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Kathrin Dubois vom Kunstpalast Düsseldorf steht vor einem Gemälde | © Andreas Endermann
© Andreas Endermann
02.10.2025 • 10:00
Autor Tino Amaral | © Gideon Böhm Tino Amaral
13 Minuten
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Podcast „Echt & Unzensiert"

Wie der Kunstpalast Düsseldorf vergessene Künstlerinnen jetzt sichtbar macht

Wusstest du, dass im 19. Jahrhundert allein in Düsseldorf über 500 Künstlerinnen aktiv waren? Ihr Schaffen prägte die Kunst ihrer Zeit – doch in der Geschichtsschreibung und heutigen Museen tauchen ihre Namen so gut wie gar nicht mehr auf. Aber wie kann das sein?

In der 62. Folge unseres Podcasts „Echt & Unzensiert“ ist Kathrin DuBois vom Kunstpalast Düsseldorf zu Gast. Sie hat die Ausstellung „Künstlerinnen! Von Monjé bis Münter“ kuratiert, die weibliche Kunstschaffende zwischen 1819 und 1919 sichtbar macht – eine Zeit, in der sie nicht nur gesellschaftliche Vorurteile überwinden, sondern auch ihren Platz in der Kunstwelt regelrecht erkämpfen mussten.

Die Ausstellung zeigt nicht nur vergessene Biografien, sondern auch strukturelle Hürden: Während Männer an der Akademie studieren durften, mussten Frauen auf alternative Ausbildungswege ausweichen – und entwickelten erstaunliche Strategien, um sichtbar zu bleiben und Karriere zu machen.

Eins wird schnell klar: Diese Frauen waren keine Randfiguren, sondern haben entscheidende Beiträge zur Kunstgeschichte geleistet. Der Kunstpalast Düsseldorf holt sie nun endlich aus der Vergessenheit zurück.

Die Ausstellung „Künstlerinnen! Von Monjé bis Münter“ kannst du noch bis zum 01. Februar 2026 im Kunstpalast Düsseldorf besuchen. Alle Infos und Tickets findest du hier.

Die ganze Podcastfolge hörst du über einen Klick ins Titelbild oder eingebettet unten im Artikel und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Einen Ausschnitt aus dem Gespräch mit Kathrin DuBois liest du hier.

Liebe Kathrin, wie ist die Idee zur Ausstellung entstanden?

„Die Idee, eine Ausstellung ausschließlich über Künstlerinnen zu machen, ist an sich natürlich nicht völlig neu. Auffällig ist jedoch, dass es hier in Düsseldorf, einer traditionsreichen Akademiestadt mit einer bedeutenden Kunstgeschichte und vielen prägenden Künstlerinnen, bislang keine große Ausstellung zu diesem Thema gab. Zwar haben sich immer wieder einzelne Personen damit beschäftigt, aber es ist nie etwas entstanden, das sich an ein breites Publikum richtet und die Möglichkeit bietet, diese Geschichten und Werke wirklich in der Tiefe wahrzunehmen. Genau diese Lücke möchten wir schließen.“

Die Ausstellung richtet den Blick auf den Zeitraum zwischen 1819 und 1919. Warum habt ihr diesen gewählt?

„1819 beginnen die Auseinandersetzungen mit der sogenannten Düsseldorfer Malerschule, die das lange 19. Jahrhundert geprägt hat. In diesem Jahr wurde die Akademie von Preußen neu gegründet, wodurch ein großer Aufschwung in den Künsten einsetzte.

Am Anfang waren noch Künstlerinnen an der Akademie zugelassen, etwas später setzte dann der klare Ausschluss ein. Genau dieser Zeitraum, in dem Frauen offiziell nicht studieren durften, aber trotzdem in Düsseldorf aktiv waren, interessierte uns besonders.

1919 ist schließlich das markante Datum, an dem sich die Kunstakademien für Frauen öffneten – auch wenn das in Düsseldorf noch etwas länger dauerte.“

Viele unterschätzen, wie aufwendig die Vorarbeit für so eine Ausstellung sein kann. Ihr habt tatsächlich fünf Jahre Grundlagenforschung betrieben. Wie lief dieser Prozess ab?

„Ja, das war nicht immer in der gleichen Intensität, aber wir haben 2021 mit dem Thema begonnen. Am Anfang habe ich zunächst alleine daran gearbeitet, später kam Nina Köppert als Forschungsvolontärin dazu. Das hat unglaublich geholfen, denn sie hat sehr viel Grundlagenforschung geleistet und das Projekt maßgeblich mit aufgebaut. Sie ist bis heute Teil des Teams.

Wir sind dabei ganz unterschiedlich vorgegangen. Zunächst wollten wir in die Breite schauen: Wer war überhaupt da? Welche Künstlerinnen lassen sich nachweisen? Es gab bereits Listen von anderen Forschenden – je nach Quelle zwischen 160 und 200 Namen. Daran haben wir angeknüpft und weitergesucht. Am Ende sind wir bei rund 500 Künstlerinnen gelandet – eine beeindruckende Zahl, die zeigt, wie präsent Frauen damals tatsächlich waren.

Der zweite Schritt war, in die Tiefe zu gehen: Mit wem beschäftigen wir uns intensiver? Von wem sind überhaupt Kunstwerke greifbar und ausstellbar? Wo gibt es genug Material, um eine Biografie und ein Werk nachvollziehbar zu erzählen?

Und schließlich haben wir den Kontext untersucht: Welche Ausbildungs- und Lebensbedingungen hatten die Frauen? Welche Ausstellungsmöglichkeiten standen ihnen offen – oder eben nicht? So ist ein vielschichtiges Bild entstanden, das über die einzelnen Biografien hinaus das ganze Umfeld sichtbar macht.“

Manche Werke werden jetzt zum ersten Mal seit dem 19. Jahrhundert öffentlich gezeigt. Wie seid ihr an diese vergessenen Kunstwerke gekommen?

„Wir hatten zum Glück viel Zeit – was für eine Ausstellung eher ungewöhnlich ist. Dadurch konnten wir sehr breit suchen. Ein wichtiger Schritt war ein öffentlicher Aufruf über die Presse. Daraufhin haben wir zahlreiche Zuschriften aus dem lokalen Raum bekommen – Menschen, die noch Werke zu Hause hatten oder Künstlerinnen kannten. Nicht alles passte am Ende in unsere Auswahl, aber tatsächlich wird ein Werk aus diesem Aufruf, bislang völlig unbekannt, in der Ausstellung gezeigt.

Darüber hinaus waren wir in vielen kleineren Museen, in Archiven und Nachlässen unterwegs und haben dort Material durchforstet. Ein weiterer Weg führte uns über Auktionshäuser: Wir haben sie gezielt angeschrieben, weil Werke von Künstlerinnen eher dort auftauchen und seltener in großen öffentlichen Sammlungen landen. Oft befinden sie sich stattdessen in Privathäusern von Sammler*innen, die zwar kaufen, aber wenig mit Ausstellungen zu tun haben.

Gerade diese Begegnungen waren besonders spannend: Viele Besitzer*innen waren begeistert, sich selbst noch einmal intensiver mit den Künstlerinnen auseinanderzusetzen. So sind neben den Kunstwerken auch sehr schöne, persönliche Kontakte entstanden.“

Die Ausstellung konzentriert sich auf Düsseldorf. Warum zog es im 19. Jahrhundert so viele Künstlerinnen dorthin – obwohl sie an der Akademie gar nicht zugelassen waren?

„Die Akademie in Düsseldorf hatte ab den späten 1820er Jahren einen hervorragenden Ruf. Mehrere namhafte und erfolgreiche Professoren lehrten hier, und das sprach sich weit herum. So kamen Studierende nicht nur aus Deutschland, sondern auch international nach Düsseldorf. Während die Männer an der Akademie studierten – manche auch in privaten Ateliers –, zog es auch viele Frauen hierher.

Das hing nicht allein mit der Akademie zusammen, auch wenn sie ein wichtiger Anziehungspunkt war. Mit ihrem Erfolg entstand ein lebendiges Umfeld: Ein Kunstverein bot Verkaufsmöglichkeiten, Künstlervereine sorgten für soziale Absicherung und Gemeinschaft, Galerien etablierten sich – Netzwerke wuchsen und es gab zahlreiche Orte, an denen Kunst sichtbar wurde.

Kurz gesagt: Düsseldorf war im 19. Jahrhundert ein ,Place to be’ – ein Ort, an dem man künstlerisch etwas bewegen konnte. Diese Dynamik hat auch viele Frauen angezogen, selbst wenn ihnen das Studium an der Akademie offiziell verwehrt blieb.“

Im 18. Jahrhundert gab es durchaus sehr erfolgreiche Malerinnen. Warum kam es im 19. Jahrhundert zu einem Rückschritt?

„Das ist tatsächlich ein komplexes Thema. Ein paar Punkte lassen sich aber benennen: Im 18. Jahrhundert waren die Höfe noch sehr einflussreich für die Kunst. Auch in Düsseldorf gab es einen Kurfürsten, der Hofmaler – und manchmal auch Hofmalerinnen – beschäftigte. Diese hatten einen besonderen Status. Ein Beispiel ist Katharina Treu, die 1776 Hofmalerin wurde und sogar eine Professur an der damaligen Kurfürstlichen Akademie erhielt. Die institutionellen Hürden waren damals also weniger hoch.

Wenn man sich vor Augen hält, dass nach Treu erst 200 Jahre später wieder eine Frau Professorin für Malerei in Düsseldorf wurde, wird die Dimension dieses Rückschritts deutlich.

Im 19. Jahrhundert verschob sich dann die Situation grundlegend: Die Bedeutung der Höfe nahm ab, das Bürgertum gewann an Einfluss. Damit einher ging eine stärkere Trennung der gesellschaftlichen Sphären: Der öffentliche Raum wurde dem Mann zugeschrieben, das Private, das Haus, der Frau. Dieser ‚Backlash’ wirkte sich unmittelbar auf die Möglichkeiten von Künstlerinnen aus.

Zudem veränderten sich die Institutionen: Akademien schlossen sich zunehmend gegenüber Frauen, während zuvor noch aufklärerische Ideen für mehr Offenheit gesorgt hatten.“

Wie sind angehende Malerinnen damit umgegangen – welche Ausbildungsmöglichkeiten hatten sie dann überhaupt noch?

„Die meisten Frauen nahmen Privatunterricht. Das war allerdings teuer – deutlich teurer als der Unterricht an der Akademie. Dazu kamen weitere Kosten: Modelle, Reisen, Materialien. Das war längst nicht für alle möglich, sondern eine soziale Frage.

Ein Vorteil bestand für diejenigen, die in Künstlerfamilien hineingeboren wurden. Wenn der Vater oder Bruder selbst Künstler waren, hatte man natürlich ganz andere Startbedingungen.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden dann nach und nach weitere Möglichkeiten:

Ab den 1860er Jahren gab es hier in Düsseldorf Prüfungen für die Zeichenlehrerausbildung, auch wenn die eigentliche Ausbildung dazu erst später eingeführt wurde.

In anderen Städten – etwa München oder Berlin – wurden sogenannte Damenmalschulen gegründet, oft aus Vereinen heraus. Sie boten erstmals eine institutionelle Ausbildung mit klaren Curricula, Klassengrößen und einer gewissen Verlässlichkeit, die man im Privatunterricht nicht hatte. Dort hing alles stark vom einzelnen Lehrer ab – manche boten Struktur, andere weniger.

Schließlich öffneten sich auch die Kunstgewerbeschulen, meist früher als die Akademien – auch in Düsseldorf.

Trotz dieser Entwicklungen blieb der Privatunterricht für viele Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der übliche Weg – bis die Akademien endlich ihre Türen öffneten.“

Es ist faszinierend zu sehen, wie strategisch Künstlerinnen zu dieser Zeit gehandelt haben, um sichtbar zu werden. Manche haben sich tatsächlich aktiv gegen eine Ehe entschieden?

„Ja, das fällt wirklich auf, wenn man die Biografien der sichtbareren Künstlerinnen betrachtet. Für unsere Ausstellung habe ich mir das einmal näher angesehen – es ist natürlich nicht repräsentativ –, aber von 31 Künstlerinnen blieb etwa die Hälfte unverheiratet. Für die Zeit war das sehr ungewöhnlich, da die Ehe eigentlich die Norm war.

Es gibt auch besonders eindrückliche Fälle. Eine Künstlerin, die wir zeigen, ist Adeline Jäger, heute kaum noch bekannt. Von ihrer Familie wurde sie stark zum Heiraten gedrängt. Eine Verlobung löste sie zunächst auf, später heiratete sie dann doch. Ihr Mann verfasste zur Hochzeit ein Libretto, in dem es hieß, sie habe das Maleratelier mit dem Brautgemach vertauscht. Im selben Jahr malte sie ein Selbstporträt, unter das sie schrieb: ‚Adieu la Peinture’ – ‚Leb wohl, Malerei’.

Mit ihrer Hochzeit nahm sie also symbolisch Abschied von ihrer Kunst. In ihren Lebenserinnerungen äußerte sie später sehr klar, dass sie die Heirat bereut habe, weil die für ihre Ambitionen als Malerin eigentlich ein Hindernis war.“

Welche Rolle haben Netzwerke und Selbstvermarktung gespielt?

„Natürlich mussten alle Künstlerinnen und Künstler ihren Platz finden – für Frauen war das aber noch einmal schwieriger, weil sie nicht selbstverständlich überall mitgedacht wurden. Jede Entscheidung war dabei Teil einer Strategie: Wo ziehe ich hin, bei welchem Lehrer lerne ich, in welchem Umfeld habe ich die besten Chancen?

Besonders deutlich wird das bei Elisabeth Jerichau-Baumann, die im 19. Jahrhundert sehr bekannt war. Sie war eine ausgesprochen strategische Künstlerin und Geschäftsfrau. Nach ihrer Ausbildung in Düsseldorf zog sie zunächst nach Italien – damals der zentrale Ort für Künstlerinnen und Künstler –, später nach Dänemark. Dort kam sie mit ihren Motiven jedoch nicht richtig an, auch weil sie als Deutsche politisch nicht überall akzeptiert wurde. Also orientierte sie sich neu, suchte Märkte in Deutschland und reiste regelmäßig nach London, wo Frauen auf dem Kunstmarkt andere Möglichkeiten hatten.

Ihre Kunst passte sie dabei gezielt an: Sie variierte Themen und Malweisen je nach Markt und Nachfrage. Dazu kam ein enormes Maß an Eigeninitiative: In den Archiven findet man unzählige Briefe von ihr. Sie schrieb in mehreren Sprachen, knüpfte Kontakte, bemühte sich aktiv um Ausstellungen und sorgte dafür, dass ihre Werke möglichst weit verbreitet wurden.

Und das alles tat sie, während sie gleichzeitig Mutter von neun Kindern war – was ihre Leistung umso beeindruckender macht.“

Frauen wurde oft eher die angewandte als die „freie“ Kunst zugetraut. Wie erklärst du diesen Unterschied?

„Mit ‚freier Kunst‘ sind Malerei, Skulptur und vergleichbare Gattungen gemeint – also Bereiche, denen man traditionell einen größeren geistigen Anspruch zuschrieb. Dahinter steckt der Gedanke, dass es dazu nicht nur technisches Können, sondern auch Genialität brauche – und das wurde vor allem Männern zugeschrieben.

Frauen hingegen verortete man stärker in der häuslichen Sphäre. Entsprechend traute man ihnen eher künstlerische Tätigkeiten zu, die mit diesem Bereich assoziiert wurden: Stillleben, Aquarelle, Porträts – Arbeiten also, die auch im Haus entstehen konnten. Dazu kamen Techniken wie Sticken, Batik oder Porzellanmalerei, die ebenfalls als ‚angemessen‘ galten.

Dass sich die Kunstgewerbeschulen schon früher für Frauen öffneten als die Akademien, verstärkte dieses Bild zusätzlich. Dort fanden viele Frauen Zugang, allerdings vor allem zu den Bereichen, die gesellschaftlich ohnehin mit ihnen verbunden wurden. So wurde diese Rollenzuschreibung institutionell noch einmal gefestigt.“

Während in Berlin und München schon im 19. Jahrhundert Frauen in eigene Kunstschulen aufgenommen wurden, dauerte es in Düsseldorf bis 1919. Warum war die Stadt so spät dran?

„Zum einen war Düsseldorf natürlich nicht Berlin oder München. Die Stadt war deutlich kleiner – erst in den 1880er-Jahren überschritt sie die Marke von 100.000 Einwohner*innen. Gleichzeitig hatte die Akademie hier eine enorme Bedeutung, fast überproportional zur Größe der Stadt. Man war stolz auf diesen Ruf als ‚Kunststadt‘ mit ihren berühmten Malern, und das gab der Akademie wie auch den Künstlern vor Ort ein hohes Standing.

Viele Maler profitierten zudem direkt von der Situation: Frauen konnten nicht an die Akademie, nahmen deshalb Privatunterricht – und das brachte den Künstlern, gerade jenen ohne Professur, ein wichtiges Einkommen. Entsprechend gering war ihr Interesse an institutionellen Veränderungen.

Als 1898 erstmals der Vorschlag aufkam, auch in Düsseldorf eine Damenmalschule zu gründen – so wie es sie in anderen Städten längst gab –, regte sich sofort Widerstand. Rund 40 Maler unterzeichneten eine Erklärung dagegen, und das Projekt scheiterte.

Erst durch das Engagement von Frauen selbst, mit Petitionen und Initiativen, kam das Thema später wieder in Bewegung. Interessanterweise war es damals der Verkehrsverein – heute würde man sagen das Stadtmarketing –, der die Gründung angeregt hatte. Sie sahen darin eine Chance, das Image Düsseldorfs zu stärken.“

Eins steht fest: Es gab damals viele professionelle Künstlerinnen. Wie erklärst du, dass sie in der Kunstgeschichtsschreibung dennoch praktisch unsichtbar sind? Können wir hier von aktivem Vergessen sprechen?

„Das ist eine zentrale Frage, die wir uns auch gestellt haben. Denn um zu verstehen, was passiert ist, muss man schauen: Wo ist da eigentlich etwas schiefgelaufen?

Wenn man sich die Überblicksdarstellungen zur Düsseldorfer Kunst anschaut, zeigt sich ein interessantes Muster: In der Mitte des 19. Jahrhunderts tauchen Frauen durchaus noch auf – nicht viele, vielleicht zwei oder drei Prozent, aber immerhin. Gegen Ende des Jahrhunderts verschwinden sie dann fast völlig. Um 1900, teilweise schon etwas früher, sind sie praktisch nicht mehr präsent.

Das ist sicher kein Zufall. Auffällig ist, dass dies genau der Moment ist, in dem viele der im 19. Jahrhundert bekannten Künstlerinnen alt oder bereits verstorben waren. Solange sie Teil der zeitgenössischen Kunstszene waren, also im ,gelebten’ Kontext, wurden sie noch wahrgenommen. Aber sobald Kunstgeschichte geschrieben wurde, sobald es historisch wurde, blieben sie außen vor.

Das setzte sich im 20. Jahrhundert fort. Unser Museum hier wurde 1913 gegründet. Zwar kaufte man einzelne Werke aktueller Kunst, aber das 19. Jahrhundert spielte keine Rolle mehr. Die wenigen Werke von Künstlerinnen in der Sammlung stammen eher aus Zufällen – Schenkungen oder Dauerleihgaben.

Weil kaum gesammelt wurde, fehlte es wiederum an Material, an dem man hätte anknüpfen können. Das führte zu einer Art Kettenreaktion: Keine Werke im Museum, keine Sichtbarkeit, keine Forschung – und so verschwanden die Künstlerinnen nach und nach aus der Kunstgeschichtsschreibung.“

Also kann man schon sagen, dass diese Ausstellung auch eine Auseinandersetzung des Kunstpalastes mit der eigenen Sammlungsgeschichte ist?

„Klar. Am Anfang stand für uns die Feststellung: ‚Erstaunlich – wir haben aus dieser Zeit so wenig Werke. Das kann unmöglich das reale Bild der damaligen Kunstszene widerspiegeln.‘

Mittlerweile wissen wir, dass mindestens 500 Künstlerinnen in diesem Zeitraum hier aktiv waren. Da zeigt sich sehr deutlich, was unsere Sammlung bislang nicht abbildet. Natürlich bemühen wir uns heute aktiv, Werke anzukaufen und neue Positionen aufzunehmen – aber es bleibt ein langer Weg.“

Dieses Ungleichgewicht lässt sich aber wohl nie vollständig ausgleichen, oder?

„Das stimmt. Vieles ist verschollen oder wurde nicht in der gleichen Weise bewahrt wie die Werke namhafter Männer. Zwar tauchen hin und wieder Arbeiten auf dem Kunstmarkt auf, und wir schauen da sehr genau hin, aber das Angebot ist begrenzt. Manche Werke sind zu teuer, andere in schlechtem Zustand und natürlich können wir nicht jedes Jahr Hunderte von Arbeiten ankaufen – das ist schlicht nicht machbar.“

Manche fragen sich, warum es überhaupt eine eigene Ausstellung nur über Frauen braucht. Wäre es nicht besser, sie einfach in den allgemeinen Kanon zu integrieren? Was antwortest du darauf?

„Das ist eine berechtigte Frage, die schon seit Jahrzehnten immer wieder gestellt wird, wenn es um Ausstellungen zu Künstlerinnen geht. Meine Antwort wäre: Ja, genau dahin müssen wir kommen – das ist das Ziel. Aber wir sind noch nicht so weit.

Für mich geht es nicht nur darum, dass Frauen in Büchern, Ausstellungen und im Kanon selbstverständlich gleichberechtigt auftauchen. Wichtig ist, dass sie auch im Bewusstsein, in den Köpfen ankommen. Und dafür reicht es nicht, wenn man immer nur ein, zwei bekannte Namen nennt. Man muss sich regelmäßig neu mit dem Thema beschäftigen und die ganze Breite sichtbar machen. Nur so kann sich langfristig wirklich etwas verändern.“

Du willst mehr über das Thema erfahren?

Ab Minute 31:08 spricht Kathrin DuBois unter anderem darüber, ob Künstlerinnen in der heutigen Kunstwelt mittlerweile gleichberechtigt sind und was ein Museum heute haben muss, um relevant zu bleiben. Reinhören lohnt sich!

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