Kann man Kunst von Künstler*innen trennen? Wie trennt man sich von etwas, das einem viel bedeutet? Wann sollte man sich eigentlich von problematischen Künstler*innen abwenden? Diese Fragen stellt sich unsere Autorin Mona in ihrem Kommentar und reflektiert ihr eigenes Swiftie-Dasein.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und alle werden langsam melancholisch. Ich schätze es sehr, mein eigenes Jahr zu reflektieren – und ich liebe Statistiken und Listen. So setze ich mir zum Beispiel jedes Jahr ein Leseziel und tracke, was ich alles lese. Kaum zu übersehen ist in dieser Zeit Spotify Wrapped – und das Konzept dahinter überzeugt mich sehr. Damit meine ich ausdrücklich die Idee: Spotify nutze ich aus gegebenem Anlass nicht mehr, sondern bin bei TIDAL. Doch es ist wundervoll, auf hübsch aufbereiteten Grafiken zu sehen, welche Musik man über das Jahr besonders viel gehört hat!
Mein Tidal „Rewind“ hat mir dieses Jahr eine Realität aufgezeigt, mit der ich mich mittlerweile immer mehr auseinandersetzen muss. Mein Top-Artist dieses Jahr ist: Taylor Swift. Gewundert hat mich das nicht, auch wenn ich mein Fan-Sein inzwischen kritisch betrachte: Taylor Swift ist für mich zu einem „Guilty Pleasure“ geworden. Nicht im klassischen Sinne. Ich schäme mich nicht dafür, dass mir ihre Musik gefällt – es ist gute Musik! Doch ich frage mich immer mehr, ob Taylor Swift wirklich eine Künstlerin ist, hinter der ich stehen kann, ob ich wirklich ein Fan bin – und ob andere Künstler*innen meine Aufmerksamkeit nicht viel mehr verdient hätten.
In seinem Ursprung beschreibt Guilty Pleasure, dass man etwas heimlich mag, weil es einem peinlich wäre, wenn andere Menschen davon wüssten. Oft werden Guilty Pleasures mit Vorlieben assoziiert, die vor allem Frauen zugeschrieben werden: Trash-TV, Popmusik, Romcoms, Pumpkin Spiced Latte usw.
Ich persönlich finde ja, wir sind über diese Ära der Guilty Pleasures hinausgewachsen. Cringe-Kultur ist tot und sowieso sind weibliche Interessen und „basic“ sein wieder cool. Wir alle sind über unsere „Not like other girls“-Phasen hinweg, „Girls supporting girls“ und Girls-girl zu sein, ist in.
Wörtlich übersetzen kann man Guilty Pleasure mit „schuldbewusster Genuss“. Und in den letzten Jahren hat sich der Zeitgeist in Bezug auf Schuldbewusstsein und Konsum sehr gewandelt. Im Spätkapitalismus sind wir uns bewusster über die politischen Konsequenzen unserer Konsumentscheidungen und bewerten sie demnach auch eher auf einer moralischen Ebene.
Es ist nicht mehr uncool, beim dritten Mal Titanic schauen immer noch zu heulen, aber es ist uncool, über Mario Barths Witze zu lachen, weil die Sexismus pur sind. Obwohl das auch nicht so einfach zu sagen ist, denn selbstverständlich kommt es sehr darauf an, wen du fragst. In anderen Kreisen werde ich vermutlich dafür fertig gemacht, dass man heute ja gar nichts mehr sagen dürfe, wenn ich ihren liebsten Comedian kritisiere.
Doch all das führt auch dazu, dass an jede einzelne Person ein gewisser moralischer Anspruch herangetragen wird. Viele gehen so weit, dass sie andere öffentlich dafür angreifen, dass sie den moralischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Letztendlich aber hängen die meisten Ungerechtigkeiten an Systemen, die sie aufrechterhalten, nicht an individuellen Entscheidungen. Es ist gar nicht möglich, an der Gesellschaft teilzuhaben, ohne dabei auch moralisch verwerfliche Entscheidungen zu treffen. Produkte von Nestlé im Einkaufswagen zu haben, macht dich nicht zu einem schlechteren Menschen – und die anderen Auswahlmöglichkeiten sind sowieso nicht wirklich besser.
Bedeutet das, dass ich guten Gewissens alles ignorieren kann, weil ich eh keine „richtige“ Entscheidung treffen kann? Das kann jede Person nur für sich selbst entscheiden, doch ich finde, nichts zu tun, ist auch keine Lösung. Schließlich ist es nicht so, als hätten wir gar keine Handlungsmacht – das gilt vor allem für Kunst, Kultur und Medien. Ich bin dir beispielsweise sehr dankbar, dass du gerade meinen Text liest, statt noch einen Artikel eines weißen cis Mannes.
Doch ich denke, wir sollten uns zunächst darauf einigen, vor allem bei uns selbst zu bleiben und weniger mit dem Finger auf andere zu zeigen. – Im nächsten Schritt dürfen wir etwas nachsichtiger mit uns selbst sein. Die Welt ist komplex, wir sind komplex und jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen. Es ist unmöglich, dabei alles richtig zu machen. Es zu versuchen und sich Mühe zu geben, ist bereits viel. – Und um auf den ersten Punkt zurückzukommen: Dieses Verständnis sollten wir auch unseren Mitmenschen entgegenbringen. – Einverstanden? Gut. Dann haben wir eine gemeinsame Grundlage.
Taylor Swift scheint sich seit einiger Zeit komfortabel damit zu fühlen, nicht nur mehrere Trump-Supporter*innen unter ihren Bekannten und Freund*innen zu haben, sondern es auch nicht zu verstecken oder sich dazu zu äußern. Das ist krass und kam für mich unerwartet, nachdem sie sich in der Vergangenheit fast kämpferisch für Demokrat*innen, unter anderem Kamala Harris, ausgesprochen hatte.
Währenddessen sprach sich Swifts Kollegin Sabrina Carpenter öffentlich gegen das unmenschliche Vorgehen der ICE-Agent*innen unter Trumps White House aus, nachdem die ihren Song „Juno“ für ein makaberes Reel verwendet hatten. Wochen zuvor passierte das Gleiche mit einem Taylor Swift-Song – daraufhin: nur Grillenzirpen.
Ich stelle nicht den Anspruch, dass jede Person mit riesiger Plattform zwingend diese Plattform zu nutzen hat, um Positives zu bewirken, doch darüber sind wir hinaus und an diesem Punkt, vor allem wenn man so direkt involviert ist, ist Stille auch ein Statement. Ein Statement, das ich scharf verurteile und eine Grenze, an der ich für mich feststelle, dass ich so eine Person nicht weiter unterstützen möchte.
Das Ding ist, es fällt mir nicht leicht, und – ich bin ehrlich mit dir – ich höre aktuell immer noch ihre Musik. Viele Taylor Swift-Songs bedeuten mir sehr viel und Musik ist ein stark emotionales und leidenschaftliches Thema für mich. Es fällt mir schwer, mich davon zu trennen. Das ist die Sache mit der Kunst. Sie berührt uns, sie begleitet uns und ihr Wert ist sehr individuell.
Natürlich hat Taylor Swifts Person einen Einfluss darauf, wie ich die Musik jetzt höre und sehe. An dieser Stelle müssen wir gar nicht erst damit anfangen, über die Trennung von Kunst und Künstler*in zu sprechen, denn Swift steht so präsent im öffentlichen Leben und ihre Musik ist so sehr damit verbunden, dass es fast unmöglich ist, die Kunst getrennt von ihrer Person als Ganzes zu betrachten. Mal ganz abgesehen davon, dass sie finanziell davon profitiert, wenn man ihre Musik hört und sie feiert.
Dennoch verbinde ich so viel Positives mit ihrer Musik, dass ich sie nicht unablässig in einem negativen Licht sehen kann. Unterstützen will ich sie trotzdem nicht. Deswegen versuche ich, mit einem anderen Blick an die Sache heranzugehen. Ja, die Musik von Taylor Swift hat einen großen Platz in meinem Herzen, doch der Raum ist nicht begrenzt.
Statt zu versuchen, einfach nur negativen Impact zu vermeiden, ist es vielleicht sinnvoller, sich auf die Chancen und den positiven Impact zu fokussieren. Es gibt so viele Musiker*innen, die gute Musik machen und von denen ich noch nie gehört habe. So sehr ich es hasse, wie sehr wir alle von Content überflutet werden, ist es großartig, in einer Zeit zu leben, in der wir jederzeit Zugriff auf gefühlt unendlich viel Musik von tausenden von Künstler*innen haben.
Klar, es ist nicht besonders gemütlich, sich regelmäßig auf neue Musik einzulassen, statt zum hundertsten Mal Taylor Swifts „Reputation“ anzumachen, und auch wenn ich viel unterschiedliche Musik höre, habe ich bis jetzt noch keine*n Künstler*in gefunden, der*die für mich so gute romantische Liebeslieder wie Taylor Swift schreibt. Aber ich glaube daran, dass es sie gibt.
Statt mir also ein Ticket für die nächste Eras-Tour zu kaufen, kann ich für das gleiche Geld auf mindestens vier Konzerten eine gute Zeit haben und kleine Künstler*innen aktiv dabei unterstützen, dass sie überhaupt von ihrem Job leben können, statt die nächste Null an ihr Vermögen zu hängen.
Es ist nicht immer leicht, Dinge loszulassen. In sozialen Medien ist es im Zuge der „Call-out-Culture“ fast normal geworden, Menschen dafür bloßzustellen, dass sie sich nicht von etwas lösen können. Ich glaube, das ist nicht zielführend. Oft stecken mehr Erinnerungen, Gefühle und Schmerzen in so einer Entscheidung, als man denkt.
Wir sollten darüber trauern dürfen, dass wir uns von Dingen, die uns viel bedeutet haben, besser trennen sollten. Manchmal ist es schwer, überhaupt einzusehen, dass Dinge, die wir lieben, nicht so unfehlbar sind, wie wir dachten. Das können sicher alle bezeugen, die schon eine schwierige Trennung hinter sich hatten oder mal zurück zum*zur Ex gelaufen sind.
Was mir hilft, ist, mich auf andere Dinge zu fokussieren, die ich liebe, und neue Dinge zum Lieben zu finden. Im Diskurs zu Harry Potter hieß es häufig „Read another book!“, und auch wenn das oft abfällig gesagt wird, ist es im Kern kein schlechter Rat. Zum Glück mangelt es uns nicht an Kunst und Künstler*innen.
Also, an meine lieben Mit-(Ex-)Swifties: Vielleicht sollten wir mehr anderen Musiker*innen eine Chance geben. (Ich möchte an dieser Stelle passend zum Text den Song Guilty Pleasure meiner zweitmeistgehörten Künstlerin dieses Jahr, Chappell Roan, empfehlen!) Und auch Nicht-Swifties können gerne mehr Neues versuchen – wie zum Beispiel über diese Feiertage einen anderen Film ausprobieren, statt schon wieder Harry Potter zu schauen.