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„Es sollte uncool sein, ein Billigshirt bei Primark zu kaufen, das ich nach zweimal Tragen wegwerfe”

Gisela Burckhardt ist eine der „25 Frauen, die unsere Welt besser machen”. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie eine feministische Textilbranche aussehen müsste.

„Vielleicht müsste Kleidung ähnliche Etiketten haben wie das nun bei Zigaretten der Fall ist.“

Viel zu viele Frauen und Mädchen arbeiten in der Textilindustrie immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen. Gisela Burckhardt setzt sich für die Rechte und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen dieser Frauen ein. Sie hat den Verein Femnet e.V. gegründet und diskutiert als dessen Vorsitzende mit den großen Textilkonzernen, damit die Produktion fairer Kleidung die Regel wird – und nicht die Ausnahme bleibt. Im Interview erklärt die Feministin, wie sich die Modeindustrie verändern könnte.

Bei FEMNET geht es um „feministische Perspektiven auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“, ganz besonders im Textilbereich? Wieso gehören diese Bereiche zusammen?

„Wir haben beschlossen, diesen Untertitel in Zukunft zu ändern, um besser herauszuarbeiten, dass wir uns für fairere Arbeitsbedingungen in der Textilbranche einsetzen. Da schließen wir auch die gesellschaftliche Perspektive mit ein. Viele Menschen wissen eigentlich, dass die Bedingungen in der Textilindustrie nicht gut sind, aber weniger oder anders einkaufen, tun nur wenige. Deshalb haben wir auch einen Fair-Fashion-Guide herausgebracht als Hilfestellung.“

„Es hat auch bei mir sehr lange gedauert, bis ich mein eigenes Einkaufsverhalten geändert habe. Gewohnheiten zu ändern ist schwer. Da braucht es immer wieder neue Aufklärung und Information.”

Nach dem heftigen Fabrikeinsturz in Bangladesch 2013 müssten doch sehr viel mehr Menschen auf das Thema aufmerksam geworden sein. Gefühlt ist seitdem aber beim Konsumenten wenig passiert. Wie kann das sein?

„Ich glaube schon, dass nach Rana Plaza viel passiert ist, was sich allerdings nicht automatisch im öffentlichen Bewusstsein durchsetzt. Es gab das Gebäude- und Brandschutzabkommen, das sicherstellt, dass 2.000 Fabriken hinsichtlich Statik und Elektrik geprüft werden. Das verändert noch nicht die Arbeitsbedingungen, aber es ist ein Anfang. Wir haben in Deutschland das Textilbündnis gegründet, das unser Entwicklungshilfeminister ins Leben gerufen hat. Im Bündnis sind 150 Mitglieder, davon sind 100 Unternehmen und 20 NGOs. Das ist eine freiwillige Initiative, nur die Hälfte der in Deutschland tätigen Textilwirtschaft ist bisher Mitglied. Einfacher wäre es natürlich, wenn wir verpflichtende gesetzliche Regelungen hätten und Waren, die unter schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt wurden gar nicht erst auf den europäischen Markt dürften. Der Staat müsste hier die Bürger schützen. Unsere Regierung ist dazu aber bisher nicht bereit, im Gegensatz zu Regierungen wie die in Frankreich, wo es ein solches Gesetz inzwischen gibt. Auch in England gibt es inzwischen ein Gesetz gegen Sklavenarbeit. Es gibt also ein paar Vorbilder.

Warum trotz allem viele Verbraucher_innen ihr Verhalten nicht ändern? Man muss immer wieder damit konfrontiert werden. Es hat auch bei mir sehr lange gedauert, bis ich mein eigenes Einkaufsverhalten geändert habe. Gewohnheiten zu ändern ist schwer. Da braucht es immer wieder neue Aufklärung und Information. Vielleicht müsste Kleidung ähnliche Etiketten haben wie das nun bei Zigaretten der Fall ist.“

Wenn du sagst, die deutsche Politik sträubt sich – welchen Impuls wünschst du dir aktuell von der Politik?

„Es gibt Vorentwürfe, wie man ein Gesetz formulieren könnte, das Unternehmen dazu bringt, ihre Wertschöpfungskette genau überprüfen zu müssen und die Vorsorgepflicht von Unternehmen definiert. Unternehmen müssten dann nachweisen, dass keine Arbeitsrechtsverletzungen in der Lieferkette stattfinden und Frauendiskriminierung vorgebeugt wird. In Indien zum Beispiel gibt es schon Anti-Harassment-Commitees, die sind sogar Pflicht von Seiten der indischen Regierung, also Komitees gegen sexuelle Belästigung. Das könnte man auch noch stärker unterstützen und propagieren. Diese Commitees werden allerdings meistens einfach vom Management besetzt und nicht von den Näherinnen gewählt, was aber wichtig wäre! Auch da könnte man ansetzen. Auch eine Hotline einzurichten und eine Vertrauensperson außerhalb der Fabrik zu benennen, an die sich Arbeiterinnen wenden können, wenn Arbeitsrechtsverletzungen passieren, sind sinnvolle Maßnahmen.

Ein Problem damit ist allerdings auch, dass Unternehmen, die sehr oft die Fabriken wechseln und immer dort produzieren, wo es gerade am günstigsten ist, gar keinen Kontakt zum Fabrikmanagement haben. Die kümmern sich nicht darum, was wirklich in den Fabriken passiert. Und das ist leider die große Masse. Da gesetzliche Regelungen aktuell so schwierig sind, setzen wir uns bei FEMNET dafür ein, dass wir dann immerhin so viel wie möglich auf freiwilliger Basis mit einigen Unternehmen umsetzen können.“

Wie erlebst du dann die Reaktionen der Unternehmen?

„Bisher sind es eher wenige Unternehmen, die bereit sind, bei Initiativen im Rahmen des Textilbündnisses mitzumachen. So gibt es eine Initiative in Südindien, um die Arbeitsbedingungen in den dortigen Spinnereien zu verbessern, wo junge Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren oft furchtbar ausgebeutet werden. An dieser Initiative beteiligen sich bisher nur Tchibo, Otto, KiK und Hugo Boss. H&M, Primark und C&A lassen dort aber auch ihr Garn spinnen, sie könnten sich beteiligen, tun es aber nicht. Es gibt rund 100 Unternehmen, die im Textilbündnis sind, und davon gibt es auch viele, die ihre Ware in Indien spinnen lassen. Viele kennen ihre Lieferkette selbst nicht so richtig. Aber sie müssen sich eben auf den Weg machen und sich bemühen, das zu verändern! Wir initiieren Kampagnen zum Thema Transparenz und da ist ein Trend zu vermerken, dass immer mehr Unternehmen sich dazu bereit erklären, ihre Lieferketten offenzulegen.“

„Deswegen ist es wichtig zu sagen: Hey Leute, es ist wichtig, was ihr kauft und auch nachzufragen, woher die Waren kommen.”

Eure Arbeit bezieht sich nicht immer auf Politik und Wirtschaft. Mit dem Fair Fashion Guide sprecht ihr auch gezielt Konsument_innen an. Fordert ihr auch hier Veränderungen?

„Die Wirtschaft sagt uns ja immer wieder, dass die Konsumentin hauptsächlich auf den Preis achtet und es gibt auch genug Unternehmensstimmen, die sagen, dass nachhaltige Bemühungen nicht belohnt werden. Das stimmt ja auch teilweise. Deswegen ist es wichtig zu sagen: Hey Leute, es ist wichtig, was ihr kauft und auch nachzufragen, woher die Waren kommen. Ihr müsst zeigen, dass euch das interessiert und im nächsten Schritt auch nichts kaufen, was unter unwürdigen Bedingungen hergestellt wurde. Dafür ist es wichtig ist, dass faire Kleidung auch gut aussieht. Wir müssen an den Punkt kommen, an dem es einfach uncool ist, nicht-faire Kleidung zu kaufen. Es sollte uncool sein, ein Billigshirt bei Primark zu kaufen, das ich sowieso nach zweimal Tragen wegwerfe. Mit dem Guide gehen wir auch die Vorurteile an, dass faire Mode nicht schick ist. Es gibt ja inzwischen eine ganze Reihe an Marken, die das sehr wohl sind. Das Vorurteil, dass faire Mode sehr teuer ist, gehen wir auch an. Sie ist zwar nicht so billig wie Discounterware, aber eben auch nicht so teuer wie Markenkleidung.“

Da stellt sich natürlich dann auch die Frage, inwieweit sich KonsumentInnen überhaupt umerziehen lassen.

„Umerziehen funktioniert nicht. Es geht eher darum, Anreize zu schaffen. Und das Andere ist eben die Transparenz. Wenn die Leute wissen würden, wie eine Ware hergestellt ist, würden sie sich auch anders verhalten. Da fehlt oft die Information an der Kleidung selbst. Nicht jeder macht eine Internetrecherche, bevor er einkaufen geht.“

Immer wieder merkt man, dass auch große Fast Fashion Brands wie H&M wissen, dass Nachhaltigkeit gut ankommt und eine nachhaltigere Kollektion herausbringen. Siehst du hier Probleme?

„H&M mit der Conscious Collection oder C&A mit Bio-Cotton – das birgt natürlich auch Gefahren, weil genau geschaut werden sollte: Was machen sie denn jetzt eigentlich wirklich? Wenn überall Nachhaltigkeit draufsteht, wird der Begriff natürlich immer hohler und verwässert sich. Oder er wird nur als Marketingbegriff verwendet, ohne dass wirklich etwas dahinter steckt. H&M z.B. hat versprochen, bis 2018 faire Löhne zu zahlen, davon sehen wir aber nichts.”

Passiert hier etwas Ähnliches wie beim Bio-Essens-Trend, der mittlerweile in der Masse angekommen ist. Ist die Moralisierung der Mode vielleicht sogar eine logische Folge?

„Die Verbindung ist interessant, ja. Bei Nahrungsmitteln ist es trotzdem noch etwas Anderes, weil es die Menschen noch persönlicher betrifft, nämlich die eigene Gesundheit. Wenn aber eine Näherin in Bangladesch leidet, leidest du in der westlichen Welt jetzt nicht darunter, wenn du unfaire Kleidung trägst. Ich glaube aber schon, dass sich immer mehr Menschen dafür interessieren und es ein Trend ist.“

„Wenn ich in den Ländern bin und sehe, wie die Frauen dort arbeiten und merke, wie müde die sind – dagegen bin ich ja überhaupt nicht müde!”

Eine letzte Frage habe ich dann noch: Du setzt dich seit über zehn Jahren sehr aktiv in der Textilbranche für menschenwürdigere Bedingungen ein. Ist man dessen auch manchmal müde?

„Ich werde oft gefragt, wie ich das nach den ganzen Jahren immer noch machen kann. Ich bin eine Kämpfernatur und habe mich schon immer gegen Ungerechtigkeit eingesetzt. Wenn ich in den Ländern bin und sehe, wie die Frauen dort arbeiten und merke, wie müde die sind – dagegen bin ich ja überhaupt nicht müde! Das gibt mir den Ansporn immer weiter zu machen. Außerdem erreichen wir auch was, kommen mit dem Thema in die Medien, unterstützen Frauen ganz konkret vor Ort. Doch dafür sind wir auch auf Spenden angewiesen, wie aktuell für unsere neue Kampagne #WerPasstAuf zur Kinderbetreuung in Fabriken und zur Unternehmensverantwortung : Wer passt auf die Unternehmen auf, dass ihre Zulieferer Sozialstandards einhalten? Beim Beispiel Rana Plaza hätten betroffene Familien ohne uns nie Entschädigungsgeld bekommen. Das ist ein tolles Ergebnis. Dann hat sich alles gelohnt.“

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