„Ich finde, es ist schon ein großer Unterschied, ob jemand Kritik äußert – also inhaltliche Kritik, die ja wichtig ist – oder ob es einfach nur Hass ist. Weil: Man übersieht Dinge, man weiß Sachen nicht, man muss ja auch mal darauf hingewiesen werden, wo man vielleicht etwas nicht mitgedacht hat oder was übersehen wurde. Das finde ich gut, das finde ich wichtig.
Aber das ist eben etwas anderes als dieses, was du gerade gesagt hast – Shitstorm, Häme, Hass. Das sind verschiedene Dinge, und ich glaube, viele Leute können das nicht unterscheiden. Wenn ich etwas poste, dann ist das nie als Ganzheitsmeinung gedacht. Es ist eher ein Impuls, eine Möglichkeit zur Auseinandersetzung, eine Art Verarbeitung. Ein Meme ist ja kein Essay. Es ist ein Ausgangspunkt. Und viele interpretieren das falsch, als wäre das schon das Ende einer Diskussion.
Natürlich gibt’s auch diese typischen Trolls, das bringt Social Media einfach mit sich. Das sickert zwar manchmal durch, aber inzwischen kann ich das ziemlich gut unterscheiden: Ist das jetzt wirklich an mich gerichtet? Geht es da um Austausch, oder geht’s nur ums Klicken und um Reichweite? Wenn’s destruktiv ist, dann denke ich mir: So funktioniert das Internet halt – ich blocke und melde diese Personen dann auch.
Und was Humor betrifft – ja, das stimmt schon, der spielt eine Rolle. Aber ich finde, man muss aufpassen, weil dieses Bild vom ,lustigen Juden’, der sein Trauma mit Humor verarbeitet, eben auch eine Art positives Stereotyp ist, das die Verantwortung der Verarbeitung wieder auf die Betroffenen abwälzt. So ein Klischee, das total bequem ist. Trotzdem glaube ich, Humor ist wichtig, gerade für jüdische Menschen. Es ist eine Art, sich zu schützen, Dinge zu verarbeiten.
Mein Großvater hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie in den KZ-Baracken heimlich Schnaps gebrannt haben – und dass sie sich betrunken und Witze erzählt haben. Das finde ich bis heute noch unglaublich. Weil das so eine Geschichte ist, die in der Erzählung vom jüdischen Widerstand fast nie vorkommt. Dass es da eben nicht nur Leid gab, sondern auch diesen Moment von Leben, von Humor, von Trotz. Dass man selbst da noch gelacht hat – nicht, weil man nichts verstanden hat, sondern gerade weil man alles verstanden hat."
Ich verstehe total, was du meinst – und trotzdem glaube ich, dass du die Kraft deiner Memes manchmal unterschätzt. Gerade für viele jüdische Menschen sind sie in dieser Zeit etwas, das Halt gibt. Wenn alles um einen herum brennt, wenn man in den Nachrichten und auf den Straßen nur noch Hass liest – „Zionists are Nazis“, „Juden raus“ –, dann ist es fast übermenschlich, das in Satire zu verwandeln.
Du hast diese seltene Fähigkeit, Schmerz in Sprache zu bringen, ohne ihn zu verharmlosen. Du legst den Finger auf das, was weh tut, und gleichzeitig zwingst du uns, zu lachen – nicht, weil es witzig ist, sondern weil das Lachen der einzige Moment ist, in dem man wieder atmen kann.
Und das, finde ich, ist eine Form von Stärke, die man sich ruhig selbst zugestehen darf.
„Danke, das berührt mich. Und, ja, Humor kann etwas unglaublich Heilsames haben. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von Isolation, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst. Das sind so die Hauptgefühle, die man mit sich rumträgt. Und Humor holt dich genau da ab. Er trifft dich auf derselben Ebene, auf der du verzweifelt bist – nur eben in einer anderen Tonlage.
Ich glaube, deswegen funktioniert das auch so gut. Humor kann dieselbe Intensität haben wie Schmerz. Wenn du auf der Höhe deiner Frustration abgeholt wirst, aber durch Humor, dann ist das wie ein Ventil. Und ja, so pathetisch das klingt: Humor ist ein verbindendes Element und oft die einzige Brücke, die überhaupt noch funktioniert. Eine Möglichkeit, Schmerz so aufzubereiten, dass auch Menschen, die selbst nicht betroffen sind, ihn wenigstens ansatzweise verstehen können.“
Wer ist eigentlich die Zielgruppe deiner Memes? Geht es dir in erster Linie um die Community – also darum zu zeigen: „Du bist mit diesem Gefühl nicht allein“ – oder ist es dir genauso wichtig, dass auch nichtjüdische Menschen deinen Content sehen und verstehen, worin die Probleme liegen?
„Ganz ehrlich? Ich weiß oft selbst nicht genau, wer die Zielgruppe ist. Meistens poste ich einfach, weil ich etwas fühle – Wut, Frust, Traurigkeit, irgendwas – und dann haue ich das raus. Erst danach sehe ich in den Reaktionen, wen das eigentlich am meisten erreicht oder anspricht.
Es ist mir schon öfter passiert, dass ich dachte: ,Ja, das ist jetzt ein total jüdisches Meme, das versteht eh nur die Community.’ Und dann wurde es plötzlich komplett von Nichtjüd*innen geteilt, die geschrieben haben: ,Ich hab keine Ahnung von dem Thema, aber das hat mich irgendwie zum Nachdenken gebracht‘. Das finde ich immer spannend – zu sehen, wie sich das verselbstständigt.
Aber wenn ich’s priorisieren müsste, dann ist meine erste Ebene schon immer die jüdische Community. Weil das die Perspektive ist, aus der ich spreche – und weil ich weiß, wie sich dieser Schmerz anfühlt, den wir alle teilen. Meine Motivation ist dann, etwas in Bewegung zu bringen, das hilft, dieses Gefühl von Isolation ein Stück weit aufzulösen.“
Hast du gerade seit dem 7. Oktober auch Nachrichten von Menschen außerhalb der jüdischen Bubble bekommen, die dir geschrieben haben: „Hey, durch deinen Content habe ich einen neuen Blick auf etwas bekommen, das ich vorher übersehen oder verdrängt habe“ – also dass sich durch deine Arbeit bei ihnen etwas verändert hat?
„Auf jeden Fall. Ich glaube, dass mein Account für viele Leute eine Art Einblick bietet, den sie vorher gar nicht hatten – oder gebraucht haben, um überhaupt zu verstehen, wie vielfältig jüdisches Leben ist. Viele merken dadurch erst: Jüd*innen sind keine homogene Masse. Nicht alle sind so, wie man’s vielleicht aus den Medien kennt oder vom Zentralrat der Juden – also eher superkonservativ, religiös und weiß.
Allein das, zu sehen, dass es da so viele verschiedene Stimmen, Lebensrealitäten, Haltungen gibt – das ist für viele echt mindblowing. Viele merken dann auch, wie tief sie selbst noch in bestimmten Stereotypen hängen. Und ich glaube, genau das führt oft dazu, dass sich was bewegt – dass eine andere Auseinandersetzung entsteht. Vielleicht legen sich dadurch auch ein bisschen diese Hemmungen, diese Berührungsängste im Umgang mit jüdischen Menschen.“
Deine Memes fordern Ambiguitätstoleranz – du bist links, jüdisch, sprichst dich klar für Israels Existenzrecht aus und kritisierst trotzdem Netanjahu und den Siedlungsbau. Hast du das Gefühl, dass genau diese Vielschichtigkeit von außen oft missverstanden wird – vielleicht sogar so, dass man dir mangelnde Empathie für das Leid der Menschen in Gaza unterstellt?
„Ich finde, dieser ganze Diskurs ist einfach komplett abgefuckt. Leute kommen mit ihren vorgefertigten Projektionen um die Ecke – mit Annahmen, die sie sich aus irgendwelchen Erzählungen zusammenbauen. Und dann reagieren sie auf dieses Bild, das sie von mir haben, nicht auf das, was ich tatsächlich sage oder tue.
Ich habe mehrfach Aufrufe für
Gaza geteilt. Ich habe Memes gemacht über Netanjahu. Ich kritisiere ständig die israelische Regierung – das ist alles öffentlich und kein Geheimnis. Aber das spielt keine Rolle, wenn Leute schon beschlossen haben, wer du für sie bist. Ich glaube, das ist etwas, in das man erst reinwachsen muss: dass es Menschen gibt, die haben ein fixes Bild von dir, und egal wie oft du versuchst, das mit Argumenten zu korrigieren – es wird nicht funktionieren.
Und das liegt einfach daran, dass ich eine jüdische Person bin, die sich dafür ausspricht, dass Jüd*innen in Frieden und Sicherheit leben können. Für viele ist das schon gleichbedeutend mit einem automatischen Solidaritätsentzug gegenüber Palästinenser*innen. Aber das ist kein ,me problem’, das ist ein ,you problem’. Wenn deine Vorstellung von Solidarität bedeutet, dass Sicherheit und Frieden nicht für alle gleichzeitig möglich sind – dann checkst du Solidarität einfach nicht.
Wenn Solidarität nur selektiv funktioniert, ist sie nichts wert. Und ich glaube, genau deshalb reden viele auch nicht mehr über Antisemitismus – weil sie Angst haben, ihr Kontingent an Empathie sei schon aufgebraucht. Das ist eine fiktive Erzählung von der begrenzten Ressource der Solidarität. So nach dem Motto: ,Ich hab jetzt schon zu viel Mitgefühl mit Jüd*innen gehabt, also kann ich das anderen nicht mehr geben’. Und das ist einfach eine komplett kaputte Art, die Welt wahrzunehmen.“
Manchmal habe ich das Gefühl, dass für viele Menschen Empathie dort endet, wo Humor beginnt. Sobald man etwas mit Witz oder Satire betrachtet, heißt es: „Darüber darf man doch keine Witze machen.“ Was sagst du – endet Empathie dort, wo Humor beginnt?
„Das schließt sich überhaupt nicht aus. Im besten Fall ist beides endlos – Empathie und Humor. Ich glaube, gerade in Deutschland gibt es ein sehr seltsames Verständnis von Moral und dieser Haltung moralischer Überlegenheit. Da wird dann plötzlich festgelegt, was lustig sein darf und was nicht. Und ganz ehrlich: Wer entscheidet das? Also, wer ist hier eigentlich lustig?
Ich mache zum Beispiel nie Memes über Zivilopfer oder über menschliches Leid. Mir geht’s nie darum, Leid abzuwerten oder zu relativieren. Ganz im Gegenteil – ich glaube, Humor ist manchmal die einzige Alternative, die bleibt. Wenn du keine Satire mehr machen darfst, keine Ironie, keinen Witz, dann bleibt dir ja nur noch, dich auf den Boden zu legen und dich deiner Depression hinzugeben.“
Du, ich kenne einige Leute, die nach dem 7. Oktober in Embryostellung auf dem Boden gelegen und tagelang das Haus nicht verlassen haben …
„Das ist definitiv eine Option. Ich hatte jedoch ganz klar und belegt eine verzögerte Reaktion auf die Ereignisse. Mein Psychiater hat das alles mit mir durchgespielt. Ich habe rechts und links um mich herum alle leiden und umfallen sehen, war wochen- und monatelang so taub, dass ich das Gefühl hatte, unter einer Glaskuppel zu sitzen und alles nur noch dumpf wahrnehmen kann. Irgendwann war es dann so weit, dass dieses Glas erst Sprünge bekam und dann über mir einbrach. Und dann saß ich inmitten dieses Scherbenhaufens.
Ich glaube, genau deswegen bin ich auch immer ein bisschen vorsichtig, wenn es um diese romantisierte Vorstellung von Resilienz geht. Dieses ,Egal was mit uns passiert, wir stehen wieder auf’ – das klingt schön, aber es ist auch verdammt anstrengend. Um ehrlich zu sein: Ich fände es auch mal ganz geil, einfach nicht resilient sein zu müssen. Einfach vielleicht hundert Jahre lang ,Living a good life mentally’.“
Wenn du aus dem 9. November ein Meme machen müsstest, welches Bild und, wenn du das so spontan kannst, welche Wörter würdest du verwenden?
„Ich habe einer Person mal erzählt, dass meine Großmutter damals fliehen musste und auch lange in China war. Woraufhin sie sagte:‚Das ist ja cool. Voll die Travellerin!‘. Ich finde, dass das den deutschen Umgang mit Erinnerung und den Umgang mit Jüdinnen und Juden ziemlich gut zusammenfasst. Dieses empörte Traurigsein an bestimmten Tagen, um dann im Alltag zu beweisen, dass man die Materie nicht verstanden hat."