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Dr. Natasha A. Kelly: „Intersektionalität ist die Grundidee des Schwarzen Feminismus“

Dr. Natasha A. Kelly ist Kommunikationssoziologin. Im März 2019 hat sie das Buch „Schwarzer Feminismus“ herausgegeben. Wir haben sie zum Gespräch getroffen.

„Schwarzer Feminismus“

Dr. Natasha A. Kelly ist Kommunikationssoziologin mit den Forschungsschwerpunkten Post- und Kolonialismus und Feminismus. Außerdem ist sie Filmemacherin, Autorin und Kuratorin. Im März 2019 veröffentlichte sie den Sammelband: Schwarzer Feminismus: Grundlagentexte beim Unrast Verlag. Darin sind die Stimmen verschiedener wichtiger Schwarzer Feminist*innen, von Sojourner Truth bis zu Patricia Hills Collins, zum ersten Mal in deutscher Sprache zu lesen.

Im Interview spricht die Herausgeberin über den Schwarzen Feminismus, Audre Lorde und den deutschen Kolonialismus. Außerdem erklärt sie warum das Pochen auf Farbenblindheit kontraproduktiv für eine vielfältige Gesellschaft ist, worum es bei Intersektionalität wirklich geht und wieso vor allem weiße Frauen sich von der homogenen Kategorie „Frau“ verabschieden müssen.

In Ihrem neuen Buch „Schwarzer Feminismus“ haben Sie die Werke verschiedener Schwarzer Feminist*innen zusammengetragen. Nach welchen Kriterien haben Sie die Autor*innen ausgewählt?

„Ich wollte mit meiner Auswahl an Texten im Prinzip die Intersektionalitätsdebatte in der Schwarzen Frauenbewegung nachzeichnen. Am Anfang steht Sojourner Truth und ihre Rede ‚Ain’t I a woman?’, die sie sowohl an weiße Frauen als auch an Schwarze Männer adressierte. Damit zeigte sie genau die Intersektion von Rassismus und Sexismus auf, die als Mehrfachdiskriminierung wirkt. Die weiteren Autorinnen beziehen sich alle auf Sojourner Truth und entwickeln die intersektionale Idee weiter, bis hin zu Kimberlé Crenshaw, die 1989 das Wort selbst geprägt hat. Der letzte Text ist Patricia Hill Collins, die das Schwarze feministische Handeln an der Intersektion beschreibt.“

Sie haben es gerade angesprochen. Der Begriff Intersektionalität wurde von der Juristin Dr. Kimberlé Crenshaw geprägt, aber die Idee, bzw. das Konzept gibt es schon viel länger. Können Sie das näher ausführen?

„Im Prinzip gibt es die Intersektionalität so lange wie es die Schwarze Frauenbewegung gibt. Nicht als Wort oder eingeschrieben in die Wissenschaft, das kam erst später. Die Texte in ,Schwarzer Feminismus‘ zeigen, dass Intersektionalität die Grundidee des Schwarzen Feminismus ist. Im Vergleich zum Mainstream- Feminismus geht es weniger darum, Forderungen zu stellen. Das ist erst der zweite Schritt. In erster Linie geht es darum, Machtverhältnisse zu erkennen und zu dekonstruieren. Kimberlé Crenshaw beschreibt Intersektionalität später als eine Art ‘Prisma’, durch das geguckt werden kann, um zu schauen, wie diese Strukturen wirken. Das ist der entscheidende Unterschied.

Weiße Frauen reproduzieren mit ihren Forderungen oft ebendiese Strukturen, nämlich das Patriarchat und White Supremacy. Ihre Forderungen nutzen einzelnen Individuen, aber nicht der Gesamtheit aller Frauen. Schwarze Frauen hingegen hatten schon immer die Strukturen im Blick, weil sie in einer anderen Ausgangssituation lebten und sowieso nie zur Norm gehörten. Mit dem Erreichen des Wahlrechts haben sich weiße Frauen immer mehr auf diese Norm zubewegt. Letzten Endes war ihr Ziel, die Position des weißen Mannes einzunehmen und das ist nicht, was wir, Schwarze Frauen wollen. Wir wollen eine Strukturveränderung auf allen Ebenen.“

Sie schreiben im Vorwort: „(…) weiße Frauen* [tun sich] noch immer sehr schwer damit, die lange als homogen geltende Kategorie ›Frau‹ aufzubrechen und ihre eigenen Rassismen unter die Lupe zu nehmen“. Warum müssen sie diesen Oberbegriff aufbrechen?

„Menschen sind sehr facettenreich und werden nicht nur durch ihr vermeintliches biologisches Geschlecht definiert. Nach diesem Muster geht aber gerade die Genderforschung vor. Als gäbe es nur diese Kategorie und dementsprechend nur diese eine Form der Unterdrückung, die alleine wirkt. Wenn Genderkonzepte von Menschen, die auf anderen Ebenen Privilegien haben, beispielsweise im Kontext von Race geprägt werden, dann bleibt Race
unsichtbar und es wird nur an dieser vermeintlich singulären Front gekämpft. Das ist natürlich Quatsch. Es gibt unzählig viele Überschneidungen nicht nur Race und Gender, auch Class ist wichtig. Ability oder Disability , sexuelle Orientierung. Die Liste ist lang.

Aus Schwarzer feministischer Perspektive wurde erkannt, dass zwei Frauen nie gleich sind und nie dieselbe Position innehaben. Nicht nur Schwarze und weiße Frauen, auch zwei Schwarze Frauen können völlig privilegiert sein, aufgrund von Class beispielsweise oder aufgrund von Ability oder von geopolitischen Bestimmungen, weil sie im Globalen Norden geboren wurden.“

Eine der Texte, die übersetzt wurden, stammt von Audre Lorde, die in den 80er und 90er Jahren in Berlin gelebt hat und damals bereits den Rassismus in der feministischen Bewegung kritisierte. Warum hat sich jetzt, fast 30 Jahre später, immer noch nichts geändert?

„Wenn wir das Frauenwahlrecht in Deutschland als Ausgangspunkt nehmen, dann hat sich für weiße Frauen sehr wohl etwas verändert. Ich würde nicht sagen, dass weiße Frauen die gleiche gesellschaftliche Stellung erreicht hätten, wie weiße Männer, aber sie haben einiges erreicht. Nur die Thematik Rassismus bleibt nach wie vor auf der Strecke. Da liegt das Problem. Das hat viel mit Deutschland an sich zu tun. Diese Gesellschaft ist auf rassistische Strukturen aufgebaut. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

Ich glaube, dass es sehr wohl weiße Frauen gibt, die sich dessen bewusst sind und auch in dieser Richtung arbeiten. Es ist aber nicht die Mehrzahl und es sind auch nicht diejenigen, die beispielsweise in den Medien stehen und dort den Feminismus vertreten. Da liegt eine weitere Problematik.

Mit Audre Lorde haben Schwarze Frauen in Deutschland nicht nur eine Community neugegründet, sondern eine Stimme in der Frauenbewegung bekommen. Im Vergleich zu anderen europäischen Communitys sind wir sogar aus der Frauenbewegung empor gegangen. Dadurch haben Frauen in den Communitys einen ganz anderen Stellenwert als in anderen Gesellschaften oder Communitys, in denen sie immer noch um ihre Position kämpfen müssen. Aber insgesamt haben wir eine Menge erreicht in den 30 Jahren. Das vergessen wir oft, weil wir immer noch sehr viel kämpfen müssen. Der Weg, der vor uns liegt, ist aber immer noch verdammt lang.“

In Deutschland wird noch oft das Konzept der Colorblindness, also Farbenblindheit, verbreitet und wer Rassismus anprangert, dem*der wird oft der Vorwurf gemacht, er*sie sei ja selbst rassistisch. Warum ist es kontraproduktiv in dieser Gesellschaft ständig auf Farbenblindheit zu pochen?

„Weil Rassismus real ist! Colorblindness sagt aus, dass es Rassismus als Diskriminierungsform nicht gibt. Damit wird mir ein Menschenrecht abgesprochen, denn ich habe das Recht vor Diskriminierung geschützt zu werden. Wenn es heißt, es gäbe keine rassistische Diskriminierung, wird auch kein Anlass gesehen mich zu schützen. Und das finde ich sehr gefährlich.“

In Diskursen mit weißen Menschen merke ich oft, dass es ihnen unangenehm ist, über Rassismus zu sprechen und, dass sie sich dann in ein: „Wir sind ja alle Menschen“ flüchten.

„Die Menschheitsgeschichte ist keine eindimensionale Geschichte. Schwarze Menschen mussten erst Menschen werden und Menschenrechte erlangen, die weiße Menschen von Geburt aus hatten. Und wir haben sie noch lange nicht alle. Colorblindness macht diese Ungleichheit unsichtbar. Das kann aber nicht der Ausweg sein. Nach dem Motto: ‚Ich habe keine Lust mich mit meinen Problemen zu beschäftigen, deshalb tue ich so, als gäbe es sie nicht.‘ Davon wird es nicht besser.

Seine Privilegien zu hinterfragen ist eine Herausforderung, aber das geht allen Menschen so. Das ist nichts, was ich unbedingt nur Weißen zuschreiben würde. Wenn es um Race geht, müssen sie sich definitiv mit ihren Privilegien auseinandersetzen. Genauso geht es anderen Menschen aber in anderen Bereichen, die beispielsweise das Privileg der Mobilität haben. Wir machen uns sehr wenig Gedanken darum, ob Orte barrierefrei sind, weil wir überall hinkommen. Es ist genauso eine Herausforderung zu sagen: ‚Was kann ich tun? Wie kann ich mein Privileg einsetzen, um anderen Menschen zu helfen?‘“

Oft heißt es, dass Deutschland noch weiter zurück sei, wenn es darum geht Rassismus und Race Relations zu besprechen, als zum Beispiel die USA und Großbritannien. Was können wir uns von diesen Ländern abschauen?

„Wir müssen aufhören, den Schwarzen Feminismus in einen eurozentrischen Kanon zwängen zu wollen. Ich beschreibe das immer gerne so: Wir stehen in einer Bibliothek und es gibt zwei Regale. Auf der einen Seite befindet sich das eurozentrische Regal und der Kanon, den wir alle gezwungen werden zu lernen. Auf der anderen Seite haben wir das afrozentrische Regal mit allen Schwarzen und afrikanischen Wissensproduktionen. In Deutschland wird gerne im afrozentrischen Regal geschaut, um sich einzelne Bücher rauszunehmen und diese ins eigene Regal einzuordnen. Die werden dazwischen gequetscht, vereinnahmt und mit einem eurozentrischen Blick gelesen. Was wir eigentlich machen müssten, ist die Dinge stehen zu lassen und in ihrem Kontext zu lesen. Das ist etwas, was wir uns von den USA abschauen können. Dort wurden Black Studies oder Africana Studies bereits über Jahrzehnte errichtet. Das fehlt bei uns komplett. Wir müssen dahin kommen, dass Schwarzes Wissen in Deutschland nicht „weißgewaschen“, sondern institutionalisiert wird.“

Und von welchen Fehlern, die dort gemacht wurden, können wir auf dem Weg vorwärts lernen?

„In den USA haben sie den Fehler gemacht ein neues Skript des Eurozentrismus zu schreiben. Wir müssen die Themen, die wir besprechen nicht für weiße Menschen kompatibel machen. Diese Dinge können problemlos nebeneinanderstehen. Das bedeutet nicht, dass eine weiße Person keinen afrozentrischen Blick annehmen kann. Es wäre dann eben ein selbstkritischer Blick. Da müssen wir hin: die Institutionalisierung von Schwarzem Wissen, aber nach Schwarzen Denkmustern. In den USA ist vieles noch an weiße Denkmuster gekoppelt. Wir tendieren dann hier dazu uns das abzuschauen.“

Der deutsche Kolonialismus wurde in Deutschland so gut wie gar nicht aufgearbeitet. Inwiefern beeinflusst das Schwarzes Leben in Deutschland seitdem und heute?

„Wenn wir von Kolonialismus sprechen, neigen wir sehr schnell dazu, uns den afrikanischen Kontinent anzugucken. Das wird als äußerer Kolonialismus beschrieben. Was wir aber nicht in den Blick nehmen, ist der innere Kolonialismus, nämlich wie der Kolonialismus in Deutschland gewirkt hat. Und das beginnt mit der deutschen Nationenbildung. Deswegen ist Rassismus so verwoben mit Nationalität. Die Nationenbildung ging Hand in Hand mit der Kolonialisierung. Unter dem ersten Reichskanzler, Otto von Bismarck, wurden verschiedene Kleinstaaten zu einer Nation vereint. Bismarck hatte erst nicht vor am kolonialen Projekt teilzunehmen. Er änderte aber seine Meinung, nachdem er Deutschland vereint hatte und das Land Teil eines großen europäischen Ganzen wurde. Plötzlich hatte er jetzt Konkurrent*innen, sprich Frankreich, England. Wenn wir vom Kolonialismus sprechen werden diese zwei Länder gerne als Beispiel genommen. Letzten Endes erfolgte die Aufteilung Afrikas durch Otto von Bismarck 1884 in Berlin. Ich frage mich da immer schon, warum sehen wir da unsere Verantwortung als Deutsche nicht?

Bei der Konferenz in Berlin waren europäischen Mächte eingeladen, nicht nur die, die später tatsächlich Kolonien hatten, sondern auch das Osmanische Reich, also die heutige Türkei, und die USA saßen mit am Tisch. Auch andere Länder waren präsent, die keine Kolonien bekommen haben, beispielsweise Polen. Alle wollten Teil davon werden, aber konnten teilweise nicht mitbieten, weil das Geld fehlte. Es war ein gesamteuropäisches Projekt. Wenn wir heute Europa feiern, wird natürlich auch darüber nicht gesprochen.“

Wie ging es dann weiter?

„Der afrikanische Kontinent wurde in Berlin aufgeteilt und Deutschland bekam seine Kolonien. Im Prinzip lief die deutsche Kolonialzeit 30 Jahre lang. Wenn zehn Jahre als eine Generation gezählt werden, sind das drei Generationen. Es gab in Deutschland demnach über drei Generationen einen inneren Kolonialismus. Drei Jahrzehnte in denen es Austausch, Migration und Fluktuation zwischen Deutschland und den afrikanischen und pazifischen und asiatischen Kolonien gab. Das Gesellschaftsbild sah damals ganz anders aus. Es gab eine größere Schwarze Community in Deutschland. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Verlust der Kolonien an Frankreich und Großbritannien, wurden die sogenannten Kolonialmigrant*innen, die über 30 Jahre in Deutschland gelebt haben, Familien gegründet haben, vielleicht sogar Enkelkinder hatten, mitdeportiert. In dieser Ideologie der Reinerhaltung der sogenannten ‚Rasse‘ wurde das vermeintliche Problem direkt beseitigt. Dadurch erscheint Deutschland immer als weiß, aber das ist ein imaginiertes weiß. Das Schwarze wurde im wahrsten Sinne des Wortes wegrationalisiert.“

Und während der Zeit des Nationalsozialismus?

„Wir wissen durch Zeitzeug*innenberichte, dass es auch Schwarze Menschen in den Konzentrationslagern gab. Das ist eine weitere Phase der Wegrationalisierung, die keine weitere Erklärung bedarf. Es gab natürlich mehrheitlich jüdische Opfer in den KZs, aber auch Schwarze und andere Gruppen wie Roma, Sinti, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle usw. In der Nachkriegszeit waren viele afroamerikanische G.I.s in Deutschland stationiert und es kam zu Verbindungen zwischen diesen und weißen deutschen Frauen. An diesen Zeitpunkt wird sehr häufig der Beginn unserer Community angesetzt, weil sie ab da wieder anfängt zu wachsen. Was aber sehr selten erwähnt wird, ist, dass die Kinder, die aus diesen Beziehungen entstanden sind, den Eltern oft weggenommen wurden. Die sogenannten ,Brown Babies’, die zwangsweise in die USA adoptiert wurden. Wiederum eine erneute Wegrationalisierung unserer Community. Das zieht sich durch die Geschichte. In den 80er Jahren haben wir Migrationsbewegungen, Refugeebewegungen und auch da steht wieder die Deportation von Schwarzen Geflüchteten ganz vorne auf der Agenda.“

Wie beeinflusste die Wiedervereinigung die Schwarze Community in Deutschland?

„Viele Leute wissen nicht, dass mit dem Versailler Vertrag Namibia, also damals Deutsch-Südwestafrika, an Südafrika ging und von Südafrika abhängig wurde. Mit dem Unabhängigkeitskrieg zwischen Namibia und Südafrika flohen viele Refugees nach Angola. Die DDR erklärte sich dazu bereit die Kinder unter den Geflüchteten, die noch nicht zur Schule gegangen waren, bei sich aufzunehmen. Außerhalb von Berlin wurde ein Kinderheim für sie errichtet mit 900 Kindergartenkindern, die in der DDR geschult wurden, um die kommunistische Ideologie wieder zu beleben. Aber mit dem Mauerfall wurden auch sie deportiert. Sie mussten zurück nach Namibia, obwohl sie nichts Anderes kannten als die DDR. Diese koloniale Kontinuität zieht sich durch Schwarze Geschichte in Deutschland hindurch. Nur weil die Mehrheit das nicht weißt, heißt es nicht, dass es das nicht gibt. Das Wegrationalisieren von Schwarzen Communitys zeugte das weitverbreitete deutsche Nationalbild und die Vorstellung, dass Schwarze nicht Deutsch sein können.“

Es gibt Stimmen, die sagen, solange Schwarze Menschen auf dem Kontinent nicht respektiert werden, werden auch Schwarze Menschen in der Diaspora nicht respektiert. Wie stehen Sie dazu?

„Das sehe ich auch so. Ich bin Panafrikanistin. Afrika ist das Zentrum meiner Welt. Geografisch betrachtet, ist Afrika der einzige Kontinent, der sich nie bewegt hat. Es gab immer kontinentale Verschiebungen, nur Afrika nicht. Der Kontinent ist verbunden mit der Erde. Afrika wird sich auch nicht bewegen. Da können die Europäer*innen und Asiat*innen so oft reingehen, wie sie wollen. Die Menschen können sie zerstören, das Land wird sich aber regenerieren.

Letzten Endes ist Afrika nie abhängig gewesen von Europa – Europa aber von Afrika. Das ist ein Riesenunterschied. Wenn wir uns alles wegdenken, was der Kolonialismus und der Neokolonialismus mit sich gebracht haben, wie sähe Europa aus? Europäer*innen tun sich schwer damit dieses Abhängigkeitsverhältnis zu hinterfragen. Wenn sie alles aus Afrika rausnehmen, sprich das Essbare nach Europa transportieren, warum wundern sie sich dann, dass die Menschen hinterherkommen, weil sie Hunger haben. Das ist eine logische Schlussfolgerung. Europa zerstört nicht Afrika. Europa, zerstört sich gerade selbst.“

Sie haben Mal geäußert, dass Ihnen im akademischen Kontext als Schwarze Frau oft die Kompetenz abgesprochen wird. Wie äußert sich das?

„Es spiegelt sich in meiner ganzen Biografie wider. Meine Freiberuflichkeit läuft gut, aber ich habe sie mir nicht ausgesucht. Die bestehenden Strukturen haben mich in diese Position hineingedrängt. Ich gehöre zu einer Generation von Schwarzen Menschen, die im wissenschaftlichen Bereich zu einer der ersten Generationen gehörte, die promovierte. Die meiste Zeit bin ich damit beschäftigt, Räume zu schaffen für die jungen Schwarzen Menschen, die nach mir kommen. Damit es für sie einfacher wird, zu promovieren, zu habilitieren und hinterher eine Stelle zu bekommen. Ich gehe deswegen in die unterschiedlichsten Räume rein, ob das im Kunstbereich ist, im Kulturbereich, im Theater, in der Wissenschaft oder in außerwissenschaftlichen Bereichen. Und ich bin sehr bemüht neue Räume zu schaffen.

Mir ist sehr bewusst, dass noch einiges passieren muss, damit ich die nächste Ebene, eine Professur, erreichen kann. Die Mehrheitsgesellschaft ist noch nicht so weit. Hätte ich bereits einen Lehrstuhl, würde ich mit der Institutionalisierung von Schwarzem Wissen beginnen. Gerade in Deutschland wird sehr viel an Positionen festgemacht. Solange ich nicht innerhalb der Universitäten eine feste Stellung innehabe, wird das, was ich an wissenschaftlicher Arbeit mache nur rudimentär wahr- und ernst genommen.“

In den letzten Jahren sind Begriffe wie „Diversität“ und „Intersektionalität“ auch im Mainstream-Feminismus angekommen. Viele Konzepte, die ursprünglich von Schwarzen Feminist*innen konzipiert wurden, werden von weißen Feminist*innen übernommen. Was macht das mit der Dynamik zwischen weißem und Schwarzen Feminismus?

„Sehr viele Weiße, die antirassistisch sein wollen, eignen sich in ihrem Eifer diese Konzepte an. Sie nehmen sie dann aus ihrem gesamten Kontext heraus und nutzen sie als Tool für ihre eigenen Forderungen. Das kann auf diese Art aber gar nicht funktionieren. Wenn du nicht weißt, wo etwas herkommt, dann weißt du auch nicht, wie das in seiner Gänze funktioniert.

Diese Aneignung macht uns Schwarze Frauen unsichtbar und drängt uns wieder in eine passive Rolle, in die Objektposition. Es gibt weißen Frauen den Raum für uns zu sprechen und uns komplett aus den Diskursen rauszulassen. Das ist auch eine Form von rassistischer Gewalt.“

Natasha A. Kelly (Hg.), Schwarzer Feminismus: Grundlagentexte, Unrast Verlag, 232 Seiten, 16 Euro.

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