Foto: Nancy Borowick

Nancy Borowick: „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Eltern schon mit 29 verlieren würde“

Dass irgendwann mal die eigenen Eltern sterben, ist ein Gedanke, der kaum zu ertragen ist. Was aber, wenn die Eltern viel zu früh gehen müssen – und dann auch noch fast gleichzeitig? Fotojournalistin Nancy Borowick hat genau das erlebt.

Wenn das Unvorstellbare eintritt

Als Kind hat sich Nancy Borowick ein Leben ohne ihre Eltern nicht vorstellen können. Es stand für sie außer Frage, dass sie bei jedem wichtigen Meilenstein in ihrem Leben dabei sein würden und auch, dass ihre Mutter und ihr Vater zusammen alt werden könnten.

Und dann verlor sie beide. Auf einen Schlag. Diagnose: Krebs.

„The Family Imprint“

Nancy war jedoch nicht nur als Tochter in die Geschichte ihrer Eltern involviert, sondern ebenso als Fotojournalistin. Zwei Jahre lang hatte sie die Kamera bei jedem Besuch dabei und fing so ganz intime Momente ein. Die Fotos wurden nun in dem Fotobuch „The Family Imprint“ veröffentlicht.

Wirklich rational und bewusst darüber nachgedacht, als sie mit dem Fotografieren anfing, habe sie nicht, erzählt Nancy gegenüber EDITION F. Immer eine Kamera über der Schulter zu haben, bot ihr einfach die Möglichkeit, die meist mögliche Zeit mit ihren Eltern zu verbringen und gleichzeitig weiterhin arbeiten zu können.

Nie hätte Nancy gedacht, dass sich ihre Eltern so früh vom Leben verabschieden müssen.

Um die wahre Stimmung in den Bildern einfangen und transportieren zu können, musste sie von ihren Eltern verlangen, sich ihr gegenüber durch und durch transparent zu verhalten. Kein Verstecken, sondern nur pure Gefühle.

„Ich hatte jedoch nicht erwartet, dass sie sich mir gegenüber auch wirklich öffnen, ihre Ängste und Sorgen mit mir teilen, ihre Wachsamkeit als Eltern beiseite und mich tatsächlich als Erwachsene sehen würden. […] Es war unglaublich, meine Eltern immer besser kennenzulernen und nicht mehr nur die Menschen in ihnen zu sehen, die mich großgezogen haben.“

Jeder weitere Moment, den Nancy mit ihren Eltern hatte, zählte.
Nancys Mutter bei der Perücken-Anprobe.

Wenn sie heute das gedruckte Fotobuch in den Händen hält, spürt sie ganze Wellen an Emotionen in sich hochkommen. Die Fotos guckt sie sich jeden einzelnen Tag an, erzählt Nancy. Jede einzelne Erinnerung soll so lange wie möglich real und greifbar bleiben. Daher sei jedes einzelne Foto auch so wichtig für sie, so Nancy.

„Wenn ich mich jedoch für ein einziges Foto entscheiden müsste, wäre es vermutlich „The Embrace“. Dieses Foto habe ich schon immer geliebt, denn es zeigt meine Eltern in einer ganz besonderen Art und Weise. Aufgrund des Krebs’ und die Spuren der Krankheit auf ihren Körpern, sehen sie fast gleich aus und wirken wie eine Einheit. Sie machen den Krebs zusammen durch und stehen nun da – wie ein Spiegel des Anderen.“

Nancys Lieblingsfoto: „The Embrace“.

Die Stärke, ihre Eltern so hautnah und über solch einen langen Zeitraum zu begleiten, hätte sich Nancy selbst nicht zugetraut. Es sei die Angst um ihre Eltern, der Gedanke an ihren Verlust, gewesen, die sie angetrieben hatten. Dass die Fotografie ihr in dieser Zeit auch in therapeutischer Hinsicht bei der Verarbeitung geholfen hat, habe sie erst im Nachhinein realisiert.

„Ich lerne noch immer jeden Tag dazu und mit jedem Moment, in dem ich über sie spreche und unsere gemeinsame Zeit, werde ich, glaube ich, zu einem immer stärkeren Menschen.“

Jeder weitere Tag, den man zusammen hat, sollte bewusst gelebt werden.

Was Nancy anderen in einer ähnlichen Situation mit auf den Weg geben möchte?

„Sich jedem Tag bewusst zu sein, ist das größte Geschenk, das uns das Universum geben kann. Natürlich haben wir Angst vor dem, was irgendwann auf uns zukommen wird, aber, wenn ich eines gelernt habe, ist es, dass nicht jeder weitere Tag selbstverständlich ist. Sauge daher jeden einzelnen davon aus. Stellt euch Fragen, führt Gespräche und: dokumentiert. Auch wenn ihr keine Fotografen seid, solltet ihr Tagebuch schreiben, um euch später an diese wichtigen Momente zu erinnern.“

Nancys Tipp: Sauge jeden einzelnen Moment auf.

Eine weitere Sache, die sie gelernt habe, ist, dass, wenn jemand stirbt, auch seine Geschichte stirbt.

„Unterhalte dich also unbedingt mit deinen lieben Menschen, frage alles, was du wissen willst, so lange es noch geht. Es gibt so viele Dinge, die ich meine Eltern gerne noch fragen würde – es aber einfach nicht mehr kann.“

Das, was am Ende bleibt, sind Erinnerungen. Quelle aller Bilder: Nancy Borowick

Das Fotobuch „The Family Imprint“ ist beim Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 45 Euro. Hier könnt ihr es euch kaufen.  Allen Berlinerinnen und Berlinern sei auch noch die Buchvorstellung am 5. April, in der Gesellschaft für Humanistische Fotografie, empfohlen. Alle Infos dazu gibt es hier.

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