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Wie das Bild der „Angry Black Woman” Schwarze Frauen stigmatisiert und krank macht

Warum gibt es ein strukturelles Verlangen, Schwarzen Frauen ihre Wut abzusprechen? Ein Kommentar Ciani-Sophia Hoeder.

Frauen dürfen nicht wütend sein

Sie war wütend. Ihre Wangen leuchteten in einem sanften Karminrot, ihre Stimme wurde energischer, drängender, erbarmungsloser. Meine Mutter stand in einem Geschäft. Ich war acht Jahre alt und beobachtete die Szene. Ihre Wut bahnte sich durch den gesamten Laden und das Gesicht ihres Gegenübers wurde hart und kalt. Sie hörte ihr nicht mehr zu. Sie tat sie als irrational, anstrengend und kompliziert ab. Verfiel in eine Abwehrhaltung. Das war nur einer von vielen Momenten in denen ich lernte: Frauen dürfen nicht wütend sein. Wut ist eine als männlich angesehene Emotion. Unsere kulturellen Erwartungen an Geschlechterrollen hält Mädchen und Frauen weltweit davon ab, ihre Wut auszudrücken.

Dabei ist Wut eine Kraft, die sozialen Wandel hervorrufen kann. Eine aus biologischer, psychologischer und philosophischer Sicht essentielle Emotion, die, wenn sie nicht ausgelebt wird, ernsthafte psychische und gesundheitliche Probleme zur Folge haben kann. Wut ist ein Gefühl, dass ich stets hinunterschluckte, weil ich dem Bild der „Angry Black Woman” nicht entsprechen wollte. Nicht als zickig, schwierig, laut, emotional oder unprofessionell wahrgenommen werden wollte. Warum gibt es ein strukturelles Verlangen, Schwarzen Frauen ihre Wut abzusprechen?

Anger confirms masculinity. And it confounds femininity – Soraya Chemaly.

Internalisierte Wut ist nicht die Lösung

Die Schwarze Juraprofessorin Trisha Jones erklärte der BBC: Schwarze Frauen sollen sich nicht wehren. „Und tun sie es doch, werden sie als aggressiv wahrgenommen. Bedrohlich. Laut.” Was sie damit meint: Trotz der Tatsache, dass Schwarze Frauen verdammt viele Gründe haben, so richtig wütend zu sein, – ungleiche Bezahlung, unlautere Arbeitspraktiken, unangemessene und oft gefährliche körperliche Erwartungen, ungehemmte sexuelle Belästigung und Missbrauch, ungezügelter Sexismus, Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz und Zuhause, Exotisierung, um nur einige zu nennen – wird Wut, wie das Buch „Rage Becomes Her” von Soraya Chemaly erklärt (große Leseempfehlung), bei Frauen immer noch als Tabu-Emotion angesehen.

Die Lösung lautet nicht, sich nicht zu wehren, denn die Wut, die Schwarze Frauen einfach herunterschlucken, hat ernsthafte Folgen. Internalisierte Wut beeinflusst unsere Beziehungen, unser Aussehen, unseren Körper, Essgewohnheiten, führt zu Selbstverletzung, einem mangelnden Selbstwertgefühl, erhöhten Angstzuständen, Burnout und hat ernstzunehmende Krankheiten zur Folge.

Wut ist eine Reaktion auf Ungerechtigkeit

In „Rage becomes her” erläutert Soraya Chemaly, dass Frauen im Alter von 18 bis 24 Jahren fast doppelt so häufig von Erschöpfung berichten wie Männer; Frauen erleben weniger Orgasmen, zumindest wenn sie Sex mit Männern haben; sie verdienen weniger Geld als ihre männlichen Kollegen; von den 30 höchstbezahlten Berufsgruppen werden 26 von Männern dominiert, während in 23 der 30 der niedrigst bezahlten Berufsgruppen mehrheitlich Frauen arbeiten; weibliche Patientinnen werden seltener wegen Schmerzen behandelt als männliche Patienten, die die gleichen Symptomen aufweisen; jede vierte Frau lebt mit häuslicher Gewalt; jede fünfte Frau wurde bereits sexuell belästigt und zwei Drittel der Frauen haben Catcalling und Straßenschikanen erlebt. Etwa die Hälfte von ihnen bevor sie 17 Jahre alt wurden. Chemaly balanciert diese Statistiken geschickt mit grimmigen Geschichten aus, um sie zu veranschaulichen, so dass der kumulative Effekt der Lektüre ihres Buches nicht nur darin besteht, den Zorn der Frauen zu legitimieren, sondern es erstaunlich wirkt, dass wir nicht noch wütender sind.

Ohne Wut gibt es keinen gesellschaftlichen Wandel

Frauen fühlen Wut genauso häufig wie Männer. Sie schlucken sie nur hinunter, weil unsere Gesellschaft eine lächelnde und sanfte Frau belohnt. Die Wahrheit ist: Wir wollen weiße Menschen – die uns laut Studien aufgrund der langen kolonialen Historie bereits als schmerzresistenter und seit den 1950er Jahren in der US-Popkultur als unmoralisch, laut und als „Angry Black Woman” wahrnehmen – keinen Grund geben, zu denken, dass wir irrational verärgert sind, denn so wird die von einer Schwarzen Frau geäußerte Wut, laut Studien normalerweise interpretiert. Aber der Haken daran ist: Wenn du nie wütend bist, akzeptierst du den Status-Quo.

Es legitimiert, dass tief verwurzelte Vorurteile über Race und Geschlecht überdauern. Rassismus, Sexismus, Diskriminierung, die für uns als Schwarze Frauen in einer weiß-dominierten Gesellschaft unser täglich Brot sind, herrschen weiterhin vor. Auch für unsere Kinder, unsere Kindeskinder. Die Folge unterdrückter Wut: Stillstand. Gleichzeitig werden wütende Frauen von anderen Frauen und Männern weniger ernst genommen. Wir brauchen einen Strukturwandel. Schon von Kindesbeinen an müssen wir Mädchen den Raum bieten, ihre Wut auszuleben, ihnen diese Emotion erklären, statt zu belohnen, wenn sie diese herunterschlucken. Wir müssen Jungs zeigen, dass auch sie die Wut von Mädchen anerkennen. Denn Wut ist eben keine „Männeremotion”.

Der Original-Artikel von Ciani-Sophia Hoeder ist bei ROSAMAG, einem Online-Lifestylemagazin, das afrodeutsche Frauen und Freund*innen informiert, inspiriert und empowert, erschienen.

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