Foto: Trumpf

„Es spielt für die persönliche Entfaltung keine Rolle, ob jemand anderes besser ist“

Julia Duwe ist seit einem Jahr als Chief Agile Manager beim Maschinenbauer Trumpf beschäftigt. Was genau ihr Job ist und wie sie ihre Karriere geplant hat.

Trumpf-Managerin und Vordenkerin Julia Duwe

Ambi… Was? Das hört Julia Duwe oft, wenn sie Vorträge über ihr Paradethema Ambidextrie hält. Das sperrige Wort, das nach einer seltenen Krankheit klingt, kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Beidhändigkeit“. Man hört es immer wieder, wenn Unternehmen sich neu organisieren, um die digitale Transformation zu meistern. Duwe hat darüber an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel promoviert, nachdem sie Publizistikwissenschaften, BWL und Amerikanistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Universität Bergen in Norwegen studierte.

Seit Januar 2018 arbeitet sie bei Trumpf Werkzeugmaschinen als Chief Agile Manager. Gerade wurde Julia Duwe als Mitglied in die Vordenker-Community aufgenommen, eine Initiative von Handelsblatt und der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG).
Vor ihrer Zeit bei Trumpf war Duwe beim Maschinenbauer Festo in Esslingen beschäftigt, wo sie unter anderem ein unternehmensweites Digitalisierungsprojekt zur Markteinführung der digitalen Pneumatik in der industriellen Automatisierungstechnik leitete.

Als Buchautorin (u.a. „Beidhändige Führung“, Springer Gabler 2018) und Bloggerin (www.ambidextrie.de) beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Unternehmen das bestehende Kerngeschäft vorantreiben und gleichzeitig erfolgreich neue digitale Geschäftsfelder in der Plattformökonomie erschließen können. Wie sie zu ihrem Job kam, was sie anderen Frauen für Gehaltsverhandlungen rät und auf welche Fehlentscheidung sie rückblickend gerne verzichtet hätte, erklärt uns die Managerin im Gespräch.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt.

Liebe Frau Duwe, Ihre Vita ist spannend – Sie waren früher Journalistin, haben beim ZDF, dem FAZ-Institut und der Mainzer Rhein-Zeitung gearbeitet. Wie kommt es, dass Sie heute in einem Unternehmen für Werkzeugmaschinen sind?

Ich bin großer Technikfan. Feuer gefangen habe ich 2008 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart. Gemeinsam mit den Forschern – darunter Physiker, Informatiker, Chemiker, Luft- und Raumfahrttechniker – habe ich daran gearbeitet, die technischen Sachverhalte in einfache Sprache zu übersetzen. Es ging darum, verständlich zu erklären, warum die Welt eine bestimmte technische Lösung braucht. Der journalistische Hintergrund war dafür hilfreich – und ist es auch heute noch.

Ihr Titel bei Trumpf lautet „Head of R&D Production Platforms and Chief Agile Manager Production Platforms“ – können Sie uns Ihren Job beschreiben, ohne die Marketingsprache Ihres Unternehmens zu nutzen?

In einem Satz zusammengefasst geht es darum, Menschen in der Produktentwicklung zu vernetzen. Bei den Produkten und Lösungen, die wir entwickeln, handelt es sich um vernetzte Systeme für die intelligente Bearbeitung von Blechen. Wir nennen das Smart Factory. Kein Mensch kann sie mehr alleine durchschauen, geschweige denn alleine entwickeln. Wir brauchen zahlreiche Experten aus den Bereichen Software, Hardware, Datenanalyse, Machine Learning, der IT, der Rechtsabteilung, dem Vertrieb, Experten von Universitäten oder Start-Ups… Für die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg sind viele Organisationen heute nicht gebaut. Deshalb hat Trumpf in der Produktentwicklung neue Rollen geschaffen, die sich nicht nur auf die Technik konzentrieren, sondern parallel zur Technik das soziale System dahinter weiterentwickeln, Menschen vernetzen und auch für die neuen Aufgaben vorbereiten.

Wissen Sie noch, was Sie werden wollten, als Sie klein waren?

Da kommt mir spontan ein Erlebnis aus der Grundschule in den Sinn… Jeder von uns sollte ein Auto bauen. Am nächsten Tag wurde in einem Wettbewerb das Auto prämiert, das am weitesten fuhr. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, aber es war meins! Vielleicht war ich damals schon technikbegeistert. Aber bewusst war mir das nicht.

Sie gelten als Expertin für Ambidextrie – wie würden Sie mir den Begriff, zu dem Sie auch ihre Doktorarbeit geschrieben haben, in einer einfachen Whatsapp-Nachricht erklären?

Der Begriff bedeutet „Beidhändigkeit“, mit beiden Händen gleich gut sein. Wenn Unternehmen ihr bestehendes Geschäft vorantreiben und GLEICHZEITIG ein ganz neues Geschäft hochziehen, dann wird das auch als beidhändig bezeichnet. Um das besser zu verstehen, gibt es ein einfaches Experiment: „Schreiben Sie Ihren Namen mit Ihrer Lieblingshand. Wenn Sie fertig sind, versuchen Sie das gleiche mit Ihrer schwächeren Hand. Wie fühlt sich das an?“

…ganz schön kompliziert und irritierend!

Genau das Gefühl, das Sie in diesem Augenblick haben, ist in der digitalen Transformation das Gefühl von vielen Organisationen. Sie bestehen ja aus Menschen. Wir tun etwas, dass wir (noch) nicht richtig gut können. Irgendwie gelingt es, aber wir fühlen uns zurückversetzt in die erste Klasse. Zugleich entsteht auch dieser Anfängergeist, der einen neugierig macht, es weiter zu probieren.

Haben Sie Ihre Karriere geplant oder alles auf sich zukommen lassen?

Die entscheidenden beruflichen Wendungen habe ich nicht geplant. Sie sind zu mir gekommen. Ich kann nicht leugnen, dass ich auch zahlreiche Schritte sehr gut plane. Aber ich versuche immer ausreichend Raum für Unerwartetes zu lassen. Dann bleibt es spannend.

Wie fängt Ihr Tag an?

Mit drei Minuten Yoga und danach einer Tasse schwarzem Kaffee.

Was machen Sie morgens als erstes im Büro?

Ich begrüße meine Kollegen.

Was sind Ihre Stärken?

Ich finde Systeme extrem spannend. Das können technische, soziale oder wirtschaftliche Systeme sein. Dann gibt es die Zusammenhänge der Systeme untereinander. Wenn ich zum Beispiel im technischen System etwas grundlegend verändere, dann hat das immer auch Auswirkungen auf die Organisation. Als Führungskraft im technischen Umfeld fasziniert mich vor allem, beides gleichzeitig zu entwickeln und zu fördern.

Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

Das klingt jetzt pathetisch: Aber es ist meine Mutter. Sie ist unglaublich innovativ und ständig dabei, neue Dinge zu lernen. Mit fast 80 zum Beispiel lernt sie jetzt ein neues Instrument. Sie ist mutig und extrem ermutigend. Sie hat Fantasie und besitzt diese gesunde Unruhe, aus der Neues entsteht. Alles Eigenschaften, die man auch als Führungskraft gut gebrauchen kann.

Haben Sie ein persönliches Motto, das Sie antreibt und motiviert

„Do one thing everyday that scares you“ (Eleanor Roosevelt).”

Bitte ergänzen Sie den Satz: Ich unterstütze meine Mitarbeiter (Nachwuchskräfte, KollegenInnen) in schwierigen Situationen, indem…?

… ich zuhöre und ihnen dabei helfe, selbst einen Lösungsweg zu entwickeln.

Angenommen eine Kollegin oder Mitarbeiterin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?

Wer, wenn nicht du? Es spielt für die persönliche Entfaltung überhaupt keine Rolle, ob jemand anderes besser ist. Entscheidend ist, ob das, was du tust, sich richtig anfühlt und dich beflügelt. Wenn das der Fall ist, was hält dich noch auf?

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeitern ist für mich…

… Ignoranz, Arroganz und Überheblichkeit.

Feedback ist für mich…?

… GOLD wert.

Welches Tool ist bei der Arbeit für Sie unverzichtbar?

Meine Ohren.

Ihr persönlicher Produktivitätskiller?

Neinsager und Skeptiker. Menschen, die bei anderen Fehler suchen. Und Excel-Listen.

Über ihre Erfolge sollten Frauen…?

… sich freuen. Stolz sein. Und sie teilen.

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

Zunächst einmal: Weg mit der Emotionalität (die ich sonst durchaus schätze). Eine Gehaltsverhandlung ist eine ganz normale Sache. Der ganze Arbeitsalltag besteht aus Verhandeln. Zweitens, sich Klarheit verschaffen über den eigenen Marktwert. Darauf kann man sich sehr gut vorbereiten.

Verbündete und Mentoren finde ich, indem…?

… ich auf mein Gefühl höre. Es gibt im Laufe des Berufslebens immer wieder Menschen, die mich besonders beeindrucken. Dann frage ich einfach, ob in diesem Leben die Möglichkeit zu einem Kennenlernen besteht.

Der größte Benefit, den Sie bisher aus einem Ihrer Netzwerke gezogen haben?

Impulse und Inspiration. Information, Mitstreiter und neue Kontakte. Die Erfahrung, dass durch das Teilen Dinge größer werden. Gegenseitiges helfen.

In Konfliktsituationen bin ich…?

… gespannt. Auf anfängliche Angespanntheit folgt meist Neugier darauf, wie sich die Situation entwickelt, verändert, löst.

Pannen sind…?

… schön. Menschlich. Lehrreich.

Auf welche Fehlentscheidung hätten Sie rückblickend trotzdem gerne verzichtet?

Ich habe bei einigen Entscheidungen in meinem Leben zu wenig auf mein Herz gehört und zu viel auf meinen Verstand. Das musste ich dann auch ausbaden.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Einmal um die Stuttgarter Bärenseen laufen. Alternativ: Stundenlang an einem kleinen Detail meines Blogs basteln. Wenn beides gerade nicht geht, tief durchatmen.

Nein sagen sollten Frauen zu…?

… Menschen, die sie von ihrer persönlichen Entwicklung abhalten.

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun Sie?

Ich habe mir vorgenommen, nie lange unglücklich zu sein. Das Leben ist kostbar und kurz. Wenn ich also unglücklich bin, ist das immer auch der Anfang von etwas Neuem. Dann kommen Steine ins Rollen. Und wenn die einmal rollen, wird das meistens sehr interessant.

Anderen Chefs würde ich gerne sagen, …

… sucht die Schönheit in Euren Teams!

Wie schalten Sie abends ab und wann gehen Sie ins Bett?

So gegen 22:30 oder 23 Uhr schalte ich ab, gerne über einem guten Buch.

Liebe Frau Duwe, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible.

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