Foto: Asdrubal lun | Unsplash

Über die Ängste, die in Beziehungen entstehen

In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, was in Beziehungen besonders viele Ängste auslöst.

Ich liebe dich, und das macht mir Angst

„Ich habe manchmal das Gefühl, er sieht mich ganz anders an als früher. Wo ist dieser verliebte Blick geblieben? Ich vermisse das!“ Meine Freundin stochert gedankenverloren in ihrer Pasta. „Wir waren mal eine Einheit. Wir gegen alle. Wir, ohne Kompromiss wir. Heute habe ich das Gefühl, dass wir nicht mehr so selbstverständlich sind.“ „Wie meinst du das?“, frage ich. „Ich liebe ihn so sehr, und genau das macht mir Angst. Ich habe Angst, dass er mich nicht mehr so liebt, wie es einmal war. Dass er mich vielleicht gar nicht mehr liebt.“ Ich will irgendetwas Beschwichtigendes sagen. Will sagen, dass das doch Quatsch ist, wieso sollte er sie nicht mehr lieben? Aber ihr verunsicherter Blick lässt mich dann doch die Plattitüden schlucken und sie lieber in den Arm nehmen.

Ich musste noch lange an diesen Abend denken, an diese Angst, die Liebe in einem auslösen kann, neben allem Guten, das sie bringt. Weil, wer liebt und geliebt wird, eben nicht nur viel geschenkt bekommt, sondern auch verdammt viel zu verlieren hat. Einen Herzensmenschen, ein Leben, das man gemeinsam aufgebaut hat. Echte Nähe zuzulassen, braucht so unfassbar viel Mut, weil wir alle wissen, dass genau aus dieser Nähe eine krasse Einsamkeit entstehen kann, wenn derjenige wieder geht. Einsamkeit, von der man nicht gewusst hat, die man nie gespürt hätte, hätte es den anderen nicht gegeben. Liebe ist schön, sie kann aber einem auch sehr viel abverlangen. Doch was macht am meisten Angst?

Wenn ich spontan tippen müsste, wäre es ein Seitensprung gewesen,
aber interessanterweise ist das nicht, was Menschen in ihrer Beziehung
am meisten umtreibt – das zumindest besagt eine aktuelle Studie von Elitepartner, für die rund 12.000 liierte und nicht liierte Menschen zu ganz verschiedenen Aspekten rund um das Thema Liebe befragt wurden. Und die Antworten zeigen: Die größten Ängste ranken sich vielmehr um einen selbst – und die eigene Unzulänglichkeit.

Das sind die größten Ängste

So findet sich unter den größten Ängsten die Sorge, dass der oder die Partnerin nicht mit dem Sexleben zufrieden sei, einen nicht mehr attraktiv finde, nicht mehr lieben könne und dass er oder sie sich vielleicht trennen möchte. Oder anders gesagt, speisen sich die Ängste oft aus diesen Gedanken: Reiche ich, bin ich genug, um geliebt werden zu können? Leiste ich genug? Sehe ich so aus, dass ich begehrt werden kann? Diese Ängste, bei denen Frauen und Männer tatsächlich ziemlich gleichauf liegen, sind so nachvollziehbar, wie sie wahrscheinlich wenig mit den Beziehungen an sich zu tun haben. Oder sie geben eine Auskunft über Beziehungen, die in einer Zeit bestehen müssen, in der Liebe meist eine recht kurze Halbwertszeit hat. Muss man heute mehr leisten, um eine Beziehung am laufen zu halten und bei den vielen Wechseln, diejenige zu sein, die etwas hat, das hält? Ja, wäre die schnelle Antwort – ich habe für mich trotzdem eine andere gefunden.

Aber erstmal zur These, dass Beziehungen Menschen heute mehr abverlangen. Natürlich liegt es nahe, dass wir heute auch in Liebesdingen mehr leisten müssen, schließlich sind wir in fast allen Lebensbereichen zu Super-Optimierern geworden, die immer höher, schneller, weiter wollen. Und Super-Optimierer sind mit sich selbst nie fertig, sie sind nie genug – und genau das ist das Problem. Wenn ich so wie ich bin, nie der perfekte Mensch sein kann, weil immer noch mehr ginge, dann fällt es auch schwer, diesen nicht perfekten Menschen anzunehmen, zu lieben oder aber zu glauben, auch mit der eigenen Unperfektion geliebt werden zu können. Will wirklich jemand mich, wenn da draußen so viel Besseres wartet? Wer selbst Perfektion anstrebt, glaubt sicherlich auch nur zu gerne daran, dass auch alle anderen auf der Suche danach sind – Ergo: Es von einem verlangen. Aber ist das wirklich so?

Und hier komme ich zur anderen Antwort: Ich glaube nicht, dass jemand heute mehr „leisten“ muss, um eine Beziehung zu erhalten als früher, weil Leistungsdruck generell in Beziehungen nichts zu suchen hat. Niemand muss sich beweisen, um geliebt zu werden. Ist es doch so, sollte man sich diese Liebe mal ganz genau anschauen, und sich fragen, ob man hier wirklich an der richtigen Stelle gelandet ist. Vertrauen kann man sich erarbeiten, Liebe nicht. Und Liebe kommt und bleibt auch nicht deshalb, weil man sie „verdient“, weil man funktioniert. Zudem ist das Anstreben von Perfektion ja nicht nur deshalb eine Illusion, weil wir nun einmal Menschen sind, sondern weil das, was als perfekt wahrgenommen wird, ein ziemlich weites Feld ist, und das nur jeder individuell für sich beantworten kann.

Im Alter wird alles gut – weil wir gut zu uns werden

Was also machen mit den Ängsten? Vielleicht einfach älter werden. Denn tröstlicherweise nehmen sie laut der Studie mit jedem Lebensjahr mehr ab – mit Ausnahme jener, dass es Unzufriedenheit mit dem Sexleben geben könnte (aber auch das ist doch eigentlich schön: Sex und Körperlichkeit bleiben also entgegen vieler Meinungen auch im hohen Alter wichtig). Dass die Ängste abnehmen, liegt sicherlich einerseits daran, dass einem mit den Jahren vielleicht aufgeht, dass Äußerlichkeiten nicht der Leim sind, mit denen Beziehungen zusammengehalten werden, sondern Vertrauen und ja, Commitment, für den anderen. Aber auch die Erfahrung, schon vieles zusammenerlebt und gemeistert zu haben, ohne dass der andere ging. Man darf sich also aufs Alter freuen. Aber vielleicht schaffen wir es auch früher, uns mehr anzunehmen, uns selbst ein wenig mehr zu mögen, und ein paar dieser Ängste, ungenügend zu sein, abzubauen – und so einen ähnlich liebevollen Blick auf uns zu entwickeln, den ganz viele auf uns haben, nur eben nie der Feind, der in den Spiegel schaut, der auf das eigene, scheinbar langweilige Sein blickt.

Und in der Zwischenzeit hilft neben dem Versuch der Selbstakzeptanz bei jeder einzelner dieser Sorgen: Mehr miteinander zu reden! Gerade über Sex, der offensichtlich das größte Rätsel ist – und zwar davor, danach und dabei. Wer weiß, was der andere schön findet, oder wie häufig er oder sie sich Sex wünscht, und darüber zu sprechen, warum es wie im Bett (oder der Waschmaschine, dem Flur und dem Esstisch) läuft, kann dem elenden Kopfkino nämlich in den meisten Fällen ein Ende bereiten. Außerdem ist es verdammt sexy, sich diese Dinge anzuvertrauen. Wie immer und überall im Leben ist Kommunikation eben auch und gerade in einer Beziehung King. Lieben ohne auch mal zu leiden ist sicherlich eine Träumerei – aber vielleicht macht die Liebe trotzdem nach ein paar Gesprächen doch wieder mehr Mut, als dass sie Sorgen bereitet. Einen Versuch wäre es doch wert.

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