Foto: Ben Blennerhasset | Unsplash

Schwanger werden ist für viele Frauen ein langer Weg – darüber müssen wir endlich offen sprechen!

Ein Erfahrungsbericht übers Schwanger werden: Für Frauen, die manchmal die Hoffnung verlässt, dass es bei ihnen jemals passieren wird. Für alle die, die sich gar nicht vorstellen können, was an der Frage: „Und wann ist es bei euch endlich soweit?” unsensibel sein kann.

Nach der Geburt ist alles gut …

Neulich habe ich gelernt, dass mein „Erinnerndes Ich” oft Dinge des „Erfahrenden Ichs” überschreibt um daraus eine stringente und emotionale Geschichte formen zu können. Damit mir genau das passiert, was offensichtlich vielen Frauen passiert nachdem sie ein Baby bekommen haben, nämlich die Verklärung à la „Alles war so wunderschön und magisch”, möchte ich meine Erlebnisse des Schwangerwerdens deshalb gerne so offen und unverblümt wie nur möglich teilen. Denn diese Zeit ist vergleichbar mit einer Achterbahnfahrt, die hauptsächlich aus Loopings besteht.

Meine Erinnerung beginnt mit einem verzweifelten Termin bei meinem Frauenarzt. Die Situation: Eineinhalb Jahre zuvor hatte ich den Wunsch eine Familie zu gründen so stark verspürt, dass ich es ab dieser Sekunde bereute diesen Wunsch die letzten 30 Jahre nicht gespürt zu haben. Da war es nun. Das kleine Geheimnis zwischen meinem Freund und mir: Wir machen ein Baby! Es lies  uns zwei noch näher zusammenrücken und befeuerte das Liebesspiel für fast zwei Jahre. So viel zu Looping Nummer eins.

Alle waren plötzlich schwanger – nur ich nicht

Mehrere Talfahrten später waren alle Freundinnen inklusive meiner jüngeren Schwester schwanger. Wirklich alle. An dieser Stelle danke ich ganz besonders dem selektiven Wahrnehmungsvermögen, das dafür sorgte, dass ich auch in der Fußgängerzone nur noch schwangere Frauen gesehen habe. Den neidischen Dreifachlooping hatte ich somit jeden Tag, denn ich war die einzige Nicht-Schwangere.

Da saß ich nun also wie ein Schluck 18 Monate altes, abgestandenes Wasser, bei meinem Frauenarzt, um mir sagen zu lassen, dass mein Hormonhaushalt so perfekt sei wie er sich nur bei wenigen Frauen zeigt und ich mir aufgrund meines Alters (31) nun wirklich keine Gedanken machen müsse. Nach zahlreichen Statistiken und Beispielen von Frauen, bei denen es sogar drei Jahre gedauert hätte (auch diese Information hat mich nicht gerade getröstet), schlich ich aus der Praxis. Mein neues Mantra im Kopf: „Du MUSST einfach nur loslassen. Du MUSST einfach nur loslassen. Du MUSST – Verdammt, ICH KANN NICHT”. Denn dafür wünschte ich mir die Schwangerschaft einfach zu sehr.

Ablenkung durch andere Ziele

Da mit jedem verstrichenen Monat meine Motivation, mich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren, sank, beschloss ich mich künstlich zu motivieren. Mein Fitnesslevel lies langsam zu wünschen übrig. Die eine Yogastunde in der Woche und ein bisschen Joggen spürte ich maximal im kleinen Zeh. Also gab ich mir einen heftigen Schubser. Ich schaute die Überblicksseite vom Triathlon Deutschland an und landete zufällig beim Allgäu Triathlon, der zweieinhalb Monate später stattfinden sollte. Nachdem ich den wahnsinnig motivierenden Teaser 15 Mal angesehen hatte, meldete ich mich enthusiastisch, aber mit zitternder Hand für die Sprint-Distanz an. Das schien mit konsequentem Training auf jeden Fall außerhalb meiner Komfortzone zu sein.Selbstbestätigung und Fokus. Genau das was ich brauchte.

Die folgenden Wochen stieg ich zum „Achterbahnfahren” aufs Rennrad – und machte mir dort meine Gedanken. warum ich nicht schwanger wurde, joggte im Park so schnell ich konnte an den kinderreichen Familien vorbei. Im See rauschte ich hektisch kraulend an den werdenden Müttern vorbei. Ohne es gleich zu merken, stieg wieder sportlicher Ehrgeiz in mir hoch. Irgendwann hatte ich das Gefühl unter Wasser atmen zu können und für einen Triathlon Massenstart im Wasser tatsächlich gewappnet zu sein. Mein unrealistischen Ziel am Triathlon in nur so kurzer Zeit teilzunehmen, wurde realer umso mehr Leuten ich es erzählte. So ein paar Fans auf der Achterbahnstrecke kann nie schaden.

Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich eineinhalb Monate lang nicht schwanger werden dürfte. Endlich gab es einen Grund, warum es zumindest bis zum Triathlon nicht klappen würde.

Wenn man am wenigsten damit rechnet …

Vor dem Triathlon galt es auch noch meine Hochzeit zu organisieren. Zwischen all dem „Halb-Loslassen” und meinem Hochzeitsvorbereitungsliebestaumel geschah dann das plötzlich unerwartete: Ich wurde schwanger. Über 18 Mal hatte ich diesem Moment entgegen gefiebert und bestimmt acht mal war ich mir ganz sicher, genaue Anzeichen für eine Schwangerschaft zu spüren. Das kennen wahrscheinlich alle, denen es ähnlich ging.

Es ist ein Wunder – was für eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nach einem warmen, festen Händedruck meiner Frauenärztin und dem Habe-ich-doch-gesagt-dass-das-schon-wird-Blick schwebte ich mit meinem Freund aus der Praxis. Unser Liebesglück war perfekt.

Eine Woche vor der Hochzeit war das Badezimmer mein engster und fast einziger Begleiter. Mir dämmerte es langsam, dass ich nicht nur den Triathlon vergessen konnte, sondern, wenn ich Pech hatte, auch meine Hochzeit durch einen Achterbahn-Tunnel fahrend im Badezimmer verbringen würde. Es musste also ein neues Mantra her: „Das ist eine absolute Luxussituation. Das ist eine absolute Luxussituation. Das habe ich mir so lange gewünscht”. Meine Freundin, die nur eine Woche schwangerer als ich war, holte mich dann schnell in die Realität  zurück: „Das habe ich mir auf jeden Fall romantischer vorgestellt”.

Jetzt schlittere ich so langsam in den vierten Monat hinein und hoffe darauf, dass mein „Erinnerndes Ich” in die Hände spuckt und dem „Erfahrenden Ich” zeigt, wer von beiden der Stärkere ist. Es geht schon los. Denn rückblickend hatte ich ein rauschendes Hochzeitsfest voller Liebe und einem kleinen Geheimnis in mir. Da ist es endlich wieder: der Mut und die Zuversicht auf die Magie der Natur zu Vertrauen.

Über meine Erlebnisse hinaus, sollte nicht vergessen werden, dass es nicht wenige Frauen gibt, bei denen es mit dem Schwangerwerden auch nach langer „Achterbahnfahrt” nicht auf natürlichem Wege klappt. Mittlerweile gibt es so viele Möglichkeiten, auf anderem Wege schwanger zu werden oder ein anderes Familienmodell voller Liebe und Erfüllung zu leben. Wichtig ist diese Themen aus dem Tabu herauszuheben und sich somit offen und authentisch zu zeigen. Das macht anderen Frauen Mut und gibt uns nicht nur die Chance offene und verbindendene Gespräche zu führen, sondern viel mehr mit jedem dieser Gespräche ein Stück gesellschaftliche Veränderung herbei zu führen.

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