Friede, Freude, Bananenbrot? Nicht ganz, für viele Paare wird die Corona-Krise zur Belastungsprobe. Eine Therapeutin erklärt, wie Paare möglichst unbeschadet durch diese herausfordernde Zeit kommen können.
Banalitäten potenzieren sich
Unser Alltag ist aktuell geprägt von Ungewissheit, Existenzangst, Arbeitsstress, Gesundheitssorgen, Lagerkoller und erschwerter Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, sind gestresst und gereizt. Dass sich das auch auf unsere Beziehungen auswirkt, ist nicht weiter verwunderlich. „Bei uns allen ist die Lunte aktuell viel kürzer als sonst“, erklärt die Paar- und Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning.
„Das Hirn liebt Bekanntes und hasst Unbekanntes. So eine unbekannte, diffuse Situation wie die Corona-Krise stellt für das Gehirn eine Gefahr dar. Der Mensch schaltet in den Angriffs- oder Fluchtmodus.“ Abhauen geht bekanntlich gerade schlecht. Unser Gehirn versucht also durchgehend, die Gefahrensituation zu lösen. Das kostet Energie und Aufmerksamkeit, was noch mehr Stress verursacht – und plötzlich wird der*die Partner*in auch noch zur*zum Feind*in, Banalitäten potenzieren sich und es stören uns Dinge an der anderen Person, die wir vorher tolerieren konnten.
Was also können Paare tun, um gut durch diese herausfordernde Zeit zu kommen? Das haben wir die Paar- und Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning gefragt.
Sieben Tipps von der Paartherapeutin
Tipp 1: Wissen ist Macht
Es hilft zu wissen, was gerade in unseren Köpfen passiert. Zu verstehen, dass diese ungewisse Situation unser Gehirn in eine Art Notfallmodus versetzt, durch den wir gereizter sind als üblich. Mit diesem Wissen gewinnen wir etwas Kontrolle über uns zurück. In einem zweiten Schritt sollte man sich zudem bewusst machen, dass das aktuell eine Phase ist. Dieser Zustand wird nicht für immer andauern und bis dahin hilft es, die Situation zu akzeptieren.
Tipp 2: Verständnis
Auch unsere Mitmenschen befinden sich in einer Ausnahmesituation – genauso wie für uns selbst, sollten wir auch für andere mehr Verständnis aufbringen. Gerade sollten wir nichts auf die Goldwaage legen und keine endgültigen Entscheidungen in Sachen Beziehung treffen. In einer Ausnahmesituation lässt sich nur schwer beurteilen, ob ein Problem wirklich etwas mit der Beziehung zu tun hat oder nicht vielmehr auf die aktuelle Situation zurückzuführen ist.
Nach der Corona-Krise können Paare darüber sprechen, wie sie mit dieser Situation umgegangen sind und wie gut die Beziehung diese Belastung ausgehalten hat. Aber erstmal sollten wir den Menschen in unserem Leben mit Wohlwollen begegnen. Gerade, weil wir in diesem Modus aus Flucht oder Angriff sind, müssen wir uns immer wieder daran erinnern, dass der*die Partner*in nicht die*der Feind*in ist und grundsätzlich davon ausgehen, dass die andere Person es nicht böse mit uns meint.
Tipp 3: Bedürfnisse
Wir sollten uns regelmäßig ein paar Minuten nehmen, um in uns zu horchen und nachzuspüren, wie es uns geht und was wir brauchen. Warum fühle ich mich gerade so gereizt? Könnte das der Lärm in der Wohnung sein, der mich davon abhält, konzentriert die anfallende Arbeit zu erledigen? Im Stressmodus verursacht jede weitere Störung, beispielsweise in Form von Kindern, die andauernd an die Tür klopfen oder auch in Form von lauter Musik, die der*die Partner*in gerade hört, noch mehr Irritation. Sich bewusst zu machen, was wir brauchen, hilft, dies anschließend friedlich anzusprechen, statt es der anderen Person im Streit an den Kopf zu werfen.
Tipp 4: Vereinbarungen
Wenn du weißt, was du brauchst, ist der nächste Schritt, damit auf deine*n Partner*in zuzugehen und gemeinsam neue Vereinbarungen zu treffen. Ganz wichtig dabei: Ich-Botschaften. Statt „Du bist die ganze Zeit so laut, ich kann mich nicht konzentrieren“ ist es effektiver zu sagen: „Würdest du während meiner Arbeitszeit bitte mit Kopfhörern Musik hören, das würde mir helfen?“ Durch diese Art, ein Bedürfnis auszudrücken, lässt man der anderen Person eine Wahl und er*sie ist gewillter, darauf einzugehen.
Bei Eltern kommt noch ein weiterer Faktor dazu, über den man sprechen muss: Die Betreuung der Kinder. Auch hier helfen Vereinbarungen und neue Strukturen. Beispielsweise könnte man vereinbaren, dass ein Elternteil vormittags arbeitet, während der andere sich um die Kinder kümmert – und am Nachmittag tauscht man dann die Rollen. Wichtig ist dabei, auch die Kinder abzuholen und ihnen zu erklären, warum beispielsweise Mama die nächsten drei Stunden keine Zeit hat.
Tipp 5: Distanz
Viele Paare hocken seit Wochen aufeinander. Es hilft, innerhalb der Wohnung Rückzugsorte für beide zu definieren, um etwas Abstand vom anderen zu bekommen. Bei dieser sogenannten „positiven Distanz“ geht es nicht darum, dass man die andere Person gar nicht sehen möchte, sondern um die Möglichkeit, sich zurück zu ziehen, um sich später bewusst wieder für gemeinsame Zeit im gleichen Raum zu entscheiden. Das sieht dann vielleicht so aus, dass die eine Person in der Küche arbeitet und die andere im Wohnzimmer.
Tipp 6: Deeskalation
Kommt es zum Streit, ist es ratsam, so rasch wie möglich auf Stopp zu drücken. Paare könnten vereinbaren, dass eine*r von beiden „Stopp“ ruft, wenn eine Auseinandersetzung eskaliert. Die Person, die es schafft, den Streit zu identifizieren und zu beenden, ist gleichzeitig dafür zuständig, später – wenn sich die Gemüter abgekühlt haben – wieder auf die*den andere*n zuzugehen. Zudem ist es wichtig, sich zu fragen, worüber man sich gerade aufregt und sich selbst, mehr als sonst, im Griff zu haben, statt weiter Öl ins Feuer zu gießen. Zudem sollte man akzeptieren, wenn die andere Person sagt: „Ich möchte gerade nicht sprechen, die Stimmung ist mir zu aufgeheizt.“
Tipp 7: Verabredungen
Die viele Zeit, die Paare aktuell miteinander verbringen, ist nicht wirklich selbst gewählt. Umso wertvoller ist es, bewusst und aufmerksam Zeit miteinander zu verbringen. Sich nach getaner Arbeit zu verabreden: zum gemeinsamen Kochen, um ein Spiel zu spielen oder auch gemeinsam einen Film zu schauen. Diese Momente sollten beide bewusst miteinander verbringen. Sitzen beide mit dem Handy in der Hand auf der Couch, ist das keine aufmerksam gemeinsam verbrachte Zeit. Übrigens: Hautkontakt setzt Oxytocin frei, ein Hormon, das Stress abbaut. Körperliche Nähe, Massagen, Sex, erotische Spiele – all das macht nicht nur Spaß, sondern wirkt auch noch beruhigend.
Ann-Marlene Henning, M.A. Sexologie, studierte an der Universität Hamburg Neuro-Psychologie. Später absolvierte sie noch das Studium der Sexologie und Paartherapie. Heute führt sie in Hamburg eine Praxis für Paar- und Sexualtherapie.