In diesem Monat will die Bundesregierung ihren Kompromissvorschlag zum Paragraphen 219a vorlegen. Aber was ändert sich damit wirklich? Das fragt sich unsere Redakteurin Helen heute in ihrer Politik-Kolumne: „Ist das euer Ernst?”.
Kompromiss zu 219a ist kein Gewinn
Manchmal ist man im Leben spät dran: Ich habe zum Beispiel gerade erst angefangen Game of Thrones zu schauen. Ich weiß erst seit zwei Jahren, dass Risotto das leckerste Essen der Welt ist und ich habe (den nächsten Halbsatz bitte überspringen, Mama) erst kurz nach meinem 28 Geburtstag eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Mit allen drei Dingen hätte ich durchaus früher anfangen können, aber ist ja alles noch einmal gut gegangen. Wer aber mal wieder so richtig „Late to the party“ ist: die Bundesregierung. Die hat es nämlich immer noch nicht geschafft, Paragraph 219a, der Ärzt*innen verbietet über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, zu streichen.
Im Dezember haben Justizministerin Katarina Barley, Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) einen Kompromiss gefunden, dem im Januar ein Vorschlag zur Gesetzesänderung folgen soll.
Und auf diese Änderung wartet nun das Gericht, das die Verhandlung gegen die Kassler Ärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus führt. Beide Ärztinnen sind angeklagt, weil sie über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Am 10. Januar 2019 auf unbestimmte Zeit pausiert. Das Gericht will die legislative Entwicklung abwarten. Aber was ändert der Kompromiss denn?
Die Forderung bleibt klar: 219a muss gestrichen werden
Laut den angeklagten Ärztinnen Nora Szász, Natascha Nicklaus und Kristina Hänel, die in einem seperaten Verfahren verurteilt wurde und bereits in Berufung gegangen ist, nicht genug. Denn auch nach der Neuformulierung des Paragrafen dürften Ärzt*innen nicht über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Dafür könnten sie weiterhin zu bis zu zwei Jahren Gefängnis oder Geldstrafen verurteilt werden. Darüber hinaus übernahm der sogenannte Kompromiss mit dem Vorschlag einer Studie zu seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen die Rhetorik der sogenannten „Lebensschützer*innen”. Echte „Lebensschützer*innen” findet man übrigens auf dem Mittelmeer in Booten der Seenotrettung. Sie erkennt man daran, dass sie, wie Ärzt*innen, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, kriminalisiert werden, aber das nur so nebenbei.
Und deshalb noch einmal: Ärzt*innen dürfen sowieso nicht werben. Abtreibungen werden nicht weniger, durch ein Informationsverbot, sondern man legt Frauen, die eine Abtreibung vornehmen möchten, nur weitere Steine hin zu einer sicheren Abtreibung in den Weg. Dass Ärzt*innen zudem Angst haben müssen für Informationen über Schwangerschaftsabbrüche angezeigt zu werden, führt dazu, dass immer weniger diese Leistung anbieten – es kommt also zu einer Versorgungslücke, die es nicht geben müsste. Es braucht auch keine neuen Studien zu den möglichen psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen, denn es gibt bereits ausreichend Studien, die belegen dass es kein „Post-Abortion-Syndrom” gibt, dass Schwangerschaftsabbrüche keine Depressionen auslösen. Eine Streichung des Paragraphen 219a ist also längst überfällig. Und die SPD sollte das wissen und sich nicht auf diesen faulen Kompromiss einlassen, wenn sie zumindest in diesem Fall mal wieder, zur Party kommen will, bevor alle anderen schon in den Club „Frauenrechte 21. Jahrhundert” weitergezogen sind. Denn eigentlich will die SPD ja, das signalisiert sie zumindest immer wieder, als progressiver Motor gesehen werden und für Frauen etwas bewegen. Vor dem Kompromiss hat zum Beispiel Eva Hogl die Forderung ihrer Partei klar formuliert: „Die SPD-Fraktion ist für eine Streichung von Paragraf 219a.”
Wenn die SPD ihr Wort nicht hält, ist Kristina Hänel, deren Verfahren bisher nicht pausiert wurde, bereit bis zum Bundesverfassungsgericht bzw. dem Europäischen Gerichtshof zu ziehen, damit 219a gestrichen wird. Nur dann wird die SPD vielleicht bald auf gar keine Party mehr eingeladen.
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