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Foto der Community-Autorin Samira Masoumi | © Privat | Foto von Samira Masoumi
© Privat | Foto von Samira Masoumi
04.09.2025 • 15:27
Foto der Community-Autorin Samira Masoumi | © Privat | Foto von Samira Masoumi Samira Masoumi
4 Minuten
Community-Artikel

Vom Schweigen zur Stärke: Wie ich meinen Weg in ein neues Leben gestalte 

Vor drei Jahren kam Samira Masoumi aus Afghanistan nach Deutschland – ohne Deutschkenntnisse, aber mit großen Träumen. Heute hat sie ihr Fachabitur mit 2,0 abgeschlossen, engagiert sich als Sprachmittlerin und als Global Youth Ambassador und kämpft für Bildungsgerechtigkeit. Ihr Ziel: Ärztin werden, um nicht nur zu heilen, sondern Hoffnung zu schenken. Ihre Geschichte zeigt, wie viel Mut und Ausdauer es braucht, sich eine Zukunft neu aufzubauen.

Vor drei Jahren kam ich aus Afghanistan nach Deutschland, mit einem Herzen voller Hoffnung, einem Kopf voller Fragen und einer Stimme, die kaum jemand verstand. Ich war 17 Jahre alt, ich hatte die Schule in Afghanistan bereits abgeschlossen. Doch eine Zukunft an einer Universität blieb für mich dort unerreichbar. 

Nach meiner Ankunft wurde mein Schulabschluss durch das Zeugnisanerkennungsverfahren geprüft und bewertet, aber nicht als gleichwertig mit einem deutschen Abschluss anerkannt. Das bedeutete: Ich musste meinen Weg ganz von vorn beginnen in einem neuen Land, mit einer neuen Sprache, in einem System, das mir völlig fremd war. 

Erste Schritte in einer neuen Welt

Mein Weg begann in einer internationalen Förderklasse. Dort konnte ich mich zumindest auf Englisch verständigen, was mir den Einstieg erleichterte. Aber das war nur der Anfang. Alles andere war herausfordernd: der Unterricht auf Deutsch, unbekannte Fachbegriffe, neue Lernmethoden. Ich verstand vieles nicht und wusste oft nicht, wo ich anfangen sollte. Doch ich wusste: Ich bin hier, um zu lernen. Also blieb ich und wuchs über mich hinaus.

Nach der Förderklasse durfte ich in die höhere Berufsfachschule für Gesundheit und Soziales wechseln. Dort begann mein Fachabitur und mit ihm ein Alltag, der mich jeden Tag an meine Grenzen brachte.

Plötzlich war alles auf Deutsch, auch medizinische Fachsprache, komplexe Projekte und schriftliche Ausarbeitungen. Ich arbeitete oft bis spät in die Nacht. Viele Male hatte ich nur zwei oder drei Stunden Schlaf, weil ich Arbeitsblätter übersetzen, Präsentationen vorbereiten und Vokabeln lernen musste. Es gab Momente, in denen ich an mir zweifelte, aber ich machte weiter.

Denn Aufgeben war nie eine Option.

Ich musste nicht allein durch

Meine Familie war meine wichtigste Stütze. Auch wenn sie selbst viele Herausforderungen bewältigen musste, gaben sie mir den Halt, den ich brauchte. Meine Lehrer*innen unterstützten mich mit Geduld, Verständnis und Respekt. Ich hatte auch einige Freundinnen, deren Unterstützung leise, aber ehrlich war. Sie schenkten mir Kraft in den Momenten, in denen ich sie am meisten brauchte.

Im Sommer habe ich mein Fachabitur mit der Durchschnittsnote 2,0 abgeschlossen. Für manche ist das nur eine Zahl, für mich ist es ein Symbol für Ausdauer, Disziplin und Mut. Und jetzt gehe ich den nächsten Schritt: Ab August beginne ich mein Abitur, auf dem Weg zu meinem großen Ziel.

Ich will Ärztin werden

Ich will Ärztin werden, nicht nur, um zu heilen, sondern um Hoffnung zu schenken. Ich möchte zurückgeben, was mir Kraft gegeben hat: die Unterstützung meiner Familie, die Geduld meiner Lehrer*innen und das stille Vertrauen der Menschen, die an mich geglaubt haben. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich allein fühlt, und wie viel es bedeutet, wenn jemand einem zeigt: Du bist nicht allein.

In mehreren medizinischen Praktika durfte ich echte Erfahrungen sammeln. Ich erinnere mich, wie ich anfangs nicht wusste, wie man bestimmte Instrumente hält oder wie man mit Patient*innen richtig spricht – nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil mir buchstäblich die Sprache und darüber hinaus Erfahrung fehlte.

Aber ich lernte. Ich beobachtete, fragte, übte. Mit der Zeit konnte ich Aufgaben übernehmen, Verantwortung tragen und erleben, wie wertvoll es ist, anderen zu helfen. Diese Erfahrungen haben meinen Wunsch bestätigt: Ich will nicht nur im medizinischen Bereich arbeiten. Ich will Verantwortung übernehmen für Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Helfen, weil ich es selbst erlebt habe 

Heute engagiere ich mich als ehrenamtliche Sprachmittlerin im Kommunalen Integrationszentrum und bei der Caritas. Ich begleite Familien zu Gesprächen in Kitas, bei Ämtern oder bei Beratungsstellen – Orte, an denen Sprache oft ein Hindernis ist. Ich kenne dieses Gefühl. Und genau deshalb helfe ich, damit andere schneller ankommen können.

Zudem bin ich als Global Youth Ambassador bei Theirworld aktiv, einer internationalen Plattform für Bildungsgerechtigkeit. In Erasmus+-Projekten tausche ich mich mit Jugendlichen aus ganz Europa aus. Wir sprechen über Integration, Teilhabe und Bildung. Ich erzähle meine Geschichte und zeige, dass Veränderung möglich ist.

Ab August beginnt mein Abitur. Danach will ich Medizin studieren, mit aller Kraft und Entschlossenheit. Ich weiß: Der Weg ist lang, aber ich bin bereit. Denn alles, was ich erlebt habe, hat mich vorbereitet. Mein Ziel ist nicht nur ein Studienplatz. Mein Ziel ist, als Ärztin Menschen zu stärken – mit Würde, Wissen und Menschlichkeit.

Eine Botschaft, die bleibt 

An jedes Mädchen, das still im Klassenzimmer sitzt und sich fragt, ob es das schaffen kann:

Ich sehe dich. Ich war du.
Ich konnte die Sprache nicht. Ich verstand das System nicht.
Aber ich bin jeden Tag weitergegangen.

Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht alles wissen.
Du musst nur glauben, dass dein Weg zählt.

Denn auch die stillsten Anfänge können zu den stärksten Geschichten werden.
Und vielleicht wirst gerade du eines Tages jemandem sagen:
„Ich weiß, wie es sich anfühlt – und du wirst es schaffen.“

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