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Sind Einzelkämpfer*innen glücklich?

Einzelkämpfer*innen gelten häufig als egoistisch, selbstsüchtig und unbelehrbar? Ich sehe das anders – hier erfahrt ihr, warum es vielversprechender ist, gegen den Strom zu schwimmen.

Lieber in Eigenregie

Wenn ich an meine Vorstellungsgespräche in der Vergangenheit denke, kommt mir sofort die Frage nach meiner Teamfähigkeit in den Sinn. Ich kann mich an kein einziges Gespräch erinnern, in dem nicht nachgehakt wurde, wie ich im Team unter bestimmten Situationen reagieren und agieren würde. „Wie gehen Sie mit Stress um?“, „Können sie delegieren?“, „Wie würden Sie reagieren, wenn ich Sie nach Feierabend oder an den Wochenenden für einen Notfall ins Büro rufen würde?“ – „Sind Sie fähig, im Team zu arbeiten?“.

Natürlich bejahte ich. Jeder wusste, dass es zu den Kernkompetenzen eines jeden Mitarbeiters gehören würde. Und jeder wusste, dass diese Fähigkeit über alles im Vorstellungsgespräch entscheiden könnte.

Um aber ehrlich zu sein: Es entsprach nicht so ganz der Wahrheit. Irgendwo war es gelogen. Denn, obwohl ich ein sozialer Mensch bin und gerne Kontakt mit Menschen habe, mich austausche, mich motivieren lasse und gerne auch meine Kenntnisse weitergebe, bin ich, was meine Arbeitsmanier betrifft, doch sehr eigen.

Ich erledige lieber alles in Eigenregie und gebe wirklich nur ab, wenn ich es wirklich nicht schaffe – weil es entweder absolut nicht in meine Kompetenzen fällt, oder, wenn es mir einfach zu viel wird. Ich fühle mich einfach besser, wenn ich weiß, was und wie es erledigt wurde. Ich habe gerne den totalen Überblick über meine Arbeit und versinke im Kopf in totalem Chaos, wenn ich noch für weitere Personen mitdenken muss. Ich bin also ein Kontrollfreak im Sinne der Anklage.

Sicherlich ist das nicht ideal, da ich irgendwann, wenn das Unternehmen größere Dimensionen annehmen wird – und ja auch soll– auch lernen muss zu delegieren sowie zu vertrauen. Dann werde ich mir eingestehen müssen, dass es nicht anders gehen wird, als ein Team aus Visionären zusammenzustellen.

Ja, ich bin eine Einzelkämpferin

Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, versprechen wir ja immer ein bisschen mehr, als wir tatsächlich fähig sind zu geben. Gemeinsam an einem Strang zu ziehen und sich gegenseitig zu unterstützen, gehört schließlich zum guten Ton. Ich sagte also im Vorstellungsgespräch Ja, weil es irgendwo erwartet wurde.

Ich gestehe, ich bin eine Einzelkämpferin und ich habe auch lange gebraucht, mir das selbst einzugestehen.

Jeder Mensch tickt anders – und das ist auch gut so.

Als ich mir ernsthaft Gedanken um ein eigenes Business gemacht habe, habe ich nie auch nur in Erwägung gezogen, eine weitere Person mit einzubeziehen. Für mich wäre es allein deswegen schon nie in Frage gekommen, weil ich dann wieder Kompromisse eingehen müsste, und dazu war und bin ich (noch) nicht bereit.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht erst jemanden zu diesem Schritt überreden wollte. Oder es war mir einfach zu blöd, überhaupt nach jemandem zu suchen, da ich sofort starten wollte.

Einzelkämpfer*innen gelten häufig als egoistisch, selbstsüchtig und unbelehrbar – Ich hingegen sehe es etwas mehr von der positiven Seite: Sie haben es zumindest erkannt, dass es nichts gibt, das sie von der Umsetzung ihrer Idee abhalten kann. Einzelkämpfer*innen nehmen ihr Schicksal in die Hand und übernehmen auch zu 1000 Prozent die Verantwortung für alle guten wie auch schlechten Konsequenzen, die sich aus ihren Entscheidungen ergeben.

„Die Zeiten der Einzelkämpfer*innen sind vorbei“

Das ist der Satz, der mir in den letzten Tagen immer wieder begegnet ist. Doch ich bin absolut anderer Meinung.

Gerade heute, wo die etwas andere Businessform des Digitalen Nomaden sich in einem wahnsinnigen Tempo entwickelt, sind Einzelkämpfer*innen diejenigen, die aus ihren Visionen ihr eigenes kleines, ortsunabhängiges Imperium aufbauen. Für sie spielt Geld eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es ihnen darum, das Leben zu genießen und die Pflicht des Lebensunterhalts in angenehmer Art und Weise an ihre Lebensphilosophie anzupassen.

Digitale Nomaden haben den Spieß sozusagen umgedreht. Statt ihr Leben nach der Arbeit auszurichten, haben sie gelernt, die Arbeit um das Leben herum zu arrangieren. Die Prioritäten haben sich extrem verlagert.

Digitale Nomaden sind Einzelkämpfer*innen, weil sie ausschließlich für sich selbst und im Namen ihrer Leidenschaften arbeiten. Sozial sind sie aber nach wie vor, denn sie sind bereit, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten mit anderen zu teilen. Es herrscht also eine ganz andere und viel freiere Unternehmenskultur.

Die Unternehmensformen können heute so schmal wie noch nie aufgebaut werden, und man braucht eigentlich nichts mehr, außer Wlan und einen Laptop. Man braucht weder Team, noch festen Schreibtisch und auch keinen Lagerraum, um sich selbst mit einer Idee zu verwirklichen. Das ist doch der Wahnsinn!

Massenproduktion war gestern

Individualität, Kreativität und der Mut, neue Dinge auszuprobieren, sind heute die Dinge, die dir heute quasi über Nacht ein völlig neues Gefühl von Freiheit vermitteln. Denn obwohl die Massenabfertigung aus traditioneller, wirtschaftlicher Seite schon unabdingbar ist, geht es auf Gründerseiten immer mehr darum, sich individuell auszutoben, ein Alleinstellungsmerkmal zu finden und eigene Visionen umzusetzen – abseits von der Masse. Und dazu brauchst du heute (fast) niemanden mehr.

Ob du also als Einzelkämpfer glücklich werden kannst? Absolut.

Gerade westliche Länder sind schon fast dafür gemacht, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen. In der Theorie hat jeder von uns die Chance als Einzelkämpfer vom Arbeitgeber gelöst, seine eigene Vision in die Praxis umzusetzen. Uns wurde die Chance gegeben, innovativ zu sein und Chancen zu nutzen. Was zwar nicht heißt, dass wir alles geschenkt bekommen, aber wir haben die Freiheit, unsere Bedürfnisse nach Eigenständigkeit auszuleben.

Auch die Tatsache, dass wir als Arbeitnehmer auf die Gutmütigkeit und die Wertschätzung unserer Chefs angewiesen sind, ist absoluter Schwachsinn. Denn eigentlich ist es andersherum. Ein Chef ist auf jeden Einzelnen seiner Mitarbeiter angewiesen, denn so talentiert er auch ist, sein Tag hat auch nur 24 Stunden und seine Kapazitäten sind auch sehr begrenzt. Es ist einfach nicht möglich, ein mittelständisches Unternehmen komplett in Eigenregie zu führen.

Trotz allem, was ich bisher eingewandt habe, kann ich versichern: Es gibt sie – die Firmen, die auf ihre Mitarbeiter setzen und alles für ein tolles Arbeitsklima tun.

Als Erstes denke ich da sofort an Google, die eigene Ruheräume fürs Power-Napping sowie Massagesessel für ihre Mitarbeiter bereit halten. Außerdem kommt mir da ein Unternehmer aus Amerika in den Sinn, der kürzlich seinen Lohn um einiges heruntergestuft und dafür seinen Mitarbeitern mehr Lohn zugesprochen hat, weil ihm bewusst wurde, dass es das Unternehmen ohne seine hart arbeitende Gefolgschaft so nicht geben würde. Aber auch große Konzerne wie Audi lassen ihre Mitarbeiter am Jahresende prozentual am Jahresgewinn teilhaben.

Geld oder erfülltes Leben?

Wenn du also eine von denjenigen Mitarbeiterinnen bist, die in ihrer Festanstellung unglücklich ist, bist du als Einzelkämpferin vielleicht auf dem Markt besser aufgehoben. Was ich nochmals klar sagen möchte: Es geht hier nicht nur ums Geld – das sollte es bei einer Selbstständigkeit nie. Ein guter Monatsumsatz ist zwar wichtig, aber das persönliche Glück in den Dingen zu finden, die du zu deinem Lebensmittelpunkt machen willst, ist viel wichtiger.

Schließlich werden wir in zwölf Schuljahren auf alles vorbereitet, nur nicht aufs wahre Leben. Sie setzt ein Grundstein für etwas, das bei näherem Betrachten im Leben zum größten Teil keine Anwendung mehr finden wird. 18-Jährige verlassen mit dem Abitur das Gymnasium und wissen nicht mal, wie man sich eine Wohnung mietet, was Nebenkosten für Auswirkungen auf den Lebensstandard haben werden, welche Versicherungen notwendig und welche überflüssig sind und vor allem, was es bedeutet, auf eigenen Beinen zu stehen. Eigentlich wissen sie nichts Wichtiges vom Leben – zumindest nichts, worauf es ankommt.

Kürzlich habe ich ein Interview gelesen, in dem ein Professor das Problem auf den Punkt brachte. Er sagte, auf das heutige Schulsystem bezogen, dass es viele Kinder zu Optimierern und Schnäppchenjägern macht, deren Expertise darin besteht, mit wenig Aufwand gut über die Runden zu kommen. Nun frage ich mich: ja wie denn auch? Sie lernen es schließlich nicht anders. Denn es bedeutet Arbeit, viel Arbeit und persönlichen Einsatz.

Die, die sich trauen über den Tellerrand hinauszuschauen, lernen in Eigenregie aus eigenen Fehlern oder der anderer. Manche bekommen von der eigenen Familie vorgelebt, was es bedeutet, für seine Existenz etwas Wertvolles auf die Beine zu stellen. Alle anderen gehen unter, treiben mit dem Strom und leiden früher oder später an Perspektivlosigkeit.

Sie stehen vor tausenden Fragen und finden keine Antworten. Sie finden nicht den Mut, weil sie es nicht besser wissen. Sie wissen nicht, dass auch sie als Einzelkämpfer viel erreichen können.

Verschwende deine Zeit also nicht mit dem Älterwerden, sondern forme dir dein Leben so wie du es möchtest – auch als Einzelkämpfer, wenn es dir damit leichter von der Hand geht.

Dieser Artikel erschien zuerst im Mrs Globalicious Online-Magazin.

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