Literatur von und über Frauen aus der Ukraine

„Wer weiß schon wirklich etwas über die Ukraine?“, fragt die Autorin Oksana Sabuschko. Vielen Menschen fehlen die Worte und das Wissen, um zu verstehen, wie sich das Leben in der Ukraine aktuell anfühlt und welche Schicksale und historischen Hintergründe daran hängen. Literatur kann ein Ausgangspunkt sein.

Wir haben für euch eine Auswahl an Romanen von Autorinnen mit Ukrainebezug zusammengestellt. Sie handeln von Krieg und Unterdrückung, von Flucht und Neuanfang, aber auch von Familie und Freund*innenschaft und den bewegenden Geschichten starker Frauen.

Diese Literaturempfehlungen erschienen zum ersten Mal im März 2022, kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren.

„Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin

Natascha Wodin geht in ihrem autofiktionalen Roman dem Leben ihrer ukrainischen Mutter nach, die sich das Leben nahm, als die Autorin noch ein Kind war. Ihre Mutter stammte aus der Hafenstadt Mariupol und wurde mit ihrem Mann 1943 als sogenannte Ostarbeiterin nach Deutschland verschleppt. So viel weiß sie. Doch wer war ihre Mutter und wie hat sie den Krieg erlebt?
(Bild: Rowohlt Verlag)

Blauwal der Erinnerung“ von Tanja Maljartschuk

übersetzt von Maria Weissenböck

Eine Frau leidet unter Panikattacken und verlässt monatelang nicht die Wohnung, bis sie schließlich Orientierung und Halt in einer historischen Figur findet, die für die Geschichte der Ukraine eine große Rolle spielte: Wjatscheslaw Lypynskyj. Der leidenschaftliche Geschichtsphilosoph und Politiker entstammte einer polnischen Adelsfamilie, die in der Westukraine lebte. Schon früh identifizierte er sich mit der Ukraine und bestand auf der ukrainischen Form seines Namens. Nach dem Studium befasste er sich politisch und historisch mit dem zwischen Polen und Russland zerrissenen Land und forderte wie besessen seine staatliche Unabhängigkeit. Ähnlich kränklich wie diese historische Figur und auf der Suche nach Zugehörigkeit folgt die Erzählerin diesem stolzen, kompromisslosen, hypochondrischen Mann, um durch die Erinnerung der sowjetischen Entwurzelung zu trotzen.
(Bild: Kiepenheuer & Witsch)

„Vielleicht Esther“ von Katja Petrowskaja

Hieß sie wirklich Esther, die Großmutter des Vaters, die 1941 im besetzten Kiew allein in der Wohnung der geflohenen Familie zurückblieb? Die jiddischen Worte, die sie vertrauensvoll an Wohnung der geflohenen Familie zurückblieb? Die jiddischen Worte, die sie vertrauensvoll an die deutschen Soldaten auf der Straße richtete – wer hat sie gehört? Judas Stern, ein Großonkel der Autorin, verübte 1932 ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat in Moskau. Sterns Bruder, ein Revolutionär aus Odessa, gab sich den Untergrundnamen Petrowski. Ein Urgroßvater gründete in Warschau ein Waisenhaus für taubstumme jüdische Kinder. Wenn aber schon der Name nicht mehr gewiss ist, was kann man dann überhaupt wissen?
(Bild: Suhrkamp Verlag)

„Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky

Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die tickenden Geigerzähler und die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sich die ehemalige Krankenschwester mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Wasser gibt es aus dem Brunnen, Elektrizität an guten Tagen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Die Vögel rufen im Niemandsland so laut wie nirgends sonst, die Spinnen weben verrückte Netze, und manchmal kommt sogar ein Toter auf einen Plausch vorbei. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest, die Gavrilovs im Garten Schach spielen und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe an ihre Tochter Irina, die Chirurgin bei der deutschen Bundeswehr ist. Und an ihre Enkelin Laura. Doch dann kommen Fremde ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung.
(Bild: Kiepenheuer & Witsch)

„Im Menschen muss alles herrlich sein“ von Sasha Marianna Salzmann

Wie soll man herrlich sein in einem Land, in dem Korruption und Unterdrückung herrschen, in dem nur überlebt, wer sich einem restriktiven Regime unterwirft? Wie soll man diese Erfahrung überwinden, wenn darüber nicht gesprochen wird, auch nicht nach der Emigration und nicht einmal mit der eigenen Tochter? „Was sehen sie, wenn sie mit ihren Sowjetaugen durch die Gardinen in den Hof einer ostdeutschen Stadt schauen?“, fragt sich Nina, wenn sie an ihre Mutter Tatjana und deren Freundin Lena denkt, die Mitte der 90er-Jahre die Ukraine verließen, in Jena strandeten und dort noch einmal von vorne begannen. Lenas Tochter Edi hat längst aufgehört zu fragen, sie will mit ihrer Herkunft nichts zu tun haben. Bis Lenas fünfzigster Geburtstag die vier Frauen wieder zusammenbringt und sie erkennen müssen, dass sie alle eine Geschichte teilen.
(Bild: Suhrkamp)

„Hundepark“ von Sofi Oksanen

übersetzt von Angela Plöger

Helsinki, 2016. Olenka sitzt auf einer Parkbank und beobachtet eine Familie: Mutter, Vater, zwei Kinder. Als sich eine Frau neben sie setzt, erschrickt sie; sie würde diese Frau überall wiedererkennen, denn Olenka hat ihr Leben zerstört. Gewiss ist sie gekommen, um Rache zu nehmen. Für einen kurzen Moment sind sie hier zusammen und schauen ihren eigenen Kindern, die nichts von ihrer Existenz ahnen, beim Spielen zu. Ein Roman, der sich zwischen dem heutigen Finnland und der Ukraine nach dem Zusammenbruch der UdSSR bewegt.
(Bild: Kiepenheuer & Witsch)

„Secondhand-Zeit“ von Swetlana Alexijewitsch

übersetzt von Ganna-Maria Braungardt

Gut zwanzig Jahre sind vergangen seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums, die Russen entdeckten die Welt, und die Welt entdeckte die Russen. Inzwischen aber gilt  Stalin wieder als großer Staatsmann, die sozialistische Vergangenheit wird immer öfter, vor allem von jungen Menschen,  nostalgisch verklärt. Russland, so die Autorin, lebt in einer Zeit des „Second-hand“, der gebrauchten Ideen und Worte. Die Reporterin befragt Menschen, die sich von der Geschichte überrollt, gedemütigt, betrogen fühlen. Sie spricht mit Frauen, die in der Roten Armee gekämpft haben, mit Soldaten, Gulag-Häftlingen und Stalinisten.
(Bild: Suhrkamp)

„Museum der vergessenen Geheimnisse“ von Oksana Sabuschko

übersetzt von Alexander Kratochvil

Wer weiß schon wirklich etwas über die Ukraine? Die aufregendste Schriftstellerin der Ukraine Oksana Sabuschko rechnet schonungslos und mutig mit den gesellschaftlichen Verhältnissen ihres Landes ab: Daryna ist Fernsehproduzentin in Kiew. Eines Tages entdeckt sie ein Foto der Partisanin Helzja, Mitglied der Ukrainischen Aufstandsarmee in den 40er-Jahren, und beschließt, ihrer Geschichte nachzuspüren. Als sie sich im Zuge ihrer Recherche in Helzjas Enkel Adrian verliebt, steckt sie bereits mitten im Geschehen.
(Bild: Fischer Verlag)

„Das Licht der Frauen“ von Żanna Sloniowska

übersetzt von Olaf Kühl

Im Herzen von Lemberg – ein Haus mit einer ganz besonderen Glasmalerei. Hier leben vier Frauen, die einander ebenso lieben, wie sie sich hassen. Sie eint ihr Freiheitsdrang, ihre Aufsässigkeit – und ihre unglücklichen Lieben. Bis zu dem Tag, der alles verändert: Marianna wird auf offener Straße erschossen. Vom Fenster aus beobachtet ihre Tochter, wie sich der Trauerzug zu einer Demonstration auswächst. Marianna war nicht nur eine gefeierte Sängerin an der Lemberger Oper, sondern auch Aktivistin im Kampf für eine unabhängige Ukraine. Unter demselben Fenster steht Jahre später ein Mann, der Mariannas Tochter ihre Heimatstadt näherbringt – und die viel zu früh verstorbene Mutter.
(Bild: Kampa Verlag)

Schreibt uns!

Bestimmt haben wir noch einige Bücher von großartigen Autorinnen vergessen. Schreibt uns gerne, welche Bücher euch gerade Halt geben oder eurer historisches und politisches Verständnis erweitern: editorial@editionf.com.

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