Eine Führungsposition in Teilzeit – das geht? Kaum eine Frage im Bereich HR hat es in den vergangenen Jahren geschafft, so stark zu polarisieren. Wir haben uns mit zwei Führungskräften, die in Teilzeit bei ALDI SÜD arbeiten, getroffen und von ihren Learnings erfahren.
„Ich würde mich über weitere Beispiele freuen, die noch deutlicher zeigen, dass Familie und Beruf durchaus vereinbar sind“, sagt Janina, die als Managerin in Teilzeit in der Kommunikation bei ALDI SÜD arbeitet und damit bestes Beispiel dafür ist, dass es funktioniert. Das findet auch ihre Kollegin Gisela, Director im International Buying bei ALDI SÜD, die sich für eine 4-Tage-Woche entschieden hat. Die Vorteile des Modells seien enorm, findet Gisela – und zwar für alle Beteiligten. Janina und Gisela sprechen von Effizienz, Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber und fokussiertem Arbeiten. Wir haben die beiden zum Interview getroffen und erfahren, warum Führung in Teilzeit eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten sein kann.
Ihr habt beide eine Führungsposition, arbeitet aber in Teilzeit. Warum und vor allem wie funktioniert das?
Janina: „Zuallererst funktioniert das natürlich nur dank der offenen Haltung und dem Vertrauen unserer Kolleg*innen und Vorgesetzten. Auch wenn meine Abteilung in dieser Hinsicht schon recht weit ist, war es zu Anfang trotzdem für alle eine Umstellung.“
Gisela: „Das ist bei mir ganz genauso. Dadurch, dass ich an einem Tag in der Woche nicht im Büro bin, habe ich zwangsläufig einen höheren Organisationsgrad als zuvor, das lässt sich aber durch Besprechungen mit meinen Mitarbeiter*innen und das Loslassen meinerseits – auch ein wichtiges Learning für mich – gut auffangen.“
Janina: „Weitere Gründe, warum das Modell für mich aufgeht: Eine verlässliche Nachmittagsbetreuung für meine Kinder, unsere Haushaltshilfe, die Unterstützung meines Ehemanns und ein Stück weit auch meine eigene Belastbarkeit. Da ist jeder anders.“
Was waren eure Motive für eine Führungsposition in Teilzeit?
Gisela: „Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt mit einigen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und einfach das Bedürfnis nach einer veränderten Work-Life-Balance mit mehr Zeit für Freund*innen, Familie, Sport und Hobbys.“
Janina: „Mir ging es um die Vereinbarkeit mit der Familie. Ich wollte eine Führungsposition besetzen, aber auch noch Zeit für meine Kinder haben.“
Wie schafft ihr es, den Kopf dann auch auszuschalten, die Freizeit zu genießen und nicht ständig an die To-do-Liste zu denken?
Gisela: „Abschalten konnte ich schon immer gut, daran hat auch die Teilzeitposition nichtsgeändert. Wenn ich nach Hause fahre, lasse ich den Arbeitstag Revue passieren und schließe dann damit ab. Mein Team arbeitet sehr strukturiert und zuverlässig. Das hilft natürlich ungemein, weil ich so immer das Gefühl habe, dass uns nichts Wichtiges durch die Lappen geht. Klar kommt es ab und zu vor, dass ich zu Hause noch mal an das eine oder andere To-do denke. Das ist aber eher die Ausnahme.“
Janina: „Die Kinder sorgen automatisch dafür, dass ich nicht mehr an das Büro denke, sobald ich zu Hause bin. Und wenn doch, dann macht mir das nichts aus. Ehrlich gesagt stresst mich eher meine private To-do-Liste, für die ich abends, wenn meine Kinder im Bett sind, einfach zu platt bin.“
Funktioniert der pünktliche Feierabend – oder ist der eine Illusion?
Janina: „Der funktioniert. Es hängt ja von mir ab. Wobei ich es auch genieße, wenn unsere Tagesmutter mal die Kinder abholt und ich keine feste Deadline habe, sondern auch mal länger im Büro bleiben kann. Das mindert den Stress im Büro. Aber ich freue mich auch genauso, das Büro pünktlich zu verlassen und meine Kinder selbst abzuholen.“
Gisela: „Es kann natürlich immer mal kurzfristig etwas dazwischenkommen, was den pünktlichen Feierabend verzögert. Das ist allerdings keine Frage der Teil- oder Vollzeit, sondern etwas, das einfach hin und wieder passiert. “
Würdet ihr sagen, dass ihr im Vergleich zu einer Vollzeit-Führungsposition unter größerem Druck steht? Wenn ja, wie geht ihr mit euren eigenen, aber auch mit den Erwartungen euer Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten um?
Janina: „Einerseits ja, weil ich darauf angewiesen bin, dass meine Kolleg*innen mich abholen, wenn ich mal etwas verpasse – wobei das dank Laptop und Handy kaum passiert. Und auch, weil ich eben nur ein festes Zeitfenster für das Erledigen der Arbeit habe. Andererseits müssen sich Vollzeitkräfte genauso auf ihr Team verlassen können.“
Gisela: „Manchmal wird es an dem Tag vor sowie nach meinem freien Tag schon mal etwas hektischer. Es müssen dann ein paar mehr Dinge besprochen, erledigt oder nachbearbeitet werden. Meine Mitarbeiter*innen müssen mich auf den neuesten Stand bringen, aber auch das ist nicht weiter schlimm. An meinem freien Tag haben meine Mitarbeiter*innen eine feste Ansprechpartnerin, an die sie sich wenden können.“
Würdet ihr sagen, eine Teilzeit-Führungsposition ist eher Frauensache?
Janina: „Derzeit ja, aber viele Männer würden sicherlich auch gerne weniger arbeiten. Ich kenne mehrere Manager*innen, die Teilzeitstellen haben und deren Vorgesetzte hochzufrieden sind.“
„Wir brauchen mehr Beispiele, die zeigen, dass es keine Notlösung ist, sondern für alle Beteiligten ein Gewinn sein kann, Familie und Beruf zu vereinen.“
Gisela: „Ich denke, derzeit ist es eher noch eine Frauensache – zumindest ist mir gerade kein Kollege bekannt, der in Teilzeit arbeitet. Das kann aber auch daran liegen, dass einige meiner Kollegen Alleinverdiener sind und daher eine Teilzeitbeschäftigung für sie allein aus finanziellen Gründen nicht in Frage kommt.“
Warum profitieren eurer Meinung nach Unternehmen davon, Führungsrollen in Teilzeit anzubieten?
Gisela: „Ob für Mütter, die aus der Elternzeit an den Arbeitsplatz zurückkehren wollen, oder Mitarbeiter*innen, die sich in einer Phase der Veränderung befinden – die höhere Flexibilität kann dabei helfen, Job und Privates unter einen Hut zu bekommen. Dadurch bleiben gut ausgebildete – und oft langjährige – Mitarbeiter*innen dem Unternehmen auch in Schlüsselpositionen erhalten – win win für beide Seiten!“
Janina: „Das stimmt. Ich denke auch, dass die Person in Teilzeit eine starke Loyalität dem Unternehmen gegenüber entwickelt – genauso wie ihr Umfeld, das zeigt, wie gut das Modell funktionieren kann. Wir brauchen mehr Beispiele, die zeigen, dass es keine Notlösung ist, sondern für alle Beteiligten ein Gewinn sein kann, Familie und Beruf zu vereinen. Solche Vorbilder ermutigen andere Frauen und Männer dazu, nicht von vornherein ‘aufzugeben‘. Unternehmen können von Potenzialen profitieren, die sonst verloren gingen, und sich nebenbei als attraktive Arbeitgeber*innen präsentieren.“
Gab es Momente, in denen ihr an dem Arbeitsmodell gezweifelt habt? Wollt ihr einen Moment mit uns teilen – und auch, was euch danach wieder vom Konzept überzeugt hat?
Janina: „Ich schätze mich extrem glücklich, dass ich einen interessanten Job habe und gleichzeitig meine drei Kinder genießen kann. Ich arbeite leidenschaftlich gerne, bin aber auch von Herzen gerne Mutter. Deswegen könnte ich mir ein Modell, bei dem ich meine Kinder erst abends nach sieben sehe, momentan nicht vorstellen. Ich habe aus meiner Sicht das Beste aus zwei Welten. Allerdings kann es so auch nicht für immer bleiben, denn aktuell bleibt keine Minute für mich. Das führt zu einer sehr hohen persönlichen Belastung, die ich mal besser und mal schlechter vertrage. Und natürlich packt mich trotzdem mal das schlechte Gewissen – der Familie, aber auch meinem Arbeitgeber gegenüber.“
Gisela: „Seit ich mich für dieses Modell entschieden habe, habe ich den Schritt keinen Tag bereut oder infrage gestellt. Ich bin mit meiner Work-Life-Balance absolut happy – jede Woche freue ich mich erneut über meinen zusätzlichen freien Tag und die Zeit, die mir dadurch zur Verfügung steht!“
Was habt ihr durch das Konzept Führung in Teilzeit gelernt, was ihr vorher noch nicht über euch wusstet?
Janina: „Dass Führung in Teilzeit eigentlich gar kein Problem ist – solange man ein Team und Vorgesetzte hat, die mitziehen. Die Kunst ist, dass alle am Ende voneinander profitieren. Und das kann gelingen.“
Gisela: „Ich habe gelernt, mehr loszulassen und zu delegieren und mich guten Gewissens auf meine Mitarbeiter*innen zu verlassen. Auch sie wachsen an der neuen Aufgabe und arbeiten eigenständig. Das freut mich total!“
Und zuletzt: Ist Führung in Teilzeit das Modell der Zukunft?
Gisela: „Ich denke, dass es für Unternehmen unerlässlich ist, attraktive Teilzeitmodelle auch in Führungspositionen anzubieten. Für viele Mitarbeiter*innen ist diese Flexibiliät durchaus ein Kriterium, sich für einen Arbeitgeber zu entscheiden – egal, ob man direkt in Teilzeit dort anfängt, oder einfach im Hinterkopf hat, dass die Option besteht. Gute Führung zeichnet sich nicht durch eine 24/7-Anwesenheit aus, sondern dadurch, die Mitarbeiter*innen für ihre Aufgaben fit zu machen und selbständig agieren zu lassen. Und das funktioniert in Teilzeit wunderbar.“
Janina: „Ich hoffe, dass das Modell nicht nur von Frauen, sondern auch von immer mehr Männern in Anspruch genommen wird. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, in der wir alle etwas mehr Zeit und Besinnung gut gebrauchen können – auch wenn wir unseren Job lieben.“