Überwachung am Arbeitsplatz für eine bessere Feedback-Kultur? In diesem Monat geht es in der Thirtysomething-Kolumne unserer Autorin Silvia Follmann um die Frage, wieso Führungskräfte oft an ihren eigentlichen Aufgaben vorbeiarbeiten.
Immer unter Beobachtung
Wie bewerte ich die Leistung von Mitarbeiter*innen wirklich umfassend, und wie viel Zeit habe ich überhaupt dafür, mich mit ihnen und ihrer Arbeit zu beschäftigen? Gute Fragen, die sich Führungskräfte immer wieder stellen müssen. Die ich mir im Laufe meines Berufslebens auch selbst schon oft stellen musste. Wäre es also nicht eine schlaue Idee, mehr Menschen wären an den Antworten beteiligt? Möglicherweise.
Man stelle sich also vor, man würde in einem Büro arbeiten, in dem sich alle Kolleg*innen gegenseitig bewerten. Die gemachten Beobachtungen werden dann von allen in eine Software eingespeist, um den Führungskräften per Klick zu vermitteln, wie sich die anderen Teammitglieder im Alltag so schlagen. Während die einen beim Gedanken daran sofort das Schaudern bekommen, mögen andere vielleicht sagen: Klingt doch nach einer guten Sache, endlich bewerten mich die, die wirklich nahe an mir dran sind!
Im besten Falle läuft dieser Prozess natürlich sehr objektiv ab. Aber was, wenn nicht? Und selbst wenn, was macht es mit einem Menschen, der in einer Gruppe permanent unter Beobachtung steht? Baut das Stress ab oder nicht sehr viel mehr auf? Und wie authentisch kann man innerhalb eines solchen Systems sein, wenn man davon ausgeht, dass zum Menschsein nun einmal Fehler und schlechte Tage dazugehören? Etwas, das es in einem solchen System aber zu verstecken gilt, denn wer kann sich das dann noch leisten?
Gelebte Feedback-Kultur oder Druckaufbau?
Diesen Fragen ging auch eine von der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte Studie am Beispiel von Zalando nach. Denn das Unternehmen, so berichtete die Süddeutsche Zeitung Ende November, nutzt eine Software, mit der sich die Mitarbeiter*innen anonym untereinander bezüglich Verhalten und Leistung bewerten können – die Ergebnisse fließen in die Entscheidung über Beförderungen und Gehälter ein. Die Personalchefin des Unternehmens sieht’s auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung positiv: Eine „gelebte Feedbackkultur“ und Leistungskontrolle sei eben wichtig. Einige Mitarbeiter*innen äußerten sich dagegen anders, sie würden es als Überwachungsinstrument erleben, das vor allem zu mehr Druck führe.
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie hier ein leicht zu manipulierendes System dazu genutzt wird, sich gegenseitig Vor- oder Nachteile zu verschaffen. Wie viel Miteinander bleibt noch übrig, wenn jeder Schritt beobachtet wird, wenn man immer jemanden hinter sich vermuten muss, der die Kontroll-Software anwirft? Ohne, dass man hinterher erfährt, wer einen warum wie bewertet hat? Denn ja, das Feedback von mehreren Personen kann hilfreich sein – aber dann doch bitte im direkten Austausch.
Feuchte kapitalistische Träume
Ich halte die Software aus mehreren Gründen für problematisch. Frappierend finde ich vor allem, dass Unternehmen sich immer noch der möglichst engen Kontrolle ihrer Mitarbeiter*innen verschrieben haben, um sie damit vermeintlich zur vollen Leistung anzutreiben. Denn wie entsteht diese Haltung, wenn nicht aus der Ansicht, Mitarbeiter*innen seien erst einmal und per se faule, unmotivierte Wesen, die ohne das eigene Zutun auf keinen Fall zum Erfolg eines Unternehmens beitragen können? Einige wenige haben verstanden, wie es läuft, der Rest ist Rohmasse, die geformt werden muss? Und genau das sind dann eben auch häufig Unternehmen, in denen es keine Kultur der (offen gelebten) Wertschätzung gibt – nicht, dass man sich noch zu sehr auf seinem Lob ausruht, wo kämen wir da hin? Unter Druck entstehen schließlich Diamanten! Ja natürlich. Oder man macht sich klar, dass Sprüche wie dieser nur die Leitlinie für feuchte kapitalistische Träume sind.
Unterhalte ich mich mit Menschen aus meinem Bekanntenkreis über ihre Jobsituation, sind darunter erschreckend wenige, die ein echtes Vertrauen von Vorgesetzen in ihre Arbeit spüren; die wahrnehmen, dass sie für ihre Arbeit wirklich gesehen werden oder eine Fehlerkultur an ihren Arbeitsplätzen haben. Und das Ergebnis davon beschreiben die meisten dann so: Zu Beginn rennt man umso mehr, in der Hoffnung, dass sich all das doch noch irgendwann einstellt. Bleibt es aber über einen bestimmten Zeitraum aus, egal, wie gut die Ergebnisse sind, kommt die Ermüdungserscheinung, der Frust und die Resignation. Dann folgt maximal Arbeit nach Vorschrift – und irgendwann der Abgang. Oder ein Burnout.
Rennt, bis ihr euch verbraucht habt!
Wie auch nicht? Arbeitsverhältnisse brauchen eine Vertrauensbasis, sie brauchen gegenseitige Wertschätzung, Zutrauen und Offenheit. Denn Arbeitsverhältnisse werden nicht zwischen leblosen Parteien, sondern zwischen Menschen geschlossen. Ein gutes Arbeitsverhältnis entsteht doch überhaupt erst, wenn es nicht nur um das reine Funktionieren, sondern um Gestaltung geht. Wer also möchte, dass Mitarbeiter*innen über sich hinauswachsen können – und daran sollte schon aus rein ökonomischer, wenn schon nicht menschlicher Sicht, wirklich jede*r Unternehmer*in interessiert sein – muss Menschen auch Raum für diese Entfaltung geben. Führungskräfte werden nicht für Micromanagement eingestellt, sondern dafür, Strukturen zu schaffen, in denen sich Mitarbeiter*innen frei bewegen können und dafür, ein Team so zu befähigen, dass sie sich fürs Tagesgeschäft (nahezu) überflüssig machen. Gute Führung braucht also Gestaltungs- und nicht etwa Machtfantasien.
Und dennoch halten viele krampfhaft an dem Prinzip fest: Wer beobachtet, gemaßregelt und angetrieben wird, rennt schneller und rennt weiter – bis er*sie nicht mehr rennt. Aber who cares! Die Nächsten, bitte. Ein Ansatz, der übrigens wieder einmal aus wirtschaftlicher Sicht eine absolute Milchmädchenrechnung ist, wenn man etwa die Babyboomer-Generation, die demnächst in Rente gehen wird und die geburtenschwächeren folgenden Jahrgänge miteinbezieht. Aber gut.
Rationalität kann für diesen Führungsansatz also nicht die entscheidende Rolle spielen. Vielleicht sind es also eher ein Mangel an Führungskompetenz und schwierige Unternehmensstrukturen, denn ein System, das auf Druck aufbaut, arbeitet mit Angst – und die entsteht in Machträumen, die sich wiederum aus Angstgefügen zusammensetzen. Druck wird bekanntermaßen nach unten weitergereicht – oder eben auch mal auf den Nebensitz weitergeschoben. Und so bekommt man dann auch eine richtig schöne Ellenbogen-Mentalität in Teams rein, die nun einmal gut miteinander auskommen müssen, um gute Ergebnisse zu liefern.
Weiterbildungen wären wohl ein geeigneteres Mittel
Mit sinnvollen Weiterbildungen für Führungskräfte (Emotionale Intelligenz, Strukturwandel, Resilienz, Feedback!) würde man sicher mehr erreichen als mit einer solchen Software. Denn wer in sich selbst vertraut, dem*der fällt es leichter, anderen Vertrauen zu schenken, sie Fehler machen oder schlechte Tage haben zu lassen. Wer anerkennt, dass Mitarbeiter*innen in erster Linie Menschen sind, muss ihr Tun nicht durch anonyme Systeme laufen lassen, um ihren Wert bestimmen zu können. Leistung eindimensional zu denken, Büros zu Überwachungszonen auswachsen zu lassen und eine Kultur zu erschaffen, in der nur der Marschschritt zählt, kann einfach nicht im Einklang mit guten Manager*innenqualitäten stehen.
Wer also glaubt, dass eine anonyme Eingabe in eine Software auch nur im Ansatz etwas mit einer guten Feedback-Kultur gemein haben kann, sollte vielleicht nochmal drüber nachdenken, ob man die eigene Geilheit auf Bewertung nicht doch lieber Vollzeit bei TripAdvisor ausleben möchte. Oder man schafft sich bei Überwachungsfantasien einfach „Alexa“ an. Lasst es euch doch zuhause beim Überwachtwerden so richtig gut gehen – das darf jede*r halten, wie er*sie will. Zumindest privat. Denn Unternehmen führt man so ganz sicher nicht.