Bekannt wurde Elaine Welteroth als jüngste Chefredakteurin im Condé Nast Verlag, das Jugendmagazin Teen Vogue erhielt unter ihrer Führung eine starke Stimme. Heute zählt sie zu den bekanntesten zeitgenössischen Journalistinnen und Meinungsbildnerinnen Amerikas. Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs?
Geschichten erzählen als eigener Antrieb
Während die meisten New Yorker*innen samstags shoppen oder lunchen, sitzt Elaine Welteroth am Schreibtisch. Sie ist vertieft in ihr neues Buch, arbeitet so konzentriert, dass sie nicht einmal den Wecker hört, den sie sich extra gestellt hat. Es ist ihr ein wenig peinlich, dass sie sich um zehn Minuten verspätet. Eigentlich mag sie keine Sekunde ihres Lebens verschwenden.
Seit ihrem Weggang als Chefredakteurin bei Teen Vogue hat sie einige der bedeutendsten Afroamerikanerinnen Amerikas interviewt – von Oprah Winfrey bis Michelle Obama. Erst vor Kurzem war sie in Brasilien, wo sie sich mit der 21-jährigen Nobelpreisträgerin und Aktivistin Malala Yousafzai traf, die sich für Bildung von Mädchen einsetzt. Elaine Welteroth gilt als sehr ambitioniert. Ihr selbst erklärtes Ziel? Eine der einflussreichsten Geschichtenerzählerinnen ihrer Zeit zu werden.
Elaine, als Chefredakteurin der Teen Vogue hast du dem Modemagazin eine viel breitere Ausrichtung gegeben. Was bedeutet dir das Thema Diversität?
„Ich bevorzuge das Konzept der Inklusion, das verschiedene Sichtweisen ermöglicht und das Zugehörigkeitsgefühl von heterogenen Gruppen fördert, die bisher ausgeschlossen waren. Eine solche Vielfalt sollte als geschäftlicher Imperativ gelten, der Innovationen vorantreibt und Ergebnisse erzielt. Dieses Thema ist sehr vielschichtig, es erfordert eine durchdachte Dekonstruktion von Prozessen, damit ein gerechteres Ökosystem entstehen kann. Gleichberechtigte Vertretungen sind wichtig, vor allem in Führungspositionen. Denn die Diversifizierung des Pools von Entscheidungsträger*innen ist der einzige Weg, um sinnvolle, authentische Veränderungen in jedem Unternehmen zu bewirken. Als Journalist*in kannst du Geschichten und Themen nicht ändern, ohne andere Erzähler*innen einzusetzen.“
Wann fiel dir auf, dass die Teen Vogue eine neue Ausrichtung braucht?
„Die digitale Revolution hat unsere Arbeitsweise stark verändert. Als Chefredakteurin eines Magazins konnte ich das nicht ignorieren. Wir mussten neu bewerten, was wir unseren Zuhörer*innen bedeuten. Modezeitschriften möchten Leser*innen vor allem mit Artikeln über Stil und Prominente an sich binden. Aber in den sozialen Medien interessieren sich junge Menschen für so viel mehr. Sie diskutieren über Politik oder über so komplexe Themen wie den intersektionalen Feminismus – ein Begriff, der sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Identitäten von Frauen unter Berücksichtigung ihrer Klasse und ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion und ihrer sexuellen Orientierung auswirken. Das zeigte uns, dass junge Menschen so viel differenzierter und interessierter sind, als wir angenommen hatten. Sie wollen mehr über die Welt erfahren, als wir ihnen zugestanden haben. Ich sah, dass wir diese Leser*innen mit der bisherigen Ausrichtung des Heftes gar nicht erreichen konnten.“
Also wird Diversität in der digitalen Welt stärker kommuniziert als in traditionellen Medien?
„Auf jeden Fall. Dort gibt es einen wechselseitigen Dialog mit dem Publikum. Es gibt eine wechselseitige Beeinflussung. Das hat zu einem größeren Bewusstsein darüber geführt, wer die Geschichten erzählt, und setzt einen stärkeren Impuls für mehr Inklusion in allen Branchen. Es ist eine tolle Zeit für YouTuber. Gerade jungen marginalisierten Menschen gibt Social Media mehr Power als je zuvor.“
Im Zusammenhang mit Diversität wird oft das Wort „woke“ verwendet, was so viel bedeutet wie wach oder aufgeweckt. Könntest du das genauer beschreiben?
„Dieser Begriff wird heute sehr oft, geradezu inflationär benutzt, es ist wichtig, dass wir seine ursprüngliche Bedeutung nicht aus den Augen verlieren. Als DeRay McKesson, ein Aktivist in der Black-Lives-Matter-Bewegung, vor ein paar Jahren einen Vortrag vor Chefredakteur*innen von Condé Nast hielt, sagte er etwas, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht: „Wir wurden nicht wach geboren. Im Laufe unseres Lebens kommen Momente, in denen wir aufwachen.“ Dieser Satz ist mir in Erinnerung geblieben. Wach zu sein, funktioniert also nicht auf Knopfdruck. Wir haben nicht plötzlich auf alles eine Antwort. Wach zu werden ist ein fortlaufender Prozess des Lernens, des Verstehens und des Sehens durch die Augen anderer. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich zu bemühen, sich zu kümmern und etwas zu tun. Es ist eine Art zu sein, für die du dich jeden Tag entscheiden kannst. Bei Teen Vogue war es mein Ziel, mehr Erweckungsmomente für junge Leute zu schaffen. Diese Absicht werde ich auch in mir tragen, bei allem, was ich künftig tue.“
Wie hast du deine Ziele erreicht?
„Ich habe immer von einem außergewöhnlichen Leben geträumt. Schon als kleines Mädchen habe ich mir vorgestellt, Interviews zu führen. Ich tat so, als wäre ich Oprah, und führte Gespräche mit Stars wie Liz Taylor oder Michael Jackson. Es mag verrückt klingen, aber ich denke, als Kinder haben wir ein Gespür dafür, wer wir sind und wer wir sein wollen. Aber wir lernen Grenzen kennen und werden oft zu einem Produkt unserer Umwelt. Ich glaube nicht, dass die Welt junge Menschen, vor allem Mädchen, die nicht weiß sind, darauf vorbereitet, große Träume zu haben. Ihnen wird nicht das Werkzeug gegeben, um diese Träume zu leben. Ich möchte helfen, das zu ändern. Für mich gab es einen Punkt, an dem ich mich von allen einschränkenden Überzeugungen befreien musste, um mich in die Art von Karriere zu stürzen, die ich immer wollte.“
Erzähl, wie hast du es geschafft? Wie hast du angefangen?
„Zuerst habe ich zwei Praktika gemacht und herausgefunden, was ich nicht machen wollte. Das ist auch sehr wichtig. Dann begann ich nach etwas zu suchen, durch das ich mich lebendig fühlen konnte. Diese Suche führte mich zurück zu Dingen, die ich als Kind geliebt habe: Menschen interviewen, Geschichten schreiben. Natürlich auch Mode! Schon als Kind beobachtete ich meine Mutter, wie sie sich für die Kirche zurechtmachte. Ich wollte eine Karriere, die all das vereint. Ein Wendepunkt für mich war, als ich ein Vorbild fand. Eine afroamerikanische Frau namens Harriette Cole. Ich studierte ihr Leben, ihre Karriere und dachte: ,Wow, das will ich auch.’ Eine Zeitschrift herausgeben, eine Fernsehkarriere machen, Bestsellerautorin werden und Frauen und Menschen, die nicht weiß sind, auf diesem Weg stärken.
Ich war wirklich daran interessiert, wie sie es geschafft hat, durch ihre Arbeit diese authentische Person zu werden, die sie war. Also schrieb ich ihr einen Brief per Post und rief sie oft an. Ich bin mir sicher, dass sie an einem Punkt dachte, ich sei verrückt! Aber irgendwann rief sie zurück und bot mir eine einmalige freiberufliche Möglichkeit in Los Angeles an. Es war ein Covershooting mit Serena Williams! Für mich wurde ein Cinderella-Traum wahr. Harriette Cole stellte mich ein und ich zog nach New York City, um sie als Chefredakteurin beim Ebony Magazin zu unterstützen. Ich übernahm dort schließlich das Style- und Beauty-Ressort. Dann wechselte ich zum Glamour Magazin, dann zur Teen Vogue. Ich habe mich hochgearbeitet. Aber jemanden zu sehen, der wie ich aussah und einen Traum wie meinen hatte, war entscheidend, um mich glauben zu lassen, dass irgendetwas davon möglich war.“
Du wendest dich an eine Generation, die Inklusion, Diversität und Repräsentation verlangt. Werden wir bald eine Marke „Elaine Welteroth“ sehen?
„Eigentlich ärgere ich mich darüber, wenn Menschen mit Marken verglichen werden. Aber mir war immer klar, dass ich eines Tages meine eigene Chefin sein würde. Es war eines meiner Ziele, autark zu sein. Aktuell habe ich eine klare Vorstellung davon, wie eine positive Wirkung erzielt werden kann. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, dass ich auf mich selbst setze.“
Der Originaltext von Anne Philippi ist im She’s Mercedes-Magazin erschienen. Ihr könnt She’s Mercedes auf Facebook, Instagram und LinkedIn folgen.