Es gibt viele Annahmen und Klischees zum Thema „Frauen, Männer und Sprache“. Aber gibt es wirklich geschlechtsspezifisches Sprechen, und wo liegen Unterschiede? Wir bieten einen Denkanstoß.
Sprechen wir geschlechterspezifisch?
Es ist leicht, eine Behauptung wie „Männer und Frauen sprechen zwei verschiedene Sprachen“ in den Raum zu werfen. Bei einer genaueren Betrachtung wird jedoch schnell die Komplexität der Zusammensetzung von Sprache und Geschlecht klar.
Schaut man sich hier zum Beispiel das Kommunikationsverhalten an (hierunter fällt die Frage „Wer unterbricht wen?“)? Oder geht es um die Aussprache, Lexik, Wortbildung oder Wortwahl? Ist vielleicht doch interessanter, worüber sich die unterschiedlichen Geschlechter unterhalten? Interessieren sich Männer wirklich mehr für Problemlösungen und Frauen für Gefühle? Wie sieht die Betonung aus und in welcher Tonlage bewegt sich die Stimme?
Hinzu kommen Bestrebungen, wie die feministische Sprachreform, die Sprache an sich geschlechterneutraler gestalten wollen. Diesbezüglich gibt es beispielsweise die Möglichkeit, Wörter geschlechtsspezifisch zu markieren (wie zum Beispiel „Polizist“ und „Polizistin“) oder gender-neutrale Bezeichnungen (wie „Studierende“) zu finden. Was ist dann mit dem generischen Maskulinum: Ist es fair, dass wir man sagen und alle meinen? Wie reden wir über Männer oder Frauen und wie gehen wir damit um, dass in Wortpaaren der weiblichen Variante oft Negativität anhaftet (zum Beispiel beim englischen master – „Meister“ versus mistress – „Geliebte“, oder gouverneur versus „Gouvernante“)? Dann gibt es Sprachen wie das Französische, in denen es verschiedene Pronomen für die dritte Person Plural gibt: Für eine Gruppe von Männern heißt es ils, für Frauen elles, für gemischte Gruppen wird jedoch schlichtweg die männliche Variante ils genutzt.
Was ist, wenn das biologische Geschlecht nicht mit der sozial determinierten Genderidentität übereinstimmt oder sich Personen auf einem Gender-Spektrum sehen? Die Sprachweise ist immer auch ein Ausdruck der eigenen Identität und moralischer oder politischer Vorstellungen. Kurz: Es steht viel auf dem Spiel, wenn wir uns dieser Frage annehmen.
Während geschlechterspezifisches Sprechen beispielsweise im Englischen auf den ersten Blick subtil erscheint, sind sie im Deutschen durchaus ausgeprägter. In Japan wiederum bedienen sich Männer und Frauen auffällig verschiedener Sprachen: Hier spielt das Geschlecht des Sprechers eine wichtige Rolle in der Wortwahl und der Satzstruktur. Die Unterschiede sind so ausgeprägt, dass sie zum Standardrepertoire von Schauspielern und Travestiekünstlern gehören.
Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast
Nicht nur die Forschungsthemen im Bereich Gender und Sprache werfen Probleme auf, sondern auch die Forschungsmethoden: „Männer tendieren dazu, Frauen öfter zu unterbrechen als anders herum.“ Aussagen wie diese sind vielleicht sehr befriedigend, wenn frau sie dem Partner nach einem Streit unter die Nase halten will. Aber viele der Studien, die zu diesem Thema kursieren, sind unter – gelinde gesagt – fragwürdigen Umständen entstanden. Sprache ist kompliziert und wird von vielen Faktoren beeinflusst. Schon das Beispiel der Unterbrechungen muss in jedem Fall relativiert werden: In welchem Kontext unterbricht wer wen? Welche Hierarchien bestehen zwischen diesen Menschen? Welche Art von Unterbrechungen gibt es – handelt es sich wirklich um eine Unterbrechung oder wird nachgehakt oder durch Feedback zum Weiterreden animiert?
Sprechen Frauen und Männer nun anders oder nicht?
Die linguistische Forschung stellt einige Unterschiede der Sprachverwendung von Frauen und Männern fest. Wir listen diese im Folgenden auf.
Unterschied 1: Lautstärke
So erwähnen Linke, Nussbaumer und Portmann im „Studienbuch Linguistik“, dass Frauen generell leiser sprechen und „charakteristische weibliche Intonationskurven“ haben. Zudem gibt es Unterschiede in der Stimmlage: Obwohl es theoretisch beim Stimmumfang (also wie hoch oder tief jemand spricht) Überlappungen gibt, nutzen Frauen eher den oberen und Männer eher den unteren Teil des ihnen zur Verfügung stehenden Grundfrequenzbereiches, sodass es im Alltag kaum zu Überdeckungen kommt. Selbst Unterschiede, die wir als biologisch wahrnehmen (Frauen haben hohe Stimmen, Männer tiefe), könnten also möglicherweise das Resultat eines sozialen Konstrukts sein.
Unterschied 2: Schimpfwörter
Frauen fluchen generell weniger als Männer – sie verwenden weniger Kraftausdrücke oder schwächen diese ab.
Unterschied 3: Schreibsprache
Auch in der geschriebenen Sprache gibt es Unterschiede: Hier orientieren sich Frauen generell mehr an der gesprochenen Sprache und bilden kürzere Sätze.
Unterschied 4: Unterbrechungen
Entgegen des Klischees, dass Frauen den Mund nicht halten können, steuern Frauen im Interaktions- und Gesprächsverhalten kürzere Redebeiträge als Männer bei, werden häufiger unterbrochen und bestimmen seltener das Gesprächsthema.
Unterschied 5: Sprachmuster
Frauen schwächen ihre Formulierungen außerdem häufig durch sogenannte tag questions (also Formulierungen wie „ist es nicht so“) ab und tendieren zu „Ich-Aussagen“ (wie „ich finde“), während Männer eher zu verallgemeinernden Aussagen neigen. Dies schließt nach Angaben von Ingrid Samel auch statusmanifestierende Aussagen wie „wir Ärzte“ oder „wir Anwälte“ ein.
Unterschied 6: Sprachkompetenz
Sprachstörungen wie Lese-Rechtschreib-Schwächen, Stottern und Aphasien werden häufiger bei Männern diagnostiziert.
Was sollst du mit dem Wissen um die sprachlichen Unterschiede nun anfangen?
Anzuerkennen, dass Menschen verschiedene Gesprächsstile haben, kann sowohl in persönlichen Beziehungen als auch in der Geschäftswelt von Vorteil sein. Anstatt sich zu fragen: Wie sprechen Männer und warum ist das falsch oder wie sprechen Frauen und warum ist das auch nicht richtig, könnten wir uns die folgende Herangehensweise angewöhnen: Wie spricht eine bestimmte Person und wie können wir unsere Sprachstile so weit annähern, dass wir eine erfolgreiche Kommunikation erreichen?
Unser Kollaborationspartner Babbel hat diesen Artikel anlässlich des Weltfrauentags eigens für EDITION F verfasst. Im Babbel Magazin könnt ihr weitere Texte zu verwandten Themen lesen.
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