Auf ihrem Blog „Wie behindert bist du eigentlich“ setzt sich Janina Wisniewski mit ihrem Handicap auseinander: Bei ihr wurde schon sehr früh eine Hemiparese, also eine unvollständige halbseitige Lähmung, diagnostiziert. Sie teilt mit ihren Leser*innen ihre eigene Geschichte und gibt Tipps für Menschen mit Handicap – und deren Angehörige. Zum Beispiel, wie man Kindern mit Handicap die eigene Unsicherheit nehmen kann.
Wichtig ist, diese Frage ernst zunehmen
„Was soll ich sagen, wenn meinem Kind sein Handicap auffällt und es mich fragt, warum es anders ist als andere Kinder? Warum es sich anders bewegt, warum es bestimmte Dinge einfach nicht so gut kann?“ Das wurde ich immer mal wieder von Eltern gefragt.
Ich denke, es bringt an dieser Stelle nichts, die Frage zu relativieren, indem man sagt: „Ach das stimmt doch gar nicht. Du bist nicht anders.“ Denn das Kind kommt offensichtlich zu einem anderen Schluss, wenn es sich mit anderen vergleicht. Im schlimmsten Fall fühlt es sich sogar von seinen Eltern nicht richtig wahrgenommen, wenn sie diese Reaktion zeigen.
Das Kind versucht seinen Platz zu finden!
Sich mit anderen zu vergleichen ist ganz normal. Damit fangen wir schon im Kleinkindalter an. Wir finden dadurch heraus, was wir besonders gut können, aber auch, worin wir weniger gut sind und worin andere vielleicht besser sind als wir. Wir lernen uns selbst und unsere Stärken und Schwächen einzuschätzen. Vergleiche mit anderen sind also durchaus sinnvoll.
Nachfragen ist wichtig
Wenn dein Kind sich fragt, warum es anders ist als andere Kinder, dann kann es helfen, zu fragen, woran das Kind den Unterschied überhaupt merkt. Dadurch wird signalisiert: „Ich nehme dich und deine Äußerungen ernst.“ Die Antwort darauf kann dann sehr unterschiedlich ausfallen und somit auch die Reaktion der Eltern. Zwei Beispiele:
Manche Kinder mit Handicap merken, dass sie ein bestimmtes Hilfsmittel benötigen, das andere Kinder nicht brauchen – zum Beispiel eine Orthese oder eine Prothese. Dann ist es sinnvoll, im gemeinsamen Gespräch darauf einzugehen und festzustellen, dass Kinder ganz unterschiedliche Hilfsmittel benötigen: Das eine Kind braucht eine Brille um besser sehen zu können, ein anderes trägt eine Zahnspange. Und wieder andere brauchen eben eine Orthese, um gut laufen zu können. Dadurch wird dem Kind bewusst, dass es mit dem vermeintlichen Anderssein gar nicht so alleine ist.
Andere Kinder mit Handicap bemerken, dass sie bestimmte Dinge nicht so gut können – und glauben deswegen, dass sie „nicht normal“ seien. In diesem Fall macht es Sinn zu thematisieren, dass jeder Mensch unterschiedliche Stärken hat: Was das Kind besonders gut kann, vielleicht sogar aufgrund des Handicaps, kann ein anderes Kind weniger gut.
Versteh mich bitte richtig!
Dabei geht es nicht darum, dem Kind blind seine Stärken in verschiedenen Bereichen aufzuzählen, wenn es traurig nach Hause kommt. Denn dann fühlt sich das Kind mit seinen Gefühlen wahrscheinlich wenig ernstgenommen. In einer solchen Situation hilft es vermutlich mehr, dem Kind zu vermitteln: „Ich verstehe dich. Ich verstehe, dass dich das traurig macht.“ Gemeinsam kann dann überlegt werden, worin die Tochter oder der Sohn besonders gut ist. So bekommt er*sie die Möglichkeit, nicht mehr nur das zu sehen, was es (noch) nicht so gut kann, sondern auch wahrzunehmen, was er*sie schon alles schafft – und genau das stärkt das kindliche Selbstbewusstsein.
Eine weitere Möglichkeit: Mut machen
Wenn das Kind feststellt, dass es bestimmte Dinge nicht so gut kann, können wir versuchen, selbst aktiv zu werden, indem wir dem Kind Mut zusprechen und ihm sagen: „Wenn Du etwas wirklich können willst, dann finden wir einen Weg, wie Du genau das schaffen kannst.“ So bekommt das Kind auf der einen Seite das Gefühl, dass es Dinge, die es vielleicht zurzeit noch nicht beherrscht, lernen kann. Es weiß somit: „Ich kann Einfluss nehmen. Ich kann Neues lernen.“ Gleichzeitig wird vermittelt: „Da ist jemand, der mir dabei helfen kann. Ich bin nicht alleine.“ Und genau das macht unglaublich viel Mut. Das Kind ist nicht mehr in Gedanken bei dem, was es nicht kann, sondern bei dem, was es lernen will.
Aus Erfahrung weiß ich, wie gut das tut. Früher habe ich mich ständig mit anderen Kids verglichen: Im Sportunterricht war ich nach meiner Einschätzung grundsätzlich die Schlechteste. Ich konnte nicht so schnell laufen, nicht so gut werfen, war nicht so stark wie die anderen. Und genau diese Einschätzung hat mich jede Woche aufs Neue fertiggemacht. Es hat lange gedauert bis ich gemerkt habe: Wenn ich mich mit anderen vergleiche, kann ich nur verlieren. Und noch viel länger hat es gedauert, bis ich verstand: Dieser Vergleich führt dazu, dass ich passiv werde. Ich stelle nur fest, was ich alles nicht kann, bemitleide mich anschließend selbst und ändere trotzdem nichts.
Etwas verändern konnte ich erst, als ich anfing, mich auf mich selbst zu konzentrieren: auf das, was ich schon konnte, was ich lernen wollte und auf meine Entwicklung. Kurz gesagt – ich fing an, mich mit mir selbst zu vergleichen. Und genau das hat mich unglaublich weit gebracht! Ich kam nicht nur aus meinem negativen Denken heraus („Ich bin schlechter als die anderen“), sondern ich erkannte auch, dass ich aktiv Einfluss nehmen und dass ich mit meinem Körper Neues lernen konnte, wenn ich es wirklich wollte.
Darüber reden, welche Vergleiche eine*n weiterbringen – und welche nicht
Wenn das Kind aber immer wieder das Gefühl bekommt, es sei schlechter als die anderen, dann hilft es auch, generell über das Thema Vergleiche zu sprechen. Stell heraus, dass du als Mama oder Papa den Eindruck hast, dass dein Kind die Vergleiche nur traurig machen und nicht wirklich weiterbringen. Stattdessen kann man sein Kind dazu motivieren, sich zukünftig mehr mit sich selbst zu vergleichen und sich Ziele zu setzen.
Gemeinsam könnt ihr dann daran arbeiten, die gesetzten Ziele zu erreichen und könnt die eigenen Fortschritte festhalten. Auf diese Weise ist das Kind bei sich und nicht mehr bei den anderen. Er*sie erlebt sich als aktiv Handelnde*r und das hilft unglaublich dabei, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken.
Konkret zusammengefasst – das kannst du tun:
1. Nimm die Feststellung deines Sohnes, deiner Tochter („Ich bin anders als andere“) ernst. Stelle Nachfragen, zum Beispiel „Woran merkst du das?“
2. Vermittle ihr*ihm, dass alle Menschen unterschiedlich sind, jede*r unterschiedliche Stärken und Fähigkeiten hat und alle von mehr Diversität profitieren.
3. Mache ihr*ihm Mut, dass sie*er Neues lernen, sich Ziele setzen und daran arbeiten kann und dass Du dein Kind dabei gerne unterstützt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Janinas Blog „Wie behindert bist du eigentlich?“ Wir freuen uns, dass wird ihn bei uns veröffentlich dürfen.
Janina schreibt auf ihrem Blog nicht nur über die täglichen Herausforderungen von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, sondern zeigt auch, dass man trotz Diagnose immer weiter an sich arbeiten kann – dafür veröffentlicht sie auf ihrem Blog auch Videos mit ganz unterschiedlichen Übungen. Und weil sie gerne andere dabei unterstützt, bietet sie auch individuelle Coachings an.
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