Für queere Personen ist Mut oft eine Daueraufgabe. Doch wie viel Mut steckt hinter queerer Bildungsarbeit, politischen Veränderungen und alternativen Lebensentwürfen? Wie viel Mut braucht es, zu sich selbst zu stehen – in einer Zeit, in der Queerfeindlichkeit wieder salonfähig wird und für viele offen queere Menschen zum Alltag gehört? Diese Fragen standen auf dem FFF DAY 2025 im Panel „Mut, zu dir selbst zu stehen: Queere Existenz ist politisch“ im Mittelpunkt. Was dabei herauskam, erfährst du hier.
Im Saal herrscht konzentrierte Aufmerksamkeit. Gespräche verstummen, als Meryl Deep die Bühne betritt. In ihrer Keynote zu Beginn des Panels spricht Deutschlands führende Keynote-Speaking-Drag-Queen über Momente des Zweifelns und darüber, wie Mut oft dann entsteht, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Mit einem pinken Koffer als treuem Begleiter trug sie ihren Mut schon als Kind sichtbar nach außen. Trotz mancher Fehlschläge und intensiver Reflexion darüber, wie ein erfolgreiches und erfülltes Leben aussieht, hat sie gelernt, worauf es ankommt. Ihr Fazit ist klar und pragmatisch: Ehrlich sein, Entscheidungen treffen, losgehen und keine Angst vor Fehlern haben. Sie passieren ohnehin. Wichtig ist, aus ihnen zu lernen und weiterzugehen.
Mit diesem einfühlsamen Auftakt begann das Panel, moderiert von Annika Vollmer. Eingeladen waren Gäst*innen, die dem Thema Mut alle auf ihre eigene Art einen persönlichen Spin geben. Durch ihre Arbeit in der politischen Bildung oder auf Social Media verbindet sie eine Gemeinsamkeit: Ihre Existenz ist politisch.
Saskia Michalski, Content Creator, Autor*in und LGBTQIA+ Expert*in, Dr. Max Appenroth, Menschenrechtsaktivist, Coach und Gründer der Diversity Factory, sowie Dr. Homaira Mansury, Leiterin der gesellschaftspolitischen Bildung an der Kölner Volkshochschule, sprachen eine Stunde lang mit Annika Vollmer, Diversity Manager*in bei FUNKE über Mut, Sichtbarkeit und die eigene Queerness.
Die Zahlen sprechen für sich: Seit 2010 haben sich queerfeindliche Straftaten in Deutschland verzehnfacht, allein 2023 stieg die Zahl der Übergriffe auf inter*, trans* und nichtbinäre Personen um 35 Prozent. Offen queer zu leben, kann 2025, wie Annika Vollmer anhand dieser Statistik verdeutlichte, auch zu einer Frage der persönlichen Sicherheit werden. Paradox erscheint dabei, dass Sicherheit, ein Ziel, für das die queere Community seit jeher kämpft, heute wieder zum Balanceakt zwischen Selbstbestimmung und Risiko geworden ist: Wer sichtbar queer lebt, macht sich potenziell angreifbarer. In diesem Kontext über Mut zu mehr Sichtbarkeit zu sprechen, das ist nicht leicht. Saskia Michalski beschrieb das Dilemma mit den Worten: „Es ist ein zweischneidiges Schwert, weil es unendlich anstrengend ist, wenn man mutig sein muss und sich nicht frei entscheiden kann, es zu wollen.“
Michalski lebt polyamor, ist nichtbinär und teilt diese Lebensrealität offen mit über 100.000 Follower*innen in den sozialen Medien. Für viele ein Vorbild, für andere ein Reizthema. Queere Sichtbarkeit konfrontiere Menschen mit ihren eigenen Grenzen und Ängsten, was zunächst Ablehnung zur Folge habe. Michalski zeigte dafür Verständnis, ordnete aber gleichzeitig ein, worum es eigentlich gehe: Wer, wie Michalski, offen queer, poly und nichtbinär lebt, rüttelt an den vermeintlichen Sicherheitspfeilern, die Monogamie und Cis-Heterosexualität gesellschaftlich entwerfen. In einem System, das in dieser Form der Zusammenkunft von Anfang an Erfüllung und Stabilität verspricht, sei das nur allzu verständlich. Sich davon freizumachen, sei erst einmal gruselig und erfordere Mut. Aber genau darin liege auch das Potenzial für Wachstum und Veränderung.
Als eine Person, die selbst bis ins Erwachsenenalter mit viel unterdrückter Queerness gelebt habe, stellte Michalski den Zuschauer*innen und Kritiker*innen die Frage: „Was genau macht mir Angst?“ Sich auf neue Themen und Lebensrealitäten einzulassen, statt sie von sich zu weisen, sei das Ziel. Michalskis Arbeit, so wurde deutlich, versteht sich nicht als moralischer Appell, sondern als Einladung zum Dialog. Polyamore und monogame Beziehungen seien gar nicht so unterschiedlich, wie Menschen im ersten Augenblick annehmen. Es gebe keine grundsätzlich bessere Konstellation. Entscheidend für eine glückliche Beziehung sei nicht das gewählte Beziehungsmodell, sondern wie Menschen ihre Beziehungen leben.
Dr. Homaira Mansury von der Kölner Volkshochschule betonte die Notwendigkeit, Differenzen auszuhalten und marginalisierte Stimmen zu stärken. In einem politischen Klima, in dem durch Affekte, immer wieder stark polarisiert werde, seien einfache Zuschreibungen ein falscher Freund: „Wir werden ständig gespalten, und viele von uns lassen das zu: ‚Die einen sind gut, die anderen böse, die einen rechts, die anderen links, die einen queer, die anderen hetero.‘ Das sind Dinge, die uns eigentlich gar nicht entzweien müssen. Themen wie Gender und Migration geraten immer wieder in den Fokus, rechte Parteien nutzen diese Debatten, um Profil zu gewinnen. Das ist brandgefährlich und macht wütend.“
Um gegen die Spaltung zu arbeiten, sei entscheidend, nicht nur die Unterschiede zu erkennen, sondern auch bewusst zu überlegen, was Menschen zusammenbringt, sie als Gruppe stärkt. Nicht jede*r müsse andere Lebensentwürfe grundsätzlich und unhinterfragt gutheißen. Aber jede*r müsse die Lebensweisen anderer respektieren. Respekt sei zumutbar, und die Verantwortung, gesellschaftliche Spaltungen zu erkennen, liege bei allen.
„Queere Themen sind keine reinen Community-Themen. Sie sind auch Community-Themen, aber die Rechte queerer Menschen betreffen die ganze Gesellschaft. Denn wenn sogenannte 'Minderheitenrechte' zurückgedreht werden, werden grundlegende Rechte der Demokratie abgeschafft.“ - Dr. Homaira Mansury
In Narrativen rechts-konservativer Kräfte sei es allzu oft Queerness, die politisch instrumentalisiert werde: trans Körper, queere Familienformen, nichtbinäre Existenz werden herangezogen, um zu spalten und politische Zustimmung zu gewinnen. Wie Dr. Max Appenroth erklärte, wirkt diese Dynamik weit über die direkt Betroffenen hinaus: Menschenrechte würden nicht über Nacht verschwinden, rechte Akteur*innen würden jedoch kontinuierlich Grenzen austesten. Was in kleinen, kaum bemerkbaren Schritten passiere, könne schleichend Überhand gewinnen.
Mansury ergänzte, dass queere Rechte in diesem Zusammenhang nicht als Minderheiten-, sondern als Menschenrechte zu fassen seien. Und diese seien nicht verhandelbar. Auch Menschen, die nicht von Queerfeindlichkeit betroffen sind, müssen mit denen an einem Strang ziehen, die es sind: „Wenn es Menschen in der Gesellschaft gibt, die marginalisiert werden, deren Existenz nicht gesehen wird und die nicht zu Wort kommen, werden nach und nach kleine Jenga-Steine herausgezogen, die den Turm der Demokratie ins Wanken bringen“, so Mansury.
Gesellschaftliche Verantwortung und Aufklärung dürfe nicht nur bei den von Diskriminierung betroffenen Personen, sondern von jeder Person einzeln angenommen werden. Jede*r, so Appenroth, trage dazu bei, die demokratischen Grundlagen zu bewahren und die Freiheit, so zu leben, wie man möchte, zu sichern. Die Arbeit für Sichtbarkeit, Aufklärung und Gleichberechtigung sei daher nicht nur ein persönliches Engagement, sondern ein Beitrag zum Schutz der Demokratie in Zeiten, in denen diese spürbar unter Druck stehe.
Annika Vollmer erklärte, dass queere Rechte nicht selbstverständlich, sondern hart erkämpft seien. Mittlerweile müssten sie vielerorts auch wieder verteidigt werden. Sie stellte die Frage, wie der Einsatz für eine offenere Gesellschaft gelingen kann und ob Aufklärungsarbeit auch politischen und strukturellen Wandel befeuern kann.
Saskia Michalski betonte, dass es nicht nur auf das direkte Handeln der Politiker*innen im Bundestag ankomme, sondern ebenso darauf, Perspektiven zu öffnen und Menschen Orientierung zu geben. Als Influencer*in und mit Reichweite sei dies nicht zu unterschätzen. Alles, was man sage oder auch nicht sage, habe Wirkung und könne etwas bewegen. Entscheidend sei, die eigene Echokammer auch mal zu verlassen und dorthin zu gehen, wo Menschen zunächst keinen Zugang oder kein Interesse an queeren Themen haben.
Michalski übte zudem Kritik an der klassischen queerfeministischen Panelkultur: Es bringe wenig, immer wieder die gleichen Panels zu veranstalten, bei denen ohnehin schon engagierte Menschen versammelt seien. Diese Formate erreichten vor allem Menschen, die bereits Zugang zu queeren Diskursen haben, während diejenigen, die eigentlich im Fokus stehen sollten, außen vor blieben. Zugänge zu schaffen sei dabei entscheidend: Ohne niedrigschwellige Ansprache bleibe man in klassistischen Strukturen gefangen und schließe Menschen aus, die kein Vorwissen über queere Themen besitzen. Wer ihnen Fachbegriffe an den Kopf wirft, mache sich selbst unnahbar.
Mansury betonte den Mut zum Dissens: Der Weg zu einer gerechteren Gesellschaft beginne bei einer fairen und gerechten Bildung, die differenzierte Perspektiven zulasse und besonders marginalisierte Stimmen stärke: „Denn nur wenn etwas sichtbar ist, findet es statt. Und wir müssen für Sichtbarkeit sorgen.“
Mut entsteht in Gemeinschaft. Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis, die aus einer Stunde Panel alle Teilnehmenden mitnehmen sollten. Er wächst in Netzwerken, in der Arbeit derjenigen, die Aufklärung betreiben, Räume öffnen und Brücken schlagen. Queere Aktivistinnen, Bildungsarbeiter*innen, Content Creator*innen und politische Akteur*innen schaffen gemeinsam mit jeder und jedem einzelnen Zugänge und ermöglichen Sichtbarkeit und Schutz genau dort, wo sie am dringendsten gebraucht werden.
Appenroth, Mansury und Michalski haben gezeigt, dass wir alle, auch jene, die denken, queere Themen hätten sie nicht zu interessieren, den Mut aufbringen müssen, Demokratie und Menschenrechte zu schützen und zu verteidigen. Gesetzt sind sie längst nicht mehr. Durch ihre Arbeit, so unterschiedlich sie auch aussieht, engagieren sich die drei Panelist*innen dafür, nicht nur ihre eigenen Rechte, sondern die Rechte von uns allen zu wahren. Die drei Panelist*innen setzen sich täglich dafür ein, nicht nur ihre eigenen Rechte, sondern die Rechte von uns allen zu wahren. Mut zeigt sich dabei auf unterschiedliche Weise, doch was sie vereint, ist die Praxis: Differenz sichtbar halten, empathisch Dialog führen, eigene Widersprüche und Veränderungen reflektieren.
Und vor allem: Widerstand leisten gegen Spaltung. Laut leben. Laut lieben. Immer wieder. Wer queere Existenzen schützt und sichtbar macht, schützt nicht nur einzelne, sondern stärkt die demokratische Substanz für uns alle.