Während vor zehn Jahren noch der Camping-Urlaub in Italien als außergewöhnlich galt, walten heute neue Gesetze: exklusiver geht immer. Und zwar in allen Bereichen des Lebens. Ein Plädoyer dafür, warum wir diesen Wettbewerb stoppen sollten.
Kimchi, what?
Tomaten, Butter und Brot lege ich behutsam in meinen Einkaufskorb, während ich an den bunten Regalen im Bio-Laden vorbeihusche und nur noch irgendwelche K’s wahrnehme: Kimchi, Kombucha, Kale. K-What? Ich kenne nur K wie Käse und steuere vorbei an den Produkten schnurstracks auf K wie Kasse zu. Ich meine, klar, es ist ja nicht so, dass ich noch nie in einem Bioladen war, oder dass ich mich immer nur von Brot und Kartoffeln ernähre – aber wann ist aus dem Bio-Lebensmittelladen eine Instagram-Lebensmittel-Bibliothek geworden, die erst mal ein zeitintensives Studium der Produkte erfordert, bevor man überhaupt deren Zweck und Sinn erkennt?
Ich fühle mich öde. Öde, weil ich lieber beim Alten und Gewohnten bleibe, anstatt die Produkte hin- und her zu wenden und aus einem alltäglichen Einkauf eine Tagesbeschäftigung zu machen.
Wo ist das „Normale“ geblieben?
Dieses Gefühl, dass das Herkömmliche der Inbegriff von Langeweile und alles Neue so viele exklusiver und hipper ist, ist mir allerdings nicht ganz fremd. Das habe ich, wenn ich von Urlauben auf Guadeloupe lese, von Elternzeiten und Buch-Schreib-Phasen in Island, Südafrika und Ubud. Von Ausbildungen in New York und Studentenzeiten in Cambridge. Von neuen, geheimen Cafés und Bars, von den perfekten Detox-Rezepten, von den neuesten, „nischigsten“ Labels.
Neu. Neu. Neu. Mir brummt davon der Kopf. Während vor zehn Jahren noch der dreiwöchige Familien-Campingurlaub in einem der deutschen Nachbarländer, die Pizza mit Käserand und die Klamotte von H&M als „krass“ galten, walten heute andere Maßstäbe: Je außergewöhnlicher, desto besser. In ist, was neu und (noch) selten ist. Was in Fällen wie H&M erfreulich sein mag, lässt in anderen Bereichen wie dem Reisen, der Ernährung oder der Kleiderwahl jedoch einen unheimlich großen Druck entstehen.
Statussymbol statt Erfahrung
„Ach, das kann doch auch nett werden“, meinte letztens jemand zu mir, nachdem ich ihm von meinen innereuropäischen Urlaubszielen, die ich 2018 ansteuern werde, erzählt habe. Nach dem Motto: Es gibt definitiv schönere Orte, als den, den du dir ausgesucht hast, aber hey, Kopf hoch. Auch dort kannst du schöne Tage verleben. Wo ist bitte unsere Normalität geblieben?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich die Urlaubsfotos der anderen nicht tangieren. Das tun sie. Aber manches ist einfach nicht drin. Und von manchen Dingen müssen wir uns auch nicht beeinflussen lassen. Denn als ob all die Dinge, die Reisen und die perfekt arrangierten Mahlzeiten, ausschließlich zum eigenen Vergnügen wären. Sie werden zu Statussymbolen, Online-Visitenkarten und Wettbewerben anstatt zu persönlichen Erfahrungen, die man früher in einer Welt ohne Social Media vermutlich einfach „nur“ für sich behalten hätte.
Vielleicht ist das auch einfach nur eine Sache, die in meiner Blase existiert. Aber ich vermisse die Menschen, die ihrem Lieblingscafé treu bleiben, unabhängig davon, wie bekannt oder unbekannt es ist (ohne ständig zu betonen, dass sie das Café schon jaaaaahrelang kennen), die ihre Kartoffelmatsche genauso fotografieren wie ihre Matcha-Bowl, die sich in Jogginghose zeigen genauso wie in ihrem Fashionweek-Outfit, die ihre Familien-Wochenenden auf dem Land gleichermaßen dokumentieren wie ihre Pressereise nach Toronto. Wie wäre es mit mehr Sinn für Realität, weniger Hype und weniger K wie Kalkül?
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