Foto: Noam Rosenthal

Samenspende, Adoption, Single-Mamas – ein neues Kinderbuch soll die Vielfalt von Familien erklären

Wie erklärt man Kindern, dass es das eine Familienmodell nicht gibt? Was antwortet man, wenn ein Kind fragt: „Wo ist Papa?“ Mirna Funk, die selbst alleinerziehend ist, hat ein Kinderbuch über Vielfalt geschrieben, das allen Familien zeigen soll: Ihr seid gut so, wie ihr seid.

Familien sind bunt

Kinderbücher sind ein Tor zur Welt. Hier blicken Kinder in Welten, die sie noch nicht kennen und lernen dazu. Eine genauso wichtige Funktion von Geschichten ist es jedoch, dass Kinder sich identifizieren können und ihre eigene Lebenssituation in Büchern wiederfinden. Obwohl es so viele fantasiereiche Erzählungen und ungewöhnliche Held*innen in Kinderbüchern gibt, merken insbesondere Familien, die nicht der Norm von Mama-Papa-Kind entsprechen, dass ihre Lebenswelt viel zu selten in den Gute-Nacht-Geschichten vorkommt. Die Schriftstellerin Mirna Funk, die selbst eine kleine Tochter hat, plant nun gemeinsam mit der Illustratorin Maayan Sophia Weisstub das Bilderbuch „Wo ist Papa?“, in dem zwölf ganz unterschiedliche Familienmodelle anhand von Tiergeschichten vorgestellt werden sollen. Zum Beispiel eine Wölfin, die sich für eine Samenspende entschieden hat, um Zwillinge zu bekommen; Giraffengroßeltern, die sich um ihre Enkelkinder kümmern; schwule Gebirgsgazellen, die eine Schildkröte adoptiert haben. Die Geschichte ist bereits fertig und das Buch wird zum Start auch in Englisch, Hebräisch und Französisch veröffentlicht werden – über ein Crowdfunding sollen nun u.a. Druck und Lektorat finanziert werden.

Maayan Sophia Weisstub (links) und Mirna Funk. (Bild: privat)

Wir haben mit Mirna darüber gesprochen, wie die Idee zu diesem Buch entstanden ist, und warum sie sich für ein Crowdfunding entschieden haben. 

Wie bist du auf das Thema mehr Diversität in Kinderbüchern gestoßen? Hat deine Tochter Fragen gestellt?

„Ja, genau. Meine Tochter wollte wissen, wo ihr Vater ist. Er hat den Kontakt leider zu ihr abgebrochen, als ich ihn vor zweieinhalb Jahren verlassen habe. Ich habe dann schon vor eineinhalb Jahren angefangen, ihr immer eine ausgedachte Gute-Nacht-Geschichte von einer Löwin und ihrer Tochter zu erzählen und wie beide sich auf die Suche nach dem Vater machen, aber ganz viele verschiedene Familien-Modelle auf diesem Weg kennenlernen. Dazu kam, dass ich durch meine nicht klassische Familienkonstellation auch selbst mit anderen weniger traditionellen Familien in Kontakt kam und merkte: ,Hey, alles gut. Da ist so viel da draußen und überall ist Liebe‘.“

Wie wählst du Kinderbücher aus, die du ihr vorliest?

„Ich schaue immer danach, dass Diversität vorkommt. Sei es in den kulturellen Hintergründen als auch in den Rollenbildern von Mädchen und Jungen. Trotzdem habe ich sehr schnell gemerkt, dass ich dabei an Grenzen stoße. Sei es in den Büchern, die ich finde oder bei den Büchern, die die Kinder im Kindergarten vorgelesen bekommen. Obwohl meine Tochter seit Jahren in einer nicht hetero-normativen Familie aufwächst und mit anderen Kindern und Freund*innen von mir zu tun hat, die auch nicht hetero-normativ leben, kommt sie nach Hause und singt und erzählt von Mama-Papa-Kind. Das wäre ja auch gar nicht schlimm, wenn sie auch von Mama-Mama-Kind singen würde. Mir geht es nicht darum, das Konzept der hetero-normativen Familie kaputtzumachen. Das ist super. Aber eben genau so super wie jedes andere Modell auch.“

Wie hast du bislang die fehlende Vielfalt in Büchern für sie ergänzt?

„Ich bin halt Schriftstellerin. Deswegen denke ich mir ad hoc abends am Bett einfach Geschichten aus. Von starken Schmetterlingen und schwachen Riesen. Von Prinzessinnen ohne Prinzen. Von Mädchen, die ein Kopftuch tragen und eine andere Sprache sprechen. Das geht mir ziemlich leicht von der Hand, aber nicht jede*r will sich nach einem 14-Stunden-Tag noch abends eine Geschichte mit Diversität und aufgelösten Geschlechterrollen ausdenken.“

Spiegelt das Angebot im Bereich Kinderbücher die Welt wieder, wie du sie erlebst?

„Es kommt drauf an. Es gibt da schon sehr viele Veränderungen. Das merkt man auch sofort. Vor allem starke Mädchenfiguren trifft man mittlerweile viel in Kinderbüchern. Das hat Disney ja auch langsam verstanden. Aber es gibt nach wie vor Bücher, in denen es um Fußball geht und da taucht kein einziges Mädchen auf. Sowas geht eigentlich nicht mehr. Trotzdem kann man Zuhause im Kleinen fast noch mehr verändern als in den Bildungsinstitutionen. Da wird eben vor allem hetero-normativ kommuniziert, gelesen und gesungen. Deswegen wollen wir auch jedes zehnte Buch an eine Bildungseinrichtung spenden. Damit sich dort, wo die Kinder ja sowieso die meiste Zeit verbringen, etwas tut.“

Was hat dich zu dem Schritt bewegt, dann wirklich selbst ein Kinderbuch zu schreiben?

„Es sind sehr verschiedene Sachen zusammengekommen in den letzten Monaten. Zum einen saß ich im Mai in Tel Aviv mit meiner Freundin Lea Penn. Sie ist mittlerweile 38 Jahre alt und will unbedingt ein Kind. Aber einen Typen hat sie nicht. Also hat sie entschieden, ein Kind mit einem schwulen Freund zu bekommen. Ich kenne so viele Frauen, die haben einen enorm großen Kinderwunsch, sind aber schon fast 40 Jahre alt und warten immer noch auf den Richtigen. Aber der kommt vielleicht nicht und das ist auch gar nicht schlimm.

Dann telefonierte ich im März mit der Soziologin Eva Illouz, um für die ,Emotion‘ ein Interview zu führen und sie sagte, Frauen müssten ihren Kinderwunsch dringend vom Partner abkoppeln. Dinge haben sich verändert. Männer sind nicht mehr die emotionalen Stakeholder. Sozio-ökonomisch sind Familie und Kinder sogar eine Riesenkatastrophe für Männer in der heutigen Zeit. Sie kosten Geld, man braucht sie aber keinesfalls für den sozialen Aufstieg. Jedenfalls in den meisten Berufsgruppen.

Dann musste ich mich von einer Freundin lösen, weil sie sich doch ernsthaft für den 50er-Jahre-Tupperwaren-Traum in Berlin-Zehlendorf entschieden hat. Sie lebt in einer extrem gestörten und toxischen Beziehung, in der es ihr wirklich nicht gut geht. Aber sie will ihn nicht verlassen, weil sie sich schämen würde, eine alleinerziehende Mutter zu sein. I mean, what the fuck? Das sowas immer noch im Jahr 2018 passiert, ist einfach schrecklich. Also dachte ich, wir müssen Kinder jetzt schon lehren, dass eine perfekte Familie sehr unterschiedlich aussehen kann. Hätte man das meiner Freundin als kleines Mädchen beigebracht, könnte sie sich jetzt entscheiden, ein anderes Modell auszuprobieren und damit glücklich werden. Denn das kann man nicht nur in  hetero-normative Familienkonstellationen.“

Stand von Anfang an fest, dass ihr das Buch selbst finanzieren wollt, oder habt ihr mit Verlagen gesprochen?

„Das stand von Anfang an für mich fest. Ich kenne die Zusammenarbeit mit Verlagen ja durch meine schriftstellerische Tätigkeit. Man hätte uns für das Buch maximal 1.000 Euro Vorschuss gegeben und es wäre in zwei Jahren erschienen. Die Website, den Kalender, den wir planen, und alle anderen Sachen hätten wir ja trotzdem selber machen müssen. Und sowas wie jedes zehnte Buch zu spenden, wäre ebenfalls nicht drin gewesen. Also, warum nicht gleich alles in Eigenregie übernehmen? Ich habe ein gutes Netzwerk und Maayan Weisstub, die Illustratorin, die die Bilder macht, auch. Das ist heutzutage viel mehr Wert. Außerdem hatte ich keine Lust, dass mir irgendeiner sagt ,Eine Wölfin mit Samenspender und polyamoröse Vögel? Auf keinen Fall!‘ Das hätte nämlich gut und gerne passieren können.“

Wie ist der kreative Prozess? Habt ihr eine klare Aufteilung beim Storytelling und Illustrieren oder ergänzt ihr einander?

„Wir haben eine sehr klare Rollenverteilung. Ich habe die Geschichte entwickelt, die Figuren, die Tiere, die Familienmodelle. Wo die Löwin Lena und ihre Tochter Ella die Tiere antreffen und was da passiert. Maayan illustriert die Begegnungen und bringt dann aber natürlich trotzdem ihr Gefühl und ihre Ideen mit ein.“

Mirna hat sich Tierfiguren ausgedacht, Maayan Weisstub illustriert die Erzählungen. (Illustration: Maayan Sophia Weisstub)

Welches Tier passt zu deiner Mutterrolle am besten?

„Das ist eine süße Frage. Ich bin natürlich Lena die Löwin, so wie eigentlich jede alleinerziehende Mutter, die ich kenne, eine verdammte Löwin ist. Aber manchmal bin ich auch voll die Vogelmutter, weil ich mit Etta sehr viel schmuse und kuschle und irgendwie repräsentieren das so Vögel für mich. Trotzdem ist dieses Buch jetzt kein Buch für Alleinerziehende. Das war mir auch wichtig. Es ist ein Buch für jede Form von Familie.“

Hast du derweil Buchempfehlungen für alle, die Kindern vielfältiger vorlesen wollen?

„Oh Gott. Ich wünschte. Ich erfinde ja die ganze Zeit so Storys. Aber ich mag ein Kinderbuch, das ich im Buchladen Ocelot in der Brunnenstraße in Berlin gekauft habe. Es heißt Her mit den Gefahren! und handelt von einem extrem toughen Hasenmädchen namens Anouk und ihrem sensiblen Bruder.“

Danke für das Gespräch.


Ihr könnt das Crowdfunding für das Buch „Wo ist Papa?“/„Where is daddy?“ noch bis zum 18. Oktober bei Kickstarter unterstützen. Wenn ihr schon lange so ein Buch sucht oder eines verschenken wollt, seid ihr hier genau richtig, denn für euren Beitrag im Crowdfunding bekommt ihr nach der erfolgreichen Kampagne das Buch. Es soll zudem in mehrere Sprachen übersetzt werden und jedes zehnte Buch an eine Bildungseinrichtung gespendet werden. 

In eigener Sache:

Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei

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