Wo liegt der Unterschied zwischen einem klitoralen und einem vaginalen Orgasmus? Wie groß ist die Klitoris wirklich? Oder was hat es denn nun mit dem G-Punkt auf sich? Da viele Frauen erheblich weniger über ihre Vagina wissen als sie denken, ist es höchste Zeit, die vier größten Mythen über sie aufzuklären.
Mehr Fragen statt mehr Antworten
Die ersten Stunden Sexualkunde in der Schule werden wir wahrscheinlich alle so schnell nicht vergessen: halb nervös, halb beschämt saß man auf seinem Stuhl, hat vielleicht noch mit einem Auge die Reaktionen der Jungs neben sich beobachtet und nur zaghaft damit begonnen, sich mit den Grundlagen der Sexualität auseinanderzusetzen. Irgendwie war das alles peinlich und wirklich in die Tiefe ging es dabei in der Regel auch nicht. Kein Wunder, die Fragen, die einen damals wirklich interessierten, hat man sich nicht zu stellen getraut – die wurden stattdessen später in der Mädchenrunde besprochen, in der sich eigentlich auch niemand so wirklich auskannte. Aber egal, das wenige neue Wissen schien auch erst einmal auszureichen.
Es gibt viele Mythen rund um das Thema Periode. Illustriert von Hanne Sigbjørnsen
Bis plötzlich die Erste aus der Clique selbstbewusst mit ihrem Tampon zur Toilette stolziert und alle ahnen, dass sie jetzt mehr Frau ist als alle anderen – was aber eigentlich während der Periode in ihren Körpern passiert, darüber wissen viele Mädchen und auch junge Frauen nicht Bescheid. Hauptsache, man hat irgendwann Blut in der Unterhose – und wehe, es kommt nicht! Danach wird dann abermals vor allem viel Halbwissen ergoogelt, miteinander spekuliert und sich von Mythen erzählt, die häufig nur wenig mit der Realität zu tun haben. Zudem bleibt oft die Scham, die nicht wenige Frauen davon abhält, sich wirklich sachkundigen Rat zu suchen.
Viva La Vagina!
Dass die noch immer lückenhafte Aufklärung über unsere Sexualität und den weiblichen Genitalbereich ein grundlegendes Problem ist und die erzählten Mythen zahlreiche junge Frauen bei der Entwicklung ihrer Sexualität hemmt, erkannten auch die norwegischen Medizinstudentinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl und starteten daraufhin zuerst mit einem Blog. Wegen der großen Resonanz und vieler offenen Fragen haben sie dann ihr Buch geschrieben, das das weibliche Geschlecht von A bis Z erklärt: „Viva La Vagina“.
Und weil sich einige Mythen selbst dann noch halten, wenn man längst über 20 ist, wird es Zeit, sich schon einmal den vier größten zu widmen und sie aufzuklären.
1. Das Jungfernhäutchen gilt als klarer Beweis der Jungfräulichkeit.
Das Jungfernhäutchen gilt meist noch immer als ultimativer Beweis dafür, dass eine Frau noch keinen Sex hatte. Wer nach dem Sex blutet, ist also definitiv noch Jungfrau – und alle anderen nicht, so die gängige Annahme. Aber so klar ist die Sache überhaupt nicht, sondern vielmehr ein großer Irrtum und die Bezeichnung „Jungfernhäutchen“ obendrein so irreführend, dass man sie besser meidet.
Um diesen Irrtum zu verstehen, machen wir einen kurzen Ausflug in die Anatomie des Jungfernhäutchens, auch Hymen genannt. Der Mythos zeichnet das Bild eines Häutchens, das die Vagina verschließt und einer Frischhaltefolie gleicht, die beim ersten Mal reißt. Dabei gibt es jede Form und Ausführung von Hymen – und das von Frau zu Frau verschieden. Mal ist es kreisförmig mit einem großen Loch in der Mitte, mal gleicht es einem Sieb mit mehreren kleinen Löchern, bei anderen sieht das Jungfernhäutchen aus, als wären kleine Fransen an der Scheidenwand, nur die wenigsten Mädchen haben tatsächlich ein Häutchen, das den gesamten Scheideneingang bedeckt.
Das Jungfernhäutchen steht oft für die Jungfräulichkeit, dabei ist sie viel komplexer.
Illustriert von Hanne Sigbjørnsen
Bis auf das Hymen, das den Scheideneingang komplett verdeckt (diese Mädchen haben bei ihrer Periode meist Schwierigkeiten, da das Blut ja irgendwie seinen Weg raus finden muss), ist es extrem flexibel und dehnbar. Es stimmt, dass es die engste Stelle der Vagina ist. Was allerdings nicht stimmt, ist die Annahme, dass es dadurch beim ersten Sex automatisch zu einer Blutung kommt. Denn bei manchen Frauen ist das Hymen so flexibel, dass es zu keinerlei Blutung kommt, bei anderen weniger dehnbaren Hymen reißt es beim ersten Mal und verursacht eine leichte Blutung. Aber: es ist kein Muss und das Bild des “Keuschheitssiegels” wirklich mehr als veraltet.
2. Der G-Punkt ist ein klar definierter Punkt in der Vagina.
Der G-Punkt ist der Punkt der weiblichen Lust, heißt es in tausenden Kolumnen, Ratgebern und Online-Seiten. Man muss ihn lediglich mit dem Finger stimulieren und schon löst es einen Orgasmus aus. Hmm, nein. Die Wahrheit ist: wo der G-Punkt genau liegt und ob er überhaupt existiert, ist noch immer höchst umstritten. Zudem haben Studien ergeben, dass der G-Punkt gar keine anatomische Struktur aufweist, die einen Orgasmus ermöglichen könnte.
Eine Hypothese ist beispielsweise, dass der G-Punkt einfach ein tieferliegender innerer Teil der Klitoris ist, der beim Sex direkt durch die Scheidenwand hindurch stimuliert wird.
Eine andere hingegen, dass der G-Punkt mit einer Ansammlung von sogenannten Skene-Drüsen zu tun hat, die sich ebenfalls in der vorderen Scheidenwand befinden. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander, wissenschaftlich bewiesen ist bisher jedoch keine.
3. Die Klitoris ist angeblich so klein wie eine Rosine.
Dass sich unsere Klitoris dort befindet, wo die inneren Schamlippen aufeinandertreffen, lernen wir relativ früh. Dass der rosinengroße Teil der Klitoris, den wir sehen, jedoch nur die Spitze des Eisbergs ist, wissen die wenigsten. Denn bei der Klitoris handelt es sich vor allem um ein unterirdisches Organ, das sich in unserem Inneren bis ins Becken erstreckt und wie ein auf den Kopf gestelltes Y zu beiden Seiten der Vulva verläuft. Die beiden Schenkel, die die Vulva sozusagen umschließen, enthalten je einen Schwellkörper, der sich bei sexueller Erregung mit Blut füllt und anschwillt, was wiederum die Vagina größer aussehen und die inneren Schamlippen sowie das Vestibulum rot einfärben kann. Und die Größe der Schwellkörper kann sich bei sexueller Erregung sogar verdoppeln! Ziemlich spannend und so gar nicht rosinengroß ist die Klitoris also.
4. Es gilt zwischen zwei Arten des weiblichen Orgasmus zu unterscheiden.
Der Vaginal- und Klitoris-Orgasmus sind als zwei verschiedene Arten des weiblichen Orgasmus weit verbreitet – dabei gibt es zwischen ihnen eigentlich keine Unterschiede.
Wir wissen ja mittlerweile, dass die Klitoris nicht nur eine Rosine, sondern ein komplexes Organ ist. Die Teile der Klitoris, die im Inneren unseres Körpers liegen, schmiegen sich an die Harnröhre und die Vagina. Sie können also indirekt stimuliert werden, indem man Vulva und Vagina stimuliert. Sprich: auch beim Vaginalorgasmus ist die Klitoris maßgeblich beteiligt. Von komplett zwei verschiedenen Orgasmen zu sprechen, ist daher nicht richtig.
Egal, ob vaginal oder klitoral – bei einem Orgasmus wird beides stimuliert. Illustriert von Hanne Sigbjørnsen
Schon erstaunlich, wie wenig wir doch an mancher Stelle über unseren eigenen Körper wissen. Was sicherlich auch daran liegt, dass Vagina und Vulva in der Öffentlichkeit noch immer als Tabu-Wörter abgestempelt werden und viel zu wenig und leise darüber gesprochen wird – zu peinlich, doch irgendwie unwichtig, zu intim. Das mag auch alles sein, aber es ist doch sehr wahrscheinlich, dass eure Freundinnen ähnliche Sorgen und Gedanken haben und man sich so für die ein oder andere Wissenslücke gar nicht schämen muss.
Tauscht euch aus, nichts an dem Thema ist peinlich
Unser Genitalbereich ist, mit allem was dazu gehört, ein erheblicher Teil von uns – und deshalb sollten wir so viel wie möglich darüber wissen, um nicht nur mehr Spaß im Bett zu haben, sondern auch Signale wie sehr starke Unterleibsschmerzen oder andere Auffälligkeiten wahr- und ernst nehmen zu können. Also sprecht darüber und tauscht euch aus. Erst, wenn wir unseren Körper wirklich verstehen, wissen wir damit auch richtig umzugehen.
Wer jetzt Lust bekommen hat, mehr zu lernen und sich über weitere Mythen aufklären zu lassen, sollte sich das vorgestellte Buch „Viva La Vagina! Alles über das weibliche Geschlecht“ genauer anschauen. Hier könnt ihr es bestellen.
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