Noch immer sind Künstlerinnen auf dem Markt unterrepräsentiert. Anne Bengard spricht über ihre persönlichen Erfahrungen in der Männerdomäne und darüber, warum Vielfalt so wichtig ist, um alte Strukturen aufzubrechen.
Mehr Gleichberechtigung auf dem Kunstmarkt
Anne Bengard ist Künstlerin. Seit ihrer Kindheit ist sie fasziniert von Farben und Formen. Ihr Stil wird von Animes und Mangas, Realismus und Einflüssen der Popkultur getragen – schrille und verzerrte Motive in gedeckten Farben sind ihr Markenzeichen. Oft überflutet sie damit die Leinwände, Fassaden oder ganze Räume. Anne findet es wichtig, mit ihrer Kunst gesellschaftliche Normen und Vorurteile zu hinterfragen. Wie ihr das gelingt, erzählt sie im Gespräch.
Wir haben sie gefragt, was es bedeutet, als junge Frau in die männerdominierte Kunstwelt einzusteigen, welchen Herausforderungen sie sich stellen musste und wie die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in Zukunft aussehen könnte.
Was waren deine ersten Berührungspunkte mit der Kunstszene?
„Ich habe als Kind oft und viele meiner liebsten Anime- und Disney-Charakere nachgemalt. Der erste Künstler, der mich so richtig beeindruckt hat, war Keith Harring. Meine Mutter hat damals aus einem seiner Kalender einzelne Bilder ausgeschnitten, eingerahmt und in unserer Wohnung aufgehängt. Die knalligen Farben und Figuren haben mich damals sehr beeindruckt.“
Du kommst ursprünglich aus Leipzig und hast in London studiert. Was zieht Dich nach Berlin?
„Für Berlin habe mich, wie viele andere Künstler auch, wegen den günstigen Mietpreisen für Wohn- und Arbeitsflächen entschieden. Außerdem habe ich in Berlin gelebt, bis ich neun Jahre alt war. Seitdem hatte ich immer den Wunsch, eines Tages zurück zu gehen.“
„You will always fail, so try again and fail better“
Was war das Wichtigste, was du während deiner Ausbildung am Central Saint Martins College of Art and Design gelernt hast?
„Uns wurde klar gemacht, dass die Arbeitswelt kein Zuckerschlecken ist. Wir waren in vielen Dingen auf uns selbst gestellt, zum Beispiel wurde uns handwerklich nicht viel beigebracht. Die Kritik war manchmal sehr hart. Eigentlich war nie etwas richtig, es war immer Luft nach oben. ,You will always fail, so try again and fail better’, das war das Mantra meines Studiums.“
Wenn du London und Berlin vergleichst – welche Unterschiede gibt es in der Kunstwelt?
„Es ist nicht so einfach, diese Frage zu beantworten. Jedenfalls nicht, ohne ein kleines Buch zu schreiben. Was ich aber sagen kann, ist, dass die Kunstwelt in beiden Städten sehr viele Facetten zeigt. Während in London mehr Geld in die Kunstszene fließt, haben in Berlin auch junge, anstrebende Künstler den Freiraum und die Gelegenheit zu experimentieren und sich künstlerisch zu entfalten.“
„Ich freue mich auf den Tag, an dem die Gleichberechtigung auch auf dem Kunstmarkt angekommen ist und die Werke von Frauen genau so viel wert sind, wie die von Männern.“
Street Art und Kunst im Allgemeinen ist in der öffentlichen Wahrnehmung eher von Männern dominiert. Beeinflusst dich das?
„Ja, das tut es, leider. Ich freue mich auf den Tag, an dem die Gleichberechtigung auch auf dem Kunstmarkt angekommen ist und die Werke von Frauen genau so viel wert sind, wie die von Männern. Kunstgeschichte, wie wir sie traditionell aus den Büchern kennen, wurde vielleicht von Männern geschrieben. Doch die zukünftige Kunstgeschichte wird jetzt geschrieben. Und natürlich schreiben Frauen diese mit.“
Inwiefern ist die weibliche Perspektive auf Kunst und im Arbeiten eine andere als die von Männern?
„Das kann ich ehrlich gesagt gar nicht beurteilen. Meiner Meinung nach hat jeder einzelne Mensch eine ganz eigene Perspektive. Ich finde nicht, dass man die Arbeitsweise unbedingt auf das Geschlecht beziehen kann.“
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus: Was machst du morgens als erstes und womit endet dein Tag?
„Einen typischen Arbeitstag gibt es bei mir nicht. Ich habe keine durchgehende
Routine. Ich muss mich verschiedenen Projekten und Aufträgen anpassen. Manchmal stehe ich auf, male den ganzen Tag, gehe ins Bett, schlafe für ein paar
Stunden, stehe wieder auf und mach weiter. Manchmal bin ich aber auch den ganzen Tag dabei am Computer zu sitzen, Mails zu beantworten, Konzepte zu entwerfen und meine Buchhaltung zu machen. Ja, und manchmal, da mach ich sogar gar nichts und entspanne mich ein bisschen.“
Viele deiner Arbeiten zeigen Gesichter. Der Fokus liegt insbesondere auf der Darstellung von Augen und Mund. Warum fasziniert dich das so?
„Die meisten Menschen finden einen Bezug zu einem menschlichen Gesicht. So auch bei mir. Augen und Mund sind für mich echte Blickfänger, aus denen man unheimlich viele Ausdrücke lesen kann, je nachdem wie man sie abbildet.“
Welche Vision hast du als Künstlerin?
„Ich bin extrem selbstkritisch und versuche meine Methoden, sei es Technik oder die Art und Weise, mit der ich eine Idee abbilde und kommuniziere, stets zu verbessern. Ich lerne am liebsten von anderen Menschen, und das nicht nur in Sachen Kunst, sondern allgemein. Mir ist es wichtig, alles was ich tue, auch bewusst zu reflektieren. Ich hoffe mit meiner Kunst, auch andere Menschen dazu zu inspirieren dasselbe zu tun; offen und empfänglich zu sein, Dinge zu hinterfragen und auch einfach Freude an Kreativität und diversen Ausdrucksformen zu haben.“
Es geht dir bei deiner Kunst auch darum, soziale Normen und Vorurteile abzubilden. Wie bringst du die Menschen mit deiner Kunst dazu, gesellschaftliche Konstrukte zu hinterfragen?
„Ich gehe schwierige Themen mit einer sanften oder humorvollen Art und Weise an. Dabei spielt meine Farbpalette eigentlich die größte Rolle. Die Pastellfarben, die ich am liebsten verwende, haben etwas fröhliches und einladendes an sich. Das stellt oft einen starken Kontrast zu meinen Motiven dar. Ich habe gemerkt, dass sich Menschen wegen diesem unerwarteten Kontrast länger mit den Werken auseinandersetzen, hinterfragen und reflektieren. Und genau das will ich ja bewirken.“
„Wenn ich also etwas ändern könnte, dann denke ich an eine Kunstwelt, in welcher nicht nur überwiegend weiße Männer entscheiden, welche Werke wichtig oder wertvoll sind.“
Wenn du etwas in der Kunstwelt ändern könntest, was wäre es?
„Krass finde ich, wie mit Kunst gehandelt wird und zum Beispiel Geldwäsche betrieben wird. Da würde ich mir mehr Transparenz wünschen – auch, um nachvollziehen zu können, wie über Preise entschieden wird. Meist werden die von reichen und einflussreichen Menschen hochgeschaukelt. Gleichzeitig finde ich es natürlich gut, dass der Kunstmarkt so gesehen der letzte freie Markt ist. Wenn ich also etwas ändern könnte, dann denke ich an eine Kunstwelt, in der nicht nur überwiegend weiße Männer entscheiden, welche Werke wichtig oder wertvoll sind. Ich wünsche mir Vielfalt und dass sich insgesamt mehr Menschen einbringen können, das gilt besonders für die ,Spitze‛ der Kunstwelt.“
Alle Bilder: Anne Bengard
Mehr bei EDITION F
Ailine Liefeld: „Man muss rausgehen und darüber reden, was man macht“ Weiterlesen
Ezgi Polat: „Wer etwas mit der Kunst erreichen will, darf sich nicht verformen lassen und nicht aufgeben“. Weiterlesen
Nina Haab: „Ohne Erinnerungen haben wir keine Vergangenheit“. Weiterlesen