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Jenna Behrends: „Die aktuelle Familienpolitik wirkt auf mich, als sei sie von Menschen ohne Kinder beschlossen worden“

Was läuft in der Familienpolitik gut, was könnte verbessert werden? Passen politische Angebote und Familien von heute noch zusammen? Die CDU-Politikerin Jenna Behrends hat zu diesen Themen ihr erstes Buch veröffentlicht. Ein Auszug.

Einfach und zeitgemäß

Jenna Behrends ist Politikerin und Mutter. Für ihr erstes Buch „Rabenvater Staat“ hat sie sich sehr genau damit befasst, was der Staat tut, um Familien zu unterstützen und wie es besser gehen könnte. Die CDU-Politikerin kommt in ihrer Analyse unter anderem zu den Ergebnissen, dass die Vielzahl von familienpolitischen Leistungen für Eltern kaum zu überblicken sind, so dass mögliche Förderung oftmals nicht ankommt, die Beantragung Familien die Zeit raubt, die sie füreinander brauchen würden und sich an einseitigen Familienmodellen orientieren, die mittlerweile vielfältige Ergänzung bekommen haben. Jenna Behrends plädiert für eine Familienpolitik, die „so einfach ist wie ein Kinderpuzzle“ und erklärt gut verständlich und klar komplexe Zusammenhänge und Ideen für zeitgemäße Familienpolitik. Eine, die alle Familien erreicht, ganz gleich, ob verheiratet oder nicht, allein- oder getrennterziehend, in Co-Parenting-Konstellationen, mit einem Kind oder mit vielen.

Wir veröffentlichen hier einen Auszug des Buches

Vereinbarkeit – ein individuelles Problem?

Familienpolitik war mir lange egal. Total egal. Alle Kämpfe schienen ausgefochten. Alles schien erreicht. Das Wort Vereinbarkeit war in aller Munde. Elterngeld, Kindergeld und Kinderfreibetrag klangen nicht nach einem knausrigen Staat. Dann bin ich mit 23 Jahren Mutter geworden. Auch mit Tochter habe ich mein Leben zunächst weitergelebt wie zuvor. Warum sollte ich plötzlich in Eltern-Kind-Cafés gehen und mich über den Windelinhalt der Babys austauschen, anstatt weiter über Netzneutralität und die Bankenkrise zu diskutieren? Doch dann nahte langsam auch für die anderen aus der Krabbelgruppe das Ende der Elternzeit, und ich begriff, wie politisch diese Windelträger vor uns auf der Krabbeldecke sind, wie politisch Familie ist.

Ich musste trotz Jurastudium, paralleler Journalistenausbildung und Nebenjob keine klassische 40-Stunden-Woche mit meiner Tochter vereinbaren. Aber auch ich musste balancieren. Genauso wie die anderen Eltern. Niemand schien mit dem eigenen Konzept wirklich zufrieden. Egal, für welches Verhältnis von Arbeits- und Familienzeit sie sich entschieden hatten. Nur wenige konnten sich ein zweites oder gar drittes Kind überhaupt noch vorstellen. Überrascht hat mich vor allem eins: Viele haben das Gefühl, es sei ihr individuelles »Problem«. Sie sehen den Staat überhaupt nicht in der Verantwortung und suchen die Gründe für den Stress und die Überanstrengung bei sich selbst. Wir reden uns gerne ein, dass wir unser Leben komplett selbst gestalten können. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wir haben versagt und uns nicht genug angestrengt, um unseren Kindern, unserem Arbeitgeber, unseren Beziehungen und auch noch uns selbst gerecht zu werden. Ein wenig mehr Organisation, noch eine halbe Stunde früher aufstehen, und dann muss es doch klappen, morgens in Ruhe einen Kaffee zu trinken, bevor wir mit den Kindern diskutieren, weshalb Sandalen im Winter keine gute Idee sind?

Kinder passen nicht zur Arbeitswelt. Nie. 

Doch wenn wir genauer hinsehen, dann ist unser Leben viel stärker mit dem Staat verbunden, als wir es im Alltag zwischen Wäschebergen wahrnehmen. Und zwar von der Geburt bis zum Tod: Schon das Alter, mit dem wir eingeschult werden, ist gesetzlich geregelt. Genauso wie die Länge unserer Ausbildung und ein Teil unserer Alterssicherung. Die vorgegebene Reihenfolge lautet: erst Ausbildung, dann Beruf und schließlich Rente. Irgendwo in der Mitte sollen wir außerdem die Familiengründung unterbringen. Aber bitte zum richtigen Zeitpunkt. Nicht zu früh und nicht zu spät. Das müsste dank Pille und anderer Verhütungsmethoden doch schließlich möglich sein. Dabei sagt uns aber niemand, dass es den idealen Zeitpunkt sowieso nicht gibt. Kinder passen nicht zur Arbeitswelt. Nie. Wer ihretwegen pausiert und die Arbeitszeit reduziert, muss fast immer große Einschränkungen hinnehmen oder wird vom Alltag zerrieben. Es ist schlicht nicht möglich, ein Kind schneller zu trösten oder ›Ronja Räubertochter‹ schneller vorzulesen. Doch statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen und die Herausforderungen als gesellschaftliche zu erkennen, schieben wir die Verantwortung gern auf die Eltern.

Natürlich kann und soll Politik eine solch individuelle Entscheidung wie die Frage, wann ich mit wem Kinder haben möchte, nicht beeinflussen. Wir sind uns alle einig, dass der Staat in unseren Schlafzimmern nichts zu suchen hat. Aber die Politik kann und muss die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich Männer und Frauen für ein Leben mit Kindern entscheiden können. Hier ist die Grenze zwischen »privat« und »politisch« fließend: Schließlich geht es nicht darum, den Eltern Zeit für den nächsten Italien-Urlaub zu erschließen, sondern Zeit für Verantwortung zu schaffen. Zeit, in der sie sich um andere kümmern. Aber das kann nur gelingen, wenn die Politik sich nicht weiter an dem zunehmend realitätsfernen Ausbildung-Arbeit-Rente-Lebenslauf orientiert.

Keine Partei hat etwas gegen Familien. Im Gegenteil. Alle können sich darauf verständigen, dass sie Familien unterstützen wollen. Nur wenn es konkreter wird, beginnen die Probleme. Familienpolitik ist teuer und ideologiebelastet. Das Politikfeld ist regelrecht vermintes Gelände. Selbst Debatten über den Verteidigungsetat erscheinen bisweilen harmloser. Die einen haben nur die »Heile-Welt-Familie« im Blick und würden wahrscheinlich am liebsten wieder Mutterkreuze einführen. Die anderen sehen in Familien einen Ort der Unterdrückung, in dem Frauen an ihrer Entwicklung gehindert werden. Familienpolitik betrifft wie kaum ein anderer Politikbereich unser Privatleben, den innersten Kern unseres Zusammenlebens. Den Einfluss unterschiedlicher Weltbilder auf Familienpolitik können wir gar nicht überschätzen. Der Staatsrechtler Peter Häberle fasste das zusammen mit: »Ja, man wird sagen können, dass sich das Staatsverständnis im jeweiligen Familienverständnis und umgekehrt spiegelt.« Eine für Familien ungünstige Position. Insbesondere, wenn noch Schlagworte wie »Ehe« und »Werte« mit in den Topf geworfen werden. Als wäre das nicht schon kompliziert genug, kommt außerdem noch hinzu, dass die Interessen von Familien, Kindern und vor allem Frauen nicht immer identisch sind.

Familie ist kein »Hobby«

Doch wenn wir die aufgeregt krähenden Polit-Streithähne kurz ausblenden, wird schnell klar, dass uns Familien auch abseits jeder Ideologie wichtig sein sollten. Nein, nicht weil zu wenig Kinder geboren werden. Die Familie als privater Raum darf niemals von staatlichen Interessen dominiert werden. Der demografische Wandel verleiht der Familienpolitik lediglich besondere Aktualität. Sondern weil unser Staat trotz seiner Milliardeninvestitionen nahezu parasitär von den Anstrengungen profitiert, die Familien in Bremen, Chemnitz und Hintertupfingen täglich unternehmen. »Meine Kinder sind mein Hobby. Ich spiele eben nicht Golf oder gehe segeln.« Diese Sätze sagte die Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe, Sigrid Evelyn Nikutta, der ›Süddeutschen Zeitung‹. Doch das stimmt nicht. Familie ist kein »Hobby«. Familien sind die wichtigsten Leistungsträger unseres Landes.

Es wird Zeit, dass wir Eltern auf die Schulter klopfen für all das, was sie ihren Kindern an Werten, Fähigkeiten und Wissen mit auf den Weg geben. In Familien haben Gefühle noch einen Raum. In einem sicheren, geschützten Umfeld lernen wir, mit Trauer und Schmerz umzugehen, Schwäche zu zeigen und Empathie zu entwickeln. In einer Gesellschaft kommt es nicht nur auf Wissen an, sondern auch auf unsere Werte. Ohne Familien, ohne Kinder, könnte unser Staat nicht weiterexistieren. Es gäbe keine nächste Generation, keinen Nachwuchs in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur, und das nicht nur rein biologisch gesehen. Eltern erziehen ihre Kinder, sie leben ihnen vor, wie sie Teil dieser, unserer Gesellschaft werden. Insofern ist dem Rechtsgelehrten Friedrich Carl von Savigny, dem Begründer des modernen Privatrechts, zuzustimmen, der sagte: »In den Familien sind die Keime des Staates enthalten, und der ausgebildete Staat hat die Familien und nicht die Individuen unmittelbar zu seinen Bestandteilen.« Der Staat könnte gar nicht genug Personal beschäftigen, um auszugleichen, was Familien leisten. Familien sind für ihre Kinder da, sie pflegen Kranke und Alte. Ohne sie bräche unser Sozial- und Gesundheitssystem zusammen. Eine Gesellschaft kann ohne Solidarität gar nicht existieren. Diese Solidarität wird in Familien gelebt.

Ein Streit um die besten Ideen für Familien

Kurz vor Wahlen fällt das dann auch regelmäßig Politikern auf. Plötzlich entdecken Vertreter aller Parteien die Familie für sich und überbieten sich mit Vorschlägen, wie Familien unterstützt werden können. Nachvollziehbar, denn Familien finden sich in jeder Wählergruppe, und die Forderung, Familien wahlweise stärker zu »entlasten«, zu »fördern«, »anzuerkennen« oder »wertzuschätzen«, klingt gut und ist eingängig. Außerdem versprechen Kinder süße Wahlkampffotos, die an die Hochglanzkataloge eines Möbelhauses erinnern: Da trägt dann der Spitzenkandidat seinen Sohn auf den Schultern (wow, wie volksnah), und die obligatorische Omi ist auch immer auf irgendeinem Wesselmann (so heißen die riesigen Plakate an den Straßen). Ähnlich bunt wie die Plakate sind die Wahlprogramme der Parteien. Von kostenloser Kinderbetreuung, über ein »Baby- Begrüßungsgeld« für Anschaffungen wie den Kinderwagen bis zum »Baukindergeld« wurde im vergangenen Bundestagswahlkampf alles versprochen. Während ich für dieses Buch recherchierte, schickte mir eine Freundin einen Screenshot der aktuellen ›Tagesschau‹. »Seehofer setzt auf Familienpolitik« stand dort. »Damit wären dann alle im Club«, scherzten wir.

Es ist eine gute Nachricht, dass sich Parteien auf das Thema Familie stürzen. Wir brauchen dringend einen Streit um die besten Ideen. Doch was würde die Situation für Familien wirklich verbessern und hätte nicht nur den Symbolwert einer Muttertagspraline? Sind es all diese Einzelmaßnahmen, die Familien brauchen? Oder müssen wir Familienpolitik komplett neu denken?

[…]

Die aktuelle Familienpolitik wirkt auf mich als Mutter, als sei sie von Menschen ohne Kinder beschlossen worden. Dabei geht es doch um das Leben junger Eltern und nicht um die Ideologien der älteren Generation. Hören wir also damit auf, über die ätzende Jobsituation zu jammern, sondern setzen wir uns für eine Familienpolitik ein, die zu unseren Leben passt. Wir brauchen endlich eine Politik, die Eltern etwas zutraut. Einen Staat, der Familien die Freiheit gibt, ihr Leben so zu leben, wie sie es wollen, und nicht, wie ein Steuermodell es vorgibt. Es ist kein Geheimnis, dass auch ich zu den Frauen gehöre, die alles wollen. Aber nicht zu dem Preis, meiner Tochter nicht selbst die Läuse aus dem Haar zu kämmen. Es mag trivial klingen, aber letztlich ist es doch so: Take it, leave it or change it. Familien sind mächtig. Noch haben sie diese Macht nicht wirklich eingesetzt. Warum wir aber dringend rebellieren sollten, dürfte spätestens mit den nächsten Kapiteln klar werden. Und sollte Sie jemand beim Lesen auf dem Spielplatz als Rabenmutter oder Rabenvater beschimpfen, weil Sie Ihrem Kind nicht applaudieren, während es gerade zum siebzehnten Mal den Kletterturm bezwingt, verschenken Sie das Buch doch einfach weiter.

Das Buch von Jenna Behrends „Rabenvater Staat: Warum unsere Familienpolitik einen Neustart braucht“ ist am 31.1.2019 bei dtv erschienen.

Titebild: andiweiland.de

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