Ja, ich bin bisexuell – und nein, ich habe keinen Bock dir meine Sexualität zu erklären oder einen Dreier mit dir und deinem Mann zu haben! – Eine neue Kolumne von Theresa Lachner.
Hi ich bin‘s, bisexuell
Das hier ist kein Coming-Out – denn ich war nie drin. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, jemals behauptet zu haben, heterosexuell zu sein. Das Herz will, was das Herz will. In meinem Fall: öfters mal Männer, manchmal Frauen, ab und an irgendwas Schönes dazwischen und oder auch miteinander.
Heteronormative Sexualität finde ich momentan ungefähr genauso aufregend wie Aperol Spritz: bisschen 2014 und knallt schon immer halbwegs zuverlässig. Es ist sicherlich längst nicht so mies, wie die New York Times unlängst behauptet hat, aber um wirklich befriedigt zu sein, brauche ich mehr. Empathie, Hingabe, Umwege die die Ortskenntnis erhöhen. Nicht-linearer Sex ist eben ganz einfach der wesentlich bessere Sex. Eigentlich relativ simpel soweit, sollte man meinen. Nur irgendwie nicht für die anderen.
Ich bin bi – aber wieso ist das eigentlich so ein Thema?
Versteht mich nicht falsch, es gibt wahrscheinlich schlimmere Probleme. „Bi“ ist kein Schimpfwort, so wie „Kampflesbe“ oder „Schwuchtel“. Ich wurde noch nie für meine sexuelle Orientierung verprügelt oder musste deswegen ein Land verlassen. Würde ich eine Frau mit nach Hause bringen, wäre das Einzige, was meine Familie sagen würde, vermutlich „hallo, wie geht’s?“
Trotzdem scheint Bisexualität etwas zu sein, für das man sich an jeder Ecke irgendwie rechtfertigen soll – sofern sie einem nicht gleich von vornherein abgesprochen wird. „Sie tun immer so als wären Sie bisexuell und schreiben in Ihrem Blog aber fast nur über heterosexuellen Sex – finde ich unglaubwürdig, ehrlich gesagt was soll das“ schreibt mir, man ahnt es, ein Mann. Früher haben wir auf Partys mit anderen Mädchen geknutscht um den Jungs zu gefallen, heute sollen wir für sie gefälligst möglichst detailliert – geil, Lesbensex – darüber schreiben um dabei bitte „glaubwürdiger“ rüberzukommen.
Ich muss keine „Farbe bekennen“
„Aber WAS bist du denn jetzt?“ will die angeschickerte Frau von mir wissen und ich packe und küsse sie so lang, bis sie die Frage vergessen hat, weil ich die ehrlich gesagt deutlich weniger interessant finde als ihre Brüste. Nein Baby, ich bin nicht insgeheim auf dem Weg nach Gay-Town. Ich muss keine „Farbe bekennen“. Ihr kriegt mich nicht „auch noch rum“. Und ich kann mir tatsächlich genauso wenig „aussuchen“, wen oder was ich scharf finde, wie alle anderen Menschen auch.
„Sag mal… steht die Theresa denn jetzt eigentlich mehr auf Männer oder auf Frauen?“ fragt ein Arbeitskollege eine Arbeitskollegin. Moment, ich faxe euch schnell ein Kuchendiagramm mit Risikoanalyse und Quartalsprognose durch – 63.8 Prozent heteronormativ, Rest Divers, Diesdas.
Nee sorry Daniela, kein Bock auf einen Dreier mit dir und dem Thomas, der sich das „schon so lange wünscht“. Dich mal mit einer anderen Frau sehen zu dürfen. Girl on Girl-Action, genauso wie in den Filmen. Moment, mir ist eben mal kurz das Gesicht eingeschlafen, außerdem riecht´s hier mal echt verdächtig nach Vanilleduftkerze.
Ich bin nicht dazu da, dass ihr euch an mir ausprobieren könnt
Meine Sexualität ist keine Junggesellenabschiedsüberraschung, die aus der Torte springt, kurz mal für Aufregung sorgt und sich dann aber auch wieder schnell verzieht, bevor sie eventuell auch noch eigene Ansprüche entwickeln könnte. Ich bin wirklich nicht dazu da, dass ihr euch alle mal ganz gepflegt an mir ausprobieren könnt.
„Es gibt übrigens auch Menschen, die nicht heterosexuell sind, okay?“ kotzt mir die Frau auf dem feministischen Panel entgegen, und ich bemühe mich, diplomatisch zu bleiben und antworte ja, stimmt, wem sagst du das. Heterosexismus ist übrigens genauso doof wie jeder andere Sexismus auch.
Es sind merkwürdige Mikro-Aggressionen aus sämtlichen Richtungen, die einem grundsätzlich scheißegal sein könnten, würden sie einen nicht immer und immer wieder in eine Schublade stecken, aus der man sich mühsam herauswinden muss, sich rechtfertigen oder erklären. Das kostet so viel Energie, dass man dabei manchmal kaum noch dazu kommt, sich seine eigene zu zimmern.
Eine Frau, die einfach macht worauf sie Lust hat
Seit ich mir vor gut einem Jahr in einem Anfall von „Fuck it“ die 200-Euro-Strähnchen auf Streichholzlänge habe absäbeln lassen, ist zumindest das so ein Stück weit leichter geworden. Frauen werfen mir plötzlich verschwörerische Blicke zu, wollen im Club mit mir tanzen. Dieser bestimmte Typ Mann, der mir früher auf der Straße hinterher gegrölt hätte, sieht jetzt einfach durch mich hindurch. Ich sehe jetzt mehr aus, wie ich mich fühle: wie eine Frau, die genau das macht, worauf sie Lust hat.
Ich glaube, es hat gut zehn Jahre und mehrere Begegnungen mit anderen Bisexuellen gebraucht, bis ich mich selbst nicht mehr gefragt habe, ob meine eigene sexuelle Orientierung nicht doch irgendwie auch so ein bisschen…fake ist. Weil ich ja einerseits immer „so offen“ wirke, gleichzeitig aber eben doch immer selektiver werde, was meine Sexualpartner*innen angeht. Mich auf den meisten Queer-Parties wie eine Touristin fühle. Weil ich eben prozentuell doch mit sehr viel mehr Penissen als Vulven im Bett gelandet bin. Ich habe mich lange gefragt, ob ich durch diese Quote offiziell überhaupt qualifiziert bin, das so laut aussprechen zu dürfen, hi, übrigens, ich bin bisexuell.
Sexualität ist keine Momentaufnahme, sondern ein Prozess
Aber das tue ich hiermit. Aus meinen Begegnungen weiß ich nämlich, dass das ganz schön vielen von uns so geht. Laut einer YouGov-Umfrage definiert sich die Hälfte aller 18-24jährigen Briten als nicht-heterosexuell.
Wie wär‘s also, wenn wir alle einfach mal versuchen würden, andere einfach erst mal so zu sein lassen wie sie sind? Und stattdessen vielleicht einfach mal ein bisschen in uns selbst gründeln, ob hinter Girl Hate, Eifersüchtelei und Unsicherheit in Wirklichkeit doch auch ein Stück weit internalisierte Homo- und Biphobie stecken könnte? Uns eingestehen, dass die profundesten Beziehungsstreits die sind, die wir mit unseren Freundinnen austragen. Dieses ganz andere Level an Intimität anzuerkennen, vielleicht sogar unser Begehren? Verstehen, dass Sexualität nie etwas anderes ist als eine Momentaufnahme, ein Wachstumsprozess, kein in Stein gemeißelter Zustand. Und trotzdem immer valide.
Kann sein, dass die Welt dann ein klein bisschen besser würde. Weil wir uns, scheißegal mit wem wir gern Sex haben, irgendwann nicht mehr ganz so sehr erklären müssten – weder vor uns selbst noch vor anderen. Und unsere neu gewonnene Energie dafür nutzen könnten, das Patriarchat zu zerschlagen, multiple Orgasmen zu haben und neue Longdrink-Rezepte zu erfinden. Stößchen!