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Das Foto zeigt Birgit und Horst Lohmeyer auf der Bühne beim Festival „Jamel rockt den Förster“. | © Andreas Hornoff
© Andreas Hornoff
19.08.2025 • 11:13
Autorin Anne-Kathrin Heier | © Heike Bogenberger Anne-Kathrin Heier
Festival in Jamel

Birgit Lohmeyer: „Wir machen politische Bildung mit dem Medium der Musik“

Seit vielen Jahren veranstaltet das Ehepaar Birgit und Horst Lohmeyer ein Festival für Demokratie und Vielfalt. Dabei trotzen sie rechten Anfeindungen und bürokratischer Schikane. Im Interview erzählt Birgit Lohmeyer, was Zivilcourage für sie bedeutet – und was jede*r Einzelne tun kann, um unsere Gesellschaft mitzugestalten.

Birgit und Horst Lohmeyer stemmen sich seit fast zwei Jahrzehnten mit ihrem Festival „Jamel rockt den Förster“ gegen den rechten Einfluss in ihrem Wohnort Jamel – einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, das lange als „nationalsozialistisches Musterdorf“ galt. Was einst als privat organisiertes Sommerfest begann, hat sich zu einem bundesweit bekannten Symbol zivilgesellschaftlichen Widerstands entwickelt – unterstützt von Stars wie Die Toten Hosen, Die Ärzte oder den Fantastischen Vier.

Leicht war es für das Festival „Jamel rockt den Förster“ zu keiner Zeit. Und auch 2025 ist das Engagement von Birgit und Horst Lohmeyer und ihrem Team kein Selbstläufer: Erst kürzlich musste der Festivalverein vor Gericht ziehen, um sich gegen neue bürokratische Auflagen des Landkreises Nordwestmecklenburg zur Wehr zu setzen. Sie hatten Erfolg, zumindest vorerst. Während das Verwaltungsgericht Schwerin den größten Teil der Auflagen kippte, kündigte der Landkreis bereits Rechtsmittel an. Der politische Gegenwind zeigt: Zivilcourage bleibt unbequem.

EDITION F hat mit Birgit Lohmeyer über ihren langen Atem, das Spannungsfeld zwischen Kultur, Protest und Behördenwillkür sowie über den Mut gesprochen, auch unter Druck Haltung zu zeigen.

Blick in die Menge beim Auftritt von Die Fantastischen Vier beim Demokratie-Festival „Jamel rockt den Förster“. | © Andreas Hornoff
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Auftritt der Band Die Fantastischen Vier in Jamel.

Liebe Frau Lohmeyer, wie geht es Ihnen gerade?

„Wir sind mittendrin in den Verhinderungs- und Sabotage-Strategien der Verwaltung und der Kommunalpolitik. Das heißt, es geht uns im Moment schlecht, weil wir sehr angespannt sind. Wir wissen heute noch nicht: Können wir das Festival wie gewohnt durchführen oder nicht?“

Wird Bürokratie zunehmend als Mittel eingesetzt, um demokratiefördernde Projekte zu be- oder sogar verhindern?

„Ja natürlich. Es ist das, was mittlerweile eher Rechtsdruck genannt wird. Es ist ja kein Rechtsruck, der aus dem Nichts kam. Sondern wir wissen seit Jahrzehnten, dass rechtsextreme Kräfte unser Land wieder übernehmen möchten. Dies geschieht auf verschiedenen Ebenen: im parlamentarischen Raum durch Parteien, aber auch durch außerparlamentarische Gruppierungen.

Mittlerweile haben es Vertreter dieses Spektrums geschafft, in wichtige Verwaltungsstellen und Gerichte zu gelangen. Von dort aus führen sie ihren sogenannten Kulturkampf weiter, um ihre ideologischen Ziele durchzusetzen.“

Jamel ist mittlerweile überregional als „Nazidorf“ bekannt. Wie kam es vor über zwanzig Jahren, dass Sie und Ihr Mann ausgerechnet nach Jamel gezogen sind?

„Wir wollten nach unserem halben Leben in der Großstadt einfach aufs Land ziehen. Und bei der Immobiliensuche tauchte dann plötzlich dieses wunderschöne historische Forsthaus auf, in dem wir nun seit 20 Jahren leben.“

Open-Air-Festival „Jamel rockt den Förster“ 
2004 zogen Birgit und Horst Lohmeyer nach Jamel. Wenige Jahre nach ihrem Zuzug begann die Besiedelung des Dorfes durch rechtsextreme Familien, die bis heute circa 95 Prozent der Dorfbevölkerung stellen. Als Methode des Selbstschutzes vor den aggressiven Einschüchterungen und Übergriffen durch Rechtsextreme, begannen die Lohmeyers öffentliche Kulturveranstaltungen auf ihrem ehemaligen Forsthof zu organisieren und betätigen sich zudem als Referent*innen in der politischen Bildung.
Ihr Open-Air-Festival „Jamel rockt den Förster“ versammelt nun seit 18 Jahren einmal jährlich Bands und Besucher*innen unter dem Motto „Rockmusik für Demokratie und Toleranz“. Namhafte Künstler*innen wie Herbert Grönemeyer, Die toten Hosen, Die Ärzte, Thees Uhlmann, Juli, Madsen, Danger Dan & Igor Levit, Bosse, Sebastian Krumbiegel, Selig, Fury & the Slaughterhousel, Die Fantastischen Vier u. v. a. m. standen bereits auf der Forstrock-Bühne, um die Lohmeyers zu unterstützen. Unzählige Initiativen bereichern das Festival mit ihren Informationsständen und Workshops zu gesellschaftspolitischen Themen.
Im Jahre 2011 erhielten Birgit und Horst Lohmeyer für ihr Engagement den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland und wurden 2012 mit dem Bürgerpreis der deutschen Zeitungen ausgezeichnet. Es folgten diverse weitere Auszeichnungen. Zuletzt der Humanismus-Preis der Humanismus Stiftung Berlin und des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg, der Erasmus-Kittler-Preis der ENTEGA Stiftung und der Aachener Friedenspreis.

Wie sahen die Anfänge des Festivals „Jamel rockt den Förster“ aus, war es von Anfang an ein Festival gegen rechts?

„Das ist es bis heute nicht. Das ist eher, was die Medien daraus machen, weil das natürlich skandalträchtig und Aufmerksamkeit erregend ist. Wir haben 2007 ein Festival für Demokratie und für Toleranz ins Leben gerufen, weil wir – nachdem wir herzogen, ungefähr 1,5 Jahre später – bemerkten, dass hier eine völkische Siedlungsbewegung entsteht. Es sind also ganz gezielt rechtsextreme Familien hier angesiedelt worden von diesem einen Nazi hier im Dorf, den es bereits gab, als wir hierherzogen.

Es war schnell klar, dass wir von diesen neu zugezogenen Familien gemobbt werden. Und wir haben gemerkt: Das einzige, was uns vor den Übergriffen schützt, das ist die Öffentlichkeit. So haben wir angefangen, öffentliche Kulturveranstaltungen in unserem Dorf zu organisieren.“

Und dazu gehörte auch das Musikfestival?

„Genau. Das war damals noch sehr klein, mit selbstgebauter Bühne, mit vielen Nicht-Profi-Bands und wenigen Zuschauer*innen. So kam das alles.“

Wie unterscheidet sich das Festival von kommerziellen Festivals?

„Da gibt es mehrere Punkte. Es gibt einen gemeinnützigen Trägerverein, der das Festival organisiert und Veranstalter ist. Der Verein darf keine Gewinne machen, das heißt, das ganze Festival ist nicht-kommerziell. Es ist komplett ehrenamtlich organisiert. Die Bands, die hier auf die Bühnen kommen, nehmen nicht ihre üblichen Gagen; einen Herbert Grönemeyer oder die Toten Hosen hätten wir mit unserem Budget nicht zahlen können. Es sind also im Grunde Benefizauftritte, wir zahlen nur die Produktionskosten, die bei großen Stars schon auch deutlich höher sind, als man sich das vielleicht vorstellt.

Und schließlich sind wir das einzige Festival, das diesen Bühnenvorhang hat. Das heißt: Die auftretenden Musiker*innen werden im Vorfeld nicht bekanntgegeben. Man erfährt erst, wer als nächste*r spielt, wenn der große Vorhang fällt.“

Warum haben Sie und ihr Mann sich diese Veränderung – den Bühnenvorhang – gewünscht?

„Das hatte den Hintergrund, dass aus unserem weiteren Bekanntenkreis und aus unserem Umfeld hier in der Region Menschen auf uns zukamen und sagten: ,Ach, wenn ich gewusst hätte, dass DIE Band bei euch spielt, wäre ich auch gekommen.’ Genau das ist aber nicht unser Zielpublikum. Unser Zielpublikum sind die Menschen, die sich für gesellschaftspolitische Themen interessieren, die sich engagieren möchten, die sich hier fortbilden möchten – wir haben neben dem Musikprogramm auch ein großes Workshopprogramm und viele Infostände. Diese Menschen wissen, dass wir ein super Line-up haben, aber im Vordergrund stehen die Vernetzung und das Empowerment.“

Auch Sie und ihr Mann wissen nicht, welche Musiker*innen kommen?

„Nein, das haben wir uns tatsächlich gewünscht, dass auch wir es nicht wissen. So können wir nämlich diesen Anfragen: ,Wer spielt denn dieses Jahr bei euch?’ – ohne zu lügen – antworten: ,Sorry, wissen wir auch nicht.’“

Das Foto zeigt Birgit und Horst Lohmeyer auf der Bühne beim Festival „Jamel rockt den Förster“. | © Andreas Hornoff
© Andreas Hornoff
Birgit und Horst Lohmeyer beim Festival.

Kommt Ihnen manchmal der Gedanke: Wahnsinn, was wir hier trotz allem Gegenwind auf die Beine gestellt haben?

„Ja, das passiert uns immer wieder. Wenn dann die Bühne steht und in unserem Garten all diese bekannten Musiker*innen auffahren und mit uns im Gespräch sind – es ist schon gigantisch. Und es zeigt uns einfach: Wir haben etwas richtig gemacht.

Wobei man selbstkritisch sagen muss: Hier in der Region wird es komplett anders aufgenommen, hier wird es nicht geschätzt, sondern man versucht es zu verhindern – schon seit Jahren mit unterschiedlichen Methoden. Das haben wir nicht richtig gekonnt, dass man hier vor Ort die Leute davon überzeugt, dass die Demokratie vielleicht doch das beste Gesellschaftssystem ist, was wir haben. Hier haben wir versagt.“

Versagt? Ist es nicht eher so: Wer hassen will, der hasst?

„Ja, es braucht wahrscheinlich mehr als ein Paar, das einmal im Jahr ein Festival macht. Ich spiele jetzt auf Bildung an. Es ist wichtig, dass man ganz früh und schon in den Kindergärten damit anfängt, Grundsätze von demokratischem Zusammenleben, von gegenseitiger Rücksichtnahme, eben das Gegenmodell von diesen hassenden Rechtsextremen mit den Kindern lebt, bis hin zur Schule, wo politische Bildung gefragt wäre. Und vor allem auch kritischer Medienkonsum gelernt wird. Ich glaube, das sind die Baustellen, die im Moment die wichtigsten wären, um die ganz junge Generation von diesen rechtsextremen Rattenfängern wegzuhalten.

Der Ort Jamel ist eine Art Freilichtmuseum des Neonazitums. Man kann, wenn man hier ins Dorf kommt, innerhalb von Sekunden spüren, welche Atmosphäre hier herrscht, durch all die Nazi-Devotionalien, die hier überall aufgehängt und aufgestellt worden sind und auch die Reaktion der Nachbarschaft auf Fremde ist oft sehr bizarr. Die Region ist verbrannt. Ich kann jeden verstehen, der sagt: Ich würde euch zwar gern unterstützen und in eure Region ziehen, ich mache das aber nicht. Es ist wirklich nicht schön, als offensive Demokrat*in hier zu leben.“

War das in der Vergangenheit schon Thema, dass man hier auch in Form von Zuzug eine Art Gegenbewegung schafft?

„Auf die Idee sind mehrere Leute gekommen, ja. Aber die funktioniert schon deswegen nicht, weil hier in Jamel keine Grundstücke mehr verkauft werden von der Gemeinde. Es gibt keinen Bebauungsplan mehr. Ursprünglich initiiert dadurch, dass so viele Rechtsextreme hergezogen sind und man noch mehr Ansiedlung durch Rechtsextreme verhindern wollte. Was jetzt aber gerade passiert ist, dass in den umliegenden Dörfern rechtsextreme Familien angesiedelt werden. Die rechtsextreme Szene ist da fitter, die macht das einfach. Während Menschen, die sich mit uns solidarisch erklären, die Idee einbringen, es aber dann nicht tun.“

Gab es die Zeit, in der sie die Hoffnung hatten, dass die Menschen hier vor Ort durch Musik und spürbare Verbindung beginnen, anders zu denken?

„Diese Hoffnung haben wir relativ schnell begraben, weil wir merkten, dass wir maximal polarisieren, gerade auch mein Mann Horst und ich als Personen. Die regionale Presse schreibt gerade viel über die Schwierigkeiten, die das Festival in diesem Jahr hat. Und es heißt immer: Birgit und Horst Lohmeyer. Als wären wir hier wirklich die Alleinverantwortlichen. Dass ein Verein dahintersteht, dass sehr viele Dinge nicht nur von uns kommen, sondern von einer großen Organisationsform hinter uns, das wird völlig ignoriert. Wir sind hier die Bösen. Wir sind die Besserwessis. Wir sind diejenigen, die keine Ruhe geben, die nur fordern. Die Liste an Vorwürfen ist immens lang. Entweder man liebt, was wir machen, oder man hasst uns. Und hier in der Region sind die Hassenden doch in der Überzahl.“

Sie müssen auch mit enormen bürokratischen Hürden umgehen im Zuge der Umsetzung des Festivals. Welche Hürden sind das?

„Wir haben massive Probleme, die dringend fürs Festival benötigten Wiesenflächen von der Gemeinde Gägelow, die unsere Gesamtgemeinde ist, zu bekommen. Wir haben sie in den vergangenen Jahren immer zur Verfügung gestellt bekommen, und auch immer gratis. Nun rief diese Gemeinde plötzlich einen Pachtpreis auf. Wir sollten eine Gebühr in Höhe von 15.000 Euro bezahlen für vier Wochen. Diese Fläche liegt das gesamte restliche Jahr über brach und ist sehr ungepflegt. Die Gemeinde kam dann im Lauf der Zeit auf uns zu mit einem Rabattvorschlag, wir sollten 10.500 Euro für die Wiese bezahlen. Inzwischen sind es 7850 Euro.“

Wie haben Sie reagiert?

„Wir sind dagegen vorgegangen. Es gibt nicht einmal eine Gebührenordnung in dieser Gemeinde, woher nehmen sie diese Summen, die sie hier verlangen? Kommunalpolitische Parlamente wie dieser Gemeinderat sollten die Demokratie fördern, indem er auch Projekte wie unser Festival fördert und nicht nutzt, um damit Geld zu verdienen.

Mittlerweile haben wir den Weg gefunden, das ganze Festival als politische Veranstaltung anzumelden. Somit ist nicht mehr die Gemeinde zuständig, sondern die Versammlungsbehörde des Landkreises, doch auch dieser Landkreis macht uns maximale Schwierigkeiten, verzögert die Abläufe. Wir führten drei Gespräche mit dem Landkreis, sogenannte Kooperationsgespräche, die sie immer wieder einberiefen. Die haben Stunden gedauert. Hier sollten alle Fragen geklärt werden. Herausgekommen sind schikanöse Auflagen wie ein absolutes Alkoholverbot, eine exorbitante Anzahl von Ordnern, die wir stellen sollten und noch andere ,Ferkeleien‘. Deshalb sind wir vor Gericht gezogen.“

Aber ein solches Festival braucht Planungssicherheit.

„Absolut. Eine so große Veranstaltung lässt sich nicht innerhalb von zwei Wochen organisieren. Wir brauchen Planungssicherheit, Vorlaufzeiten, und das hat man zu verhindern gewusst. Der Landrat und sogar ein Landtagsmitglied der CDU haben sich in den Medien sehr negativ darüber geäußert, wie wir uns verhalten – sie behaupteten, wir wollten nur Geld sparen. Was faktisch nicht stimmt. Wir möchten diese Pacht nicht zahlen, weil sie zum einen Wucher ist und weil sie zum anderen Tür und Tor öffnet, uns in den nächsten Jahren noch mehr Geld abzuknüpfen. Wir sind aber bereit und in der Lage, bis zum Bundesgerichtshof zu gehen für die Möglichkeit, diese öffentliche Wiesenfläche zu nutzen.“

Wir haben beim FFF DAY, auf dem wir auch Sie als Speakerin begrüßen dürfen, das diesjährige Motto Be Bold. Was ist denn Mut für Sie – aus Ihrer Perspektive, mit Ihrer Geschichte?

„Mut ist für mich keine Kategorie. Ich sage immer, wenn wir zu diesem Mut-Thema befragt werden: Wir sind nicht mutig, wir sind stur. Wir wissen, was wir wollen. In welchem Land wir leben wollen, mit welcher Gesellschaftsform. Und dafür kämpfen wir. Das kann man Mut nennen. Ich nenne es eher Sturheit. Wir lassen uns davon nicht abbringen, für die Demokratie einzustehen. Genauso wenig, wie wir uns aus unserem Dorf vertreiben lassen von rechtsextremen Personen.“

Porträtfoto von Birgit Lohmeyer | © Andreas Hornoff
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Birgit Lohmeyer lässt sich nicht einschüchtern.

Was hält sie in Jamel, bei all den Anfeindungen und Bedrohungen?

„Das sind verschiedene Faktoren. Wir haben hier einerseits eine Immobilie, die wir außer an Neonazis an niemanden verkaufen könnten. Das hält uns schon mal aus finanziellen Gründen.
Uns hält auch, dass die gesamte rechtsextreme Szene, wenn wir hier wegziehen, jubeln und feiern würde. Sie würden das als unsere Niederlage deuten.
Und was ganz wichtig ist: Wir haben ein wunderschönes Grundstück, ein schönes, historisches Gebäude, einen großen Baumbestand, wir leben im Grunde in einem kleinen Park, aus dem wir auch Kraft schöpfen können. Das ist unser Lebenstraum, den wir hier verwirklicht haben.“

Was würden Sie Menschen raten, die sich für eine demokratische Gesellschaft einsetzen möchten, aber Angst haben vor den Konsequenzen, die diesen Rechtsdruck, von dem Sie vorhin gesprochen haben, auch ganz deutlich spüren?

„Also: Die erste Maxime ist, dass sich niemand selbst in Gefahr bringen muss. Das ist manchmal gedanklich schnell verknüpft: Wenn ich mich engagiere, bekomme ich Drohbriefe, werde eingeschüchtert, oder meine Kinder werden zur Angriffsfläche. Das muss man gut überlegen – in welcher Form man sich engagiert, an welcher Stelle, wie man sich selbst und seine Familie dabei schützt.

Und die zweite, ganz wichtige Sache ist: Vernetzt euch, Leute! Wir sind da tatsächlich keine guten Vorbilder, weil wir Einzelkämpfer sind. Ganz wichtig ist, vor Ort zu schauen: Gibt es schon Vereine, Initiativen, Einzelpersonen, die so ähnlich ticken wie ich, mit denen ich mich zusammenschließen kann. Und wir überlegen gemeinsam, wie wir aktiv werden wollen.

Bis hin zu so ganz simplen Dingen. Was die rechtsextreme Szene ganz wunderbar kann, ist dieses Kümmerer-Image zu pflegen. Das heißt, sie greifen Nöte der Bevölkerung auf, gehen in diese Lücke rein und machen Angebote. Dem können wir begegnen, in dem wir sagen: Guckt euch doch mal in eurer Nachbarschaft um, wie sieht’s denn da aus? Hängen die Jugendlichen nur in der Bushaltestelle? Gibts noch ein Jugendzentrum? Wenn nicht: Können wir eins gründen? Oder lasst uns einmal im Monat einen Flohmarkt in unserer Straße organisieren oder organisiert Nachbarschaftsfeste. Das geht alles.

Man muss den Impuls haben: Ich möchte das Gemeinwohl stärken. Das ist der wichtigste Punkt. Wenn wir uns alle wohlfühlen, in unserer direkten Wohn- und Lebensumgebung, dann haben wir doch gar kein Bedürfnis, dieser Partei mit dem großen A hinterherzulaufen. Es ist doch klar: Wenn die an die Macht kommen, wird alles viel schlimmer.“

Foto vom Auftritt der Band Selig beim Demokratie-Festival „Jamel rockt den Förster“. | © Andreas Hornoff
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Auftritt der Band Selig beim Festival „Jamel rockt den Förster“.

Es ist also eine Frage der Verantwortung?

„Ja, ich glaube, uns allen muss klar werden, dass wir verantwortlich sind für die Demokratie, nicht nur die Politiker*innen. Wir sind es. Wir alle. Und da reicht es nicht, sich vor den Fernseher zu setzen und auf ,die da oben’ zu schimpfen, egal auch für wie links man sich selber hält. Sondern jede*r Einzelne muss sich die Frage stellen: Was tue ich denn Positives für unsere Gesellschaft?“

Was kann Kultur leisten, was Politik vielleicht nicht leisten kann?

„Was wir im Fall unseres Festivals immer sagen: Wir machen eigentlich gar keine Musikveranstaltung, wir machen in erster Linie politische Bildung mit dem Medium der Musik. Und genau das ist es: Politische Bildung funktioniert immer dann am besten, wenn sie mit emotionalen Inhalten verwoben ist. Und das ist, glaube ich, ein Bereich, in dem Kunst ganz viel kann. Sie kann Menschen packen, emotional packen, und zugleich noch eine andere Botschaft mitliefern. Oder zumindest dazu anregen, sich Gedanken zu machen.“

In zwei Jahren feiern Sie (klopfen wir auf Holz) ihr 20-jähriges Jubiläum. Wenn Sie zurückblicken: Gibt es Momente, die sich in Ihr Gedächtnis eingeschrieben haben?

„Das eine ist natürlich das Jahr 2015, ungefähr zwei Wochen bevor das Festival starten sollte, als unsere große Scheune angezündet wurde und komplett abbrannte. Das war eine sehr bewegende und traumatische Zeit für uns. Und dann kam der Anruf der Toten Hosen, die davon in der Tagesschau gehört hatten und sich anboten, einen Benefiz-Auftritt zu spielen. Dieser Auftritt war schon gigantisch; Campino holte uns hinterher auf die Bühne. Es war wunderbar. Aber was noch viel toller war, ist, dass er sich ganz viel Zeit für uns genommen hat. Manche Band kommt ja für den Auftritt, bleibt danach noch ein Stündchen hier und reist dann wieder ab. Aber Campino brachte ganz viel Neugier und Interesse mit für das, was wir hier machen, warum wir das machen und wie die Zustände hier bei uns sind. Er verabschiedete sich mit den Worten: ,Wir sind hier jetzt aufgetreten, aber ihr sollt auch in den Folgejahren weiter Unterstützung durch uns bekommen. – Und das war einfach großartig. Das konnten wir zuerst gar nicht glauben. Dass jemand, der so bekannt ist, sich für so kleine Leute interessiert und für dieses Festival. Aber so ist es bis heute. Wir haben von der Agentur, die die Toten Hosen betreut, maximale Unterstützung.

Das andere waren Die Ärzte, die uns mit ihrem Auftritt komplett überrascht haben. Bela B. war schon hier auf dem Festival, mit einer anderen Band. Und quasi hinter unserem Rücken schlichen sich die beiden anderen – Farin und Rod – aufs Gelände. Und plötzlich spielten sie den Song ,Schrei nach Liebe’. Gänsehaut – nicht nur bei uns.

Das waren schon zwei sehr bewegende Momente.“

Auftritt von den Fantastischen Vier beim Festival. | © Andreas Hornoff
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Foto vom Auftritt der Band Die Fantastischen Vier beim Demokratie-Festival „Jamel rockt den Förster“.

Geben Ihnen solche Begegnungen und überraschenden Momente Rückenwind für Ihren Mut respektive für Ihre Sturheit?

„Auf jeden Fall. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum viele das Festival bekämpfen wollen: Weil es uns über das Jahr hinweg stärkt. Weil wir mindestens die 3500 Besucher*innen, die jedes Jahr hierherkommen, auf unserer Seite haben. Und wir wissen, dass wir in ganz Deutschland Menschen haben, die auf unserer Seite stehen und genau verfolgen, was hier im Dorf passiert. Das ist sehr stärkend. Das gibt uns wahnsinnig viel Energie.“

Angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen, des wachsenden Rechtsdrucks und der gesellschaftlichen Polarisierung – welche Vision leitet Sie persönlich in Ihrem Engagement, und was lässt Sie trotz allem hoffnungsvoll nach vorn blicken?

„Hoffnung machen mir die jungen Menschen, die sich für die Demokratie einsetzen. Die sich einbringen in unserer Gesellschaft. Die auf die Straße gehen und etwas tun gegen die Klimakatastrophe und gegen rechte Hetze. Es hat mich auch sehr gefreut und gestärkt, als Anfang letzten Jahres die großen Demonstrationen für Demokratie deutschlandweit stattfanden.

Da war zu spüren, wie viele Menschen doch gerne weiter in einer Demokratie leben wollen. Denen bewusst ist, wie gefährdet diese Gesellschaftsform gerade ist. Ein wenig enttäuschend war, dass die Politik das leider überhaupt nicht aufgenommen hat; die Menschen, die demonstriert haben, hätten viel mehr Gehör in politischen Gremien, wie zum Beispiel Bürgerräten, finden müssen. Und doch: Es gibt auf jeden Fall ein Gesellschaftspotenzial, das Hoffnung macht, dass die Faschist*innen nicht in der Mehrheit sind. Aber wir alle müssen sehr wachsam sein.“

Birgit Lohmeyer ist Speakerin beim FFF DAY!

Am 11. Oktober 2025 findet im bcc Berlin der FFF DAY statt. Gemeinsam mit weiteren Speaker*innen spricht Birgit Lohmeyer auf der Konferenz über Demokratiebewegungen in Ostdeutschland, auf dem Panel:
„Der Osten rettet die Demokratie"
Wie können wir aktiv zur Verteidigung der Demokratie beitragen – mit konkreten Ideen, alltagstauglichen Strategien und dem Mut, festgefahrene Vorurteile aufzubrechen. Besonders in der ostdeutschen Provinz ist dieser Einsatz oft mit größerem persönlichen Risiko verbunden – hier braucht es unvergleichbar mehr Mut, sich für demokratische Werte starkzumachen.

Du möchtest bei dem Panel dabei sein? Unter fffday.com findest du Infos zur Konferenz, zum Programm, zu den diesjährigen Speaker*innen und deinem Ticket, das du hier sichern kannst.

Werbebanner für den FFF DAY am 11. Oktober 2025. Motto: Be Bold!  | © EDITION F
© EDITION F

„BE BOLD“ ist das Motto des FFF DAY am 11. Oktober 2025!

Beim FFF Day 2025 im bcc Berlin feiern wir den Mut, für Menschenrechte und Demokratie einzustehen. Wir wollen den verschiedenen Facetten von Mut Raum geben – weltweit und individuell. Gemeinsam erkunden wir, wie Mut sich in unterschiedlichen Kontexten zeigt, wie Privilegien unsere Perspektive darauf prägen und was Mut bewirken kann. Unter dem Motto „Be bold“ feiern wir mutige Menschen, die Grenzen überwinden und Veränderung schaffen. Freu dich auf inspirierende Keynotes, internationale Stimmen und vielfältige Begegnungen, die Mut sichtbar und spürbar machen. 

Lasst uns zusammen mutig die Zukunft gestalten! Sichere dir dein Ticket JETZT!

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