Foto: Philippe Put – Flickr – CC BY 2.0

5 erstaunliche Dinge, die ich über mein Startup gelernt habe, seitdem ich schwanger bin

Aus einem ehrenamtlichen Projekt eine Firma aufbauen, Kindern und Erwachsenen zu mutigen Bildungswegen verhelfen – all das hat Jenny als Gründerin erlebt. Dann wurde sie schwanger und es passierten erstaunliche Dinge in ihrem Leben zwischen Investorengespräch und Geburtsvorbereitung.

1. Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin gleichzeitig? Sorry, in Deutschland ist das nicht vorgesehen.

Der sechste Schwangerschaftsmonat bricht an, langsam werde ich unförmiger und realisiere so richtig, dass ich tatsächlich Nachwuchs bekomme. Was ist alles zu tun? Hebamme: Check! Wohnung: Streichen wir am Wochenende. Rausfinden, wie man Elternzeit und -geld beantragt: Das könnte ich jetzt mal machen. So schwer kann das doch nicht sein. Google angeworfen, 15 Minuten Broschüren und Foren gelesen. Jetzt weiß ich noch weniger als vorher. Ich rufe eine Freundin an. Die ist auch schwanger und Personalsachbearbeiterin. Ach, Mist; für Beamt*innen ist das alles anders. Schade. Weiter googeln.

Anruf bei der Behörde. Eine sehr freundliche Frau erklärt mir, dass das alles ganz einfach sei: Für mich lohne es sich nicht, zwölf Monate Elterngeld zu nehmen, weil ich ja bald in Teilzeit weiter arbeiten möchte. „Und wenn Ihr Arbeitgeber sich weigert: Verklagen Sie ihn einfach!“ Ähm, ok. Ungern. Ich bin als Gesellschafterin ja meine eigene Arbeitgeberin und würde ungern mich selbst vor Gericht treffen. Gibt es nicht eine Lösung, die für meine Firma und für mich gut ist? „Das ist so nicht vorgesehen“, höre ich heute nicht zu ersten Mal.

Zwei Wochen später: noch mehr umgehört, gelesen, Pläne gemacht. Sehr viel verdrängt auch. Skype mit einer Freundin in den USA zeigt mir schließlich: Ich jammere auf ganz hohem Niveau. Also, hilft ja nichts: weiterer Anruf bei der Elterngeldstelle. Wieder eine freundliche Dame: Sie widerspricht ihrer Kollegin in einigen Punkten. „Klären Sie das mal mit Ihrer Personalabteilung.“ Na toll: Das sind unserem Fall viele Excel-Tabellen. Familienfreundlichkeit geht scheinbar erst ab 100 Beschäftigten, junge Unternehmen sind  mal wieder nicht vorgesehen. In drei Jahren Gründerin nicht das erste Mal, dass mir das passiert – und bis jetzt haben wir immer eine Lösung gefunden. So auch dieses Mal. Falls jemand übrigens Beratung braucht, wie man in der eigenen Firma Elterngeld bekommt – meldet euch; ich nehme auch nur minimale Provision.

2. Mein Bauch gehört mir – und allen unseren Stakeholdern

Termin in einer Schule, der Ganztagskoordinator stürmt freudestrahlend auf mich zu. Patsch! Seine Hände landen zielsicher auf meinem Bauch: „Wann ist es denn so weit?“ Ich dachte immer, so was macht nur die eigene Oma und die schwangeren Frauen übertreiben. Schnell sind wir im Gespräch über Kinderwagen und andere Dinge, von denen ich auch jetzt noch keine Ahnung habe. Naja. Ich gehe mal in mein Meeting. Tasche vor den Bauch, dann kommen die anderen nicht dran.

Die Tasche schützt zwar meinen Bauch, meine Ohren leider nicht. Bei Vertragsverhandlungen einige Wochen später schildert meine Gesprächspartnerin, sonst mehr vom Schlage hanseatischer Reserviertheit, mir detailreich ihre Zwillingsgeburt und legt mir eine Wassergeburt ans Herz. Ich warte darauf, dass sie mir mit dem Tee auch eine Dammmassage anbietet und frage mich, ob ich statt unseres Businessplans mein letztes Ultraschallbild hätte mitbringen sollen.

Ich merke: Mutter werden ist ein öffentlicher Prozess, der auch vor Unternehmerinnen nicht Halt macht. Egal, wie gut ich darin bin, meine Rollen voneinander zu trennen , um das Babythema komme ich nicht herum. Reine Arbeitsbeziehungen haben jetzt eine ganz neue Komponente und Menschen, mit denen ich vorher außerhalb der Arbeitsthemen höchstens über’s Wetter oder Fußballergebnisse gesprochen habe, geben mir Einblick in ganz Privates, ob ich will oder nicht. Das irritiert – aber ich kann mir auch vorstellen, dass es im nächsten Finanzierungsgespräch nicht schaden wird.

3. Babys betreffen grundsätzlich nur Frauen und Familienfreundlichkeit bedeutet, möglichst lange den Arbeitsplatz zu verlassen zu können. Oder?

Die Reaktion auf meinen Plan, nach relativ kurzer Zeit in Teilzeit wieder in meiner Firma einzusteigen, ist fast immer dieselbe: „Ohje, du musst so schnell wieder arbeiten? Du Arme…“ Liebe Leute! Ich muss nicht. Ich will. Der dicke Bauch allein ändert die Einstellung nicht. Und dann gibt es ja auch noch einen Vater, der sich genau so freut wie ich und sich die Verantwortung mit mir teilt.

Unser erster Mitarbeiter mit Kind war übrigens ein Mann, keine Frau. Und natürlich ist es für ihn wichtig, dass er seine Kleine aus der Kita abholen kann. Danach versuchen wir uns nun bei Treffen zu richten. Ist das einfach? Nicht immer. Wir mussten uns darauf einstellen. Ist es möglich? Fast immer. Im kleinen Team mit flachen Hierarchien und dynamischen Strukturen sogar noch viel eher als anderswo. Wenn also Bekannte mich bemitleiden für meine ach-so-schwierige Situation („Das ist doch kein sicherer Job. So wie in einer Behörde oder einem Großkonzern.“), kann ich nur sagen: Gott sei Dank! Denn im eigenen Unternehmen bin ich so viel flexibler als in Behörden oder im großem Unternehmen. Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, Denken in Projekten. Mitarbeitergespräche führe ich doch heute schon beim Spaziergang am Kanal oder im Lieblingscafé, strategische Entscheidungen fallen an meinem Küchentisch genauso häufig wie in unserem Büro. Klar wird das mit Baby nicht immer einfach, aber einfacher als in Großkonzern oder Behörde doch mit Sicherheit.

4. Gründerinnen-Baby = Start-Up-Tod. Egal, wie viele Mitarbeiter*innen die Firma inzwischen hat. So ein Quatsch.

„Och, das ist ja schade, dass euer tolles Projekt dann vorbei ist.“ Projekt? Vorbei? Wieso bitte? Wir sind im dritten Geschäftsjahr, arbeiten mit sechs Festangestellten (wir drei Gesellschafterinnen eingeschlossen) im Hamburger Büro, haben weitere 15 bis 25 Angestellte, der Laden (eine gGmbH, keine „Projekt“) brummt. Was heißt hier vorbei?

Gestartet sind wir 2013 als drei Gründerinnen, die gut und gerne gemeinsam arbeiten. Kaum war Dynamik in der Firma, wuchs auch auch das Team. Und mit jeder neuen Person, die unser Team erweitert, steigt die Qualität unserer Arbeit – und unser Anspruch an uns selbst. Schon längst ist daraus mehr geworden als unsere Ursprungsidee. Und das Projekt, mit dem wir 2012 gestartet sind, ist eine gut laufende Firma. Ich bin mir ganz sicher, dass auch meine Babypause daran nichts ändert, im Gegenteil: Die Perspektive, eine Zeit lang raus zu sein, zeigt mir noch viel deutlicher, wie groß der Anteil, den unsere „First Follower“ haben, tatsächlich ist. So wie wir drei uns ergänzen und verschiedene Qualitäten und Anteile  ins Unternehmen mit einbringen, bringt auch jedes neue Teammitglied etwas Unverwechselbares mit ein. Eigene Personalabteilung hin oder her: Die Firma ruht sicher auf mehr als nur drei Gründerinnen-Schultern. Gottseidank, denn…

5. Gute Zeitpunkte gibt es nicht: Wie, du bist auch schwanger?

Dass das plötzlich so schnell geht mit dem Nachwuchs: ok. Und scheinbar ist es ansteckend. Rund um mich herum werden Freundinnen schwanger. Witzig. Naja, es ist ja auch diese Zeit jetzt mit Anfang 30. Und dann kommt meine Mitgründerin Hannah aus dem Urlaub und verkündet ihre Neuigkeiten. Startup-Baby Nummer zwei ist unterwegs. Sechs Wochen Abstand zwischen den beiden. Unfassbar!

Riesenfreude: Eine richtig gute Freundin in der gleichen Situation wie ich! Jemand, dem ich alle meine Fragen stellen kann, der sich mit den gleichen Themen beschäftigt. Aber auch: ganz schön viel Respekt. Meistert unsere Firma das?

Und dann die Erkenntnis: Diese Herausforderung nehmen wir gemeinsam. Und: ein Baby haben wir ja schon. Gefühlt ist das mit dem Kinderkriegen nämlich nicht so anders als mit dem Gründen. Bangen, Hoffen, Freude, Panik, Freude. Ungewissheit, was genau da auf uns zukommt. An Herausforderungen wachsen. Sich selbst neu kennenlernen, neue Rollen ausprobieren und an neuen Aufgaben wachsen. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle und dieser unglaubliche Stolz, wenn es dann die erste Schritte tut. Bei unserer Firma durften wir das alles schon erleben; beim Nachwuchs ist die Vorfreude darauf riesengroß. Natürlich wird vieles anders kommen, als wir  uns das gerade vorstellen. Auch das haben wir schon durch die Gründung und Unternehmensführung gelernt; und zu schätzen gelernt. Planungssicherheit ist das Eine, Offenheit für Neues und für die eine oder andere Überraschung das Andere.

Und umso schöner, das alles gemeinsam zu erleben, und jede so, wie es für sie und ihre Familie passt. Flexibilität und ein guter Blick für einander: Das wird jetzt wichtiger, aber wichtig war es vorher schon. Auch der Anspruch, dass wir mit unserer Firna etwas bauen wollen, das größer ist als wir: professionelle Strukturen, Eigenverantwortlichkeit bei unseren Mitarbeiter*innen, und so vieles mehr. Dass wir das schon immer wichtig fanden, gibt uns heute Sicherheit.

Und nun?

„Leadership sometimes just means hiring good people and getting the fuck out of their way.“ Der Spruch von Steve Jobs hing schon an unserer Büro-Pinnwand, lange bevor wir irgendetwas über CTG und PDA wussten. Das machen wir jetzt mal. Eine Gründerin ist ja noch da, ein starkes Team und eine Idee, die längst nicht nur uns begeistert. Und wir kommen wieder. In Teilzeit.

Jennifer Busch (links) und Hannah Schmidt-Friderichs sind zwei von drei Gründerinnen der CLIMB GmbH, einem Hamburger Sozialunternehmen, das deutschlandweit Kinder und Erwachsene für selbstbewusste Bildungswege motiviert. Dass die Doppelschwangerschaft das Beste war, was der Firma hätte passieren können, hätten sie vorher auch nicht gedacht – und freuen sich umso mehr auf den neuen Alltag.

Titelbild: Philippe Put – Flickr – CC BY 2.0

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