Mit seiner Mutter Schluss machen und den Kontakt abbrechen? Eine krasse Entscheidung, die jedoch manchmal sein muss. Unsere Community-Autorin erzählt, warum sie diesen Schritt gegangen ist und wie sich das für sie anfühlt.
Mit der Mutter Schluss machen? Ich habe es getan!
Ich habe heute vor einem Jahr mit meiner Mutter Schluss gemacht. Auch wenn ich unsere Beziehung beendet habe, belastet sie mich heute immer noch. Und das nicht aufgrund der Tatsache, dass wir seit einem Jahr kein Wort mehr miteinander gewechselt haben – sie fehlt mir kein Stück. Mit meinem Vater habe ich auch schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Ich schreibe mit seiner neuen Frau, die zwei Jahre älter ist als ich, ein paar Mal im Jahr Mails hin und her. Aber das zählt glaub ich nicht. Der Unterschied ist nur, dass ich mich aktiv dagegen entschieden habe mich weiter mit dieser ungesunden Beziehung zwischen mir und meiner Mutter zu belasten und sie ist nicht einfach weggegangen wie mein Vater.
Wenn man meine Mutter fragen würde liegt es daran, dass ich so bin wie mein Vater: Gefühlsscheu, hartherzig und kalt. Aber über die Jahre hinweg war mein Vater schon so vieles, was sie mir gerade an den Kopf werfen wollte, dass er der absolut schlimmste Mensch sein müsste, den es je gab. Aber ich weiß nicht, ob das so ist. Kann man ja leicht von jemandem behaupten, der abwesend ist. Aus jedem Fehler, den ich ihrer Meinung nach begangen habe, hat sie ein Adjektiv gemacht, es einer passenden Charakterschwäche zugeordnet und diese ihm und mir zugeschrieben. Lange hat es mich verletzt. Aber irgendwann hat sich bei mir der Gedanke eingeschlichen, dass sie viel mehr dafür kann (wenn es denn so ist), als ich. Denn ich habe mir meinen Vater nicht ausgesucht, sondern sie.
Meine Mutter hat mich im Stich gelassen
Meine kleine Schwester hat mich mal bei einem unserer tiefen Krisengespräche gefragt, wie ich das eigentlich geschafft habe. Und mit „das“ meint sie unsere gemeinsame Mutter klaren Verstandes zu überleben. Mit ihren 13 Jahren hat sie nämlich mehr Krisen als man es in dem Alter haben dürfte. Und unsere Krisengespräche sind auch viel tiefer als sie sein sollten. Denn eigentlich würde ich ihr viel lieber Tipps geben, wie sie mit lästernden Klassenkameradinnen oder nörgelnden Jungs umgehen soll. Ich habe kurz nachgedacht und konnte nichts anderes erwidern als dass es wohl daran liegt, dass ich ein anderes Leben und einen anderen Charakter habe als sie. Dass wir einfach unterschiedliche Menschen sind. Aber eines haben wir gemeinsam: Ich habe mich von unserer Mutter auch im Stich gelassen gefühlt. Und das schon viel früher als sie.
Dabei haben meine Geschwister einen viel besseren Start mit ihr gehabt als ich. Wir haben einen großen Altersunterschied und sie sind gerade in ihren Teenager-Jahren angekommen – als ob das nicht schon schlimm genug wäre. Und ich erinnere mich noch, dass ich ganz erstaunt war wie gut es mit ihnen und ihr gelaufen ist. Ich dachte, dass sie anscheinend etwas dazugelernt hat. Denn für mich hat sie als Mutter völlig versagt. Ich meine, es muss ein schlimmes Gefühl sein einen Menschen auf die Welt zu bringen und dann festzustellen, dass dieser Mensch dich nicht leiden kann. Aber die Verantwortung für alles, was in deinem Leben schief geht, diesem Kind in die Schuhe zu schieben, das ist doch ein bisschen weltfremd.
Ich war schon als Kind von meiner Mutter enttäuscht
Meine früheste Erinnerung an dieses Gefühl, dass ich sie einfach als Person nicht mag, war mit sieben Jahren. Ich sehe es genau vor mir, wie sie mich heulend und schluchzend eine verschneite Allee entlang geschliffen hat. Es war mitten in der Nacht und mein Vater ist, mal wieder, völlig betrunken nach Hause gekommen und hat das halbe Wohnzimmer zerlegt – und sie gleich mit dazu. Auf dieser Allee waren wir unterwegs zu irgendeiner Freundin von ihr und ich bin trotzig stehen geblieben. „Warum bleiben wir eigentlich bei ihm?“, habe ich wütend gefragt. „Warum verlässt du ihn nicht und lässt das mit dir (und mir) machen?“. Ich war sieben, nur zur Erinnerung. Und diese Wut auf sie, diese Verachtung für ihre Rückgratlosigkeit, hat mich seit dem begleitet.
Und wenn jetzt irgendjemand schon die Finger zückt um einen Kommentar darüber zu schreiben, wie sich Opfer von häuslicher Gewalt nicht aus solchen Beziehungen lösen können, dass man Verständnis haben muss und es viel komplizierter ist: Bullshit. Diese Frau hatte eine Verantwortung für mich, für einen wehrlosen kleinen Menschen, und sie hat mich einfach in Stich gelassen. Und mein Geduldsfaden hatte erst ein Ende als ich das gleiche Verhalten und die Auswirkungen davon bei meinen Geschwistern festgestellt habe.
Ganz gleich wie wütend ich bin: Das schlechte Gewissen bleibt
Wenn ich weiterschreiben würde, was sie alles getan oder nicht getan hat, hätte dieser Beitrag kein Ende. Aber dennoch quält mich mein schlechtes Gewissen, dass ich sie aus meinem Leben geschnitten habe. Hier in Deutschland ist es nicht ganz so selten, dass Kinder keinen Kontakt mit ihren Eltern haben. Meine Familie kommt aber aus Osteuropa und ich habe meine Kindheit dort verbracht. Die Bedeutung von Familie – und vor allem der Respekt vor der Mutter – sind ein großer Teil meiner Kultur. Und selbst wenn ich rational weiß, dass ich mich gut fühle mit der Entscheidung und es für alle das Beste ist, habe ich dieses nagende Unwohlsein im Nacken, wenn ich daran denke. Sie tut mir leid und ich weiß, dass sie sich in diesem Land genau so alleine fühlt wie ich. Aber wenn man drei Kinder hat und alle drei einen hassen, dann könnte man sich einen Moment nehmen und mal reflektieren, was man falsch gemacht hat. Aber nicht meine Mutter. Meine Mutter leugnet dreist jede Begebenheit, bei der sie je im Unrecht war.
Vor ein paar Tagen habe ich hier einen Artikel darüber gelesen, wie eine junge Frau mit dem gesellschaftlichen Stigma umgeht, weil sie keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern hat. Aber vielleicht hat jemand ja einen Tipp für mich, wie ich mit meinem eigenen anerzogenen Stigma umgehe, dass mich von innen auffrisst…
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