Man sagt, ein Kind verändere das ganze Leben. Doch als ich schwanger wurde, wollte ich gar nicht, dass sich mein Leben verändert. Ich war zufrieden. Sollte ich das wirklich aufs Spiel setzen? Es gegen Nächte ohne Schlaf und Schwangerschaftsstreifen eintauschen?
Ein Moment, ein Gefühl, ein neues Leben
2. Dezember 2015
Schwanger. Ich stehe im winzigen Badezimmer unserer alten Wohnung und starre auf zwei rote Streifen. „Ich bin schwanger“, in Dauerschleife murmele ich diesen Satz vor mich hin, während mein Blick zum Spiegel wandert und ich mir selbst in die ungläubigen Augen blicke. „Ich bin schwanger“, sage ich. „Oh mein Gott, ich muss es Franz sagen“, denke ich. „Ich bin schwanger“, sage ich. „Der kommt erst in ACHT STUNDEN“, denke ich. „Mein ganzes Leben wird sich ändern!“, denke ich. „Oh mein Gott“, sage ich jetzt laut zu meinem Spiegelbild. „Ich bin echt schwanger.“
Ich setze mich auf den Rand der Badewanne und ziehe vorsichtig mein T-Shirt ein Stück nach oben, sodass ich meinem Bauch sehen kann. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, vielleicht wenigstens eine winzig kleine Veränderung, irgendetwas das mir zeigt: Hey, du bildest dir das nicht ein. Aber da ist rein gar nichts. Da passiert etwas so Einschneidendes in meinem Leben und ich habe nichts als zwei blassrosa Striche auf einem Stück Pappe, die das beweisen. Mit nur einem Finger berühre ich meinen Bauch und flüstere „Hallo“. Ich komme mir seltsam vor, aber es fühlt sich gut an. Ganz leise, fast schon heimlich, als könne mir jemand zuhören sage ich es noch einmal: „Hallo“. Meine ganze Hand liegt nun auf meinem Bauch. Ich kann sie nicht sehen, die Veränderung, aber ich spüre auf einmal, dass sie so viel mehr ist als zwei rote Striche. Es fängt an, ein neues Leben.
11. Juni 2016
Es ist ein Samstagabend, eine Freundin feiert Geburtstag. Ich stehe vor dem Kleiderschrank und ziehe ein T-Shirt nach dem anderen heraus. Fast schon mechanisch komme ich mir dabei vor: Herausziehen. Nase rümpfen. Zurückstopfen. Verdammt, ich habe NICHTS ZUM ANZIEHEN. Nichts. Franz kommt aus dem Badezimmer. „Können wir los?“, fragt er. „Nein!“ Ich muss mich beherrschen nicht zu brüllen. „Nein, können wir nicht“, meine Stimme klingt ruhig. Franz merkt es nicht. „Warum nicht?“, fragt er arglos. Stumm zeige ich auf meinen Bauch. „Weil ich aussehe als hätte ich nen Fußball verschluckt“, lege ich los. „Weil mir nichts mehr passt. Weil ich auf eine Party gehe und mir beim Tanzen vorkomme, wie ein Walross auf zwei Beinen. Weil ich müde bin und nicht müde sein will. Weil mir schon wieder schwindelig wird und weil ich nicht WILL, dass mir schwindelig ist“, mittlerweile stehen meine Augen voller Tränen. „Hey …“, sagt Franz liebevoll und will meine Arme greifen. Ich schlage sie zur Seite. „Ja DU, du hast gut Reden. Für DICH ändert sich nichts. DU gehst munter feiern und trinkst Bier und kannst danach schlafen ohne dauernd zum Klo zu rennen und FÜR DICH ändert sich NICHTS. Für mich ändert sich ALLES“, völlig aufgelöst stehe ich vor ihm. Er sieht mich an. „Sieh mich nicht so an. Bring mich BLOSS NICHT zum Weinen. Ich WILL nicht weinen“, sage ich und versuche entschieden, die Tränen wegzublinzeln. „Komm her“, sagt Franz nur und zieht mich in seine Arme. „Ich HASSE das“, schluchze ich. „Ich WILL nicht weinen. Immer bringst du mich zum Weinen“. „Das ist mein Job, ich bin schließlich dein Mann“, sagt er nur. Eine ganze Weile stehen wir so da, mein Kopf an seiner Schulter, sein T-Shirt nass von meinen Tränen. „Ich habe Angst“, sage ich. „Ich weiß“, sagt er. „Ich habe Angst, dass sich alles ändert, dabei mag ich es doch wie es ist.“ „Ich weiß“, sagt er wieder. „Was ist, wenn ich das alles gar nicht WILL?“, frage ich ihn. „Inga“, behutsam zieht er mein Gesicht am Kinn in seine Richtung und zwingt mich ihn anzusehen. „Du kannst nicht alles kontrollieren“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Es ist alles gut“. Er legt seine Hand auf meinem Bauch und wie auf Kommando antwortet seine Tochter mit einem zünftigen Tritt. Ja, die Veränderung in unserem Leben macht sich mittlerweile schon recht energisch bemerkbar. Obwohl ich es nicht will, muss ich lächeln. „Siehst du“, sagt Franz. „Sie bringt dich ja jetzt schon zum Lachen.“ Mit einem Grinsen schiebt er mich zurück in Richtung Kleiderschrank. „So, und jetzt los. Wenn du schon kein Bier trinken darfst, dann kannst du mir ja wenigstens dabei zugucken“.
2. August 2016
„Willkommen Zuhause“. Behutsam stellt Franz den Maxicosi auf den Esstisch in unserer Wohnung. „Hier wohnst du jetzt“, sagt er überschwänglich und präsentiert seiner schlafenden Tochter mit einer ausholenden Armbewegung unser winziges Wohnzimmer, als sei es der Thronsaal im Buckingham Palace. Ich bin überglücklich und obwohl ich total erschöpft sein müsste, habe ich mich selten energiegeladener gefühlt. Nach fünf kräftezehrenden Tagen, die Freja auf der Intensivstation im Krankenhaus verbringen musste, sind wir endlich dort angekommen, wo wir hingehören. Zuhause. Als Familie. Es kommt mir vor als wäre ich eine Ewigkeit weg gewesen. Während ich mich aufs Bett fallen lasse, erinnere ich mich, wie ich nur wenige Tage zuvor an genau derselben Stelle zu Franz sagte „Es hat Plopp gemacht in meinem Bauch.“ Es scheint mir, als wäre das Jahre her. Es ist fast schon unwirklich, nun tatsächlich zu dritt in dieser Wohnung zu sein, die bis jetzt ausschließlich die Erinnerungen an ein Leben zu zweit beherbergte. „Dies hier ist die erste Erinnerung, die ich an uns als Familie haben werde“, denke ich, während ich mich in Franz Arm kuschele und dabei dem Atem meiner Tochter lausche, die nun direkt neben meinem Kopf auf der Brust ihres Vaters schläft. Nach der Achterbahnfahrt der letzten Tage fühle ich mich das erste Mal so, als sei ich angekommen. Es ist als hätte alles in mir schon immer auf diesen einen Moment gewartet. Wir sind eine Familie. Sicher. Klar. Selbstverständlich. Ich möchte diesen Moment einatmen, ihn aufbewahren und immer dann herausholen können, wenn Zweifel, Ängste oder Sorgen ihn zu überschatten drohen. Er fühlt sich kostbar an, so viel kostbarer als alles andere was ich bisher erlebt habe und egal mit welchen Worten ich ihn auch beschreibe, sie alle klingen viel zu banal um ihm gerecht zu werden. Es ist ein Moment voll von Ruhe und dem stillen Glück, dass alles genauso ist wie es sein muss. Alles ist richtig. Und während ich meine Tochter betrachte, frage ich mich, wie ich jemals fürchten konnte, dass dieses Mädchen mein Leben auf eine Weise verändern könnte, die nicht ausschließlich das Beste wäre, was mir je passieren würde. In diesem Moment bin ich mir einer Sache so sicher, wie ich es tatsächlich zuvor noch niemals war: Egal wie es wird, das Leben als Familie, niemals wird es etwas geben, das Lohnenswerter sein könnte.
Heute
Ich schätze das ist es, was mein Leben am meisten verändert hat, seitdem ich Mutter bin: Dieses bedingungslose Selbstverständnis, das einfach handelt und niemals etwas in Frage stellt. Dieses Selbstverständnis, das einen dazu bringt Dinge zu tun, die man sich im Traum nicht vorstellen kann, bevor man es selbst erlebt.
Noch in der Schwangerschaft hatte ich Angst vor alldem, was man so hört über das Leben mit Kindern. Ich wollte nicht über Monate oder gar Jahre keine Nacht mehr schlafen. Ich wollte nicht meinen Platz in Franz Armen hergeben. Ich wollte nicht, dass sich mein Körper verändert. Ich wollte sowohl mein Liebesleben als auch meine Haare und gerne auch die Form meiner Brüste behalten. Ich wollte nicht auf Partys verzichten. Ich wollte meinevn Job behalten und mein eigenes Geld verdienen. Ich wollte mich nicht ausschließlich über Haushalt und den richtigen Gemüsebreit definieren müssen. Ich wollte, dass meine Beziehung blieb wie sie war. Ja, ich hatte echt Angst. Angst vor dem was passieren könnte. Angst vor dem, was ich in Büchern oder Magazinen las. Was ich von anderen Müttern hörte. Und ja, es ist einiges von dem eingetreten wovor ich Angst hatte und ich würde lügen, wenn ich sagte, alles wäre einfach gewesen. Es war nicht immer einfach. Aber es war richtig. Es war so richtig wie etwas nur sein kann und egal was passierte, diese Selbstverständlichkeit mit der ich jedem Problem begegnete, überraschte mich selbst.
Mein Kind zur Welt zu bringen, war wohl das Schwerste was ich jemals getan habe, es gab in meinem Leben aber auch noch niemals etwas, das sich so richtig angefühlt hat. Mein Leben hat sich auf eine Weise verändert, die so viel tiefer ist, als alles, was ich kannte. Denn egal was kommt und egal wie schwierig es wird – da ist dann dieses Kind für das man alles einfach tut.
Ja, ich habe streckenweise über Monate nicht mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen. Ja, ich habe meinen Platz in Franz Armen zeitweise abgeben müssen. Ja, ich habe auf die ein oder andere Party verzichtet. Ja, ich bin in meinem Job nicht dort wo ich gerne sein würde. Und ja, meine Brüste hatten auch mal eine andere Form. Und ja, natürlich ärgert mich das manchmal, es bringt mich an meine Grenzen und es zwingt mich zur Auseinandersetzung. Aber das ist gut. Denn im Grunde ist es nicht so wichtig WIE ich diese Herausforderungen meistere, es zählt nur, DASS ich es tue. Für meine Tochter – und damit auch für mich.
Und so ist es im Endeffekt Freja, die mich zu dem Menschen macht der ich sein kann. Sie hat es mir geschenkt, dieses Gefühl unseres ersten gemeinsamen Momentes Zuhause, als ich mich fragte, wie ich jemals fürchten konnte, dass dieses Mädchen mein Leben auf eine Weise verändern könnte, die nicht ausschließlich das Beste ist, was mir je passieren könnte. Es gibt noch heute keine Sache von der ich mir je sicherer sein werde: Egal wie es ist, das Leben als Familie, niemals wird es etwas geben, das Lohnenswerter sein könnte.
Inga ist Fotografin und lebt in NRW. Dieser Beitrag ist zuerst auf ihrem Blog „Im Augenblick“ erschienen, auf dem sie darüber schreibt, dass Familie vieles heißt, „aber ganz sicher nicht das Ende von Liebesleben und Selbstverwirklichung“. Wir freuen uns, dass sie den Text auch hier veröffentlicht.
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