Das Projekt „Female Diversity“ der Fotografin Sung-Hee Seewald zeigt Frauen mit ihren Narben, Falten, Kurven – ganz so, wie Körper eben sind. Doch die sind noch in der Medienlandschaft immer noch unterrepräsentiert.
„Keiner von uns ist vorurteilsfrei“
Der neue Kurzfilm „Female Diversity“ der Fotografin Sung-Hee Seewald und ihrem Bruder Boris Seewald zeigt die vielfältige Schönheit von Frauen, die sich eben auch durch Rundungen, Falten, Muttermalen und vielen Merkmalen mehr zeigt – anders als es die verzerrte gesellschaftliche Erwartungen an den weiblichen Körper meist glauben machen möchte.
Wir haben mit ihr über die Wirkung von sozialen Netzwerken, Werbung und Kunst geredet und darüber, wie sich ihr Blick auf Schönheit verändert hat.
Der Kurzfilm ergänzt dein Fotoprojekt „Female Diversity“, das du vor ungefähr zwei Jahren gestartet hast. Wie wurde dein Fotoprojekt wahrgenommen, hast du auch Ablehnung erlebt?
„Das ,Female Diversity’-Fotoprojekt startete 2017 und wurde bisher insgesamt sehr positiv wahrgenommen. Mich haben seitdem viele Frauen angeschrieben, um sich für die Bilder zu bedanken. Ich höre immer wieder, die Bilder hätten sie auf ihrem Weg zu mehr Selbstakzeptanz bestärkt und vorangebracht. Einige Frauen wollten sogar gerne Teil des Projekts werden. Beides hat mich sehr berührt und motiviert weiterzumachen.
Es gab natürlich auch negative Reaktionen. Der Anblick nicht-normschöner Körper ruft bei vielen Menschen wohl eine Art Unbehagen oder Empörung hervor. Das konnte ich bei Ausstellungen meiner Fotografien in 2017 und 2018 in Form direkter Kommentare von einigen Besuchern unmittelbar miterleben. Und natürlich gab es auch den einen und anderen blanken Hasskommentar unter den online veröffentlichten Artikeln.“
Was hat sich aus deiner Sicht seit der Veröffentlichung der Bilder bezüglich der gesellschaftlichen Erwartungen an den weibliche Körper getan, bewegt sich was? Und warum ist es dir wichtig, das Projekt nun weiter zu führen?
„Man sieht in den letzten Jahren in der Fotografie, und zum Teil auch in der Werbung, schon ein wesentlich diverseres Frauenbild. Und das ist sehr wichtig, denn es braucht sehr viele Bilder und viel Zeit, um die jahrelang konditionierte Wahrnehmung der Gesellschaft zu verändern. Aus Sicht der Publizierenden tut sich sehr viel.
Andererseits sehe ich bei vielen Mädchen und jungen Frauen einen Trend in eine gegenteilige Richtung: Sie wollen wie ein künstliches, gefiltertes Idealbild auf Instagram aussehen. Da herrscht ein verzerrtes Bild der Realität. Künstliche Wimpern, die die Frauen und Mädchen wie Puppen aussehen lassen, sind quasi der Standard. Sogar Schönheitskorrekturen an Nase und Lippen sind unter sehr jungen Frauen keine Seltenheit.“
Die Stimme im Film spricht immer wieder die Zuschauer*innen an. Wen adressiert ihr damit und was wollt ihr mit der direkten Ansprache erzielen?
„Die Zuschauer*innen des Films lassen sich wunderbar in zwei Gruppen einteilen: Zum einen die, die den weibliche Körper mit der medial geprägten Erwartungshaltung betrachten. Das sind vorwiegend Männer, aber auch viele Frauen. Und zum anderen sprechen wir auch die an, die sich in diesem Film quasi selbst porträtiert und repräsentiert fühlen. Während der gesprochene Text zunächst eine Art intime Verbindung zur zweiten Gruppe aufbaut, wendet er sich im Laufe des Films ganz klar konfrontativ gegen die erste Gruppe. Als Zuschauer*in werde ich mich im Laufe des Films also entscheiden müssen, zu welcher Gruppe ich mich selbst zähle. Wenn man sich dann durch die eine oder andere Phrase oder Szene im Film berührt oder ,ertappt‘ fühlt, fällt einem vielleicht auf, wie voreingenommen man eigentlich ist. Aber keiner von uns ist vorurteilsfrei.“
„This is my story, these are my lifelines, this is my strength“ heißt es unter anderem in dem Film. Kannst du ein bisschen von den Geschichten der Frauen erzählen, die zu sehen sind und wie sie sie geprägt haben?
„Eine der gezeigten Frauen im Film ist schon seit einiger Zeit in der Body Positivity-Bewegung und hat durch Fotografien, nicht nur von mir, sehr viel mehr Eigenakzeptanz und Selbstliebe erlangt. Andere hingegen haben auf ganz natürliche Weise ein positives Körpergefühl, unabhängig vom geltenden Schönheitsideal. Und wieder andere musste ich bestärken, in so intimer Weise vor die Kamera zu treten. Sie waren nach dem Shooting ganz erstaunt, dass richtig schöne Bilder dabei entstanden sind.“
Was erhoffst du dir für Reaktionen auf den Film?
„Wir wollen auf die generelle Wahrnehmung des weiblichen Körpers aufmerksam machen und das Statement setzen, dass der weibliche Körper nicht dazu geschaffen wurde, jedem in allen Belangen zu gefallen. Wenn jemand ,anders‘ aussieht, müssen das die ,Hater‘ und der Rest der Gesellschaft eben ertragen! Der Film ist ein weiterer Schritt zur Emanzipation der medialen Darstellung von Weiblichkeit. Wir hoffen also, dass der Film und das gesamte Projekt diese Botschaft spürbar vermitteln und die von mir zuvor beschriebenen zwei Lager an Zuschauer*innen auf die eine oder eben die andere Weise erreicht wird.“
Hat sich dein Blick auf Schönheitsideale mit dem Alter gewandelt?
„Ja, sehr! Ich finde, dass Schönheit und Ideal nicht mehr in ein Wort zusammengefasst gehören. Während Schönheit eine Diversität und Facettenreichtum erlaubt, entzieht der Begriff Ideal die Vielfalt und engt alles auf eine abstrakte Zielgröße ein. Inzwischen sehe ich Schönheit in so vielen kleinen Details, und das in Menschen überall um mich herum. Außerdem betrachte ich meinen eigenen Körper mit viel Dankbarkeit was er, beziehungsweise sie alles für mich geleistet hat. Ich habe zwei Kinder zur Welt gebracht und bin über das Wunder, was ein Körper vollbringen kann, voller Dankbarkeit und Demut. Wie kann ich da noch ein negatives Wort über meinen Körper verlieren?“
Die letzte Frage aus dem Film, „What do you see?“, möchte ich auch gerne dir stellen: Was siehst du, wenn du dich selbst ansiehst oder Frauen aus dem echten Leben, auf der Straße, ohne Retusche oder Bearbeitung?
„Die Schönheit in anderen Frauen habe ich schon lange vor dem Projekt gesehen. Ob ein Mensch eine angenehme Ausstrahlung hat, hat aber nur bedingt etwas mit dem Äußeren zu tun. Auf jeden Fall hat es nichts mit normativen körperlichen Idealen zu tun, sondern vielmehr mit einer inneren Haltung. Die Arbeit an dem Projekt hat mit mir selbst viel gemacht. Ich sehe mich und meinen Körper mit viel mehr Respekt und Liebe. Mir geht es mehr darum, wie ich mich fühle, nicht wie ich aussehe. Das verändert auch den Umgang mit dem eigenen Körper: Sport zum Beispiel ist etwas, was ich meinem Körper gönne, weil es sich für mich gut anfühlt. Es sollte aber keine zwanghafte Maßnahme sein, um irgendeinem Körperbild hinterher zu eifern.“