Digitalisierung für alle? Von wegen: Der Digital Gender Gap zeigt, dass deutsche Unternehmen noch weit von einer digitalen Gleichberechtigung entfernt sind. Woran das liegt und wie dem entgegengewirkt werden kann, beschreiben Forscher*innen in einer neuen Studie.
Wie die Digitalisierung Frauen abhängen kann
75 Prozent der Männer in Deutschland werden von ihren Unternehmen mit Laptops, Smartphones und anderen digitalen Geräten ausgestattet – aber nur 55 Prozent der Frauen bekommen im selben Beruf die gleiche digitale Ausstattung. Woran liegt das? Wer profitiert von der Digitalisierung? Wie kann diesen Unterschieden und ihren Folgen entgegengewirkt werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Forscher*innen in der Studie „Digital Gender Gap – Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt“.
Die Studie wird jährlich von der „Initiative D21“ durchgeführt, um einen Überblick über die Fähigkeiten und das Wissen im digitalen Bereich von Frauen und Männern in Deutschland zu bekommen. Dazu wurden Personen im Alter zwischen 14 und 65 Jahren befragt, davon 10.319 Frauen und 10.087 Männer. Die Forscher*innen wollen herausfinden, wie stark die digitalen Kompetenzen der Befragten im schulischen oder beruflichen Bereich auseinandergehen. Ziel ist es, eine digitale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern und die großen Unterschiede beim Digitalisierungsgrad zu verkleinern.
So zeigt sich der „Digital Gender Gap“
Die Forscher*innen kamen zum Ergebnis, dass Frauen in der digitalisierten Arbeitswelt benachteiligt sind. Selbst bei jungen Generationen, die mit der Digitalisierung aufwachsen, zeigen sich bereits Unterschiede: So gibt ein Viertel der befragten jungen Männer an, dass sie Programmiersprachen beherrschen, bei den jungen Frauen hingegen trifft das nur auf jede zehnte zu. Die praktischen Tests hingegen zeigten, dass junge Frauen sich meist unterschätzten und junge Männer überschätzten. Diese Selbsteinschätzungen seien darauf zurückzuführen, dass Kinder und Jugendliche schon früh Stereotype erleben und danach ihre Interessen ausrichten. So neigen Frauen dazu, sich in klassisch männlich besetzten Kompetenzfeldern, wie Mathe oder Technik, geringere Fähigkeiten zuzuschreiben, obwohl sie die gleiche Leistung erbringen. Männer hingegen tendieren aufgrund der Stereotype dazu, ihre Fähigkeiten in den „typisch männlichen“ Bereichen höher einzuschätzen.
In der Studie wurden Teilnehmer*innen nach ihrer Selbsteinschätzung in verschiedenen digitalen Bereichen befragt und nahmen an praktischen Tests teil: Beispielsweise wurden Fachbegriffe abgefragt, wie routiniert der Umgang mit verschiedenen Programmen oder Social-Media-Plattformen ist oder wie sich die Teilnehmer*innen über neue Technologien informieren. In allen Bereichen schätzten Frauen sich weniger kompetent ein. Das hat verschiedene Ursachen: Zum einen stereotype Vorstellungen und Rollenmuster, welche die Idee entstehen lassen, dass Frauen grundsätzlich weniger Kompetenz in solchen Bereichen haben. Zum anderen werden Frauen im digitalen Bereich weniger gefördert. Sie nehmen Weiterbildungen zu digitalen Themen weniger in Anspruch oder bekommen schlichtweg keinen Zugang zu digitalen Geräten von ihrem*ihrer Arbeitgeber*in .
Steigert die Digitalisierung die Lebensqualität? 53 Prozent der männlichen und 45 Prozent der weiblichen Befragten haben mit „Ja“ geantwortet. Der Unterschied hängt auch hier mit dem Zugang zu digitalen Geräten und Programmen zusammen, die beispielsweise das Arbeiten im Homeoffice ermöglichen. Wem die Möglichkeiten zur Verfügung stehen, der*die kann sie für räumlich und zeitlich flexibles Arbeiten nutzen – einen Vorteil, den mehr Männer in der Befragung nannten als Frauen.
Das muss sich ändern
Auf Basis der Studienergebnisse fordern die Forscher*innen Veränderungen in drei Bereichen: Zum einen müssten gendergerechte Qualitätsstandards für digitale Kompetenzen entwickelt werden. Das heißt, Aus- und Weiterbildungsangebote sollten sich an die Lebenswelten von Männern und vor allem auch Frauen individuell anpassen und die vielen verschiedenen Wissensstufen bedienen.
Des Weiteren sollten Unternehmen, die gendergerechte Zukunftskonzepte entwickeln und umsetzen, unterstützt und ausgezeichnet werden. Dazu gehört, dass Unternehmen sicherstellen, dass alle Mitarbeiter*innen gleichermaßen mit digitalen Geräten ausgestattet sind – ungeachtet der Anstellungsart, des Geschlechts oder der Gehaltsstufe. Und die Forscher*innen fordern ein verlässliches System, welches eine faire Verteilung der Geräte garantiert. So gab der Großteil der Frauen an, dass die Verteilung willkürlich erfolge und nicht nach dem Nutzen oder der Art der Tätigkeit.
Zuletzt plädieren die Forscher*innen dafür, dass gendergerechte Weiterbildungen ein wichtiger Teil bei pädagogischen Fachkräften in der ganzen Bildungskette ausmachen sollten. Demnach sollen beispielsweise genauso viele Frauen wie Männer als Lehrpersonal tätig sein und weitergebildet werden. Denn je diverser Pädagog*innen aufgestellt sind, umso diverser sind auch ihre Lebensrealitäten und umso besser können sie jungen Menschen vermitteln, dass alle an der Digitalisierung teilhaben und sich dafür interessieren können.