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Bewusster (Mode-)Konsum: Guter Stil heißt auch, Verantwortung zu übernehmen

Vom Fast-Fashion-Konsum zu einem sehr bewussten Umgang mit Mode – unsere Autorin fragte sich vor einiger Zeit: Kann man überhaupt noch einen guten Stil ungeachtet einer sozialen und ökologischen Verantwortung haben? Ihre Antwort ist: Nein.

Guter Stil geht nur mit Haltung

Mit sechs Jahren besaß ich einen spießigen, grau melierten Aktenordner, in den ich Bilder von bunten Kleidungstücken heftete, die ich zuvor sorgfältig aus Fernsehzeitungen, Werbeprospekten und Magazinen ausgeschnitten hatte. Damals wusste ich sehr genau, was mir gefällt und was ich gern tragen würde, wäre ich erwachsen. Ich glaube sogar, ich hatte im Grundschulalter mehr Ahnung von Stil, zumindest von meinem eigenen, als 20 Jahre später.

Tatsächlich halte ich es aktuell für eine große Herausforderung, seine persönliche modische Identität zu finden. Die schiere Masse an Bildern und Möglichkeiten kann einen schon einmal ratlos zurücklassen. Schaue ich etwa in meinen Instagramfeed, dann ist der voll mit Kleidung, aber meist auch ziemlich frei von Stil. Viele Influencer*innen präsentieren am Ende doch immer dieselben, scheinbar willkürlich zusammengewürfelten PR-Samples, um so ihr Geld zu verdienen. Ästhetisch gesehen kann das natürlich jede*r halten wie er*sie will. Doch den Konsumdruck, der hier erzeugt wird, können wir uns als Gesellschaft eigentlich nicht mehr leisten. Modethemen gehen doch längst über das Ästhetische hinaus, weil man sich die Frage stellen muss: Kann man heute überhaupt noch einen guten Stil ungeachtet einer sozialen und ökologischen Verantwortung haben? Ich glaube nicht. Im Gegenteil: Ich halte es für absolut notwendig, das Streben nach Selbstentfaltung mit der Verpflichtung unserem Planeten und unseren Mitmenschen gegenüber in Einklang zu bringen, auch modisch. Guter Stil bedeutet Haltung zu zeigen – für und gegen bestimmte Unternehmen, Geschäftsmodelle, Produktionsabläufe und Werte.

Wann das Umdenken begann

Diese Erkenntnis brauchte auch bei mir Zeit. Bis zum späten Herbst 2016 hatte ich mir wenig Gedanken um die Bedingungen in der Modebranche gemacht. Fast wöchentlich zogen neue Kleidungsstücke in meinen Schrank ein. Die Fächer quollen über und ich wusste gar nicht mehr genau, was ich überhaupt besaß. Einzelne Teile verschwanden spurlos in der Masse der Neuanschaffungen. Sie kamen dann zum Vorschein, wenn ich mal wieder verzweifelt nach dieser einen Hose oder dieser einen Bluse kramte, die ich zu besitzen meinte. Man hätte es meinen Nachbarn nicht verdenken können, hätten sie dem Paketboten irgendwann die Annahme meiner Bestellungen verweigert. Ich sammelte Kleidung wie damals die ausgeschnittenen Bilder in meinem Aktenordner.

All das änderte sich, als wir eines nachmittags in der Uni die Doku „Gift auf unserer Haut“ schauten. In ihr geht es um die Lederherstellung in Bangladesch. Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Fernsehbeitrag so beeinflussen könnte, aber was ich gesehen hatte, ließ mich nicht mehr los. Ich begann zu zweifeln – an mir, an meiner Lebensweise, an meiner Art zu konsumieren. Natürlich hatte ich auch vorher schon einmal von Rana Plaza gehört oder davon, dass ein T-Shirt für fünf Euro niemals von einer Schneiderin genäht worden sein kann, die gerecht bezahlt wird. Warum habe ich mich nicht früher damit auseinandergesetzt? Vielleicht, weil man unbequeme Gedanken im Alltag schnell wieder zur Seite schiebt. Das ist schließlich einfacher, als langgehegte (Konsum-) Gewohnheiten plötzlich über Bord zu werfen.

Vor der Veränderung kommt das Auseinandersetzen mit dem eigenen Konsum

Zuhause angekommen setzte mich jedenfalls sofort an meinen Schreibtisch, um dem Verdrängen gar keine Chance zu geben. Ich recherchierte los, las über Produktionsbedingungen in Textilfabriken in Kambodscha und Myanmar, über die Umweltbelastung durch die Modeindustrie und den völlig verdreckten Fluss Buriganga. Ich suchte nach fairen Marken, überprüfte jene Unternehmen, bei denen ich jahrelang eingekauft habe – und war gleich noch ein bisschen mehr entsetzt. Nach meinen Recherchen stand für mich außer Frage, dass ich etwas ändern muss: Ich beschloss, weniger Kleidung zu kaufen und statt auf Fast Fashion, auf Vintage- und Secondhand- sowie auf fair und umweltfreundlich produzierte Mode zurückzugreifen. Und ich begann, mich bewusst damit zu beschäftigen, was ich eigentlich schon besitze.

Die wenigsten Teile in meinem Schrank hatte ich mehr als einmal getragen. Im Grunde war mir auch das nicht neu. Nur eingestehen wollte ich es mir nicht so recht: Ich bestellte so viel, weil mich Kleidung extrem schnell langweilte. Neue Sachen vermittelten mir zumindest kurzzeitig ein Gefühl von Abwechslung und Befriedigung in dem Moment, in dem ich auf den Button „kaufen“ klickte.

Ein Blick auf die kleinen weißen Etiketten machte mir klar, wo genau all meine gehorteten Sachen überhaupt hergestellt worden sind, und dass mir das bis zu diesem Zeitpunkt völlig egal gewesen war. Ich stand vor meinem Schrank als hätte er mir gerade eine grausame Wahrheit erzählt. Denn tatsächlich ist es ziemlich ernüchternd, seine Garderobe einmal systematisch zu beleuchten. Was trage ich oft? Made in? Wie viele Fehlkäufe hängen in meinem Schrank? In der Regel sind es doch überwiegend Basics – schwarzer Pulli, weißes T-Shirt, blaue Jeans – zu denen man wirklich regelmäßig greift. Und besonders diese Teile bekommt man problemlos auch in der fairen und nachhaltigen Ausführung.

Ich suche nicht mehr nur nach Mode, sondern nach Geschichten

Seit ich begonnen habe, viel in Secondhand- und Vintageshops zu stöbern, habe ich außerdem gelernt, hochwertige verarbeitete Kleidung und vor allem auch die Geschichten einzelner Kleidungsstücke wertzuschätzen. Ja, mittlerweile suche ich gezielt nach diesen Geschichten, schiebe in Läden Kleiderbügel um Kleiderbügel zur Seite und hoffe, dass mich eine überrascht. Je kleiner das Geschäft, desto wahrscheinlicher ist es, Geschichten zu finden. Denn hin und wieder erinnern sich die Inhaber*innen tatsächlich, wie welches Teil zu ihnen gefunden hat.

Auch wenn ich Kleidung oder Accessoires auf dem Flohmarkt kaufe, frage ich die Verkäufer*Innen oft danach, wo sie das Teil ursprünglich her haben, wem es vielleicht einmal gehört hat oder ob sie eine bestimmte Geschichte damit verbinden. So ist schon eine weiße Tasche aus den 60ern in meine Sammlung eingezogen, die einmal einer älteren Dame aus Berlin gehörte, oder eine Kette, einst Souvenir von einer Reise durch die Mongolei. Mit diesem Wissen bekommt die Mode, die ich trage, eine ganz neue Bedeutung, die auf der Stange bei den üblichen Branchenriesen nicht zu finden ist.

Strategien, wenn die Konsum-Lust eben doch anklopft

Natürlich habe ich sie auch, diese Abende, an denen ich gedankenverloren in Online-Shops unterwegs bin, weil es mich entspannt, Wunschzettel zu füllen und mir auszumalen, was ich diesen Sommer gern tragen würde. Für diese Abende habe ich eine Lesezeichen-Liste ausschließlich mit Shops angelegt, bei denen ich guten Gewissens einkaufen kann. Darunter sind einige Secondhand- und Vintage-Webseiten, weil ich es nach wie vor für am verantwortungsvollsten halte, bereits existierende Kleidung zu kaufen, statt neu produzierte, aber auch einige ethisch korrekte und umweltbewusste Labels wie Armedangels oder Reformation (Madeleine Daria Alizadeh von dariadaria hat dazu hier einen Blogpost verfasst sowie hier eine sehr hilfreiche Link-Liste zusammengestellt). Hat man sich erst einmal mit Alternativen beschäftigt, erkennt man, dass faire Mode nicht immer übermäßig teuer sein muss. Und selbst wenn: besser für ein kostspieligeres Teil sparen, statt zehn billige kaufen.

Ich würde behaupten, dass ich meinem eigenen Stil nähergekommen bin, seit ich bewusster konsumiere und die ethischen Grenzen beachte, die ich mir selbst gesteckt habe. Ich suche ganz gezielt nach dem Besonderen, nach dem Einzigartigen, nach dem Vintage-Blazer oder einer gerade geschnittenen, ausgewaschenen Männer-Jeans aus dem Second-Hand-Laden. Je kleiner die Auswahl an Kleidung, die für einen persönlich infrage kommt, desto treffsicher und überlegter ist die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Teil – eben, weil man persönliche Werte mit der Identität zusammenbringt, die man sich mithilfe von Kleidung erschaffen will. Wer bewusst konsumiert, braucht zwar sicherlich mehr Geduld, bis er das richtige Teil gefunden hat; manchmal sucht man lange nach der Hose in der passenden Größe, nach dem Shirt mit dem richtigen Blauton. Dafür ist diese Art von Kleidung eben keine Fast Fashion.

  1. Hallo Sophia, toll geschrieben, danke! Gerade das Auseinandersetzen mit dem eigenen Konsum ist das Härteste und neu zu handeln ist für viele das Schwierigste. Du hast es auf den Punkt gebracht. Jeder hat seine Lieblingsteile und abhängig von der Persönlichkeit auch in unterschiedlichem Stil. Ich finde modisch und nachhaltig geht auf jeden Fall auch zusammen (ich arbeite schon als Stylistin dazu und erarbeite gerade ein weiteres Konzept, damit viel mehr Menschen Lust auf faire Mode haben und ihren Stil finden). Schön, dass auch mehr über das Thema geschrieben wird; ich freu mich wieder mit dem Thema von Dir zu lesen.

  2. Hallo Sophia,
    ich bin mittlerweile fast 40 und ich schoppe seit meiner ersten Festanstellung nicht mehr gerne in Läden. Dieser Trend immer hinter einem Stil herzulaufen, nur weil es xy sagt oder uns zeigt fand ich schon immer eher anstrengend. Denn nicht immer sah es gut aus was jemand mein was die Welt tragen sollte.
    Oft verspüre ich auf den Straßen von heute die Lust zu fragen wo bitte ist die individuelle Frau geblieben hinter diesen Haufen zusammen gewürfelten Kleidungsstücken.

    Da es umweltbewusst und ökonomisch sehr schwer ist Kleidung zu schoppen habe ich entschieden nur noch Kleidung aus zweiter oder gerne auch dritter Hand zu kaufen. Es ist ein SCHÖNES Gefühl altem wieder ein neues Leben zu schenken.
    Mal ganz davon abgesehen, sehe ich dann auch nicht aus wie alle.

    Als junge Frau habe ich immer gedacht ich habe nicht genug Selbstvertrauen das anzuziehen was alle tragen, weil ich es an mir nicht toll fand.
    Heute weiß ich, es ist genau anders. Ich habe genug Selbstvertrauen um so zu sein wie ich bin und mich damit richtig wohl zu fühlen.

    Das wünsche ich mir für viele wunderschöne Frauen die sich hinter der Masse verstecken oder besser verstecken lassen.

  3. Endlich rafft es auch der Modejournalismus. Mode soll ebenfalls nachhaltig sein. Zum Beispiel Jeans: das ist ein langjähriger Stil, aber keine Mode. Vielen Dank für diesen Artikel, den hoffentlich viele Leute lesen.

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