Foto: Mathias Schmitt

Frauen in der Musikbranche: „Wir müssen unsere Sensoren für Diversität, Sichtbarkeit und Chancengleichheit stärken“

Mit dem Image als Männerdomäne kämpft die Musikbranche seit vielen Jahren. In den Vorstandsetagen großer Labels, aber auch in den Line-Ups verschiedener Festivals, gibt es noch zu wenig Frauen. Claudia Jonas und Kathleen Karrer von Telekom Electronic Beats sprechen im Interview über die strukturellen Probleme dieser Branche und zeigen uns, wie Chancengleichheit aussehen könnte.

„Eine 50:50-Gestaltung ist nicht unmöglich“

Was muss passieren, damit mehr Frauen in der Musikbranche Fuß fassen? Und wie können wir auch Künstler*innen sichtbarer machen? Claudia Jonas und Kathleen Karrer kennen die Probleme der männerdominierten Branche und setzen sich täglich mit diesen Fragen auseinander. Seit über zehn Jahren arbeiten die beiden Expertinnen bei Electronic Beats, dem internationalen Musikprogramm der Telekom, das eine Verbindung zwischen elektronischer Musik und anderen Lebensbereichen wie Design, Kunst, Tech und Fashion kreiert.

Wir haben Claudia und Kathleen gefragt, wie sie es geschafft haben, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen und in der Musikbranche Fuß zu fassen. Welchen Herausforderungen sie sich dabei stellen mussten und inwiefern sich die Gender-Gap in ihrem Business bemerkbar macht, erzählen sie im Interview.

Wie habt ihr den Einstieg in die Musikbranche geschafft? Wie war euer Weg bis dahin?

Kathleen: „Durch einen meiner Brüder habe ich Synthesizer-Musik kennen und mögen gelernt. Bis heute höre ich EBM (Electronic Body Music), aber durch die Rave-Zeit der 90er bin ich immer tiefer in die elektronische Musik eingetaucht. Ich liebe Techno. Da ich recht streng erzogen wurde, kam es nicht so oft vor, dass ich Nächte durchtanzen konnte. Stattdessen bin ich dann eben einfach sonntags zu Veranstaltungen gegangen. Ich stand früh morgens auf und fuhr zur After Hour, um stundenlang tanzen zu können.“

Und wie bist du über deine private Musikleidenschaft zu deinem Beruf gekommen?

„Nach der Schule wollte ich unbedingt ins Ausland und bin mit verschiedenen Nationalitäten in Kontakt kommen. Mein erstes Jahr verbrachte ich in den USA und schloss später meinen Bachelor in der Schweiz ab. Danach ging es sehr steinig weiter. Letztlich gab mir eine Agentur die Chance durchzustarten – lustigerweise als Projektmitarbeiterin für meinen jetzigen Chef. Auch nach meiner Agenturzeit ist der Kontakt zu ihm nicht abgebrochen. Als dann eine Stelle bei der Telekom im Musikmarketing frei wurde, ging alles sehr schnell. So kam ich vor zehn Jahren zum Musik- und Lifestyle-Programm Electronic Beats.“

Kathleen Karrer beschäftigt sich mit dem digitalen Ausbau. Quelle: Mathias Schmitt

Claudia: „Auch für mich hat sich vieles durch verschlungene Wege ergeben. Richtiger Zeitpunkt, richtiger Ort, richtige Begegnungen. Die Schwerpunkte meines Studiums und meine persönlichen Interessen waren sicherlich ebenfalls hilfreich. Es war bisher kein schwerer, aber ein leidenschaftlicher und sehr arbeitsintensiver Weg in einem extrem vielseitigen Tätigkeitsbereich. Ich habe 2005 meine Diplomarbeit über die Zukunft der Musikindustrie geschrieben und mich dabei viel mit dem Thema Digitalisierung und deren Chancen und Risiken beschäftigt. Parallel habe ich für zwei Berliner PR-Agenturen die Musikthemen der Deutschen Telekom betreut. Nach kurzer Zeit bin ich direkt ins Unternehmen gewechselt und arbeite seitdem für Electronic Beats.“

„Grundsätzlich macht die jüngere Generation, mit der ich zu tun habe, kaum mehr einen Gender-Unterschied.“ – Kathleen Karrer

Der sogenannte Inner Circle der Musikindustrie ist nach wie vor männerdominiert. So sitzen in den Vorstandsetagen von Sony, Universal und Warner Music International ausschließlich Männer. Was wollt ihr anders machen, um ein Vorbild für andere Frauen zu sein?

Kathleen: „Da ich besonders im digitalen Bereich unterwegs bin, war ich tatsächlich schon oft alleine unter Männern. Mich persönlich irritiert oder beeindruckt das keineswegs. Denn grundsätzlich macht die jüngere Generation, mit der ich zu tun habe, kaum mehr einen Gender-Unterschied. Das muss man weiter fördern, damit hier flächendeckend eine Selbstverständlichkeit entsteht. Aus meiner persönlichen Beobachtung heraus tendieren viele Frauen dazu, Fehler zuerst bei sich selbst zu suchen und ihre Leistung unter den Scheffel zu stellen. Das sollte sich unbedingt ändern.“

Claudia: „In der Programmgestaltung achten wir bei Telekom Electronic Beats auf eine Gender-Balance. Sei es im Booking oder jetzt aktuell bei der Auswahl der Künstlerinnen und Künstler für den Podcast. Da möchten wir aber trotzdem noch besser werden. Eine 50:50-Gestaltung ist nicht unmöglich. Es gibt aktuell sehr viele spannende Künstlerinnen wie Helena Hauff, Perel, Amelie Lens, die wir  ins Programm einbinden. Unser Kern-Team bei der Telekom besteht aus zwei Männern und drei Frauen. Was die Karriere angeht, so denke ich, dass das Thema Familienplanung tatsächlich eine Bremse sein kann. Oftmals sind solche Berufe viel mit Reisen und oder Arbeiten außerhalb der Kernarbeitszeit verbunden. Das stellt junge Eltern vor große Herausforderungen.“

„Wenn Frauen gebucht werden, sind die Gehälter oft geringer. Das ist bei gleicher Leistung nicht akzeptabel.“ – Kathleen Karrer

Wie wirkt sich die Gender Gap auf diese Branche konkret aus?

Claudia: „In der Musikbranche treffen meist unterschiedliche Charaktere und Egos aufeinander, aber man lernt durchaus damit umzugehen. Nicht alles, was laut ist, ist auch gut und richtig und im Hintergrund passiert meistens sehr viel Essenzielles, dem leider oft zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Ich rate dazu, sich von übertriebenem Profilierungsgehabe nicht beeindrucken zu lassen, entspannt zu bleiben und mit guten Argumenten sowie einem sicheren Auftreten die eigenen Ideen ebenfalls in den Fokus zu rücken – und dafür natürlich auch ein angemessenes Gehalt einzufordern. Letztlich sind es die Ergebnisse, die zählen.“

Claudia Jonas verantwortet die Bereiche Roadmap- und Programmplanung. Quelle: Mathias Schmitt

Kathleen: „Man sieht es ja auch im Booking. In vielen Line-ups bei den unterschiedlichsten Festivals rund um den Globus sind tendenziell zu wenig Frauen vertreten – was sehr schade ist. Wenn Frauen gebucht werden, sind die Gehälter oft geringer. Das ist bei gleicher Leistung nicht akzeptabel.“

„Sexismus ist niemals in Ordnung. Dem einen oder anderen muss man da durchaus bei der Reflexion auf die Sprünge helfen, um das Bewusstsein dafür zu stärken.“ – Claudia Jonas

Sexistische Erfahrungen gehören zum Alltag vieler Frauen in der Musikbranche. Was könnt ihr darüber erzählen?

Kathleen: „In einer meiner Junior-Positionen hatte ich einen Kollegen, der relativ schnell mehr Gehalt bekam und befördert wurde. Als ich das angesprochen hatte, hieß es, dass ich noch ein weiteres großes Projekt machen sollte, bevor es eine Veränderung nach oben gäbe. Letztlich habe ich gekündigt und bei späteren Einstellungen wesentlich härter verhandelt. Es lohnt sich, an seinen Überzeugungen festzuhalten.“

Claudia: „Es ist oftmals ein Graubereich, in dem sich Sexismus abspielt. Ich kann damit gut umgehen, weiß mich zu wehren und nehme es auch nicht allzu ernst. Aber nicht jeder Mensch kann in solchen Situationen die Souveränität wahren. Deshalb finde ich es wichtig, für einander einzustehen, Probleme zu thematisieren und Unterstützung anzubieten, um dann im Zweifel gemeinsam deutlich zu machen: Sexismus ist niemals in Ordnung. Dem einen oder anderen muss man da durchaus bei der Reflexion auf die Sprünge helfen, um das Bewusstsein dafür zu stärken.“

„Es gibt einige unausgesprochene Regeln und Verhaltensweisen unter vielen Männern, die es lohnt auf dem Zettel zu haben.“ – Kathleen Karrer

Welchen Rat würdet ihr Berufseinsteigerinnen geben?

Claudia: „Aus meiner Sicht macht eine solide akademische Basis durchaus Sinn. Bewusstseinshorizont, Verständnis für Strukturen, Logik, die man hier entwickelt, kann einem keine*r nehmen. Man kann sich natürlich auch in Bereiche einarbeiten, die erst einmal fachfremd erscheinen, muss es nur wollen und bei der Sache bleiben. Ich finde es in unserem Business immer gut, sowohl auf Agentur- als auch Unternehmensseite gearbeitet zu haben. Das trägt zum besseren Verständnis und Umgang miteinander bei. Engagement, Loyalität und Teamfähigkeit kommen immer gut an.“

Kathleen: „Es sollte für junge Leute eine Selbstverständlichkeit sein, dass es keine Gender-Unterschiede in der Berufswelt gibt. Oder anders gesagt: Es sollte jedem bewusst sein, dass Diskriminierung generell niemals in Ordnung ist. Junge Frauen möchte ich ermutigen, sich im Business nicht zu stark von Gefühlen leiten zu lassen und selbstbewusst zu handeln. Eigenmarketing, also über die eigenen Fähigkeiten zu sprechen, und Networking sind essenziell. Ich rate davon ab, sich angeblich typisch männliche Verhaltensmuster anzutrainieren und das als Erfolgsstrategie zu verfolgen.

Aber es gibt einige unausgesprochene Regeln und Verhaltensweisen unter vielen Männern, die es lohnt auf dem Zettel zu haben. Wenn man die kennt und damit auf reflektierte Weise spielt, kommt man mit Leichtigkeit durch. Ich hätte mir gewünscht, dass ich das viel früher verstanden hätte und mir auch bewusst gewesen wäre, dass Männer beispielsweise gar nicht so selten mit weniger Inhalten, aber oft weit mehr Selbstbewusstsein verhandeln, und das erstaunlich gut funktioniert.“

„Es ist wichtig nach rechts und links zu schauen und seine Sensoren für Diversität, Sichtbarkeit und Chancengleichheit zu stärken.“ – Claudia Jonas

Schauen wir zum Abschluss nach vorn. Was muss passieren, damit diese Strukturen aufbrechen und mehr Frauen in Betracht gezogen werden?

Kathleen: „Mehr Frauen müssen führen wollen. Mehr Frauen müssen selbstbewusster sein und vor allem noch mehr lernen, sich selbst zu vermarkten, anstatt zu sehr auf Harmonie aus zu sein. Es muss Müttern leichter gemacht werden, in den Beruf zurückzukommen und einen verantwortungsvollen Job auch mit Kindern stemmen zu können. Es muss weiter über diese Themen gesprochen werden, damit das Bewusstsein in der Gesellschaft wirklich ankommt und junge Frauen sich bewusst sind, dass noch immer ein steiler Weg vor uns liegt, um die Strukturen zu brechen. Leider passieren besonders diese Dinge nicht von heute auf morgen. Das schöne aber ist, dass mittlerweile Frauen viele Männer an ihrer Seite wissen, die gemeinsam mit ihnen für Chancengleichheit kämpfen.“

Claudia: „Ja, es ist wichtig nach rechts und links zu schauen und seine Sensoren für Diversität, Sichtbarkeit und Chancengleichheit zu stärken. Das betrifft natürlich neben Frauen auch ganz allgemein Gruppen wie People of Color und so weiter. Das fängt bei Sprache an! Wir als Menschen, die in der Kommunikation arbeiten, können hier viel beeinflussen und bewegen.“

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