Ein offenes Kollektiv aus Fotografinnen will dazu beitragen, dass sich endlich etwas in der männerdominierten Kunstwelt bewegt. Wir haben mit den Gründerinnen der „Female Photographers“ darüber gesprochen, wie sie das angehen wollen und warum genau jetzt die Zeit reif für den Zusammenschluss ist.
„Es ist an der Zeit, Systeme neu zu denken“
Gemeinsam kommt man weiter. Genau das ist auch der Ansatz der Fotografinnen Kirsten Becken und Veronika Faustmann, die mit „Female Photographers“ ein offenes Kollektiv aus unterschiedlichen Fotografinnen gebildet haben, um die Sichtbarkeit von Künstlerinnen in einer männerdominierten Kunstwelt zu erhöhen.
Was sich konkret verändern muss, um hier weiterzukommen, welche Kunstkritikerin sie inspiriert und welche Label ihr Schaffen einschränken, das haben uns Kirsten und Veronika im Interview erzählt.
Ihr habt euch gerade mit Fotografinnen aus unterschiedlichen Ländern zusammengetan und das Kollektiv „Female Photographers“ gegründet, um die Sichtbarkeit von Fotografinnen zu stärken. Die Kunstwelt ist ja generell immer noch enorm männerdominiert – ist das in der Fotografie auch so stark zu beobachten?
Veronika: „Meiner Erfahrung nach verhält es sich in der Fotografie ähnlich wie in der restlichen Kunstwelt. Schaut man auf die Webseiten von bekannten Fotoagent*innen, sind auch da leider immer noch mehr Männer als Frauen vertreten. Auch in den Fotoverbänden ist der Anteil der Männer deutlich höher.“
Kirsten: „Durch alte Strukturen und die oft noch zu leise Stimme der Frau haben sich diese Verhältnisse über Jahrzehnte etabliert. Katharina Bosse hat hierzu in der Februar-Ausgabe des Monopol Magazins Silke Hohmann ein Interview gegeben und über die Gleichzeitigkeit von Mütterlichkeit und Sexualität gesprochen, wenn es um die Rolle der Frau als arbeitende Künstlerin und Mutter geht. Darin spricht sie darüber, dass die Rolle der ,Künstlerin’ und die der ,Mutter’ in Deutschland einfach nicht zusammen gedacht werden können, unvereinbare Pole sind, weil ,die Mutter’ gemeinhin Normen repräsentiert und sie so nicht als Künstlerin in Frage stellen kann.“
Wie kann man das aufbrechen? Am Ende kann das ja nicht nur über Künstler*innen laufen – wenn sich strukturell etwas ändern soll, muss ja der gesamte Kunstbetrieb bereit sein, sich zu bewegen.
Kirsten: „Wir möchten ein Teil der Bewegung sein und zeigen, dass es an der Zeit ist Systeme neu zu denken. Es hängt auch an der Exklusivität, die eine Galerie mit sich bringt und an dem Gefühl, dass vermittelt wird. Wir lieben deshalb Jerry Saltz und seine Frau Roberta Smith. Roberta Smith ist eine der wenigen Kunstkritikerinnen, in dem auch vornehmlich von Männern dominierten Bereich. Beide inspirieren, weil sie kritisch und außerhalb der bekannten Trampelpfade denken und das über Instagram kommunizieren. Jerry Saltz hat einen unabhängigen Blick auf die Kunstwelt und als Quereinsteiger bringt er eine Portion Humor und eine unabhängige Perspektive mit. Immer wenn ich das Gefühl habe, frustriert zu sein, schaue ich mir seinen Account an und es geht mir besser.“
Was war der Anstoß, wieso war jetzt der richtige Zeitpunkt, um das zu machen? Oder anders gefragt: Warum nicht schon früher, ihr seid doch schon bestens vernetzt gewesen?
Kirsten: „Unser Zusammenschluss zu einem Kollektiv ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir haben keine Vorteile, unterstützen uns nur gegenseitig und legen das offen. Wir möchten dazu inspirieren, sich zusammen zu schließen und starke Gruppen zu gründen. Ich sehne mich auch nach einer lauteren, offenen Diskussion über Kunst, Business, Balance zwischen freien Projekten und Umsatz, um die eigene Existenz zu sichern. Es ist schwer, wenn man nicht rein-kommerziell arbeitet und sich damit ein Einkommen aufbauen will.
Die meisten Fotografinnen arbeiten sehr viel und hart und kommen, wenn sie keine Werbung machen, oft nicht gut über die Runden. Das war für mich ein Grund, warum ich entschieden habe, etwas für diese Gemeinschaft zu tun, oder besser, sie sichtbarer zu machen. Unser Zusammenschluss ist nicht profitabel, nicht monetär – sondern ideell. Deshalb sammeln wir ganz demokratisch und ohne Förder*innen anzufragen für unsere erste Publikation, weil wir diese Startrampe nutzen wollen. Das Warten auf Kontakte ermüdet, macht mürbe und man fühlt sich in einer dauerhaften Lauerposition. Schöner ist es, sich ganz offen gegenseitig zu stützen und darüber zu reden.“
Wie habt ihr die Frauen ausgewählt, mit denen ihr euch zusammengetan habt?
Kirsten: „Wir haben uns die Arbeiten der jeweiligen Fotografinnen zugeschickt und darüber gesprochen. Dann haben wir anhand der Schwerpunkte entschieden. Paula Winkler ist zum Beispiel elementar in unserer Liste. Sie beschäftigt sich aus der Perspektive der heterosexuellen Frau mit dem männlichen Akt – eine Perspektive, die weitaus seltener vertreten ist als ihr Pendant. Eine Schieflage, die etwas über das Verständnis von Sexualität in unserer Gesellschaft aussagt. Sie beschäftigt also die Frage: Wer wird hier von wem für wen dargestellt?“
Ihr betont, dass ihr nicht hierarchisch aufgestellt seid. Ist euch das so wichtig, weil so traditionelle Machtstrukturen nicht einfach reproduziert werden?
Veronika: „Die Idee uns nicht hierarchisch aufzustellen kam ganz natürlich zustande. Wir sehen uns als Klasse und nicht als Konkurrentinnen. Daraus entsteht eine ganz andere Dynamik und Offenheit, die Ideen fördert und nicht im Keim erstickt.“
Kirsten: „Wir sehen uns nicht als Konkurrentinnen, sondern als Bereicherung.“
Ihr wollt mit Labeln aufräumen, schreibt ihr. Welche zwängen euch und euer Schaffen besonders ein?
Kirsten: „Ich träume davon ein Team aufzustellen, dass sich stützt und andere einlädt ein Teil ihrer Arbeit zu sein. In meiner Arbeit als selbstständige Fotografin und in meiner künstlerischen Arbeit habe ich mich immer mit Frauen vernetzt und das Gefühl gehabt, dass es ganz natürlich dazugehört sich gegenseitig zu stützen. Der Kuchen ist groß genug. Das Einzige, was mich in der Denkweise anstrengt sind auferlegte Label, Etiketten, Konventionen. Und es geht darüber hinaus. Diese Konventionen schleichen sich in unsere Wahrnehmung ein und stoppen – zumindest bei mir – einen natürlichen, unverblümten und ganz offenen Drang, die Neugier. Angst oder Zweifel finden so viel schneller Platz. Es geht also auch darum, Angst zu nehmen, Courage aufzubauen und sich gegenseitig zu inspirieren.“
Was würdet ihr sagen: Muss die weibliche Perspektive in der Kunst gestärkt werden, indem sie herausgestellt wird, oder ist das auch ein Label, was abgeschafft werden sollte?
Kirsten: „Es geht uns nicht darum, die weibliche Perspektive zu stärken, vielmehr geht es uns darum, es bald nicht mehr notwendig zu machen, diese Perspektive zu benennen.“
Welchen Rat würdet ihr jungen Künstler*innen mitgeben, die gerade noch am Anfang stehen?
Veronika: „Schaffen, schaffen, schaffen und vertraut auf euer Bauchgefühl. Baut euch von Anfang an ein Netzwerk auf und pflegt es.“
Wenn ihr das Kollektiv bei seiner ersten Publikation unterstützen wollt, hier geht es zu ihrer aktuellen Kickstarter-Kampagne.
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