Foto: Pexels

Liebe: Warum mich diese Suche nach dem „Seelenverwandten“ einfach nur noch nervt

In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über das Verlangen nach dem Seelenverwandten.

„Du bist mein Seelenverwandter“ – ist das eine gute Sache?

Jemand, der ganz und gar auf deiner Linie ist, dich versteht, auch wenn du nichts sagst; jemand, von dem es scheint, dass er nur für dich und für diese gemeinsame Sache zwischen euch beiden gemacht ist; jemand, der wie du tickt und den geheimsten inneren Wunsch, Schmerz und Gedanken versteht – das wäre so schön! Ach ja, immer wieder hört man in der Liebe vom Wunsch des Seelenverwandten, früher vielleicht eher als „die bessere Hälfte“ bekannt. Von diesem Menschen aus einem Rosamunde-Pilcher-Film, der einfach nicht um die Ecke biegen mag. Ich verstehe diesen Wunsch nicht.

Also, na klar, ich verstehe die Intention schon. Aber ich bin eben auch der Meinung, dass es mitnichten die beste Idee ist, sich nach eben diesem oder dieser umzusehen. Warum?

Ist die Sache mit der Liebe nicht schon kompliziert genug?

Wenn man sich so umschaut, scheint es mit der Liebe ganz schön schwierig geworden zu sein: „Generation beziehungsunfähig“, „Generation Tinder“, „Generation Wir-bekommen-es-nicht-auf-die-Kette“. Und das hat sicherlich viele Gründe, wie etwa das Unbehagen, das Verbindlichkeit uns heute zu bereiten scheint. Oder der großen Wunsch, sich selbst zu verwirklichen – was nicht selten bedeutet: Ich, also wirklich nur ich, verwirkliche mich hier. Und wer nicht zu diesem Plan passt oder sich zumindest anpasst, der gehört nicht in
mein Leben.

Aber ich glaube, noch viel mehr als dieser verroht-kalkulierte Blick auf sich selbst, der uns immer wieder zugeschrieben wird, und der stimmt oder auch nicht, liegt das Problem mit der Liebe vielmehr in den möglicherweise romantischen, aber auch nur bedingt erfüllbaren Erwartungen, die wir an die Liebe und den, der sie uns schenkt, stellen: Du sollst nun derjenige sein, der mich restlosglücklich macht, du hast gefehlt, um mich komplett zu fühlen, du wirst der Fels in der Brandung sein, wenn es mir schlecht geht, du wirst mich lieben, no matter what – denn du bist mein Soulmate.

Von Erwartungen, die Erstickungsanfälle auslösen

Puh, wenn man diese Liste runterbetet, bekommt man fast Erstickungsanfälle, oder nicht? Ja
OK, zugegebenermaßen bin auch ich nicht das abgeklärte Menschlein, das sich von diesen Erwartungen und Wünschen ganz frei machen kann. Ich wäre wohl das letzte Einhorn, oder eines der wenigen. Aber die Sache ist doch die: Wir können niemandem anderen aufhalsen, dass er uns nun endlich glücklich macht oder komplettiert. Denn das sind Dinge, die man schon vorher alleine schaffen muss, oder zumindest währenddessen – denn hinterher wäre etwas spät. Was wir jemandem dagegen „aufhalsen“ können, ist, das Glück zu teilen, sich gegenseitig zu stützen, oder einen nicht für jede Macke zu verurteilen.

Aber niemand, auch wenn er oder sie vielleicht der Partner fürs Leben ist, muss dich für alles lieben, was du tust, sagst und bist, niemand ist für dein Wohlbefinden in Gänze verantwortlich, niemand muss die Hälfte sein, die dir noch fehlte, niemand muss dich besser verstehen, als du dich selbst und schon gar nicht: muss irgendwer dein Seelenverwandter sein, um ein guter Partner zu werden. Muss denn immer gleich alles so über-idealisiert werden?

Mach dich doch selber glücklich

Wie wäre es, wenn man sich alleine glücklich macht, und sich einfach nur freut, dass noch einmal jemand mit ins Boot steigt, um über die raue See zu schippern? Und wir uns mal freimachen von diesen übersteigerten Erwartungen, mit denen das alles sowieso nicht funktioniert? Denn wieso bitte sollte ein Partner so viel mehr können und wollen als unsere besten Freunde oder unsere Familie, die wir ebenso lieben, die uns schon so lange begleiten und uns viel gegeben haben, denen wir blind vertrauen, ohne dass wir ihre Macken, Schwächen und manchmal auch ihre Gedankenlosigkeit gleich verteufeln müssen. Zumindest nicht langfristig. Die wir oft gerade wegen ihres anders tickenden Wesens schätzen oder bei denen uns zumindest nicht gleich einfallen würde zu sagen:

„Schluss, aus vorbei, diese Beziehung hat doch keine Zukunft!“ – wenn sie mal keine Gedanken lesen konnten. Gelassenheit ist das Stichwort für eine gute Beziehung, und das nicht nur gegenüber uns selbst, sondern auch gegenüber denen, die wir lieben und von denen wir geliebt werden. Und das beinhaltet eben auch, nicht unbedingt ein Seelenverwandter sein zu müssen, um die perfekte Wahl und der beste Mensch an unserer Seite zu sein.

Ich bin euch zu nüchtern? Aber vielleicht ist es doch am romantischsten, nicht alles vom Gegenüber zu wollen – und sich von der Andersartigkeit des anderen mitreißen lassen zu können.

Mehr bei EDITION F

Ich befinde mich in der allerbesten Beziehung – der zu mir selbst. Weiterlesen

Wie wir die „Generation beziehungsfähig“ werden können. Weiterlesen

Mission Impossible: Lieben in den 20ern. Weiterlesen

Anzeige