Es ist laut um uns herum, denn unzählige Stimmen prasseln jeden Tag auf uns ein. Auf sich selbst zu hören und der eigenen Intuition zu vertrauen ist zu einer Herausforderung geworden. Wie es funktionieren kann, erklärt die Karriere-Beraterin Ragnhild Struss.
Wenn alle laut sind, hör dir selbst besonders gut zu
Da sind die Stimmen unserer Eltern, die seit der Kindheit unser Denken und Fühlen prägen, die Glaubenssätze und unbewussten Einstellungen, die sich aus dem ergeben, was wir erlebt haben. Die Einflüsse unserer Sozialisation hallen bis heute in unseren Köpfen nach. Auf die bewussten können wir reagieren, aber die unbewussten lenken unsere Lebensgestaltung unbemerkt. Ebenso beeinflussen uns digitale Stimmen – wie das Wort „Influencer“ deutlich benennt: Instagram-Stars oder Facebook-Freund*innen mit den vermeintlich exotischsten Reisezielen, glücklichsten Beziehungen und teuersten Restaurantbesuchen. Auch gutgemeinten Ratschlägen, Warnungen und ungefragt geäußerten Meinungen von Freund*innen, Bekannten und Kolleg*innen nehmen wir oft zu ernst – und ihren Einfluss auf unsere Entscheidungen und Handlungen billigend in Kauf. Dabei ahnen wir nicht, wie hoch der Preis für dieses weniger authentische Leben ist.
Um die innere Stimme hören zu können, brauchen wir Selbstbewusstsein
Wie können wir äußere Stimmen von unserer eigenen unterscheiden? Die Antwort lautet: mit Selbstbewusstsein. Die Basis dafür bildet eine ausführliche Selbstanalyse, damit wir bewusste Persönlichkeitsanteile in Worte fassen und unbewusste Anteile erkennen können. Denn nur was wir wissen, können wir auch steuern. In einer erweiterten Bedeutung steht Selbstbewusstsein für das feste Vertrauen in den eigenen Wert als Person und in die persönlichen Fähigkeiten. Um innere Impulse ernst zu nehmen, ist ein positiver Selbstwert eine wichtige Grundvoraussetzung. Denn oft hören und vertrauen wir unserer inneren Stimme nur, wenn wir sie auch wertvoll und wichtig finden.
Die Bedeutung von Authentizität
Sobald wir einen bewussten Zugang zu unserer inneren Stimme haben, gilt es, sich von ihr leiten zu lassen. Der Schlüssel dafür lautet Authentizität: die Charaktereigenschaft, mit der wir unseren eigenen Stil finden und uns selbst zum Original machen, statt zu einer Kopie. Authentische Menschen zeichnen sich durch ein Verhalten aus, das mit ihrer Persönlichkeit im Einklang steht. Sie wissen welche inneren Werte, Überzeugungen und Bedürfnisse ihr Handeln lenken. Die Wirkung authentischer Menschen ist natürlich und echt. Nichts ist anziehender als Authentizität.
„Echte“ Menschen sind glücklicher
Authentisch zu leben bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich: Authentische Menschen sind mental stärker und wissen leichter, was sie wollen. In der Konsequenz entscheiden sie sicherer als andere und erfahren dadurch mehr Respekt. Sie lassen sich nicht manipulieren, nicht durch Gruppenzwang oder negatives Feedback aus der Bahn werfen. Weil sie wissen, was ihnen guttut, können authentische Menschen glücklichere Beziehungen aufbauen und führen. Auch in Jobinterviews haben sie gute Karten, da bei ihnen Gestik, Mimik, (Körper-)Sprache und geäußerte Inhalte miteinander übereinstimmen – das macht sie greifbar und schafft Vertrauen beim Recruiter. Außerdem finden sie eher einen Job, der wirklich zu ihnen passt. Denn sie präsentieren sich so, wie sie eben sind.
Wie du deine innere Stimme endlich hörst und authentisch lebst – ein Guide in fünf Schritten
Seiner inneren Stimme zu folgen funktioniert selten von heute auf morgen. Mit den folgenden Schritten wird deine innere Stimme aber immer lauter. Die dazugehörigen Fragen bieten dir einen Einstieg. Ich empfehle dir, sie schriftlich zu beantworten und dafür ein schönes Notizbuch zu kaufen, das du immer wieder zur Selbstreflexion nutzen kannst.
1. Wer bist du? Finde es heraus.
Am Anfang steht die Selbsterkenntnis: Unabhängig davon, wie viel du bereits über dich zu wissen glaubst – Individualität ist ein fluideres System, als uns bewusst ist. Mit jeder Standortanalyse deines derzeitigen Seins gewinnst du einen neuen Blick auf deine Persönlichkeit. Folgende Fragen bieten Ihnen einen Einstieg. Ich empfehle Ihnen, sie schriftlich zu beantworten und dafür ein schönes Notizbuch anzulegen, das Sie immer wieder zur Selbstreflektion nutzen können. Zu wissen, wer du selbst bist, bildet die Basis für alles Weitere. Um dich selbst besser kennenzulernen, erstelle eine Collage oder ein Pinterest-Board mit allem, was dich ausmacht – es macht Spaß auf diese Weise herauszufinden, aus welchen Mosaiksteinen die eigene Identität besteht.
- Wer bin ich, wenn keiner zuschaut?
- Welche Eigenschaften zeichnen mich aus? Worauf bin ich stolz? Welche meiner persönlichen Merkmale und Fähigkeiten stärken meinen Selbstwert?
- Welche Stärken und Talente habe ich – was fällt mir leichter als anderen?
- Welche Kompetenzen konnte ich mir im Laufe meines Lebens aneignen?
- Wofür brenne ich – welche Interessen habe ich heute, welche waren es früher? Gibt es Hobbies, die ich gerne einmal ausprobieren möchte, und was sagt das über mich?
- Was motiviert mich?
- Über welches Feedback zu mir freue ich mich besonders?
- Mit welchen Menschen umgebe ich mich gern? Welche Rückschlüsse lässt das über mich zu?
- Welche (Arbeits-)Umgebung brauche ich, um mich wohl zu fühlen?
2. Wissen, wovon deine Ziele beeinflusst werden
Wohin willst du im Leben und was verleiht deinem Leben Sinn – beruflich, privat, spirituell? Falls du das schon weißt, frag dich: Sind das wirklich die Ziele, die deinem inneren Selbst entsprechen? Häufig folgen wir über lange Zeit hinweg Glaubenssätzen, die wir nicht mehr hinterfragen. Sie erschaffen eine scheinbar unumstößliche Realität, dabei haben sie gar nicht mehr zwingend etwas mit deiner aktuellen Persönlichkeit zu tun. Was stattdessen deine Ziele beeinflussen sollte? Deine Persönlichkeit, deine Wünsche und – ganz wichtig – deine Wertvorstellungen. Hinter jeder Vision steht ein persönliches „Warum“. Werte sind Leuchttürme, die unserem Handeln eine Richtung verleihen. Jedem Menschen liegen unterschiedliche Werte am Herzen und was anderen erstrebenswert erscheint, muss es für dich selbst noch lange nicht sein.
- Nach welchen Glaubenssätzen richte ich mein Leben aus? Welche davon habe ich von anderen, zum Beispiel meinen Eltern, übernommen? Welche habe ich mir selbst zu eigen gemacht? Und schließlich: Welche von ihnen helfen mir dabei, ein authentisches Leben zu führen – und welche sollte ich über Bord werfen, weil sie mich nur ausbremsen?
- Welche Wertvorstellungen sind mir besonders wichtig? Was fühlt sich für mich im Leben wirklich erstrebenswert an? Egal, ob Ihre Antwort Nachhaltigkeit, Status, Familie, Unabhängigkeit, Spaß oder ganz anders lautet – verurteilen Sie sich nicht dafür, sondern seien Sie stolz auf Ihre persönlichen Werte.
- Was ist mein „Warum“? Auf welches Leben möchte ich mit 90 zurückschauen? Wofür bin ich hier? Wie sähe mein Leben aus, wenn ich mir selbst uneingeschränkt Ausdruck verleihen würde?
- Wie würde ich leben, wenn Geld und Angst keine Rolle spielen würden?
3. Ein Date mit dir selbst
Um deiner inneren Stimme langfristig zu folgen, ist eine einmalige Selbstreflektion nicht ausreichend. Sobald wir im Alltag erneut in alte Muster verfallen und äußere Einflüsse lauter werden, als unsere eigenen Impulse, verlieren wir schnell die Verbindung zu uns selbst. Umso wichtiger ist es, den Kontakt zu deinem Inneren in regelmäßiger Gewohnheit aktiv herzustellen. Wie? Indem du bewusst Zeit mit dir alleine verbringst, eine Achtsamkeitspraxis wie Meditation oder Yoga etablierst oder so oft wie möglich Tagebuch darüber schreibst, was dich gerade bewegt. Wer besonders beschäftigt ist, kann sich selbst erinnern: Klebe ein Post-It an deinen Spiegel, leg ein kleines Objekt auf deinen Schreibtisch oder trag ein bestimmtes Armband – und lass dich dadurch daran erinnern, mehrmals täglich tief durchzuatmen, in dich hineinzufühlen und mach dir so deine aktuellen Emotionen und Stimmungen bewusst: „Wie geht es mir gerade – und was kann ich tun, damit es mir besser geht?“
4. Die innere Stimme handlungsleitend machen
Sobald es für dich normal geworden ist, deine Intuitionen und Wünsche klar wahrzunehmen, wirst du sensibler auf Beeinflussungsversuche reagieren und die Grenze zwischen deiner und den Stimmen anderer leichter erkennen. Jetzt musst du dich nur noch trauen, auch wirklich nach deiner inneren Stimme zu handeln. Gewöhn dir an, bei Entscheidungen oder Anfragen immer erst nach innen zu blicken, auf dein Herz- und Bauchgefühl und deine Gedanken zu achten. Wenn etwas spürbar im Widerspruch zu deinen eigenen Werten steht, mach es nicht. Und wenn du es doch machst? Dann ignorier es nicht, denn was unterdrückt wird, bahnt sich meist destruktiv seinen Weg, um auf sich aufmerksam zu machen.
5. Gegenwind aushalten
Authentische Menschen beziehen Position. Dementsprechend wird es Menschen geben, die dir widersprechen oder mit (vermeintlich) guten Argumenten deine Position schwächen wollen. Mach dir klar, dass niemand aus böser Absicht handelt: Oft verbergen sich hinter destruktiver Kritik Neid, Unsicherheit, Ängste oder Glaubenssätze, die mit deinen nicht kompatibel sind. Begegne gutgemeintem Gegenwind freundlich, aber bestimmt und deutlich und versuch, „Hater“ zu ignorieren. Wurden durch äußere Einwände Zweifel in dir gesät, ob du eine Herausforderung bewältigen kannst oder ob der Plan wirklich so eine gute Idee ist? Indem du strategisch alle möglichen Szenarien durchdenkst und Lösungsideen für potentielle Probleme sammelst, reduzierst du deine Unsicherheit. Wende dich dann wieder ganz nach innen und finde die Flamme, die dein Vorhaben ursprünglich entzündet hat. Und besonders wichtig: Lass dich auf deinem Weg nicht beirren.
Unserer inneren Stimme zu folgen, sollte keine Option sein, auf die wir vielleicht irgendwann einmal zurückkommen. Um eigene Lebenszufriedenheit und das Gefühl von Erfüllung zu steigern, ist es quasi selbstverpflichtend. Trau dich, deine Wahrnehmung auf Empfang zu stellen und den einzigen Sender laut zu drehen, der wirklich zählt: die Instanz deiner inneren Stimme.
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