Kampf um Bildung, im Sudan das Aufbegehren gegen Unterdrückung und Gewalt, in Russland das Einstehen für die eigene Meinung. In Deutschland ringen wir um Gleichberechtigung und Chancengleichheit. In Frankreich brachte Gisèle Pelicot größten Mut auf, indem sie trotz jahrelanger Misshandlungen gegen ihre Peiniger aussagte und damit eine wichtige internationale Debatte über sexualisierte Gewalt anstieß.
Beim FFF Day 2025 im bcc Berlin feiern wir den Mut, für Menschenrechte und Demokratie einzustehen. Wir wollen den verschiedenen Facetten von Mut Raum geben – weltweit und individuell. Gemeinsam erkunden wir, wie Mut sich in unterschiedlichen Kontexten zeigt, wie Privilegien unsere Perspektive darauf prägen und was Mut bewirken kann. Unter dem Motto „Be bold“ feiern wir mutige Menschen, die Grenzen überwinden und Veränderung schaffen. Freu dich auf inspirierende Keynotes, internationale Stimmen und vielfältige Begegnungen, die Mut sichtbar und spürbar machen.
Lasst uns zusammen mutig die Zukunft gestalten! Sichere dir dein Ticket JETZT!