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Eine von Männern gemachte Welt kann für Frauen tödlich sein

Ob Transportfragen, Stadtplanung oder Medizin: In ihrem Buch „Unsichtbare Frauen – Wie eine von Männern gemachte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert” zeigt die britische Autorin Caroline Criado Perez auf, wie unsere Welt auf Männer ausgerichtet ist – und welche Folgen das haben kann.  

Von alltäglichen Schwierigkeiten und tödlichen Risiken

Caroline Criado Perez stellt uns vor ein Gedankenexperiment: Könnt ihr euch eine Welt vorstellen, in der Frauen aus medizinischen Studien ausgeschlossen werden, weil ihre Körper zu kompliziert sind – oder eine Welt, in der Frauen bei Autounfällen sterben, weil es so gut wie keine weiblichen Crash-Test-Dummys gibt? Eigentlich ist das nämlich ganz einfach: In genau dieser Welt leben wir. Das Buch, in dem diese Szenarien beschrieben werden, ist kein dystopischer Roman, sondern ein Sachbuch über die Realität im Jahr 2019: „Unsichtbare Frauen – Wie eine von Männern gemachte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“. Die britische Aktivistin Caroline Criado Perez erklärt die Problematik der „Gender Data Gap“ und die unangenehmen Kleinigkeiten und tödlichen Risiken, die daraus entstehen.

Kleine Schwierigkeiten erleben Frauen jeden Tag, oft, ohne es zu bemerken: Die Temperatur in Büros ist standardmäßig auf Männer ausgelegt und damit für die meisten Kolleginnen fünf Grad zu kalt. Smartphones passen meist weder in die Taschen, noch in die Hände von Frauen und sind damit alles andere als „handy“ für die Hälfte der Gesellschaft. Es gibt VR-Brillen, die keine Augen erkennen, die mit Mascara geschminkt sind, und Spracherkennungs-Software, die nur bei tiefen Stimmen funktioniert.

Das ist alles unfair, aber kein Weltuntergang – und für all das haben viele Frauen mittlerweile Strategien entwickelt. Zwischen Selbstauslöser statt Selfies und im Büro aufbewahrten Cardigans werden solche Situationen schnell wieder vergessen. Trotzdem zeigen die Beispiele, wie sehr diese Welt auf den Durchschnittsmenschen ausgerichtet ist – und der ist ein 40 Jahre alter, 1,77 Meter großer, knapp 80 Kilo schwerer Mann. „Der Einfluss der Gender Data Gap kann relativ klein sein“, schreibt Criado Perez. Er kann im Zweifel aber auch das Leben kosten.

Online-Aktivismus in Printform

Emanzipierte Leserinnen werden viele Fakten über Ungleichbehandlung kennen. Wenn jemand behauptet, der Feminismus hätte im 21. Jahrhundert schon alles erreicht, fehlen uns womöglich trotzdem manchmal die Argumente. Caroline Criado Perez liefert sie und zeigt in über 1000 Fußnoten, dass sie mit renommierten, internationalen Quellen gearbeitet hat. Die britische Aktivistin ist für erfolgreiche Kampagnen bekannt: So hat sie die Bank of England dazu gebracht, weibliche Personen auf Banknoten zu drucken und das Unternehmen Twitter davon überzeugt, dessen Umgang mit Missbrauch zu ändern. „Unsichtbare Frauen“ ist die Erweiterung ihres Engagements in Buchform. Auf Deutsch erscheint es im Februar 2020.

Das Buch sorgt abwechselnd für heftiges Kopfnicken und -schütteln und macht an einigen Stellen sehr wütend. Immerhin kann uns die von Criado Perez beschriebene „Gender Data Gap“ das Leben kosten – zum Beispiel hinter dem Steuer. Wenn Frauen an einem Autounfall beteiligt sind, dann werden sie mit einer 47 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit schwer verletzt als Männer. Dass eine Frau beim Fahren stirbt, ist 17 Prozent wahrscheinlicher als dass ein Mann tödlich verunglückt. Entgegen möglicher „Kennste?“-Witzemacher liegt das nicht daran, dass Frauen schlicht und einfach schlechter fahren. Der Grund ist laut Criado Perez ein einfacher: Autos sind für Männer gestaltet.

Die Anschnallgurte, die Kopfstützen und die Sitze sind für Durchschnittsmenschen mit männlichen Maßen gemacht. Frauen gelten als „Out of position“-Fahrerinnen, weil sie kleiner sind: Sie müssen gerader sitzen, um über das Lenkrad zu schauen, und weiter vorn, um an die Pedale zu kommen. Weibliche Crash-Test-Dummys werden nur in 20 Prozent der Fälle getestet – und wenn, dann nur auf dem Beifahrer*innensitz. Fahrerinnen-Daten fehlen komplett.

Das ist nicht die einzige Datenlücke, die gefährlich werden kann: Auch medizinische Studien werden in den meisten Fällen nur an Männerkörpern durchgeführt: „Weibliche Körper sind zu unharmonisch, zu menstruierend, zu hormongeladen“ lautet die Erklärung. Das gilt sogar für Tierversuche. Die Hälfte der Bevölkerung wird aus Kosten- und Komplexitätsgrunden schlicht weggelassen – und das führt zum Beispiel dazu, dass Medikamente falsch dosiert und Herzinfarkte nicht erkannt werden.

Ein Buch für Feminist*innen und Unbedarfte

„Unsichtbare Frauen“ zeigt eindrücklich auf, wie Frauen von Menschen und Algorithmen ignoriert werden. Es beantwortet Fragen wie „Kann Schneeschieben sexistisch sein?“ (Spoiler: Ja, es kann.) Die Autorin klärt über den Brilliance Bias auf, dem schon die Komponistin Clara Schumann erlegen ist und erklärt den Einfluss des generischen Maskulinums. Der Untertitel des Buches, „wie eine von Männern gemachte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“, ist provokant. Aber Caroline Criado Perez weiß: Das alles ist keine Verschwörung gegen Frauen. Es liegt schlicht und einfach daran, dass Frauen in vielen Bereichen dieser Welt (noch) unsichtbar sind – weil Daten fehlen, oder weil Design-Teams nicht divers genug sind. Und in diesen Fällen ist Unsichtbarkeit keine wünschenswerte Superkraft: Die Unsichtbarkeit führt dazu, dass Frauen in wichtigen Punkten nicht berücksichtigt werden – und deswegen nicht nur ärmer, sondern auch gefährlicher leben als nötig.

Dieses wichtige Buch sei Feminist*innen genau so empfohlen, wie Menschen, die von dem Thema eigentlich gar nichts wissen (wollen). Vor allem sollte das Buch aber von Personen in Machtpositionen gelesen werden: Das Wissen um die „Gender Data Gap“ hat Potenzial, die Welt gerechter zu machen. Schließlich gibt es eine einfache Strategie, um viele der genannten Probleme zu lösen: die Erhebung geschlechtsspezifischer Daten.

 

Caroline Criado Perez: Unsichtbare Frauen: Wie eine von Männern gemachte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert. btb Verlag, 10. Februar 2020, 15 Euro.

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