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Hannah Kleeberg von Abortion Buddy | © Volker Conradus
© Volker Conradus
05.08.2025 • 10:00
Autor Tino Amaral | © Gideon Böhm Tino Amaral
Podcast „Echt & Unzensiert"

„Eine Abtreibung muss nicht schlimm sein“: Hannah Kleeberg von „Abortion Buddy“ im Interview

In Folge 60 unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“ ist Hannah Kleeberg zu Gast. Sie setzt sich dafür ein, dass niemand einen Schwangerschaftsabbruch allein durchstehen muss. Mit ihrer Initiative „Abortion Buddy“ schafft sie einen Raum, in dem Betroffene nicht nur aufgefangen, sondern auch gestärkt werden – durch persönliche Begleitung, Wissen und solidarische Unterstützung.

Obwohl Paragraf 219a, also das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, inzwischen abgeschafft wurde, steht der Abbruch in Deutschland weiterhin im Strafgesetzbuch. Nur wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, bleibt er straffrei.

Mit Hannah Kleeberg spricht Host Tino Amaral über die rechtlichen Hürden, die emotionale Belastung – aber auch über gesellschaftliche Verantwortung und darüber, wie wir offener, ehrlicher und solidarischer mit dem Thema umgehen können. Eine Folge, die aufklärt, berührt und Mut macht.

Die ganze Podcastfolge hörst du über einen Klick ins Titelbild oder eingebettet unten im Artikel und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Einen Ausschnitt aus dem Gespräch mit Hannah Kleeberg liest du hier.

Liebe Hannah, wie kam es zur Gründung von „Abortion Buddy“?

„Ich hatte selbst einen Berührungspunkt mit einem Schwangerschaftsabbruch. Dabei wurde mir schnell klar, wie einsam diese Erfahrung für viele ist – und mit welcher emotionalen Last Betroffene oft allein gelassen werden. Eine Last, die aus meiner Sicht nicht notwendig ist. Denn ich finde: Der Schwangerschaftsabbruch an sich ist nicht zwingend das Belastende. Was aber sehr wohl belastend ist, sind die gesellschaftlichen Umstände drumherum – und unser kollektives Schweigen darüber. Anders, als es in vielen Köpfen verankert ist, möchte ich nicht die Abbruchentscheidung selbst problematisieren – sondern die fehlende Unterstützung und die Stigmatisierung.

In mir kamen damals viele Gefühle hoch – vor allem Wut, aber auch Traurigkeit. Und ich dachte mir: Wie kann es sein, dass es kein Angebot, keine Initiative gibt, die sicherstellt, dass niemand diesen Weg allein gehen muss – besonders nicht unter prekären Bedingungen in einem Land wie Deutschland?

In den Niederlanden habe ich später ein ähnliches Projekt gesehen – dort geht es allerdings eher um Gehsteigbelästigung. Denn dort sind die Adressen von Kliniken, die Abbrüche durchführen, öffentlich zugänglich. Das führt dazu, dass Betroffene beim Betreten der Klinik oft von sogenannten Lebensschützer*innen bedrängt werden. Die ‚Buddies‘ begleiten die Personen durch diese Gruppen hindurch und bieten ihnen mentalen Beistand auf dem Weg zur Tür.

Dieses großartige Konzept wollte ich weiterdenken. Was ich dann hier in Deutschland gestartet habe, war die Idee, Menschen beim gesamten Prozess zu begleiten.“

Warum schweigen so viele über ihren Abbruch?

„Weil wir es als Gesellschaft versäumt haben, einen offenen Umgang mit dem Thema möglich zu machen. Viele Menschen schämen sich, weil sie glauben, etwas Falsches oder Verbotenes zu tun. Diese Scham hängt auch damit zusammen, dass Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch geregelt sind.

Viele Betroffene fühlen sich traurig – und wissen oft gar nicht, wohin mit dieser Trauer. Denn das gesellschaftliche Stigma sagt ihnen: ‚Du bist doch selbst schuld an deiner Situation – also hast du auch kein Recht, traurig zu sein.‘

Die Leute finden auch einfach nicht die richtigen Worte – also erzählt man es lieber niemandem. Alle haben zu dem Thema eine Meinung – aber nur sehr wenige haben wirklich Ahnung. Und genau diese Meinung oder vermeintlich politische Haltung wird dann bei den betroffenen Personen abgeladen – also bei denen, die ohnehin schon mitten in dieser emotionalen und körperlichen Ausnahmesituation stecken.“

Wie kann man sich eine Begleitung durch „Abortion Buddy“ genau vorstellen? Das ist wahrscheinlich sehr individuell, oder?

„Genau. Also grundsätzlich kann man sich bei uns per Mail oder über Instagram melden. Wenn man in Berlin wohnt, haben wir hier eine Ortsgruppe – die haben wir gemeinsam mit ,Doctors for Choice‘ organisiert. Dort gibt es Buddies, die einen Workshop durchlaufen haben und dann Begleitungen vor Ort anbieten.

Das bedeutet zum Beispiel, nach der Operation abgeholt zu werden oder auch bei einem medikamentösen Abbruch begleitet zu werden. Aber auch Hilfe bei der Terminfindung, einfach beratend da zu sein, zuzuhören – das ist ein enorm großer Teil unserer Arbeit.

Und über Berlin hinaus biete ich quasi eine telefonische Begleitung an. Ich spreche sehr viel mit Leuten, die noch im Prozess sind, die einfach mal von jemandem hören wollen, was da eigentlich passiert – oder die ihre Gefühle loswerden möchten, in einem Raum, der urteilsfrei ist.“

Seit dem 19. Juli 2022 ist Paragraf 219a – also das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – aus dem deutschen Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen. Paragraf 218 besteht allerdings immer noch. Kannst du mal erklären, was dahintersteckt?

„Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach § 218 Strafgesetzbuch grundsätzlich rechtswidrig und strafbar. Sie bleiben jedoch unter bestimmten Bedingungen straffrei.

Eine Straffreiheit liegt insbesondere dann vor, wenn der Abbruch innerhalb von 12 Wochen nach der Empfängnis (entspricht der 14. Schwangerschaftswoche) erfolgt, zuvor eine verpflichtende Beratung in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle stattgefunden hat und zwischen Beratung und Abbruch mindestens drei volle Tage vergangen sind.

Daneben sind Schwangerschaftsabbrüche auch straffrei, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation, wie zum Beispiel eine Vergewaltigung, vorliegt.“

Lass uns ein bisschen genauer auf die einzelnen Punkte eingehen. Ich glaube, viele haben große Angst vor dem Schwangerschaftskonfliktgespräch, weil sie nicht wissen, was sie erwartet. Kannst du Licht ins Dunkel bringen? Und wo kann man so etwas überhaupt machen?

„Das kann man – und sollte man auch ausschließlich – in staatlich anerkannten Beratungsstellen machen. Auf der Website familienplanung.de kann man Beratungsstellen in der eigenen Umgebung finden, die staatlich anerkannt sind und auch das offizielle Beratungsformular ausstellen dürfen.

In diesem Gespräch passiert eigentlich erstmal nichts Dramatisches – man sitzt einfach einer Person gegenüber und schildert kurz die eigene Lage. Das Allerwichtigste dabei ist: Nach so einem Gespräch darf der Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht verneint werden. Es gibt also niemals den Ausgang, dass gesagt wird: ‚Du bekommst diesen Schein nicht.‘

Es ist ein ergebnisoffenes Gespräch. Man kann viele Fragen stellen, bekommt wichtige Informationen – und manchmal auch Listen mit Praxen, die Abbrüche anbieten.

Trotzdem – und das ist mir enorm wichtig zu sagen – ist das Ganze eine Form der Bevormundung. Es ist nicht in Ordnung, dass Menschen gezwungen werden, mit fremden Personen über so eine private Entscheidung und über ihren eigenen Körper zu sprechen – denn das könnte das Gefühl vermitteln sich rechtfertigen zu müssen.

Auch die dreitägige Wartezeit nach dem Beratungsgespräch macht eine ohnehin schon belastende und prekäre Situation nicht einfacher. Denn es geht teilweise um Tage. Wir haben diese strikte Frist von zwölf Wochen – und jeder Tag, der verstreicht, bedeutet mehr Stress und potenziell auch die Gefahr, dass ein Abbruch am Ende gar nicht mehr möglich ist. Das ist eine gesetzliche Voraussetzung, der ich sehr, sehr kritisch gegenüberstehe.“

Eine Studie der University of California hat beispielsweise gezeigt, dass 95 Prozent der Menschen, die abgetrieben haben, ihre Entscheidung auch fünf Jahre später nicht bereuen. Stattdessen sollen diejenigen, die nicht abtreiben konnten, unter seelischen Schäden leiden – was sich dann natürlich auch auf das geborene Kind auswirkt. Was sind deine Gedanken dazu?

„Viele Leute sind in ihrer Entscheidung eigentlich gar nicht wackelig – aber sie werden durch den Prozess wackeliger gemacht. Weil auf einmal dieses Gefühl aufkommt: Hätte ich dieses Bauchgefühl nicht sofort haben dürfen? Hätte ich nicht, als ich den positiven Test in der Hand hatte, direkt denken sollen: ‚Ich möchte das nicht?‘ War es falsch von mir, dieses Bedürfnis zu haben?

Mein wichtigster Satz, den ich da immer mit auf den Weg gebe, ist: ‚Ein Schwangerschaftsabbruch muss nicht schlimm sein. Ein Schwangerschaftsabbruch muss einen nicht traurig machen. Ein Schwangerschaftsabbruch muss keine negative Erfahrung im Leben sein.‘ Wir als Gesellschaft erschaffen erst diese Vorstellung davon – und genau dadurch entsteht bei vielen das Gefühl, dass es etwas Schlimmes ist.

Ich habe noch nie eine Abtreibung begleitet, die leichtfertig passiert ist. Ich habe auch noch nie eine begleitet – selbst im Nachhinein nicht – bei der jemand die Entscheidung bereut hat. Was ich aber sehr oft erlebt habe: dass Menschen unter dem Prozess selbst gelitten haben – unter den Bedingungen, die wir als Gesellschaft und Gesetzgebung vorgeben.“

Was würdest du denn Schwangeren raten, die von außen Druck erfahren – von der Familie, von Freund*innen?

„Das ist eine sehr schwierige Situation – und es tut mir jedes Mal leid, wenn Menschen so etwas erleben. Ich würde mir wünschen, dass es für jede betroffene Person wenigstens eine Stimme gibt, die sagt: ‚Auch wenn ich nicht deiner Meinung bin und mich vielleicht anders entscheiden würde – es ist dein Körper, es ist dein Leben und es ist dein Bedürfnis.‘

Wir bei ‚Abortion Buddy‘ sind genau für solche Situationen da – als neutrales Gegenüber, wenn dieses Verständnis im privaten Umfeld fehlt. Und das ist leider sehr häufig der Fall. Die Gründe dafür sind vielfältig: kulturell, religiös, familiär oder partnerschaftlich geprägt. Oft erzählen mir Menschen auch: ‚Meine Freundin hat so lange versucht, schwanger zu werden – und bei mir passiert das einfach so. Und jetzt will ich es nicht. Bin ich undankbar?‘

Genau an diesem Punkt setzen wir an. Wir sagen: ‚Ich habe keine Meinung zu deiner Entscheidung. Ich will dir einfach nur zuhören und für dich da sein – egal, was du tust. Egal, wie du dich entscheidest. Egal, wie du dich danach fühlst. Ich bin da, wenn du dich für einen Abbruch entscheidest und es bereust. Und ich bin auch da, wenn du dich für die Schwangerschaft entscheidest – und auch das bereust.‘

Ich glaube, wir müssen aufhören, einander zu verurteilen. Wir müssen lernen, dass Menschen einfach die Gefühle haben dürfen, die sie haben.“

Nach den drei Tagen Bedenkzeit muss man dann eine passende Praxis finden, die den Abbruch durchführt. Das ist tatsächlich gar nicht so einfach, oder?

„Das kann – je nachdem, wo man in Deutschland lebt – eine große Herausforderung sein. Die Versorgungslage ist schlecht, das muss man leider so sagen. Es gibt immer weniger Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Viele Menschen müssen weite Strecken fahren, unzählige Telefonnummern wählen – und dann: warten und weiter warten.

Ich kann total nachvollziehen, wie belastend es ist, 20 Praxen anzurufen und dabei jedes Mal dieselben drei Sätze sagen zu müssen: ‚Ich bin schwanger. Ich möchte es nicht sein. Ich brauche einen Termin, um einen Schwangerschaftsabbruch zu besprechen.‘

Auch dabei kann ‚Abortion Buddy‘ unterstützen. Gerade hier in Berlin greifen wir auf ein starkes Netzwerk vertrauensvoller Arztpraxen zurück, bei denen wir sagen können: ‚Hey, das hier könnte eine gute Anlaufstelle für dich sein.‘

Denn es geht nicht nur um medizinische Versorgung – es geht auch darum, die individuellen Bedürfnisse mitzudenken. Und eigentlich wünsche ich jeder schwangeren Person – ganz gleich, ob sie sich für einen Abbruch oder für die Schwangerschaft entscheidet –, dass sie selbst bestimmen kann, von wem sie in dieser sensiblen Zeit betreut wird.“

Vor 20 Jahren gab es noch etwa 2000 Praxen und Kliniken, die Abbrüche durchgeführt haben. Mittlerweile hat sich die Zahl fast halbiert. Was denkst du, woran das liegt?

„Oft beginnt es schon damit, dass angehende Ärzt*innen im Studium kaum mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch in Berührung kommen. Genau hier setzen Initiativen wie ‚Medical Students for Choice‘ an. Sie organisieren sogenannte Papaya-Workshops, um sich selbst Wissen anzueignen – mit der klaren Botschaft: Wir wollen das lernen – warum wird das im Studium nicht vermittelt?

Wenn dieser Kontakt bereits in der Ausbildung fehlt, ist es später – etwa beim Aufbau einer eigenen Praxis – auch nicht unbedingt naheliegend zu sagen: ‚Ich biete Schwangerschaftsabbrüche an.‘

Dazu kommt die Nachwirkung von Paragraf 219a. Wenn ich als Ärztin öffentlich nicht sagen darf, dass ich Abbrüche durchführe – wenn ich nicht einmal darüber informieren darf –, vermittelt das auch mir: Das ist wohl ein Thema, mit dem ich mich besser nicht beschäftigen sollte.

Und dann stellt sich natürlich die Frage: Will ich mich in meinem Berufsalltag wirklich mit einem so stark aufgeladenen Thema auseinandersetzen? Denn ja – die Sorgen vor Konsequenzen sind berechtigt. Das erlebe ich auch in meiner Arbeit: Wer sich zu dem Thema positioniert, setzt sich dem Risiko aus, angefeindet oder belästigt zu werden – in der Praxis oder sogar im privaten Umfeld.

Es sind viele Faktoren, die hier zusammenwirken. Und das gesellschaftliche Stigma ist einer der größten. Es sorgt dafür, dass viele – gerade junge Ärzt*innen, die eine Praxis übernehmen – davor zurückschrecken, Schwangerschaftsabbrüche überhaupt mitzudenken oder anzubieten.

Deshalb braucht es Veränderung – und zwar auf struktureller, politischer und gesellschaftlicher Ebene.“

Ein großes Problem ist auch, dass nicht jede Praxis und nicht jede Einrichtung alle Methoden des Schwangerschaftsabbruchs anbietet. Welche Methoden gibt es denn überhaupt?

„Es gibt zwei Methoden, um eine Schwangerschaft zu beenden: Die medikamentöse Methode: Dabei nimmt der*die Patient*in zwei Medikamente im Abstand von 24 bis 48 Stunden ein. Und es gibt den operativen Eingriff: Umgangssprachlich spricht man oft vom ‚Absaugen‘. Dieser Eingriff findet unter ärztlicher Aufsicht im Rahmen einer kleinen Operation statt.“

Bis zur neunten Schwangerschaftswoche ist in Deutschland ein medikamentöser Abbruch möglich. Und tatsächlich kann diese Methode auch zu Hause durchgeführt werden: Der*die Patient*in bekommt die Medikamente per Post zugeschickt und wird vor, während und nach der Einnahme per Video- oder Telefonberatung begleitet. Was ist deine Meinung dazu?

„Ich finde es schade, dass es überhaupt solche Lösungen geben muss. Denn eigentlich wünsche ich jeder Person, dass sie vor Ort eine Ärztin oder einen Arzt hat, mit der oder dem sie sprechen kann.

Aber dieser telemedizinische Abbruch ist eine fantastische Initiative – unter anderem von ‚Doctors for Choice‘ – und wirklich notwendig. Ich glaube, wir unterschätzen, wie gefährlich es wird, wenn sich die Versorgungslage weiter verschlechtert und wir nichts dagegen tun. Denn darunter leiden Menschen, denen eine medizinische Versorgung zusteht.

Der sogenannte Home-Use funktioniert so: Bei einem medikamentösen Abbruch nimmt man zunächst die erste Tablette – meist in der Arztpraxis. Der Wirkstoff heißt Mifepriston. Er unterdrückt das Schwangerschaftshormon Progesteron und stoppt so die Weiterentwicklung der Schwangerschaft.

Später nimmt man zu Hause das zweite Medikament – das löst Wehen aus und stößt das Schwangerschaftsgewebe ab. Dieser Teil kann also in geschütztem, häuslichem Umfeld stattfinden – was für viele Menschen eine wichtige Option ist.“

Wie würdest du beschreiben, was letztlich aus dem Körper kommt? Ich denke, viele haben da totale Horror-Vorstellungen im Kopf.

„Absolut. In den allermeisten Fällen – wenn alles gut verläuft – kann man sich das wie eine starke Periode vorstellen. Sowohl was die Blutmenge betrifft als auch das allgemeine Empfinden. Und wenn man sich dabei unwohl fühlt oder Angst hat, kann man sich jederzeit an eine Ärztin oder einen Arzt wenden.

Es ist keine riesige Menge Blut. Und man sieht auch nichts, das auf etwas hinweisen würde – es geht um Schwangerschaftsgewebe, nicht um etwas, das eindeutig erkennbar wäre.“

Was sind denn sonst noch typische Ängste oder Sorgen, die Betroffene mit dir teilen?

„Häufig ist es die Angst vor Schmerzen. Das kann man in der ärztlichen Beratung gut ansprechen – und man bekommt entsprechende Schmerzmittel mit.

Dann gibt es die Angst vor der Blutung an sich und vor dem ‚Wie wird das für mich sein?‘ – aber auch die Sorge um das eigene Gefühl nach dem Abbruch. Viele Menschen haben niemanden im Umfeld, den sie fragen könnten: ‚Wie fühlt man sich zwei, drei Wochen später? Ist das normal, was ich empfinde?‘

Ich habe die sehr heilsame Erfahrung gemacht, dass es unglaublich wertvoll sein kann, sich mit der eigenen Peergroup darüber auszutauschen. Wenn man den Mut findet, über den Abbruch zu sprechen, merkt man oft: Es haben mehr Menschen diese Erfahrung gemacht, als man denkt. Und dadurch entstehen ganz besondere, ehrliche Verbindungen – weil man etwas teilt, das emotional sehr komplex ist und oft nur schwer in Worte zu fassen ist.

Andere Ängste sind auch: Was ist, wenn ich danach nicht mehr schwanger werden kann? Was ist, wenn sich mein Körper komisch anfühlt oder ich mich fremd fühle danach?

All das sind Themen, über die man sprechen sollte – und genau dafür sollte es eigentlich Raum geben. Und zwar nicht in der verpflichtenden Beratung vor dem Abbruch, sondern in der Nachsorge. Da bräuchte es mehr Angebote: Gesprächsgruppen, psychologische Begleitung – gern auch über die staatlich anerkannten Beratungsstellen, sofern sie dafür die nötigen Kapazitäten bekommen.“

Was sind denn die häufigsten Beweggründe für einen Schwangerschaftsabbruch? Viele denken ja direkt an das Klischee einer jungen Frau, die „zu doof war“ richtig zu verhüten. Aber das ist gar nicht der klassische Fall, oder?

„Nein, überhaupt nicht – und genau das ist auch ein riesiges Schamthema. Wenn ich Menschen begleite, frage ich nie: ‚Warum ist das passiert? Warum bist du schwanger?‘ Weil das gar nichts zur Sache tut.

Verhütungsfehler passieren. Ich habe einmal eine Ärztin getroffen, die hat etwas sehr Treffendes gesagt: ‚Bei Sex kann es zu Schwangerschaft kommen. Wenn man 10, 20 oder 30 Jahre lang sexuell aktiv ist, gibt es eben auch statistisch die Möglichkeit, dass etwas schiefläuft. Kein Verhütungsmittel ist zu 100 Prozent sicher.‘ Und genau das sollte Menschen die Scham nehmen. Denn in den allermeisten Fällen waren die Menschen nicht unverantwortlich – es ist einfach eine biologische Möglichkeit.

Die häufigsten Beweggründe für einen Schwangerschaftsabbruch haben mit Lebensplanung zu tun. Also: Ich kann das jetzt gerade nicht mit mir, meinem Leben oder meinen Umständen vereinbaren.

Klar, es gibt die typischen Klischeefälle – junge Frauen ohne Ausbildung, ohne feste Partnerschaft, ohne finanzielle Sicherheit – aber genauso begleite ich Menschen, die zum Beispiel schon Kinder haben. Menschen, die ihre Kinder lieben, aber in diesem Moment kein weiteres bekommen möchten. Oder solche, die sich in ihrer Partnerschaft nicht sicher oder nicht wohlfühlen.

Und dann gibt es auch die, denen es – objektiv betrachtet – an nichts fehlt: eine stabile Beziehung, ein gutes Einkommen, ein unterstützendes Umfeld. Sie könnten ein Kind bekommen. Aber sie möchten es einfach nicht. Und ich finde, das ist vollkommen legitim.

Für manche klingt das vielleicht egoistisch, aber für mich ist das eine absolut verständliche Entscheidung. So wie: Ich möchte diesen Job nicht mehr machen. Ich will nicht mehr in dieser Stadt leben. Ich möchte diese Freundschaft beenden.
Auch das sind persönliche Entscheidungen – und genauso fair ist es, zu sagen: Ich möchte jetzt kein Kind bekommen.“

Glaubst du, ohne Paragraf 218 würde es plötzlich mehr Abtreibungen geben?

„Nein. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland liegt seit Jahren relativ konstant bei rund 100.000 pro Jahr – daran kann man sich ganz gut orientieren.

Und niemand, wirklich niemand, den ich jemals begleitet habe, betrachtet einen Schwangerschaftsabbruch als Verhütungsmethode. Aber genau dieses Narrativ wird oft bedient: Wenn es legaler oder einfacher wäre, würden Menschen weniger verhüten und im Zweifel einfach abtreiben. So funktioniert das aber nicht.

Ein Abbruch ist nichts, was man ‚mal eben so‘ macht. Niemand nimmt leichtfertig Medikamente ein, die tief in den Hormonhaushalt eingreifen. Und niemand begibt sich gern in einen operativen Eingriff – schon gar nicht regelmäßig. Das ist nichts, was man statt der Pille alle drei Monate macht.

Ich glaube vielmehr: Die Zahl der Abbrüche würde gleich bleiben. Denn die Menschen, die heute einen Abbruch möchten, bekommen ihn auch – trotz aller Hürden.

Ich habe viele berührende Situationen erlebt, besonders mit sehr jungen Frauen. Menschen, die plötzlich mit beeindruckender Klarheit und Reife sagen: ‚Ich entscheide hier und jetzt für mich, für meinen Körper.‘ Und die gehen diesen Weg – durch alle Termine, Gespräche, Fristen und Anforderungen – mit einer Disziplin, die ich wirklich bewundernswert finde.

Und genau deshalb glaube ich: Die Abschaffung von Paragraf 218 hätte keine Auswirkungen auf die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche – aber sie würde den Zugang fairer, sicherer und würdevoller machen.“

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