Warum das Wichtigste bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf meist vergessen wird und welche neuen Konzepte wir jetzt benötigen.
Zwei fordernde Aufgaben kombinieren
Überall ist dieser Tage die Rede von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Die Medien berichten über positive Rollenvorbilder oder geben Müttern und Vätern eine Stimme, die sagen, dass beide Bereiche eigentlich nicht ohne Weiteres zu vereinen sind. Genau wie Unternehmen zerbrechen sich Politikerinnen und Politiker den Kopf darüber, wie Mitarbeiter dabei unterstützt werden können, alle vermeintlich relevanten Lebensbereiche unter einen Hut zu bringen.
Auch ich werde ständig gefragt, wie ich es schaffe, mich neben meiner Tätigkeit als Geschäftsführerin im eigenen Unternehmen um meine Familie zu kümmern. In den Fragen steckt dabei wohlgemerkt keine Kritik, sondern echtes Interesse dafür, wie sich zwei fordernde Aufgaben kombinieren lassen.
In jedem Fall lässt sich diese Frage kaum verallgemeinernd beantworten: Jede Familie, jede Frau hat dafür ihre eigene Lösung, die eben auch individuell sein muss, weil Menschen und auch Job- und Familiensituationen verschieden sind und damit keine Situation der anderen gleicht. Allgemein gültige Formulierungen helfen daher nicht wirklich, auch wenn ich grundsätzlich der Meinung bin, dass Karriere mit der Partnerwahl beginnt. Denn nach meiner eigenen Erfahrung erleichtern solche Partnerschaften die Kombination von Familie und Berufsleben deutlich, die auf Augenhöhe geführt werden und in denen Aufgaben paritätisch verteilt werden (können), weil beidseitig eine gewisse Flexibilität und Bereitschaft vorhanden ist, Verantwortungen aufzuteilen.
Familie und Beruf: Zwei Bereiche mit 24/7-Potenzial
Eines lässt sich jedoch mit Sicherheit sagen: Mit der Formulierung „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ wird Eltern und insbesondere Frauen, weil nur sie in der Regel darauf angesprochen werden, suggeriert, dass es nur zwei Bereiche im Leben mit Kindern geben darf: den Beruf und die Familie. Diese Formulierung suggeriert: Es gilt, sich um diese beiden Bereiche zu kümmern – für mehr bleibt kaum noch Zeit. Wie auch, denn zweifelsohne haben beide Bereiche das Potenzial, die 24 Stunden eines Tages komplett zu füllen. Genug zu tun gibt es im Büro oder zu Hause allemal und Arbeit dehnt sich immer so weit aus, wie Zeit zu ihrer Bearbeitung zur Verfügung steht.
Doch besonders nachhaltig ist diese Philosophie nicht: Wer sich nur um andere kümmert, bleibt am Ende auf der Strecke und kann sich letztendlich um keinen der beiden Bereiche mehr kümmern. Jede(r) braucht ein bisschen Zeit für sich, um sich zu regenieren, und nur wer sich eigene Inseln der Entspannung im Alltag schafft, kann langfristig die Erwartungen erfüllen, die an die eigene Person gestellt werden (und die man sich selbst stellt). Die sich selbst zugewiesene Zeit – sei es für einen ausgedehnten Kaffee mit der Freundin, ein gutes Buch, einen Tagestrip in die Wellness-Oase oder was auch immer euch entspannt – scheint kurzfristig ein Verlust im Kampf um die Erfüllung dieser Erwartungen zu sein. Daher räumt man ihr – wie anderen wichtigen, aber nicht dringenden Dingen, keine Zeit ein – langfristig betrachtet könnte sie allerdings nicht besser investiert sein: Ich selbst gönne mir zwei bis drei Wochenenden im Jahr, die ich komplett allein oder mit Freundinnen verbringe. Nach zwei Tagen komme ich tiefenentspannt und voll mit neuen Ideen oder geordneten Gedanken zurück zu meiner Familie, bin deutlich ruhiger und zufriedener und kann dann umso mehr Quality-Time mit meiner Familie genießen.
Neue Formulierungen für das Thema Vereinbarkeit
Es sind damit in meinen Augen mindestens drei Bereiche, die man in Einklang bringen muss: Familie, Beruf und die eigenen Bedürfnisse. Wir brauchen also neue Formulierungen für die Vereinbarkeitsthematik, die neue Perspektiven schaffen.
Zumindest braucht es häufiger den Aufruf: Vergesst nicht zu leben. Vergesst euch nicht selbst, im Wahn um die Vereinbarkeit von Karriere und Kind und schafft euch Zeiten im Tagesablauf, in denen es auch einmal nur um euch und eure Bedürfnisse geht – und damit meine ich nicht die sechs Stunden Schlaf, die euch hoffentlich mindestens ungestört zur Verfügung stehen!
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