Foto: Stefan Rother

„Die gesellschaftliche Wertschätzung der Erziehungsarbeit von Alleinerziehenden fehlt noch immer“

Als alleinerziehende Mutter hat man es im Arbeitsleben nicht leicht, unter anderem, weil ihnen viele Unternehmen mit Vorurteilen begegnen. Der Verein Goldnetz coacht Alleinerziehende und möchte ihnen so beim (Wieder-)Einstieg helfen.

„Wenn die Frauen Erfolg haben, dann geht das von ihnen aus“

Britta Starke ist Kursleiterin bei Goldnetz, einer Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, alleinerziehenden Frauen wieder zurück in die Berufswelt zu helfen. Mit kostenlosen Coachings begleiten sie Frauen auf dem Weg zurück in den alten oder einen ganz neuen Job.

Denn das ist oft gar nicht einfach. Von den 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland sind über ein Drittel armutsgefährdet. Frauen machen davon wiederum die große Mehrheit aus, warum es für Starke auch wichtig war, sich mit ihrem Angebot speziell an sie zu richten. Für Alleinerziehende ist es aber generell oft besonders schwer, Familie und Beruf zu vereinbaren, da viele Unternehmen keine flexiblen Arbeitsmodelle bieten und Eltern meist nicht ausreichend Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das hat nicht nur ihre finanzielle Notlage zur Folge, sondern häufig leidet auch das Selbstbewusstsein und die Motivation darunter. Und nicht zu vergessen, ist es ein unfassbarer Kraftakt, alles alleine stemmen zu müssen.

Britta Starke konnte in ihren sechs Jahren beim Verein schon viele Frauen auf ihrem Weg zum neuen Job begleiten. Wir haben mit ihr über das Coaching geredet, mit welchen Vorurteilen Alleinerziehende konfrontiert sind und welche neuen Karrieremöglichkeiten sich den Teilnehmerinnen schon geboten haben.

Es ist kein Geheimnis, dass alleinerziehende Frauen bei einigen Unternehmen nicht gerade als Wunschkandidatinnen gelten – auch wenn ihr Privatleben nichts mit ihrer Expertise und ihren Fähigkeiten zu tun haben. Was glauben Sie, woran das liegt?

„Es sind alles nur Klischees. Zum Beispiel, dass sie zeitlich nicht so flexibel sind wie andere. Doch meiner Erfahrung nach sind alleinerziehende Mütter viel organisierter, können schneller Prioritäten setzen und sind sehr strukturiert – sie schmeißen das ganze Familienleben ja alleine. Selbst wenn die Kinder krank werden, das merken wir bei unseren eigenen Coachings, dann fehlen die Mütter natürlich mal. Aber sie sind dann dafür in der Zeit, die sie für sich selbst haben, sehr konzentriert und engagiert. Abgesehen von Krankheitsfällen sind Unternehmen im Allgemeinen gar nicht darauf vorbereitet, dass es überhaupt Kinder gibt, denn gute Betreuungsmöglichkeiten sind selten.“

Aber tut sich denn nach und nach etwas? Oder konnten sie in der Zeit, in der sie sich nun mit dem Thema beschäftigen, gar keine Verbesserungen seitens der Unternehmen feststellen, die zeigen, dass sie sich auf verschiedene Familienmodelle und eben auch auf Alleinerziehende einstellen?

„Nein, gar nichts. Ich bin seit sechs Jahren als Coach und Trainerin dabei und merke überhaupt keine Veränderungen seitens der Unternehmen. Wenn die Frauen Erfolg haben, dann geht das von ihnen aus. Und genau darauf zielt unser Projekt: Frauen wieder selbstbewusster machen, Stärken wieder erkennen, Potentiale ausloten und ihre Selbstwirksamkeit steigern.“

Ist das denn für die Alleinerziehenden tatsächlich größte Hürde, also sich selbst vertrauen zu können? Und was nimmt ihnen das Vertrauen?

„Die größte Hürde ist nicht das fehlende Selbstvertrauen der Frauen, sondern das geringe Selbstbewusstsein aufgrund dieser Lebensform. Alleinerziehende werden in unserer Gesellschaft finanziell, sozial und beruflich abgehängt. Hinzu kommt, dass Alleinerziehende auf Grund der Erziehung ihrer Kind(er) in der ersten drei Jahren einem erhöhten Risiko einer ungesicherter Beschäftigung und Erwerbslosigkeit ausgesetzt sind. Und immer wieder gibt es Vorurteile der Gesellschaft gegenüber den Alleinerziehenden bzw. die Frauen ,kämpfen‘ mit dem Stigma, alleinerziehend zu sein. Es fehlt nach wie vor eine notwendige gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der Erziehungs- und Bildungsarbeit von Alleinerziehenden. Wenn unsere Teilnehmerinnen ihr Selbstbewusstsein stärken und an sich glauben, gelingt auch ein erfolgreicher beruflicher Wiedereinstieg.“

Wie ist ihr Programm aufgebaut, um diese Ziele zu erreichen und die alleinerziehenden Frauen zu fördern?

„Es sind zwölfwöchige Trainingsprogramme, die immer vormittags von Montag bis Freitag stattfinden. In den ersten vier Wochen beschäftigen wir uns mit der Kompetenzfinanzierung. Hier bauen wir die Frauen wieder auf, denn wenn ich sie frage, was alles nicht so gut läuft, dann kommen ganz viele Antworten. Aber wenn ich frage, was sie interessiert, dann kommen meist keine Antworten – dabei bringen die Frauen so viele Kompetenzen und Stärken mit, die wir wieder hervorholen. Wir schauen welche Potentiale die Frauen haben oder was noch in ihnen schlummert, wonach sie bisher einfach niemand gefragt hat.

In der zweiten Phase geht es um die Berufsorientierung: Was gibt es auf dieser Welt alles für Berufs- und Tätigkeitsfelder und vor allem wie kommt man zu dem Beruf? Denn dafür gibt es ja so viele Möglichkeiten, dir wir alle aufdröseln müssen, damit die Frauen neue Ideen und Motivation bekommen. Wir fragen auch nach dem Traumberuf – der darf bei uns immer geäußert werden – weil hier steckt meist die ganze Motivation dahinter. Neulich hatten wir eine Frau, die unbedingt Ärztin werden wollte und wir haben verschiedene Herangehensweisen gefunden, mittlerweile ist sie im Studium.

Dann gehen wir in die realistische Phase und setzen das Ganze um. Wir erstellen Handlungspläne, Zielformulierungen und überlegen, welche weiteren Qualifikationen die Frauen gebrauchen könnten. Natürlich begleiten wir sie dabei und kümmern uns um die Unterlagen, geben Strategien an die Hand oder Tipps wie sie Bewerbungsgespräche am besten führen. Und dann, bestenfalls nach den zwölf Wochen, haben alle Frauen entweder einen Job, eine Ausbildung oder eine Weiterbildung und wissen auch, wie sie es finanzieren.“

Haben Sie über den Berufseinstieg hinaus noch Coachings, die die Frauen während dem Beruf beraten?

„Ja, wir haben noch das individuelle Einzelcoachings als Einstiegsbegleitung. Das Angebot richtet sich an Frauen, die einen neuen Job beginnen und vor allem in der Startphase einer Beschäftigung und den damit einhergehende Veränderungen Unterstützung benötigen. Ziel ist dabei, die Probezeit zu überstehen und langfristig erfolgreich beruflich durchzustarten. Darüber hinaus richtet sich das Einzelcoaching an Minijobberinnen mit dem Ziel, auf eine sichere Beschäftigung hinzuarbeiten. Dieses Angebot entstand vor dem Hintergrund, dass viele Alleinerziehende in Minijobs arbeiten, weil ihnen andere Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Langfristig sehen wir mit den Minijobs ein erhöhtes Armutsrisiko für die Frauen.“

Neben der angehenden Ärztin, welche Erfolgsgeschichten gibt es noch, die sie begleiten konnten?

„Ganz viele! Ich hatte mal eine Zahnarzthelferin, die gesagt hat, dass sie niemandem mehr in den Mund schauen möchte. Sie hatte die Ausbildung damals nur gemacht, weil ihre Eltern das wollten. Aus medizinischer Sicht fand die Dame es schon toll und interessant, aber ihr eigentlicher Traum war es, Sektions- und Präparationsassistentin zu werden. Wir haben herausgefunden, dass die Charité in Berlin solche Ausbildungsplätze anbietet und dort hat sie einen Platz und sogar ein Stipendium ergattert. Die Frau wurde nie gefragt, was sie wirklich will und bei uns hat sie den Mut gefunden, ihren Wunsch zu äußern und ihn umzusetzen. Oder eine andere Frau, die ursprünglich aus der Gastronomie kommt, macht jetzt eine Ausbildung zur Autolackiererin in einem Familienbetrieb, der sich super auf sie einstellen kann. Aber es muss nicht immer unbedingt ein kompletter Berufswechsel sein. Wenn eine ihren Berufszweig gut findet, dann schauen wir, was es noch links und rechts davon gibt und bekommen sie da wieder rein.“

Bis es zu solchen Erfolgsgeschichten kommt, müssen viele wahrscheinlich erstmal den Mut aufbringen und vor allem die Zeit aufbringen, sich so einer Veränderung überhaupt zu stellen.

„Ich kann mir vorstellen, dass es zwei Hürden gibt. Zum einen rückt bei Frauen, die zu Hause und alleinerziehend sind, das restliche Leben sehr weit weg. Sie haben so viel zu tun, dass sie gar nicht mehr an sich selbst denken. Und ich glaube das ist das schwere daran: Die Hürde zu überwinden und zu sagen: Jetzt bin ich dran. Die zweite Hürde ist, dass viele Frauen gar nicht wissen, dass es so ein kostenfreies Angebot gibt und denken sie müssen alles selbst finanzieren.“

Wie würden Sie Frauen Mut machen, die sich Veränderungen wünschen, loszulegen?

„Wir haben Inforunden bei denen Frauen sich anhören können, was Goldnetz tut oder sich mit anderen Frauen unterhalten können, die schon an einem Coaching teilnehmen. Ich kann einfach nur Mut machen, zu den Inforunden zu gehen und sich von teilnehmenden Alleinerziehenden, die Fakten erzählen zu lassen. Und zudem ist es ja auch freiwillig: Die Frauen müssen nichts unterschreiben oder etwas machen, was sie nicht wollen. Sie müssen nur vorbeikommen, haben nichts zu verlieren und können ihre Chancen ergreifen. Wir haben den Leitspruch ,Uns ist egal, woher Sie kommen, aber nicht wohin Sie gehen.‘ Egal, ob die Frauen eine Ausbildung haben oder nicht, egal wo sie herkommen, wichtig ist, was sie jetzt machen wollen und dass wir das hinkriegen.“

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