Führungskräfte müssen mit Verantwortung und Druck umgehen können. Vor allem Männer gestehen sich oft nicht ein, dass sie dem nicht gewachsen sind. Wir haben mit dem Männer-Coach Leonhard Fromm darüber gesprochen, warum das so ist.
„Alle wollen Leichtigkeit“
Führungskraft zu sein ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Verantwortung lastet auf den Schultern, viele sind überrascht, wie viel Zeit es kostet, sich um das zu kümmern, was die Mitarbeiter*innen bewegt. Auf dem Weg nach oben wird das gerne ausgeblendet. Oben angekommen stellen viele fest, dass Erfolg manchmal einsam machen kann und das Plus auf der Gehaltsabrechnung den stetigen Druck nicht so wirklich ausgleicht. Der Coach Leonhard Fromm nimmt sich derer an, deren ambitionierte Vorstellungen in der Realität nicht wirklich aufgehen – und das sind vor allem Männer. Viele von ihnen glauben nämlich, dem Druck ohne jegliche Hilfe gewachsen sein zu müssen.
Leonhard hat eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten abgeschlossen. Was er jetzt macht, nennt er „Männerarbeit“. Wir haben mit ihm über sein Coaching gesprochen und ihn gefragt, ob Männer eine Extra-Behandlung brauchen und warum sie sich so schwer damit tun, Hilfe anzunehmen.
Lieber Leonhard, was darf ich mir unter ,Männerarbeit‘ vorstellen?
„Als Coach unterstütze ich Menschen, wahrhaftiger zu sich und anderen zu werden. Wir haben uns oft unsere Intuition abtrainiert. Manche haben deshalb gar keinen Zugang mehr zu ihr. Und viele laufen mit Verboten im Kopf herum, die ihnen nicht die Erlaubnis geben, echt und sich selbst zu sein.“
Was für Intuitionen zum Beispiel?
„Meine Intuition sagt mir, der ist mir unsympathisch oder der lügt. Aber im gesellschaftlichen Umgang lassen wir uns das nicht anmerken, geschweige denn, wir würden es ehrlich sagen. Denn tief drin sitzt, was uns die Mama anerzogen hat, zum Beispiel ‚das sagt man nicht.‘ Und bezogen auf Männer heißt das, wenn ich mit dem Geschäfte oder bei dem Karriere machen will, darf mich das nicht stören.
Männer sind eher strategisch-taktisch, auf ein Ziel in der Zukunft hin orientiert. Damit sind sie nicht im Hier und Jetzt bei sich, sondern außer sich in einer Planverfolgung. Männerarbeit heißt, wir schauen uns unter Ausschluss der Frauen, quasi im sicheren Raum, diese Muster an. Ich unterstütze Männer, neben der Sachebene ihre Gefühle und ihre Urteile zu spüren.“
Was sind „sichere Räume“?
„Alle Menschen brauchen sichere Räume, in denen sie nicht riskieren, verlacht zu werden. Alle. Denn viele können nur in so einem geschützten Umfeld Experimente machen, sich ausprobieren und sich selbst erlauben, Fehler zu machen, ohne auf Anhieb perfekt zu sein. Das sitzt sehr tief drin, weil unser Umfeld – Mama, Papa, Geschwister, Lehrer*innen, vermeintliche Freund*innen – das jahrelang mit uns so trainiert hat. Und vor Frauen, glauben die meisten Männer, dürfen sie erst recht keine Schwäche zeigen. Das ist massiv schambesetzt, weil es ganz archaisch an unsere Identität geht: Das stärkste Männchen bekommt das Weibchen! Deshalb ist es für Beginner leichter, sich zu öffnen, wenn keine Frauen zugegen sind.“
Was für Leute kommen zu dir ins Coaching?
„Es ist fast hälftig: Die einen kommen, um eine Verletzung oder Krise zu bearbeiten, und die anderen kommen, um sich selbst noch mehr zu optimieren. Um etwa mit weniger Kraftaufwand mehr zu erreichen. Viele sind meist bereits erfolgreich und spüren, dass Erfolg einsam macht und mit Macht ein hohes Maß an Verantwortung einhergeht. Alle suchen Leichtigkeit.“
Mit welchen Themen kommen Männer am häufigsten zu dir?
„Die Klassiker sind, dass die Frau sich trennt oder der Mann arbeitslos wird. Eine große Rolle spielen Süchte, von der Arbeits-, über die Alkohol-/Drogen- bis zur Spiel- oder Sexsucht. Die anderen sind eben die Erfolgreichen, denen alles zu viel wird, und die oft auch ein Suchtthema haben. Allen gemeinsam: Sie lieben sich selbst zu wenig bis gar nicht.“
Massenhaft abtrainierte emotionale Sprache
Ist es ein Klischee, dass Männer keine Gefühle zulassen können?
„Von Verallgemeinerungen halte ich gar nichts. Ich kenne Männer, bei denen ich mir wünsche, dass außer Gefühlen auch mal Taten und Fakten kommen. Die sind auch nicht in ihrer Kraft. Was Männern massenweise abtrainiert wurde, ist die emotionale Sprache. Männer reden von interessanten Projekten oder ihre Befindlichkeit sei gut. Fragt man nach, was interessant ist oder gut, schweigen die allermeisten verunsichert oder es kommen nochmals Plattitüden. Und weil in ihrem Umfeld keiner wahrhaftig spricht und alle brav zur Anpassung erzogen wurden, fängt selten einer damit an.“
Wie können Männer dazu ermutigt werden, emotional zu sprechen?
„In meinen Seminaren biete ich den Männern an, was ich von ihnen gehört habe – zum Beispiel auf Grund ihrer Körperhaltung oder Stimme: Dass ihnen das „interessante Projekt“ in Wahrheit Angst macht oder dass „Mir geht es gut“ heißt: Ich bin ausgeschlafen oder ich freue mich auf das, was jetzt in der Gruppe passiert. Mit emotionaler Sprache sind wir also präziser und vermeiden Missverständnisse. Wir werden aber auch angreifbar – und das fürchten die Meisten.“
Was sind die Herausforderungen für dich in deiner Arbeit mit Männern?
„Ich ermutige Männer zur Revolte. Einfach mal ausprobieren, Nein zu sagen. Dem oder der Vorgesetzten und Partner*innen mal zu sagen, dass man vor dieser oder jener Aufgabe Angst hat. Oder auf eine Forderung mit einer Gegenfrage zu reagieren statt sie sofort zu erfüllen. Oder, oder, oder. Die Herausforderung für mich ist, jedem seine Geschwindigkeit für seine Veränderung zu lassen. Und für jeden die Dosierung seines persönlichen Aufstands zu finden, mit der er einen Erfolg hat. Denn der Erfolg nährt den Erfolg. Die Regel gilt leider auch umgekehrt.“
Was bekommst du für Feedback?
„Vielen mache ich anfangs Angst. Sie werten meine Klarheit als Aggression ab, um sie nicht ausprobieren zu müssen. Zugleich sind sie neugierig, weil ihnen das schlüssig scheint, was ich sage und mache. Viele sind auf den zweiten Blick überrascht, dass ich so einfühlsam bin. Aber wenn ich nicht beide Energien hätte, sollte ich diese anspruchsvolle Arbeit besser nicht machen. “
Hast du knackige Tipps, um Wut zu bewältigen?
„Ja, die muss raus. Aber nicht einfach irgendwo, sondern am richtigen Ort. Das kann der Wald sein, wo einer schreiend herumläuft. Ich initiiere möglichst immer mehr Männergruppen, damit Männer einen sicheren Ort für ihre Wut und oft auch ihren Hass haben. Das ist die beste Prävention, sie nicht an (Ex-)Frauen oder Kindern auszulassen – oder an sich selbst.
Wie kommt diese Wut überhaupt auf?
„Die Wut kommt daher, dass der Mann keinen Zugang zu seinen Gefühlen hat und keine Sprache für seine Befindlichkeit. Wenn ihn seine Vorgesetzten oder seine Partnerin verletzt, nimmt er dies nicht als Verletzung wahr, sondern appelliert an sich selbst, zum Beispiel dass er sich nicht so anstellen soll. Die Gesellschaft kann gar nichts ändern, nur der einzelne Mann, der sein inneres Kind kennenlernt und mit ihm in Verbindung geht.“
Wann macht es dann also Sinn, sich von einem Coach begleiten zu lassen?
„Wann macht es Sinn, zum Friseur oder zur Massage zu gehen? Ich komme damit klar, wenn Männer am Ende ihrer Kräfte zu mir kommen. Ich verstehe nur nicht, warum sie ihre Autos deutlich besser warten und pflegen als sich selbst.“
Vielen Dank für das Gespräch!
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