Aller Emanzipation zum Trotz hängt für viele von uns das Selbstwertgefühl ganz stark an einer geglückten romantischen Beziehung. Wir suchen ständig im anderen nach Bestätigung – aber das muss nicht so sein.
Es beginnt alles wie ein Traum
Es begann so wunderbar: Kathrin lernte einen vielversprechenden Mann auf einer Dating-App kennen. Er sah ganz gut aus, war beruflich erfolgreich, seit zwei Jahren geschieden und nun wieder auf der Suche nach einer Beziehung. Er schien nett. Sie chatteten, trafen sich. Verstanden sich gut. Verbrachten einen Abend und eine Nacht miteinander. Sie war verliebt und er, so schien es, auch. Er meldete sich täglich, machte ihr ein Geschenk zum Valentinstag, holte sie sogar spät abends von der Arbeit ab. Dann verbrachten sie ihr erstes Wochenende zusammen.
Machten lange Winterspaziergänge, gingen essen, kuschelten stundenlang auf der Couch. Schmiedeten Pläne für die Zukunft. Es war wie aus einem Roman. Kathrin fand alles herrlich, schwebte auf Wolke Sieben. Und dann der Schock: Ein Anruf von ihm, er klang merkwürdig zurückhaltend. Er hatte sich am Wochenende eingeengt gefühlt, war sich nicht mehr sicher, ob er eine Beziehung mit ihr wollte. Er müsse darüber nachdenken, würde sich wieder melden. Tagelanges, banges Warten. Dann wieder ein Anruf, er nudelte zunächst herum: Es sei nicht leicht für ihn, er hätte kaum geschlafen in den letzten Nächten…Dann die unvermeidliche Bombe: „Ich brauche Abstand.“ Daraufhin nur noch Stille.
Abruptes Erwachen und Selbstzweifel
Kathrin ist am Boden zerstört. Was einerseits verständlich ist: Alle Hoffnungen, Pläne, Träume, die an diesem Mann hingen – zerplatzt. Das ist nicht leicht zu verkraften, jede Zurückweisung schmerzt. Aber, was noch schlimmer ist: Ihr Selbstbewusstsein ist völlig zerstört. Sie sucht die Schuld bei sich. Hat sie zu viel geredet, zu laut gelacht? Hätte sie sich zurückhaltender verhalten sollen? Ist sie nicht attraktiv genug, nicht intelligent genug, nicht interessant genug? Ist sie als Mensch vielleicht nichts wert? Die Freundinnen sind zur Stelle, versuchen, sie wiederaufzubauen: „Du kannst nichts dafür, es ist sein Verlust, er ist ein Idiot.“
Den meisten Frauen sind derartige Phrasen der Rückversicherung genauso vertraut wie die ständig nagenden Selbstzweifel. Aber warum haben wir das überhaupt nötig? Warum hängt das weibliche Selbstwertgefühl so stark an der Bestätigung durch einen Partner?
Die Soziologin Eva Illouz schreibt in ihrem Buch „Warum Liebe wehtut“, dass es sich hierbei nicht einfach um einen psychologischen Einzelfall handelt. Kathrins mangelndes Selbstwertgefühl hat wenig mit ihrer individuell schweren Kindheit zu tun, aber sehr viel mit unseren modernen Ansprüchen an eine Beziehung.
Während sowohl Männer als auch Frauen sich früher stark über ihr soziales Ansehen und ihren Familienhintergrund definierten, hängt heute gerade für uns Frauen die Definition unseres Selbstwertgefühls zunehmend daran, ob wir uns als begehrt, also ‚liebenswert’ empfinden. Das Selbstgefühl verlangt nach ständiger Bestätigung durch die Außenwelt, um nicht völlig zu kollabieren.
Ein weibliches Phänomen
Auch Männer leiden unter persönlicher Zurückweisung. Aber ihre Welt ist typischerweise anders aufgebaut. Sie definieren sich sehr viel stärker darüber, was sie tun – für sie zählt ihr beruflicher Erfolg und die damit verbundenen Fähigkeiten mindestens so viel wie ein glückliches Liebesleben. Ihr Leben, ihr Ansehen, ihr Ich-Gefühl hängt nicht nur an der Bestätigung durch eine Frau. Sogar selbstkritische und einsichtige Männer sind meistens im Innersten überzeugt davon, liebenswert zu sein. Sie hegen keinen Zweifel an ihrer Attraktivität. Warum will das so vielen Frauen nicht gelingen, aller Emanzipationsbestrebungen zu Trotz?
Wir können die gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht von heute auf morgen ändern. Aber wir können unsere eigene Einstellung ändern. Das ist nicht einfach und grundlegende Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen. Aber es gibt einige Schritte, die uns langfristig helfen können, unabhängiger von der Bestätigung anderer zu werden:
1.) Die Körperwahrnehmung stärken
Wenn wir uns selbst nicht spüren, merken wir auch nicht, in welche Mustern wir gefangen sind. Psychologen empfehlen als ersten Schritt, die Selbstwahrnehmung zu stärken. Eine einfache Übung dazu ist, sich des derzeitigen Ist-Zustandes bewusst zu werden: Stehen oder sitzen Sie gerade? Wenn Sie sitzen, in welcher Haltung? Haben Sie ein Bein über das andere geschlagen oder berühren Ihre Füße den Boden? Sitzen Sie aufrecht oder krumm? Was machen Ihre Hände? Wer regelmäßig innehält und sich des eigenen Körpers bewusst wird, lernt mit der Zeit, sich selbst besser zu beobachten.
Auch regelmäßige Meditationsübungen können sinnvoll sein, um die Selbstwahrnehmung zu schulen und sich stärker im Augenblick zu verankern. Es gibt zahlreiche Meditationstechniken, die es lohnt, auszuprobieren. Für eine erste Anleitung empfiehlt sich je nach Geschmack ein Meditationskurs, ein Buch oder eine Meditations-App.
2.) Die psychologische Selbstwahrnehmung schulen
Nach der körperlichen Wahrnehmung ist es hilfreich, auch verstärkt auf die inneren Gefühlszustände zu achten. Halten Sie öfters inne und horchen in sich hinein: Wie fühle ich mich gerade? Bin ich ruhig, aufgeregt oder angespannt?
Wenn Sie das nächste Mal Ihr Smartphone zücken, fragen Sie sich, warum Sie gerade in dem Moment diesen Drang verspüren – werden Sie unruhig, wenn Sie das Telefon länger nicht mehr in der Hand hatten oder Ihnen jemand nicht sofort zurückschreibt? Sobald Ihnen Ihre eigenen Verhaltensmuster bewusst werden, bekommen Sie auch eine gewisse Distanz dazu. Diese ermöglicht es Ihnen, Ihr eigenes Verhalten objektiver – quasi von außen – zu sehen. In der Folge fallen auch Veränderungen leichter.
3.) Tagebuch / Blog schreiben
Auch das regelmäßige Schreiben eines Tagebuchs oder Blogs hilft, um sich mit der eigenen Unsicherheit besser auseinandersetzen zu können. Wer seine Empfindungen aufschreibt, vermag eher Ordnung in das Gefühlschaos zu bringen. Wenn wir über Dinge lediglich nachdenken, neigen wir dazu, uns mit unseren Gedanken ständig im Kreis zu drehen. Das Ergebnis ist oft, dass wir uns immer mehr in ein bestimmtes Gefühl – sei es nun Zorn, Verliebtheit, Angst oder eine andere Art von Besessenheit – hineinsteigern, anstatt Klarheit zu erlangen.
Wenn Sie Ihre Gedanken aufschreiben – vielleicht sogar in der dritten Person, also als „sie“ anstatt „ich“ – dann erlangen Sie erstens Abstand. Zweitens eröffnet Ihnen der Schreibprozess die Chance, Ihre Gedanken systematischer zu ordnen. Sie laufen so weniger in Gefahr, sich dauernd zu wiederholen und können Ihre eigene Gefühlswelt quasi „von außen“ betrachten.
Eine gute Übung, um mit dem Schreiben eines Tagebuchs zu beginnen, ist eine Schreibtechnik namens „Freischreiben“: Dazu stellen Sie sich einen Timer und schreiben für eine festgesetzte Zeit – z.B. fünf oder zehn Minuten lang – einfach drauflos, was Ihnen gerade durch den Kopf schießt. Danach können Sie sich den Text noch einmal durchlesen und Ordnung hineinbringen, bzw., von dort ausgehend systematischer weiterschreiben.
4.) Sich selbst realistische Ziele setzen
Um das Selbstwertgefühl nicht nur vom derzeitigen Beziehungsstatus abhängig zu machen, ist es wichtig, sich Ziele zu setzen. Diese sollten aber nicht zu hochgegriffen, sondern realistisch sein. Zu ambitionierte Pläne haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu scheitern. Und damit auch, Sie zu entmutigen.
Ob Ihre Ziele privater oder beruflicher Natur sind, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass es sich dabei um Dinge handelt, die Sie erstens wirklich machen und erreichen wollen und auf die Sie zweitens stolz sein werden. Sie könnten sich zum Beispiel ein sportliches Ziel setzen, indem Sie bis zu einem bestimmten Datum eine gewisse Fitness-Stufe oder ein Spielniveau erreichen wollen. Oder Sie könnten ein anderes Projekt starten, das Ihnen am Herzen liegt – wie ein Blog zu einem gewissen Thema oder ein Handarbeits-/Bastelprojekt.
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – solange Sie Ihre kurzfristigen Ziele auf einem Niveau ansetzen, von dem Sie wissen, dass es für Sie machbar ist.
5.) Einen wöchentlichen Fixtermin ausmachen
Wenn es Ihnen schwerfällt, Ihre guten Vorsätze einzuhalten oder sich genügend Zeit für Sie selbst zu nehmen, dann machen Sie einen Termin mit sich aus. Dieser Termin sollte der Selbstreflektion dienen und einen Ruhepol in Ihrer Woche darstellen. Suchen Sie sich einen Wochentag und eine Uhrzeit aus, zu der Sie meistens zuhause sind und Ruhe haben.
Nutzen Sie die gewonnene Zeit dann, um zu meditieren, Tagebuch zu schreiben oder einfach bei Ihrer Lieblingsmusik über sich selbst nachzudenken. Wenn Sie Ablenkungen nur schwer konsequent ausblenden können, dann könnte auch ein wöchentliches Gespräch mit einem Life-Coach oder Psychologen wirkungsvoll sein.