Fällt es dir schwer, nein zu sagen? Unsere Autorin arbeitet 40 Stunden in der Woche, ist Mutter und Individuum. Lange Zeit versucht sie, sämtliche Wünsche von anderen zu erfüllen. Bis ihr klar wird, dass sie etwas ändern muss.
Das sechsjährige Kind ist nicht einverstanden. An ihm zerren gerade zwei Welten: Die eine Welt, die will, dass es noch nicht zu den Großen gehört und die andere, die will, dass es nicht mehr zu den Kleinen gehört. Es ist eine Art erste Pubertät…
Montagmorgen, 8 Uhr. Ich sage: Zieh dich bitte an, wir müssen los. Dann kommt der Schrei, der sämtliche Nachbar*innen aus Betten, Duschen und von Fahrrädern wirft: Nein!! – Wieder und wieder: Nein! Nein! Das hört gar nicht mehr auf. Meistens passiert es, wenn ohnehin alles rasend schnell gehen müsste, wenn ich „meine Nerven suche”, wie das Kind früher gesagt hat, als es noch kleiner war und noch nicht so gut wusste, was es will und was es nicht will.
Jedenfalls: Ich beneide das Kind oft. Um dieses „Nein”, das einfach nichts weiter zulässt. Kein Nachfragen, kein Überreden, kein Gegenschreien:
„Dieses Nein steht einfach fest da rum, wie ein Baumstamm, tief im Boden. Und das war’s.“
Bei mir sah das lange anders aus, das mit dem Nein-Sagen, und es ist immer noch ein Thema, das ständig zurückkommt, vor allem, wenn eh schon alles brennt.
Vor ein paar Tagen fragt mich jemand am Telefon, ob wir uns treffen können, es sei wirklich wichtig. Ich habe überhaupt keine Zeit, bei mir steht alles Mögliche an, ein großes Event, ich habe Abgabefristen, muss Interviews führen, Mails beantworten, einen Workshop und einen Kindergeburtstag organisieren, redigieren, den Social-Media-Plan erstellen, Elternabende besuchen – sage also am Telefon auf seine Frage hin: „Ja, ok.“
Zur vereinbarten Zeit sitzen wir zusammen in einer Bar, und er fragt mich, wie es mir geht und ich sage, alles ziemlich viel, und er sagt, das tue ihm leid, ich solle doch ein bisschen besser auf mich achten – und ob ich mir mal einen 200seitigen Text von ihm anschauen, ihm Feedback geben und ein paar Kontakte machen könne.
Ich schaue ihn erstmal nur an und denke: Warum? – Warum sieht er die Grenze, die ich gezogen habe, denn nicht?
Bis mir auffällt, dass ich überhaupt keine Grenze gezogen habe.
Oder wenn, dann nur super leicht, mit so nem winzig kleinen Zweig im Sand, das sieht doch kein Mensch.
Das sind so Rückfälle, die mir manchmal passieren, wenn sämtliche Energie weg ist, denn ich brauche fürs Nein-Sagen sehr viel mehr Kraft als fürs Ja-Sagen.
„Wenn du lange Zeit zu allem Ja gesagt hast, dann gewöhnst du auch deine Umwelt an deine dauerhafte Verfügbarkeit. Kommt dann vollkommen überraschend ein Nein, wird das gleich persönlich – oder aber überhaupt nicht ernst genommen.“
Von Rückfällen spreche ich, weil das wirklich nicht mehr oft passiert. Abgesehen von den zwei, drei Malen am Tag, wenn mich jemand um einen ganz kurzen Pressetext („Dir fällt das doch leichter.“), um eine spontane Kinderbetreuung („Nur dieses eine Mal.“), um das Besorgen eines Geschenks („Du hast das das letzte Mal so toll gemacht.“) bittet. Und dann wäre da noch der Elternabend. Es braucht genau drei Sekunden, und schon bin wieder ich im Spiel: Wer würde denn Protokoll schreiben? Mein Finger schwingt sich von selbst nach oben, ich hab das nicht bewusst entschieden.
Das Ja-Sagen hat eine zementige Konsistenz. Nicht nur beim Protokoll. Auch bei der Frage nach einer Freiwilligen, die sich um einen Sack Bio-Konfetti, die Suche nach einer neuen Erzieherin oder um die Edelstahlbecher für Waldausflüge kümmert. Und ich denke an mein kompromissloses Kind und sein kompromissloses Nein und versuche, das auch zu können…
…was aber zu neuen Problemen führt. Denn wenn du lange Zeit zu allem Ja gesagt hast, dann gewöhnst du auch deine Umwelt an deine dauerhafte Verfügbarkeit. Kommt dann vollkommen überraschend ein Nein, wird das gleich persönlich – oder aber überhaupt nicht ernst genommen.
Ich sage deshalb neuerdings ab und zu, dass sich niemand wundern soll, wenn ich eine Anfrage ablehne, weil ich gerade keine Kapazitäten dafür habe. So ein bisschen wie eine Durchsage im Freibad: „Guten Tag, in Zukunft werde ich immer Nein sagen, wenn ich Nein meine.” Das hilft den Leuten, mich einzuschätzen und es hilft mir, das Nein-Sagen auszuhalten und mit der Reaktion umzugehen.
Am Ende ist das Neinsagen eine Form der Selbstfürsorge. Denn meistens schenkt man sich mit einem Nein die Zeit, die dringend notwendig ist, um irgendwie bei sich zu bleiben und immer mal wieder happy zu sein.
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Dieser Text wurde erstmals im Voices-Newsletter am 26. Juni 2022 veröffentlicht.